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1 Wirkung auf ihn auszuüben. Am Abend zuvor hatte er ' die schnell vor unserm Bug vorbeiglitten. r. ' begonnen hatte. - Sein Sieg über Tod Larsen schien eine merkwürdige Wolf Larsen war zur Russ zurückgelehrt und wir ; standen schweigend zusammen und beobachteten die Lichter, » sich in einen Katzenjammer hineingeredet und ich hatte einen seiner charakteristischen Ausbrüche erwartet. Aber nichts war geschehen und jetzt war er in glänzender Stimmung. Vermutlich hatte sein Erfolg beim Kapern so vieler Boote und Jäger der gewöhnlichen Reaktion entgegengewirkt. Jedenfalls war der Katzenjammer vor bei und die Teufel der Schwermut hatten sich nicht ge zeigt. So dachte ich wenigstens, aber ach, wie wenig kannte ich ihn! Ich wußte nicht, daß er vielleicht gerade in diesem Augenblick über einen Ausbruch brütete, der schrecklicher sein sollte als alle, die ich bisher erlebt hatte. Wie gesagt, er war scheinbar in glänzender Stim mung, als ich die Kajüte betrat. Er hatte wochenlang keine Kopfschmerzen gehabt, seine Augen waren so klar wie der Himmel, seine dunkle Gesichtsfarbe strahlte vor Gesundheit. Das Leben schwoll in prachtvollem Rhythmus durch seine Adern. Während sic auf mich warteten, hatte er Maud Brewster in eine angeregte Unterhaltung ver wickelt. Das Problem, das sie erörterten, war die Ver suchung, und aus den wenigen Worten, die ich hörte, schloß ich, daß für ihn Versuchung war, wenn ein Mensch sich verführen ließ und fiel. „Denn sehen Sie," sagte er gerade, „meiner Ansicht nach handelt der Mensch stets in Übereinstimmung mit seinen Wünschen. Was er auch immer tut, so tut er es, weil ihn der Wunsch dazu treibt." „Aber nehmen Sie an, daß er zwei Wünsche hat, die einander entgegengesetzt sind, so daß ihm das eine nicht erlaubt, das andere zu tun?" unterbrach Maud ihn. „Das eben war es gerade, worauf ich hinauswollte," sagte er. „Und zwischen diesen beiden Wünschen offenbart sich die Seele des Menschen," fuhr sie fort. „Ist es eine gute Seele, so wird sie das Gute wünschen und vollbringen, und das Gegenteil, wenn es eine schlechte Seele ist. Die Seele ist es, die entscheidet." „Schwindel!" rief er ungeduldig aus. „Es ist der Wunsch, der entscheidet. Ein Mensch zum Beispiel wünscht sich zu betrinken. Gleichzeitig aber will er sich nicht betrinken. Was tut er und wie tut er es? Er ist eine Puppe, der Spielball seiner Wünsche, und von den beiden Wünschen gehorcht er eben dem stärkeren, das ist alles. Seine Seele hat gar nichts damit zu schaffen. Haha," lachte er, „was halten Sie davon, Herr van Weyden?" „Sie haben alle beide unrecht. Sie, weil Sie den Wunsch, getrennt von der Seele, als das Wichtigste be» trachten, Fräulein Brewster, weil für sie die Seele, ge trennt von den Wünschen, die Hauptsache ist. In der Tat „Aber werden sie nicht durchbrenncn?" fragte ich. Er lachte verschmitzt. „Nicht, solange unsere alten Jäger ein Wörtchen mitzureden haben. Für wdes Fell, das die neuen Jäger schießen, gebe ich ihnen einen Dollar zur Teilung. Wenigstens die Hälfte ihres Jubels heute morgen ist auf das Konto dieses Versprechens zu schrei ben. Oh, wenn es auf sie ankommt, wird niemand durch brennen. Und nun wäre es am besten, wenn Sie nach vorn gingen und Ihren Lazarettdienst verrichteten. Eine stattliche Anzahl Patienten wartet auf Sie." * »° * Wolf Larsen entschloß sich, die Verteilung des Whiskys selbst vorzunehmen, und während ich in der Back ; mit einem frischen Trupp Verwundeter beschäftigt war, begannen die Flaschen in die Erscheinung zu treten. Ich hatte schon in meinem Leben Whisky trinken sehen, wie man ihn in den Klubs trank: etwas Whisky mit Soda wasser, aber nie, wie diese Männer ihn tranken: aus Konservendosen, aus Krügen und Flaschen in unendlichen Zügen, deren jeder an sich schon eine Ausschweifung war. i Und sie begnügten sich nicht mit einem oder zweien. Sie tranken und tranken und immer mehr Flaschen wanderten 1 nach vorn. Alle tranken. Die Verwundeten tranken; Oosty-Oofty, der mir half, trank. Nur Louis hielt sich zurück, er befeuchtete sich die Lippen nur ganz vorsichtig, stimmte aber in den allgemeinen Lärm mit ein wie der Schlimmste von ihnen. Es war eine zügellose Schwel gerei. Mit lauter Stimme erörterten sie die Kämpfe des Tages, stritten sich über Einzelheiten oder wurden zärtlich und schlossen Freundschaft mit denen, gegen die sie ge kämpft hatten. Gefangene wie Sieger sanken sich in die Arme und schworen sich schluckend mit mächtigen Flüchen gegenseitig ihre Hochachtung und Wertschätzung. Sie weinten über das Elend, das sie durchgemacht hatten, wie über das, was noch kommen mußte unter der eisernen Fuchtel Wolf Larsens. Und jeder verfluchte ihn und er zählte schreckliche Geschichten von seiner Brutalität. Es war ein seltsamer und schrecklicher Anblick, der kleine, von Kojen eingerahmte Raum, dessen Boden und Wände hüpften und schwankten, das trübe Licht, in dem die schwingenden Schatten sich ungeheuerlich verlängerten und verkürzten, die rauchgeschwängerte Luft, der Geruch der Körper und des Jodoforms und der Anblick der er- regten Menschen — oder Halbmenschen, wie ich sie lieber nennen sollte. Ich beobachtete Oosty-Oofty, der das Ende einer Bandage hielt und auf das Schauspiel blickte. Seine samtenen, strahlenden Augen glitzerten wie die eines Rehs, und doch wußte ich, daß ein barbarischer Teufel in seiner Brust schlummerte, der alle Sanftheit in seinen Zügen Lügen strafte. Und ich bemerkte das knabenhafte Gesicht Harrisons — sonst ein gutes Gesicht, jetzt aber das eines, Teufels, verkrampft von Leidenschaft, als er den neuen Kameraden von dem Höllenschiff erzählte, auf dem sie sich befanden, und Flüche auf das Haupt Wolf Larsens herab regnen ließ. Wolf Larsen war es, immer Wolf Larsen, der seine Mitmenschen unterjochte und peinigte. Ich fühlte mich plötzlich von mächtiger Kraft beseelt. Etwas in meiner neuentdeckten Liebe machte mich zum Riesen. Ich fürchtete nichts mehr. Ich mußte meinen Willen durchsetzen können trotz meiner fünfunddreißig hinter Büchern verbrachten Jahre. Und so, außer mir, hochgehoben von einem starken Machtgefühl, stieg ich an Deck, wo der Nebel geisterhaft durch die Nacht trieb und die Luft süß, rein und still war. Das Abendbrot war bereit und Wolf Larsen und Maud warteten auf mich. Während Wolf Larsens Mannschaft sich so schnell und sind Seele und Wünsche ein und dasselbe." » Wolf Larsen schien so unterhaltsam zu sein, wie ich i ihn noch nie gesehen hatte. Er begann eine Diskussion I über die Liebe. Wie gewöhnlich vertrat er die rein male- ' rialistische, Maud die idealistische Seite. Ich selbst beteiligte mich außer mit einigen kurzen Bemerkungen und Ein- i wänden nicht an der Unterhaltung. Er war prachtvoll, aber Maud auch, und eine Zeit- ; lang verlor ich den Faden der Unterhaltung, weil ich ihr ; Gesicht beim Sprechen studierte. Es war ein Gesicht, das i sonst selten Farbe annahm, heute aber war es leicht ge» I rötet und erregt. Ihr Geist entfaltete sich frei und das ; Turnier belustigte sie ebensosehr wie Wolf Larsen, der sich ; mächtig wohl fühlte. In diesem Augenblick steckte Louis den Kopf in die I Kajüte und flüsterte: „Leise! Der Nebel hat sich gelichtet und gerade jetzt ! kreuzt die Backbordlaterne eines Dampfers unsern Kurs." i Wolf Larsen sprang an Deck, und zwar so rasch, daß er, als wir ihm nachgekommen waren, schon die Zwischen- » decksluke über dem trunkenen Lärm geschlossen hatte und ! jetzt nach vorn eilte, um auch die Backluke zu schließen, l Obwohl der Nebel sich etwas gelichtet hatte, hing er noch , über uns und verdunkelte die Sterne, so daß die Nacht » ganz schwarz war. Gerade voraus konnte ich ein rotes ! und ein weißes Licht sehen und eine Maschine arbeiten l hören; zweisellos die „Macedonia". I gründlich wie möglich betrank, blieb er selbst nüchtern. ; Nicht ein Tropfen Schnaps kam über seine Lippen. Unter ! > den jetzigen Umständen wagte er es nicht und er hatte 1 niemand, auf den er sich verlassen konnte, außer Louis und I mir, und Louis stand am Rade. Wir segelten weiter durch ; den Nebel, ohne Ausguck und ohne Lichter. Daß Wolf > Larsen den Whisky auf seine Leute losgelassen hatte, I wunderte mich, aber er kannte sie und das Geheimnis, > I in Freundschaft zusammenzukitten, was mit Blutvergießen