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Betrogene Betrüger. Von Olaf Vouterweck. (Nachdruck verboten.) Kurt Karsting bummelte langsam durch die Leipziger Straße. Niemand konnte ihm — dem eleganten Herrn — ansehen, daß er erst gestern aus dem Gefängnis entlassen war und daß er heute noch ganze sechzehn Mark sein eigen nannte! Und dieser Punkt war es, der ihn ein wenig beunru higte. Gestern hatte er sich nach den langen Entbehrungen im Gefängnis einen vergnügten Tag und eine noch ver gnügtere Nacht gemacht. Aber heute grübelte er schon den ganzen Morgen darüber nach, wie er zu Geld gelangen könnte, ohne daß ihm bisher ein Ausweg aus dieser Ka lamität eingefallen wäre. Unter solchem Grübeln fand er sich plötzlich vor einem Weinrestaurant, in dem er früher einmal mit einigen Kol legen Stammgast gewesen war. Da fiel ihm ein, daß es längst Mittagszeit war und er noch nichts gegessen hatte. Eine richtige Mahlzeit war das, was ihm fehlte; denn so bald sein Magen gefüllt war, konnte auch der schwärzeste Pessimismus nicht an ihn heran, und die häßlichen ma teriellen Dinge dieser Welt bekamen ein viel rosigeres Aussehen. Mit gutem Appetit verzehrte er ein riesiges Beefsteak und trank dazu eine Flasche Niersteiner. Heiliger Lukullus, das war doch etwas anderes als die schmale Gefängniskost! Jetzt ging ein Herr an seinem Tisch vorüber und musterte ihn scharf. Gleich darauf kam er zurück und nahm mit einer Verbeugung an Kurts Tisch Platz. „Verzeihung," sagte er, „habe ich nicht die Ehre mit Herrn Karsting?" „Allerdings " „Habermann," stellte der andere sich vor. „Vielleicht erinnern Sie sich noch meiner 1922 machten wir zu sammen ein schönes Geschäft mit Devisen " „Ach richtig!" Kurt reichte seinem Gegenüber die Hand. „Waren damals fette Zeiten für uns!" „Ja, sehr fette! — Man Hai Sie lange nicht gesehen, Herr Karsting," suchte er Kurt auszuforschen. Kurt wich aus. „Hatte längere Zeit geschäftlich im Ausland zu tun. Vin erst vor einigen Tagen zurückge kommen." Um Habermanns Mundwinkel zuckte es leicht. Er glaubte die „Geschäfte im Ausland" zu kennen. Dann fragte er leichthin: „Und sind Sie jetzt hier schon wieder in neuen Geschäften engagiert?" „Augenblicklich noch nicht." „Ich hätte etwas Geeignetes für Sie " „Das wäre?" „Hm —" Habermann räusperte sich und betrachtete eine Weile aufmerksam seine manikürten Fingernägel. Dann, als er sich mit einem schnellen Blick überzeugt hatte, daß kein anderer Gast in Hörweite saß, fragte er, Kurt scharf fixierend: „Sie arbeiten doch noch m derselben Branche?" Kurt lachte. „Wenn es sich lohnt — ja!" „Es lohnt sich! Sie können bei der Geschichte zehn tausend Mark verdienen!" Kurt horchte auf. „Und was habe ich dafür zu tun?" „Nur «inen Scheck einzulösen!" „Soso ! Darf man fragen, wie hoch sich die ab zuhebende Summe beläuft?" „Warum wollen Sie das wissen?" „Damit ich das Honorar für meine Arbeit abschätzen kann." „Ich bitte Sie, Herr Karsting!" Habermann versuchte Empörung in der Stimme zu markieren. „Ich glaube doch, daß zehntausend Mark für eine Arbeit, die kaum fünf Mi nuten dauert " „Trotzdem muß ich, bevor ich mich entschließe, aus dem genannten und einigen anderen Gründen darauf bestehen, die Höhe des Objekts zu erfahren. Sie werden begreifen, daß ich bei einer größeren — Transaktion einerseits ent sprechende Vorsichtsmaßregeln treffen muß, andererseits ist es kein unbilliges Verlangen, daß meine Risikoprämie oder, wenn Sie wollen: mein Honorar in entsprechendem Ver hältnis zu der von mir geleisteten Arbeit steht!" „Nun gut! Es handelt sich um sechzigtausend Mark!" „So werden wir diese Summe teilen!" „Wo denken Sie hin! Ls ist noch ein dritter Herr an der Sache beteiligt, ohne den sich das Geschäft nicht machen läßt!" Kurt überlegte eine Weile. Dann hatte er einen Ent schluß gefaßt. „Gut, Herr Habermann, zerlegen wir die Summe in drei Teile. Also zwanzig Mille " „Abgemacht!" sagte Habermann, indem er Kurt über den Tisch hinweg die Hand bot. Kurt schlug etwas zögernd ein. Daß sich der andere so schnell herbeiließ, ihm noch zehntausend Mark zuzulegen, machte ihn mißtrauisch. Außerdem sah er um Habermanns Mundwinkel ein leises, kaum wahrnehckbares Lächeln zucken. Kurt hatte plötzlich das Gefühl, als ob jener nicht mit offenen Karten spiele. „Uebrigens noch eine Frage, Herr Habermann," sagte er rasch, „warum lösen Sie den Scheck nicht selbst ein?" „Wenn ich das könnte, würde ich es natürlich tun. Schon um das Honorar für Sie zu sparen. Aber ich per sönlich kann den Scheck ebensowenig einlösen wie mein Partner, da mail uns in der betreffenden Bank genau kennt." „Gut," antwortete Kurt, „was also soll ich Lun?" „Passen Sie auf, ich werde Ihnen die Sache einmal kurz erklären: Morgen früh Punkt neun Uhr hole ich Sie vor diesem Restaurant ab. Wir nehmen ein Auto und fahren zur Bank. Tort legen Sie den Scheck vor. Sobald Sie das Geld in Händen haben, kommen Sie heraus und steigen wieder zu mir in den Wagen. Das ist alles. Fünf Minuten später zahle ich Ihnen Ihr Honorar aus. Ob Sie darauf in Berlin bleiben wollen, bleibt Ihrer persön lichen Initiative überlassen. Einzigste Bedingung für beide Teils auch im schlimmsten Falle: unbedingte Schweigepflicht!" „Und wenn die Sache schief geht?" „Unmöglich! Mein anderer Partner hat bereits vor« gearbeitet. Alle Eventualitäten sind beseitigt." „Na schön!" sagte Kurt. „Immerhin möchte ich doch einige Vorsichtsmaßregeln bezüglich meiner Physiognomie treffen. Wenn ich dieserhalb um einen kleinen Vorschuß von — sagen wir : 100 Mark bitten dürfte „Selbstverständlich!" Eine Weile unterhielten sich die beiden Eentlemen noch im Flüstertöne. Dann zahlten sie und gingen. Auf der Straße verabschiedete sich Habermann. Mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen schlenderte Kurt die Leipziger Straße entlang. Die rechte Hand hatte er in der Tasche vergraben, wo er den knisternden Hundert markschein fühlte. Morgen würde er ein dickes Bündel dieser Banknoten haben! Lockende Bilder von schönen Frauen und edlen Pferden stiegen vor ihm auf. Paris, London — die ganze Welt lag wieder einmal offen vor ihm! Morgen . Ungeduldig patrouillierte Kurt am nächsten Morgen vor Lem Weinrestaurant auf und ab. Es war bereits fünf Minuten nach neun und von Habermann noch nichts zu sehen. Kurt hatte heute seinen Regenmantel an und eine tief ins Gesicht gezogene Reisemütze auf. Außerdem trug er eine Hornbrille. Endlich kam Habermann in einem geschloffenen Auto vorgefahren. Kaum war Kurt eingestiegen, als der Chauf feur schon wieder mit einem Ruck anfuhr. Und während sie die Friedrichstraße entlangsausten, gab Habermann noch einige Verhaltungsmaßregeln und händigte Kurt den Scheck ein. Dann hielt der Wagen vor einer Bank in der Behren- straßs. Kurt ergriff die ihm entgegengereichte Aktentasche, sprang leichtfüßig sie steinerne Treppe hinan und ver schwand in der großen Drehtüre des Hauptportales. Habermann blieb wartend im Auto zurück. Ungeduldig rutschte er auf dem gepolsterten Ledersitz hin und her. Jedesmal, wenn die Drehtür einen Menschen ausspie, glaubte er, daß Kurt es sei. Und ebensooft sah er sich getäuscht. Nervös zündete er sich eine Zigarette an. So vergingen fünf Minuten zehn. Noch immer kein Kurt zu sehen. „Donnerwetter!" fluchte Habermann vor sich hin, „sollte dieser Karsting etwa ? Aber nein! Die Bank hat nur den einen Ausgang ." Jetzt endlich kam Kurt die Trepp« herab.