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19. Fortsetzung. „Wie kamen Sie nach San Marina?" fragte Elena nach einer Weile. „Durch Ihre Mutter —Er sagte es wie abwesend, wie aus einem Traum heraus. „Es war mir endlich c- glückt, eine Professur am Athener Gymnasium zu erhal ten — denken Sie, ein gutdotierte Stelle als Kunst historiker — ich hatte meine Prüfung glänzend absol viert und hatte mir die Freundschaft und die Protektion hervorragender Männer erworben — Er hielt inne, es schien Elena, als ob er verwirrt stockte und nicht recht weiter wüßte, als ob er mehr ^e- sagt hatte, als er hätte jagen wollen, aber sie war so ,e- lpannt, ja erregt, daß sie ihre gewohnte Zurückhaltung und Zartheit in solchen Dingen gewaltsam beiseite schob und rasch fragte: „Nun — weiter! — Sie wurden also Professor am Gymnasium — „Nein — ich wurde es nicht — ich — mir wurde Athen plötzlich unleidlich — ich — wäre dort zugrunde gegangen." „Sie verließen Athen, ohne die Professur angenommen zu haben?" „Ja " „Und gingen —?" „Nach San Marina," Ein wunderbares Lächeln glitt dabei über sein Ge sicht, und Elena vergaß einen Augenblick ihre Gedanken und Erwägungen über die Schönheit, die sie aus diesem Männerantlitz anstrahlte. Erst nach längerem Schweigen fragte sie wieder: „Sie kamen damals in unser Haus als mein Erzieher, nicht wahr?" „Ja. Ich hatte Ihre Eltern bei Freunden kennnen gelernt und an demselben Abend kam auch die Frage wegen einer Erzieherin für Sie zur Sprache. Ihre Mut ter war trostlos. ia sie weinte, daß Sie Ihr geliebtes Deutsch verlernen würden, und es entspann sich zwischen ihr und Ihrem Pater ein Streit. — Unsere Freunde legten sich ins Mittel und der Herr des Hauses warf die scherzhaften Worten hin: „Das beste würde es sein, wenn Freund Malten die Erziehung der kleinen Elena in die Hand nähme!" — Ja, man weiß oft nicht, wie ein gering fügiger Umstand, wie ein einziges Wort unser Schicksal wenden kann! — Ihr Pater, in dessen Natur es lag. seine Gattin nach einem Streite — wobei er immer furchtbar heftig und ausfällig wurde — mit überschwenglichen Zärt lichkeiten zu überhäufen. Ihr Pater selbst war es. der alles aufbot. den Wunsch seiner Gattin zu erfüllen und mich dazu zu bewegen, nach San Marina zu gehen und Ihr Erzieher zu werden. Ich lehnte ab und Ihre Eltern reisten fort — (Nachdruck verboten.) Er hielt inne, aber Elena drängte: „Dann kamen Sie aber doch zu uns. Was bewog Sie dazu?" Er antwortete nicht. Endlich stieß er hervor: „Ich sagte Ihnen schon — Athen war mir unleidlich geworden." Wieder sank sein Kops zurück, seine ganze Haltung ließ nach, eine tiefe Blässe hatte sein Gesicht überzogen und seine Augen schlossen sich wie in Müdigkeit. Ein Gedanke durchschoß Elenas Kopf: Der Mann hungert! Ratlos blickte sie in sein abgespanntes, todblasses Ge sicht. Sollte sie ihm Geld anbielen? Sie wagte es nicht. Wie er da vor ihr saß, mit dieser großen Gestalt und dem seinen, durchgeistigten Kopf, erschien er ihr wie ein Bild gefallener Größe, wie ein gefesselter Prometheus — und dem sollte sie eine Unterstützung anbielen wie einem Bett ler? Aber war er heute etwas anderes? War er nicht ein Schiffbrüchiger, ein Gestrandeter, dessen Schiff voll Ideale und Illusionen versunken war in den kalten Wassern der Wirklichkeit? Sie berührte ihn leicht an der Schulter. „Sie sind krank, Herr Malten! Kommen Sie mit mir nach Hause, wir plaudern dort weiter, Sie müssen für den ganzen heutigen Tag mein East sein — und morgen wieder." Er öffnete die Augen und sah sie an. Eine düster» Wolke umschattete seine Stirn, dann schüttelte er den Kopf. „Ich gehe nicht in das Haus." „Nicht in unser Haus?" fragte Elena betroffen. „Es gab doch eine Zeit, wo sic täglich — Sind Sie mit meinem Pater verssindct?" Er schüttelte den Kopf. Dann: „Lassen Sie mich, Fräulein Elena. Leben Sie wohl." „Mein Gott — was haben Sie mit einem Mal? Sie wollten mir ja noch den Schluß Ihrer Lebensgeschichte er zählen und nun brechen Sic so jählings ab '" „Den Schluß? — Brauche ich da noch etwas zu er zählen? Sehen Sic mich an und Sie wißen alles." „Nein, nein — da muß doch noch etwas dazwischen liegen " „Leid — Leid — viel Leid!" brach er plötzlich erschüttert hervor. „Bon dem Tage an. da ich diese Insel betreten habe, bis heute —Er schlug die Hände vors Gesicht, und Elena sah, wie große Tränen durch seine Finger perlten. Ergriffen fchwicg sie. aber ihr Herz wallte auf in uw säglichem Mitgefühl Lie jauu, und plvglich kam ihr ein Gedanke.