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verraten, war erloschen. Am liebsten ginge sic auf und davon, ins Ausland, irgendwohin, wo mau kein deutsches Wort mehr höre — — „Wenn man nur ein oder zwei Menschen lieb hat von dieser großen, verkommenen Menge, so reicht das hin, nm die tiefe Zusammengehörigkeit mit dem ganzem Lande zu spüren, Baroneß/' mahnte er und vergaß, daß auch er noch vor ein, zwei Tagen darauf gesonnen hatte, zu fliehen. Sie faßen in einem Strandkorb, dicht am Wasser, so daß kein neugieriger Blick Vorübergehender sie treffen konnte. Und es war seltsam: wahrend er ihr Mut zusprach, zuerst fast gegen die eigene Ueberzeugung, wuchs die seine, nnd als sie schließlich fragte: „Glauben Sie wirklich an eine Besserung, an die Möglichkeit einer moralischen Erhebung des Volkes?" entgegnete er: „Felsenfest! Wie könnte man eine Wiedererstarkung auf wirtschaftlichem uud Politischem Gebiete erwarten, ginge die sittliche nicht voraus?" — Ta trocknete sic all mählich ihre Tränen. Ein wundervolles Glücksgesühl dnrchzog sein Herz: das Vertrauen, von dem sie gestern ge sprochen hatte, besaß sie nun Wohl schon. Stundenlang blieben sie allein sitzen, das ruhig auf und ab rollende Meer zn Füßen, ein Symbol ewiger Abwandlung der Dinge und ihnen zugleich den Rhythmus ewig wiederkeh renden Lebens gebend. Ihr Bad vergaßen sie beide. Deshalb bat er sie, um auch dem Körper seine Rechte zuzugestehen, am Nachmittag mit ihm Tennis zu spielen. Tennis! O, wie lange war sie zu keinem Spiel mehr gekommen! Köstliche Nachmittage auf dem alten Burg- Wall daheim fielen ihr ein. Die große Linde von der obe ren Terrasse warf ihre geflügelten, gelben Blüten auf die Spielenden herab, das Spalier an der Mailer trug die schönsten Kirschen, und weithin flog der Blick über die planenden Hügel des alten hannoverschen Landes. „So schön wird's freilich nicht werden," meinte er auf- munternd, ein wenig eifersüchtig auf ihre Erinnerungen. „Wir müssen uni so fleißiger üben, damit wir keine Zeit zum Nachdenken haben." Sie nickte und freute sich wie ein Kind auf die Ver abredung. Nicht ein Schatten der Unsicherheit streifte sie mehr. Als sie um fünf Uhr den Tennisplatz betrat, der hart am Waldsaum lag, war schon eine ganze Schar Spielender vorhanden. Lndmilla Ticdcn kümmerte sich um uicmand, dort stand ja Hörmcn Längt bereits mit Bällen und Schlä gern, ein paar kleine Jungen znm Aufsuchcn der launen haften Weißen Kugeln neben sich. Gleich begannen sie mit Feuereifer. Ludmilla fühlte die Ucberlegenheit ihres Geguers vom erstell Schlag an, aber nach echt sportlicher Auffassung entmutigte sie das nicht, sondern spornte sie nur an. Natürlich siegte er leicht, doch schon beim zweiten und dritten Spiel gewann sic we nigstens ein Paar Sätze. Als sie wieder die Plätze wechsel ten, hörte die Baroneß sich anrufen. Eine große, etwas üppige Gestalt kam vom Nachbarhof auf sie zu; Ludmilla erkanute ciue berühmte Tcnnisgröße, die hier schon zn spielen Pflegte, als das kleine Land noch hauptsächlich dem Aufenthalt regierender Fürsten diente. „Gräfin, Sie," sagte sie. „Ich habe Sic gar nicht er kannt." „O, Sic haben nicht hingeschaut, ich biu ja wenig ver ändert! Sie scheinen sich ganz an der Unterhaltung Ihres Partners genügen zu lassen, das habe ich schon hente früh bemerkt, als Sie am Wasser saßen." Ach, diese albernen Menschen! Sofort vermuteten sie eine Liebelei — wie wenig traf das auf sic beide zu. Ludmilla blickte zu Hermann Lange hinüber, da kam er langsam um das Netz herum auf ihre Seite. „Darf ich Jhueu meinen Bekannten vorstellen, Gräfin? Herr Hermann Lange." Bei der deutschen Aussprache seines Namens lächelten sie beide verständnisvoll. Gräfin Drengwald merkte sich diese kleine Vertraulich keit. Sie erkundigte sich, mit wem Ludmilla gekommen sei und erhielt die fröhlich gegebene Antwort, daß sie natürlich allein wäre. Wie immer. Gerade die Ferien würde sic sich doch nicht mit langweiliger Begleitung verderben! Die andere tat, als ob sie das durchaus billige! Sie würde — auch wie immer — von ihrer alten „Puppe" begleite!. Baroneß Tieden lächelte: man wußte, daß diese alte Puppe sich wie eine echte nach Laune in die Ecke legen ließ. — „Speisen wir heute abend zusammen, Ludmilla?" „Wenn es Sie nicht geniert, daß ich in Rock und Bluse komme!" Die Gräfin beteuerte ihre Gleichgültigkeit gegen Aeußer- lichkeiten. Im Grunde genommen fand sie es unmöglich, ohne Abendkleid zu reisen. Sie wandte sich -an Hermann Lange und forderte auch ihn auf — bei Herren war sie we niger anspruchsvoll. Und dieser sah sehr nett und fein aus mit dem schmalen, rassigen Gesicht und dem tadellosen Anzug. — Sie schlug ihren dicken, Weißen Wollmantel aus einander, um auch ihre elegante Kleidung zu zeigen. „Wollen Sie ein Spiel gegen mich versuchen?" schlug sie ihm vor, ohne sich um Ludmilla zu kümmern. Er wollte ablehnen, aber die Baroneß redete ihm dringend zu: sie wolle nach diesem Spiel doch eine Pause macheu, uud es würde ihr eine Freude bereiten, den zwei „Löwen" znzn- schauen. — Da gab er nach. Vorher aber mußten sie ihren Gang zum Anstrag bringen. Gräfin Drengwald setzte sich zu ihneu und schaute zu. Jeden Ball kritisierte sie. Bald aber schien Ludmillas Un geschicklichkeit sie zn ermüden, nur für Hermauu Lauge fand sie immer wärmere Worte des Lobes. Dennoch, als sie znm letztenmal die Stellung wechselten und aneinander vorüberschritten, sagte, er leise: „Weshalb taten Sie das, Baroneß? — Ich bliebe viel lieber bei Ihnen —" Mit etwas spitzbübischem Lächeln meinte sic, solch einen perfekten Spieler nicht allein für sich beanspruchen zu dürfen. Außerdem freue sie sich wirklich, ein schönes Spiel zn sehen. — Da versuchte er sein Bestes. Tie Gräfin gab scharfe Bälle in die Ecken, aber er hatte sofort ihren Trick heraus und Parierte glänzend. „Zwei erstklassige Spieler," sagte ein älterer Herr neben Ludmilla uud fragte mit der beim Sport üblichen Freiheit: „Warnm hat man nie seinen Namen bei den deutschen Tournieren gehört?" „Er lebte im Ausland und war dann kriegsgefangen," erwiderte sie. „Hoffentlich bleibt er jetzt hier? — Es wäre wichtig für uns." — „Ich weiß nicht, ob sein Sinn darauf gerichtet ist, eine Tennisgröße zn werden — zumal iu unserer augen blicklichen Lage." Ihr Zuhörer lachte. „Eins schließt das andere nicht ans, Sie eifriges kleines Fräulein — ein junger Mensch kann doch Arbeit und Sport verbinden." „Ein junger Mensch," — sie betrachtete ihn aufmerk sam. Wenn jemand graue Haare an den Schläfen hatte, war er doch alt?! — Aber viele, viele der ans Krieg und Gefangenschaft Heimgekehrten, sogar ganz junge, waren durch silberne Spuren des Leids und der Mühen gezeichnet. Weshalb unr hatte sic vor ihm solch ein Rc- spcktsgefühl gehabt? Er war anders als alle Männer, die ihr je begegnet waren; alle hatte sie an dem einen gemessen nnd verglichen, dessen Hotzkrcuz ans dem Kirch hof von Brügge stand — ein Kamerad hatte ihr ein Bild des Hügels gesandt. Sie hatte ihn nicht vergessen wollen, niemals; seine Stimme begleitete sie ratend und mahnend, war ihr Trost und ihre Zuflucht gewesen, in all den letzten Jahren. Wurde sie ihm nun untren? War cs unrecht, mit einem andern ähnlich zu sprechet! und ihm zu ver trauen? — Wenn sie anch niemals dem anderen Ge schlechte gegenüber schen und ängstlich gewesen war, so hatte sie doch bisher für keinen seiner Vertreter die ge ringste nähere Teilnahme mehr empfunden. Mußte sie sich des neuen Gefühls schämen — oder war es die Uner bittlichkeit der Zeit, die einem geliebten Menschen zwar seinen Platz im Herzen ließ, aber doch einen anderen neben ihn stellen konnte? (Fortsetzung folgt.)