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noch wenig mit europäischer Art und Weise vertraut, denn, bevor er mich gesehen, erkundigte er sich beim Betrachten mehrerer Photographien von mir sehr interessiert, „ob das die verschiedenen Frauen des deutschen Gesandten wären und ob er u. ch mehr wie diese habe?" Ats ich ihm zum ersten Male ent- gegentrat und ihm die Hand reichen wollte, wußte er augen scheinlich nicht, was er machen sollte, Plötzlich, wie einer glück- üchcu Eingebung folgend, ergriff er meinen Daumen und schüttelte ihn heftig. Einige hochstehende Chinesen erzählten uns später, welchen tiefen Eindruck die Persönlichkeit des Prinzen Heinrich auf Kaiser Kwang-Sü gemacht, und daß des letzteren Re- sormbestrebuugen erst seitdem einen ernsteren Charakter an genommen hätten. Znm ersten Male begegnete der chinesische Herrscher einem Prinzen, der nicht, wie er selbst, in Ab geschlossenheit, Untätigkeit nnd Unwissenheit gehalten worden war, sondern der viele Länder und Meere kennengelernt nnd enge Fühlung genommen hatte mit den leitenden Ideen der denkenden Welt, dessen Herz sich ferner erwärmte an den großen Problemen, die Lage der Menschheit zn verbessern. Ten Hauch eines fremden, hochfliegendeu Geistes hatte Kwang-Sü wohltuend empfunden, und dies wie das ganze persönliche Wesen des Prinzen und dessen männliche Erscheinung hatten den Kaiser aus seiner Lethargie aufgeweckt, in die er künstlich eingelullt worden war, und so war der brennende Wunsch in ihm entstanden, etwas zu tun und etwas zu sein! Interessant ist es, daß während jenes kurzen Traumes, die Rolle eines Reformators zu spielen, die jungen Freunde des Kaisers für ihn das „Leben Peters des Großen" übersetzt hatten, und daß dieser tatensrohe, energieerfüllte Herrscher fein Ideal wurde. Ja, wenn Kwang-Sü nur etwas von der bru talen Stärke nnd der selbstbewußten Kraft jenes Zaren besessen hätte, der Praktisch das „Uebermenschtum" betätigte, lauge be vor Nietzsche es verkündete! Zum ersten Male sahen und hörten die der Diplomatie an- gehörcnden Europäer in Peking während jener Tage etwas von der bis dahin so streng verschlossen gewesenen Welt hinter den finsteren Mauern, über die nur die gelbglasierten Dächer der Kaiserpaläste hiuweggucktcn, erzählte man sich Näheres von dem mysteriösen Sommerpalast Wan-Sho-Shan, wo Prinz Heinrich von der Kaiserin-Witwe empfangen worden, und von der in mitten des ungeheuren, von Armut uud Elend überfluteten Peking liegenden „verbotenen" Stadt mit ihren Palästen nnd Gärten, den künstlichen Seen, den schimmernden Marmor brücken und den glänzend bunten Pavillons, dieser fremdartigen Oase in der trüben chinesischen Welt! Damals bereits ließ die K a i s e r i n W i t w e den Gat tinnen der fremden Gesandten sagen, daß sie sich freuen würde, sie bei nächster festlicher Gelegenheit zu begrüßen, nnd dieser denkwürdige Empfang, der ein geschichtliches Ereignis bildete gleich dem Besuche des Prinzen Heinrich, sand einige Monate später aus Aulaß des chinesischen Neujahrs statt. Uubeweglich in ihrer gelbseidenen Kleidung saß die Kaiserin, das hartherzige Haupt eines von seiner Höhe schon lange her untergekommenen Bölkes, ans dem Throne, wie eine fremd artiges, altes vergoldetes Götzenbild. Der junge Kaiser saß in einer Ecke, aber tiefer wie sie. Er war in blaue Seide gehüllt, eine beabsichtigte Verletzung der kaiserlichen Würde, die gelbfarbigc Gewänder bedingt; mau hatte ihn für diesen Tag aus seinem Gefängnisse geholt, um zu zeigen, daß er noch nicht, wie es mancherlei Gerüchte behaupteten, getötet worden war, aber so weit ging nicht seine Adoptivmutter, ihm die kaiser lichen Hoheitsrechte, mochten sie auch nnr Farbe und Kostüm betreffen, zuzugcstehen. Gebrechlich und betrübt sah dieser Schattcnkaiscr aus, und als ich den Thron hinaufsticg und sich mir die kleine abgemagerte Hand des Kaisers entgegenstreckte, überkam mich eine tiefe Traurigkeit ob dieses bedauernswerten Jüvgliugs, der Peter den Großen hatte nachahmen wollen, und der dafür so schwer gestraft worden War! Die Kaiserin gab jeder von uns Damen einen merkwürdig geformten Ning ans weichem Golde mit grauer Perle, dabei durch den Dolmetscher bemerkend, daß sie diese Ringe nnr ihren nächsten Verwandten schenke und daß sie ihre Besuche rinnen von nun als Schwestern betrachte, dies dnrch Um armung und Kuß bekräftigend, welch' Frcundschaftsbezeugnis ihr von anderer Seite gezeigt worden sein mußte, da cs den Chinesen unbekannt ist. "Darauf wohnten wir einer ans aller hand chinesischen Leckereien bestehenden Mahlzeit sowie einer Theatervorstellung bes, und auch hier zeigte sich die Kaiserin Von bester Laune, bestrebt, einen möglichst günstigen Eindruck zu erzielen. Aber trotzdem konnte sie nicht ihr hartes, grau sames Gesicht verändern nnd vermochte nicht den traurigen Ausdruck von den Mieueu des Kaisers und der jungen Kaiserin, die man später hereingcführt hatte, zu bauneu. Bei jener Gelegenheit sahen wir auch viele in reichgestickte Gewänder gehüllte Prinzessinnen uud Hofsräulein, die noch nie Klein Ursel O herrliche Zeit am Meeresstrand, Wen n der Wind braust über die Wellen, Das wehende Haar, kaum hält cs die Hand, lind froh flattern die Möwen, die Hellen. Ihr Fciicntage voll reiner Lust, Euch grüß' ich init freudigem Singen, Wie weitet das Herz ihr, wie füllt ihr die Brust, In die Weite möchl' ich mich schwingen. Mit den Mceresvögclu hinab und hinauf, Mit denWogcn, die raunen nnd wallen, tim die Wette mit ihnen in stürm schein Lauf — Das würde Klein li.sel gefallen! s die Grenzen der „verbotenen" Stadt überschritten und noch nie- § mals Europäerinnen erblickt hatten. Auch der berühmte Freund § der alten Kaiserin wurde uns unter den Hofbeamten gezeigt, H er trug den Spitznamen „der kleine Schuhmacher", weil er 8 eiust zu dieser ehrbaren Zunft in nahen Beziehungen gestan- A den hatte. Ich glaube, daß die damals in die Oeffenttichkeit 7 gelangten Mitteilungen von dem großen Wissen und dem poli- 8 tischen Geschick der Kaiserin-Witwe zum mindesten sehr über- ? trieben waren und daß man ihr nicht eine Frage nach den o Hauptstädten Europas oder der Verschiedenartigkeit der Glau- § bensbekenntnisse hätte vorlegen dürfen — die Antworten ? wären wahrscheinlich recht merkwürdig ausgefallen. Dagegen mochte sie, gleich ihrem alten Freunde Li Hung Chang, Sinn ? haben für eine Art grimmen Humors, der Art ungefähr, daß ? sie sich au Theatervorstellungen in derselben Halle belustigen ) konnte, in der sie uns Diplomatcnfrauen empfangen, während ? zur gleichen Zeit beim Boxeraufstand auf ihre iu der englischen ? Gesandtschaft eiugeschlosseucn „Schwestern" seitens der chinc- fischen Truppen geschossen wurde! sind noch ein Talent besaß ? sie unleugbar: für sich gut zu sorge» uud sich allen Gefähruissen - rechtzeitig zu entziehen, dafür tausende unschuldiger Leben opfernd! - Andere Zeiten sind für China gekommen, aber gern blättert x man im Buche der Erinnerungen zurück und verweilt bei ein- 2 zeluen fesselnden Blättern! v Hei, Geburtstag war's. Als Kaffee und Kuchen vom Tische L verschwunden waren, lachte Herbert und meinte: „Wißt ihr 8 denn schon, daß ich Gedanken lesen kann?" Natürlich lachten Z alle. Aber Herbert meinte: „Die Sache ist sehr ernst. Wir Ä können's ja auf einen Versuch ankommen lassen. Ich werde 8 aus dem Zimmer gehn, und einer von euch mag in meiner L Abwesenheit irgendeinen Gegenstand zu sich stecken. Auf das K Ding und den, der's nahm, müßt ihr aber eure ganze Ge- L dankenkraft richten. Alsdann könnt ihr mich wieder hereiu- V. rufen, und ich werde jedem einzelnen den Puls fühlen. Bei Ä dem, der den Gegenstand zu sich gesteckt hat, werde ich laut 8 lachen, weil ich es erraten habe." A Der Versuch wurde gemacht, uud er fiel brillant ans! Alle 8 sahen Herbert an, als sei er ein wirklicher Hexenmeister. Nun H wurde der Versuch wiederholt. Und wieder glückte er. Das ging Ä so fort. Die Knaben und Mädchen umdrängten Herbert immer 8 stürmischer, damit er seine Kunst verrate. Er lachte: „Die Sache o ist höchst einfach," meinte er. „Meine Schwester Frida griff immer den Ofen au, als ich zu dem kam, der den Gegenstand in der Tasche hatte." M- P. Onkel Paul. Truck und Verlag der Ollo crlsncr Bnchdruckcrei und Verlagsbuchhandlung K.-G., Berlin S 42 r-rauienllrakc 140—142 Berlagoletter: Dirello r Fm« o. runden au. - Leramworllicher Nedaklenr: Paul Lindenberg BeM.-LMerseVde, Nings,> 74 I 1824-26