Volltext Seite (XML)
Pulsnitzer Mckendlall Dienstag 25. Kktoöer 1910. Beilage zu Ur. L26. 62. Jahrgang. LagesgesüdicLIs. Deutsches Reich. Berlin, 23. Oktober. (Kaiserin Geburtstagsfeier.) Gestern fand aus Anlaß des Geburtstages der Kaiserin im Neuen PalaiS zu Potsdam ein Souper mit nachfolgendem Konzert statt, bei dem Enrico Caruso .mitwtrkte. Für den Abend waren Ein ladungen an die jetzigen und früheren Umgebungen des KatserpaareS ergangen. Im Laufe des Abends wurde Caruso von der Kaiserin, dem Kronprinzen und dem Kaiser in längere Gespräche gezogen und vom Kaiser zum König!. Preußischen Kammersänger ernannt. — Den Geburtstag der Kaiserin nahm der Deutsche Kriegerbund zum Anlaß, an hilfsbedürftige Witwen ver storbener Kameraden 41000 M Unterstützungen auszuzahlen. — (Reichsverdrossenheit.) Die „Dtsch, M.- Ztg." hatte jüngst eine Umfrage wegen der ReichSver- drofsenheii und gegen sie veranstaltet und von namhaften Gelehrten recht bemerkenswerte Aeußerungen darüber ge hört. Der Leipziger Professor Binding schreibt: „Es gab zwei Zeiten gleichmäßiger Reichsverdrossenheit: die eine die Zeit des Ekels von 1648 bis 1806 darüber, daß das alte Reich nur noch als verwesender Körper bestand, die andere der fruchtlosen Klage von 1806 bis 1867 darüber, daß ein neues, kraftvolles Reich noch nicht wieder erstan den war. Reichsverdrossenheit nach 1867 oder 1870 ist nichts als politische Perversität. Ihre Träger hätten verdient, in einer der beiden Zeiten gleichmäßiger ReichS- verdrofsenhett zu leben." Kronsyndikus Geheimer Justiz rat Professor Zorn in Bonn schreibt: „Ich begrüße Ihre Pläne mit der größten Freude. Die ReichSverdrossenheit ist ein Verbrechen und läßt sich nur aus dem Mangel politischer Erziehnug in Deutschland erklären. Wenn wir an unsere politische Unmacht und wirtschaftliche Arm seligkeit vor 1866 denken, so müßte doch jeder gute Deutsche jeden Morgen und jeden Abend Gott auf den Knien danken, daß wir das Reich und durch das Reich politische Macht und wirtschaftlichen Wohlstand endlich gewonnen haben. Und darum müssen wir alles einsetzen, um das Reich zu erhalten und zu fördern. Der einzige gefährliche Feind des Reiches aber ist die Sozialdemokratie, der Kampf gegen sie muß folglich unser oberstes politisches Gesetz sein. Alle übrigen politischen Streitfragen sind daneben unbedeutend." Frankfurt a M., 24. Oktober. (Das Zarenpaar in Deutschland.) Das Zarenpaar ist heute Vormittag von Friedberg nach Schloß WolfSgarten bei Darmstadt übergestedelt. Portugal. Lissalon, 24. Oktober. (Portugal und die Mächte.) Der diplomatische Vertreter Deutschlands hatte eine längere Unterredung mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten Machado. Die deutsche Regierung kommt, wie hier behauptet wird, der Republik mit Sympathie entgegen. ES bestätigt sich, daß dte Re gierungen von Großbritanien, Deutschland, Frankreich und Spanien vorläufig die Republik anerkannt haben. Der provisorischen Regierung wurde dies von den genannten Regierungen mitgeteilt. Griechenland. Athen, 24. Okt. (Dte griechische Ministerkrisis.) Nach dem letzten Ministerrat hat die Regierung sich geeinigt, dem Willen des Königs und des Volkes nachzugeben und doch in der heutigen Kammer, sitzung zu erscheinen. Venizelos will darauf bestehen, daß Der Urinz-HemaHL. Roman von Henriette v. Meerheim b. b (Nachdruck verboten.) „Verlieren würden Sie da« Geld auf keinen Fall," ent« gegnete Georg hochfahrend. Ihre geschäftsmäßige Ruhe reizt» ihn. „Ich hafte dafür.« Anne-Marie Lehmin wurde rot. Ein schalkhafte« Lächeln ließ ihren ernsten Mund plötzlich weich und lieblich erscheinen. Sogar Georg v. Stechow, den ihre blonde, kräftige Schönheit sonst garnicht anzog, mußte sich eingestehen, daß sie in diesem Augenblick hübsch sei. Alle« an ihr atmete Leben, Jugend, Ge sundheit, die klaren blauen Augen, die rosige Gesichttfarbe, di« üppige, hochgewachsene Gestalt. „Wieso?" fragte sie. Miß Fraser ging leise, irgend eine Entschuldigung mur melnd, hinaus. Sie fühlte sich überflüssig. Niemand beachtete ihr Verschwinden. Georg beantwortete Ann.' Maries Frage nicht sogleich. Erst nach einer Weil« unentschloffenen Zauderns sagte er steif: „Ich bürge natürlich für die Schulden meines Vater». Können wir Ihnen dereinst Ihr Kapital nicht auszahlrn, so gehört Ihnen Rettershof.« Anne-Marie schüttelte den Kopf. Ein paar Minuten blieb sie auch stumm. Dann streckte sie plötzlich Georg die Hand hin. „Wir kennen beide die Wünsche Ihrer Eliirn und meims üu- ren verstorbenen Vaters,« sagte sie herzlich. „Wenn wir dies« Hoffnungen erfüllen, sind all« Schwierigkeiten gelöst." Diese Offenherzigkeit kam ihm doch überraschend. Er sah sie fassungslos erstaunt an. Aber Anne-Marie war völlig davon durchdrungen, da» jedermann beseligt sein müsse, den st« erwählte. Darum gab sie sich gar keine Mühe sein Staunen ander» al» zu ihren Gun sten zu deuten. „Ihr Vater sprach mir bereit» von ihren ge- Heime» Wünschen, Georg.« die Kammer die Erklärungen der Regierung genehmigt, in jedem Fall soll das wettere Verbleiben des Kabinetts mit der jetzigen Entscheidung der Kammer verknüpft sein. Man kann jetzt schon als sicher ansehen, daß das neue .Abstimmungsergebnis für die Regierung günstig sein wird, da viele Deputierte unter dem Druck der öffentlichen Meinung stehend, für dte Vertrauensfrage stimmen wer den. Damit dürfte die MinisterkristS vorläufig beigelegt werden, falls nicht im letzten Augenblick noch neue Schwierigkeiten auftauchen. Belgien. Brüssel, 24. Oktober. (BrüsselamVor- tage des Kaiserbesuches.) Die Vorbereitungen für den Empfang des deutschen Kaiserpaares werden mit großem Eifer betrieben. Die Ausschmückung des Nord- bahnhofeS ist bereits zum größten Teil beendigt. Auf allen Straßen und Plätzen, die das Kaiserpaar bei seinem Einzüge passieren wird, werden AbsperrungSschranken er richtet. Eine Stunde vor dem Eintreffen des HofzugeS mit dem deutschen Kaiserpaar wird der Nordbahnhof für jeden Verkehr abgesperrt und der gesamte Zugverkehr un- terbunden. Den deutschen Gesellschaften in Brüssel sind für ihre Mitglieder besondere Plätze, speziell vor dem kö- niglichen Palais angewiesen worden. Anläßlich d.S heute abend stattfindenden sozialdemokratischen Meetings sind besondere Verkehrungen getroffen worden. Wie mitgeteilt wird, hat die Regierung den Warenhausbesitzern seit eini gen Tagen Instruktion erteilt, den Verkauf von Rollpfet- fen einzustellen. Für morgen sind in Brüssel ca. 10 000 Mann Truppen aus den verschiedenen Prooinzgarnisonen zusammengezogen, die zur Spalierbildung und Eskorde beim Einzug Verwendung finden sollen. Der Besuch des Kaisers erfolgt ohne jede Prunkentfaltung vollständig in- cognito. Der Kaiser wird sich in früher Stunde zur Aus stellung begeben und nur die deutsche Abteilung besichti- gen. Auch für diesen Zweck sind umfassende Absperrun gen vorgesehen. Wie es heißt, ist der offizielle Besuch der Ausstellung weggefallen, weil man sich nicht darüber eini gen konnte, welche der Abteilungen der Kaiser besichtigen sollte. — (Das Kaiserpaar an der belgischen Grenze.) Auf seiner Durchreise nach Brüssel traf das deutsche Kaiserpaar heute mittag 12 Uhr 60 Min. belgi scher Zeit auf der belgischen Grenzstation Welkenraed ein. Serbien. Belgrad, 24. Oktober. (Das Befinden des serbischen Thronfolgers.) Ueber das Be finden des Kronprinzen Alexander wurde heute früh 8 Uhr folgendes Bulletin ausgegeben: Der Prinz hat die ganze Nacht hindurch gut geschlafen. Der Kräftezustand ist ein befriedigender, das Sensorium vollständig klar. Nach dem Erwachen bekundete er lebhaftes NahrungSbedürfnts. Die Schwellung der Milz geht nunmehr auch zurück. Temperatur 37.6, Puls 100, Atmung 32. Nachdem der Patient etwas Nahrung zu sich genommen hatte, verfiel er wieder in einen ruhigen Schlaf. Das Allgemeinbefinden hat sich auch diese Nacht wieder bedeutend gebessert Prof. Chvostek ist heute Mittag wieder nach Wien zurückgekehrt. Türkei. Konstantinopel, 24. Oktober. (Jnterna- tionaleAuSstellung 1913 in Konstantinopel.) Im Lause des Jahres 1913 soll hier eine große inter- nationale Ausstellung eröffnet werden. Zu diesem Zweck sind dieser Tage bei der Pforte die nötigen Schritte unternommen worden. Wie verlautet, ist dte türkische Regierung geneigt, die Abhaltung einer derartigen Aus stellung zu genehmigen. „Hol ihn der Kuckuck dafür!" dachte Georg ärgerlich. Trotzdem fing die Szene an, ibn zu belustigen. Er war ge spannt auf die Entwicklung, wie wenn er Zuschauer und nicht Mitspieler bei einer interessanten Aufführung sei. „Mein Vater ist sehr voreilig, denn wie wenig habe ich zu dielen I" meinte er endlich. „In der Lage wäre wohl jeder Mann mir gegenüber.« Anne-Marie warf stolz den Kopf zurück. „Aber da» schreckt keinen ab. Im Gegenteil — ich muß mich verloben, nur allein um mich meiner Bewirb« zu erwehren." Sie lachte lustig wie ein Kind bei einem drolligen Einfall. .Da» Sie nicht reich sind, Georg, da» schadet nicht». Ich bin reich genug für un» beide. Ihre Künstlergrillen stören mich auch nicht. Di« wer den ersten» wohl mit der Zeit vergehen, zweiten» bin ich ge wöhnt, selbstständig zu handeln, und möchte darin auch keine Aenderung Antreten lassen. Ich beschränk« Sie nicht in Ihren Liebhabereien, dafür behalte ich mir die Bewirtschaftung von Lehmin allein vor." Georg ließ Anne-Marie» Hand nach kurzem Druck wieder fallen. Sie hielt die Finger jetzt lose im Schoß verschlungen. Ja dem Blick, mit dem st« ihn maß, la» rr doch «in leise» Be fremden über seine kalt« Zurückhaltung. „Selbstverständlich möchte ich Ihren Entschluß nicht beein flussen, Georg." „Mißverstehen Sie mich nicht, Anne-Marie!" fiel «r schnell «in. „Ich danke Ihnen für Ihr« Offenheit, Ihr Vertrauen. Ich verkenn« auch nicht, wievi«! Si« jedem Manne zu bieten haben. Aber ich bin ein Sonderling. Mir geht meine Kunst über alle». Ich muß weiter streben, weit« lernen. Ich will jetzt in Pari» studieren." .Wissen Ihre Eltern das?" „Ja." „Und sind sie damit einverstanden?" „Nicht ganz. Aber da» Hilst ihnen nicht». Ich bin ent schlossen. Vsrmiscktss * (Entführung au- dem Kloster.) Ein selt sames Vorkommnis wird zurzeit in der böhmischen Grenz stadt Eger viel besprochen. Am Mittwoch trafen dort die Eltern eines jungen Mädchen» ein, das im Kloster der Kongreatton der Schwestern vom heiligen Kreuz be reits eingekleidet gewesen sein soll. Dte Klosterlust muß aber dem Mädchen nicht bekommen sein; denn es kränkelte fortgesetzt, sodaß die besorgten Eltern sich selbst Gewißheit über das Schicksal ihres Kindes verschaffen wollten. Sie fuhren deshalb nach Eger. Dort ließen sie das Mädchen zu sich ins Hotel „Herzog Stefan" kom men. Auf Grund der Erzählungen des Mädchens fühl ten sich die Eltern veranlaßt, ihr Kind sofortmit sich nach Hause zu nehmen. Das Mädchen mußte sich im Hotel umkleiden; das Klostergewand wurde durch einen Boten zurückgeschickt, und die Eltern fuhren mit dem nächsten Zuge mit ihrer Tochter nach Hause. Kassel, 24. Oktober. (Direktor Buschmann wieder freigelassen.) BergwerkSdirektor August Buschmann von der Gewerkschaft „Graf Schwerin", dessen Verhaftung durch die Staatsanwaltschaft Hannover erfolgte und großes Aufsehen erregte, wurde wieder auf freien Fuß gesetzt. NuMans MM in Nürnberg. 8. Dresden, 23. Oktober. Der berühmte und viel besprochene Dresdener Heldentenor Kammersänger Karl Burrian hat wieder sein „Erlebnis", das sich diesmal zur Abwechselung in Nürnberg abgespielt hat. Burrian war vom dortigen „Philharmonischen Verein" engagiert wor- den, um dieser Tage in einem Konzert mitzuwirken. Vor mittags sollte Hauptprobe gegen ein ermäßigtes Eintritts geld stattftnden. Im Saale war zahlreiches Publikum anwesend, das mit Spannung den berühmten Tenor er wartete. Burrian erschien pünktlich — in Begleitung einer Dame, die sich unter das Publikum mischte. Aber der Künstler empfand keine sonderliche Neigung, den braven Nürnbergern schon am Hellen Vormittage Proben seiner Kunst zu zeigen. Er sang, aber er sang leise, leise ohne Geräusch. Dte Anwesenden waren empört, denn sie hatten — bezahlt und verlangten „mehr Stimme". „Lau- ter, lauter" rief man dem Sänger zu, der aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Wütend blickte er ins Auditorium und als nun gar crescencio ein Zischen an schwoll, wollte Karl Burrian seine Noten packen und ver schwinden. „Ich singe nicht! In Nürnberg überhaupt nicht, daS bin ich denn doch nicht gewöhnt!" so flutete eS von den Lippen des Caruso Nr. 2, und schon war er im Begriffe davon zu gehen. Der Kapellmeister richtete in seiner Bedrängnis einige beruhigende Worte an daS Publikum und wollte das Verhalten des Sängers ent schuldigen. Burrian nahm wieder sein Notenblatt in die Hand und das Publikum meinte wirklich, Burrian werde jetzt seine Stimme erschallen lassen. Weit gefehlt! Er blickte nur aufs Blatt und als jetzt wieder das Zischen, diesmal in verstärktem Maße, anhub, warf der Göttliche die Noten hin, fluchte und schimpfte und rannte davon. Mit ihm seine Begleiterin aus dem Zuschauerraum. „Ich singe heute Abend nicht!" waren seine letzten Worte. Der Kapellmeister geriet fast in Verzweiflung. Woher einen Ann'-Marie dachte nach. „Nun" sagte sie dann, „von An« Heirat könnt« vorläufig doch noch krine R«d« s«in. Vor meinem rinundzwanzigfi«» Jahr« möcht« ich k«in«»fall» h«irat«n. Uek.rdie» sind bauliche Veränderungen in Lehmin unbedingt er forderlich. Der alte Turm stürzt demnächst ein —« „Um de» Himmel» willen lassen Sie den unangetastet! Stützen Sie ihn, aber verderben Sie nicht di« ganze Romantik und Poesie von Lehmin!' „Da» spricht wieder der Künstler.« „Ja, der ist untrennbar von mir, den müssen Si« mit in Kauf nrhmen, Anne-Marie." Sir nickte. Ich bin» zufrieden. Sie find ja zum Glück nicht nur kunst-, sondern auch sporMebend. Reiten Sie heut mit mir über die Felder von Lehmin — hinein in die Tannen wälder — es wird Ihnen gefallen.« In ihren Augen lag der ganze Stolz der reichen Erbin, di« d«m Au»irwählt«n klar macht wir hochbegnadigt er durch sie sein wird. „Sie wollen also wirklich den verschrobenen Maler zum Mann haben, Anne-Marie?« „Nein — meinen Jugendgespielen, den Sohn meine» guten alten Onkel» Stechow will ich,« entgegnete si« rasch. „Damit «füll« ich zugleich meine» Vater» liebsten Wunsch.« „Ist «» nur der Wunsch de» Verstorbenen, der Sie be stimm«, Anne-Marie?« Georg konnte e« nicht lassen, diese F.age zu stellen. Die kühle Ruhe, mit der sie über ihn verfügte, reizte ihn gar zu sehr. Wieder errötete st« ein wenig. „Vielleicht nicht ganz allein,« sagte sie endlich leise, halb widerwillig. Er nahm noch einmal mit mehr Wärme ihr« Hand und zog si« an di« Lippen. „Ich sürcht«, ich fürchte, Anne-Marie, Sir^machen heute einen dummen Streich.« Sie mußte über den humoristischen Seitenblick, mit dem er si« musterte, lächeln. „Gehen Sie jetzt nur ruhig nach Pari» und studieren dort, so viel Sie wollen,« bestimmte fi« heiter.