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Pulsnitzer MckenblaN Donnerstag, H2. Dezember 1910. 6us dem SerlÄrtssaals. Bautzen, 20. Dezember. (1. Strafkammer) Die in Pulrnitz wohnhafte, ledige Arbeiterin Klara Anna Hant sche, geb. am 14. November 1866, hatte ein über den beim Stadtrate zu Pulsnitz angestellten Ratsregistrator ein unwahres Gerücht verbreitet, weshalb gegen die Hant sche Anklage wegen Beamtenbeleidigung erhoben war. Die von der Häntsche aufgestellten Behauptungen wurden nach eingehender Zeugenvernehmung als unwahr aner kannt, worauf die Angeklagte mit 2 Monaten Gefängnis bestraft wurde. Sitzung der II. Strafkammer des Königl. Landgerichts. Z Bautze», 19. Dezember. Von großem Jnter- resse für sämtliche Ga st wirte, besonders für die z. Zt. wegen gewerbsmäßigen Glücks spiels angeklagten, ist dieEndscheidungder U. Strafkammer. Der Ingenieur Wange und der Gastwirt Scholze in Görlitz hatten gemeinschaftlich Ende des Jahres 1908 bei den Gastwirten Leberecht Edwin Ottomar Walther, Paul Moritz Gustav John, Friedrich Max Kretschel, Karl August Skade und Adolf Koblitz, sämtlich in Weißenberg, den Automaten „Excelfior" auf gestellt. Für Händ er fielen 80 Prozent, für die Gast- wirte 20 Prozent der Einnahme ab. Bei diesem Appa- rate wurden Wertmarken ausgespielt. Den Gastwirten wurden von den Händlern freisprechende Urteile ver schiedener Gerichte vorgelegt zum Beweise, daß die Excel- stör-Apparate freigegeben seien, die Gastwirte hingen die Apparate auf und befragten sich später bei den Ver waltungsbehörden, die Amtshauptmannschaft Löbau er teilte auch schließlich die Genehmigung dazu. Das Amts gericht Löbau leitete aber doch ein Strafverfahren ein und daS dortige Schöffengericht verurteilte am 20. April 1910 wegen verbotener öffentlicher Ausspielung Wange gu 30 M, Scholze zu 10 M. Geldstrafe und sprach die anderen Gastwirte frei. Die Staatsanwaltschaft aber legte Berufung ein, weil sämtliche Angeklagte nicht wegen gewerbsmäßigen Glücksspiels verurteilt worden waren. Nach der Ueberzeugung des Berufungsgerichts ist das Spiel mit dem genannten Automaten entschieden als Glücksspiel und die Handlungsweise der angeschuldigten Gastwirte als gewerbsmäßig zu betrachten. Die erteilte Genehmigung der Verwaltungs-Behörde könne daran nichts ändern. Walter, John, Gretschel, Skade und Koblitz wurden zu je 1 Tage Gefängnis verurteilt, das Verfahren gegen Wange und Scholze aber abgetrenni. 8 Leipzig, 21.Dezember. (DerSpionageprozeß vor dem Reichsgericht.) Vor dem Reichsgericht be- gann heute der Spionageprozeß gegen die beiden im August d IS. in Borkum verhafteten englischen Offiziere Trench und Brandon. Es wird ihnen zur Last gelegt, im Monat August 1910 an verschiedenen Orten des Deutschen Reiches vorsätzlich und gemeinschaftlich Gegen stände, die im Interesse der Deutschen Reiches geheim zu halten waren, zu ihrer Kenntnis gebracht und dritten Personen, nämlich Mitgliedern des englischen Nrchrichten- bureauS, übermittelt zu haben, obwohl sie gewußt haben, daß damit die Sicherheit des Reiches gefährdet wird. Der ^rinz-HemaHL. Roman von Henriette v. Meerheimb. 80 (Nachdruck verboten.) „Dar wollen wir ihm wünschen. Vom Rohm allein lebt man schlecht" antwortete Georg nicht ohne Bitterkeit. Er cm- pfänd ein neidische» Unbehagen bei dem Gedanken, daß Norbert allein den Lorbeer erringen sollte, nach dem er selber nicht mehr streben konnte, dessen Erreichen die übrigen Mitschüler aufgeben Mußten, weil die bittere Not ste zwang. Seine Kunst erstickte in Reichtum — die ihre 'N der Ar» mut. Der Erfolg war der gleiche. Nur Norbert rang sich durch. Der Gedanke peinigte ihn. „Haben Sie da» Gemälde gesehen?" fragte er gespannt. Nadine errötete. „Nein. Norbert wollte nicht, daß ,ch e» unvollendet sah Mrine Abreise hierher kam dazwischen." „Leden Sie jetzt in Pari» mit einer anderen Dame zusam» men, seit Lucy O'Reilly Sie verließ?" „Ja Aber ich habe mich ihr nicht so angeschlvssen, wie der gutmütigen Lucy." .M4 wem verkehren Sie denn hauptsächlich?" „Norbert sehe ich am meisten." „Da» konnte ich mir denken !" Georg verstummte. Er rückte seinen Stuhl weiter von Na» dine ab und nahm an dem allgemeinen Gespräch teil, denn er glaubte in Anne-Marie» auf ihn gerichteten Augen Mißtrauen, in Jagow» und seiner Mutter Blicken neugierige» Staunen zu lesen. „Ende diese» Monat» soll ein große» Gartenfest mit Tan, bei Rochlitzen» stattfinden/ berichtete Jagow. „Bi» dahin find Sie hoffentlich wieder hergestellt, Gräfin? Uebrigen» würden Rochlitzen» gewiß glücklich sein, wenn Sie Ihren Gast, Fräulein Holzinger, milbrächten. Wir haben immer Damenmangel." „Wenn ich bi» dahin meinen Fuß gebrauchen kann, mach« rch natürlich da» Fest mit," sagte Anne-Marie. „Fräulein Holzinger wird gewiß mrine Schwiegermutter nicht verlassen mögen." , Anne-Marie ärgerte sich über Jagow« Taktlosigkeit. Da» sollte thr «»fallen, diese kleine Pariser Malerin mit auf di« Anlage zu Wr. 15!. Beide Angeklagte geben auf Befragen des Vorsitzenden zu, gemeinsam eine Kundschaslerfahrt nach Deutschland unter nommen zu haben. Weiter gibt der Angeklagte Brandon zu, Skizzen, Photographien und Notizen von deutschen Festungswerken angesertigt zu haben. Beide Angeklagte geben ferner zu, gewußt zu haben, daß sie sich dadurch einer strafbaren Handlung schuldig machen. — Aus den Verhandlungen ist zu ersehen, daß es richtig ist, daß auch in den Jahren 1907/8 englische Offiziere Wilhelms hafen besucht haben, aber ohne ertappt zu werden. — Im Spionageprozeß gab der Reichsanwalt eine Erklärung ab, nach der er solange als möglich die Anwesenheit der Presse und des Publikums fordert, damit man in England erfahren könne, daß nicht deutsche Spione Eng land überlaufen, wohl aber vielleicht das Gegenteil der Fall ist, daß vielmehr englische Spione Deutschland überlaufen. Gleichfalls äußert sich für Beibehaltung der Oesfentlichkeit die Verteidigung, durch den Justizrat Gordon vertreten. Der Vorsitzende stimmt ihnen beiden rm Prinzip zu, äußert aber die Ansicht, daß er während der Vernehmung der Sachverständigen die Oesfentlichkeit ausschließen müsse. Die Nachmittagsverhandlung begann mit der Erörterung darüber, ob die von Brandon in Sylt gemachten Beobachtungen in militärische Geheim- niffe eingedrungen stad. Die Verteidigung bestreitet dies, da jedermann diese Messungen vornehmen könne. Die Sachverständigen find anderer Ansicht und können fest stellen, daß Brandon die Angaben genau nach den An- wetsungen des englischen Landungsreglements gemacht hat. 6us aller >Velt. Innsbruck, 21. Dezember. (Eine Patrouille von einer Lawine verschüttet.) Am Monte Piano zwischen Schluderbach und Misurina wurde eine Militärpatrouille, bestehend auS einem Offizier und sechs Mann, von einer Lawine verschüttet. Der Offizier konnte sich retten, die sechs Soldaten wurden getötet. Jnnsbrnck, 21. Dezember. (Zu dem Lawinen unglück am Monte Piano.) Das hiesige KorpS- ckommando teilt mit, daß bis jetzt 6 Mann von der am Monte Piano durch eine Lawine verschütteten Militär patrouille als Leichen geborgen wurden, dagegen konnte die Leiche des sechsten Verschütteten noch nicht gesunden weroen Petersburg, 21 Dezember. (Die Pest in der Mongolei.) Aus Wladiwostok wird te egraphiert: Die Pest tritt in der Mongolei furchtbar auf. Unter den Leichen befinden sich massenhaft Angehörige euro päischer Normadenstämme. Der deutsche Consul in Char din überreichte dem Gouverneur eine Note, worin er die strengsten Maßnahmen gegen die Epidemie verlangte. Falls dies nicht geschieht, sei die Einmischung Deutsch lands zu erwarten. Die Note wurde nach Peking gesandt. London, 21. Dezember. (DerWolftmZuschau- erraum.) In einem Brooklyner Theater sprang, wie aus Newyork gemeldet wird, während der Vorführung des Melodramas „Die Revolverkönigin" ein in einer künstlichen Wolfsschlucht eingesperrter Wolf, nachdem er das Drahtgitter zerrissen hatte, von der Bühne in den Feste in der Nachbarschaft zu nehmen! Die war au»schließlich zur Pflege und Bedienung ihrer Schwiegermutter da und nicht, um sich hier zu amüsieren. „Ich bliebe gern den Abend allein," versichert« Frau von 8t«chow. „Ein hübsch«» jung«» Mädchen will auch einmal tan zen. — N-cht wahr, Fräulein Holzinger?" Nadine sah sie dankbar an. „Sie find sehr gütig, gnädige Frau. Aber da» wird doch wohl nicht angehen." „Natürlich geht «»!" rief Georg lebhaft. „Wir sind da» Rochlitzrn» einfach schuldig. Auf zehn Husarenosfiziere kommt höchsten» eine Tänzerin — und wa» für eine! Nun sollen unsere Krautjunker und Landpomeranzen einmal Pariser Schick sehen!' Nadine lächelte über seinen Eifer. „Mein Mullfähnchen au» „Bon marche" wird gewiß sehr imponieren! Eine Balltoi- leite besitze ich überhaupt nicht. Wozu sollt« ich die in Pari« brauchen? Ich lebe ja ganz zurückgezogen. Niemand will da« glauben, weil jeder unwillkürlich mit dem Namen „Pari»" Ver gnügen und Eleganz verbindet. Wer ahnt die herbe Not, die unablässige Arbeit, unter der so viele dort seufzen?" .Da>um eben sollen Sie hier Ihre Jugend genießen." Nadine schüttelte sanft den Kopf und schwieg. Al» Frau v. Stechow sich anschickte, zu Bett zu gehen, folgt« sie ihr sofort nach einer allgemeinen Abschied»verbeugung. Jagow fühlte sich bald auch entlassen. Ann«»Marie wurde immer einsilbiger. Sie war augenscheinlich so verstimmt, daß er e» vorzog, aufzubrechen. Klugerweise unterdrückte er darum auch lieber einen Ausbruch de» Entzücken» über Au»sehen und Benehmen der reizenden „Pariserin". Ec fühlte deutlich, gerade solch Lob war heute wenig angebracht. „Soll mich wundern, wie lange die Geschichte hier dauern wird! ' dachte er im Stillen. „Ich -nürde dich gern noch eine Strecke begleiten, Jagow," sagte Georg. « Oder willst du lieber «inen Wagen haben?" „Nein, danke, — ich gehe sehr gern mit dir." Einen unterhaltenden Begleiter halte Jagow aber nicht, Georg beantwortete alle Fragen nur sehr kurz. Freiw llig sprach er kaum ein Wort während de» langen, einsamen W ge« durch da» Helldunkel der Sommernacht. Mit stummem Hände« druck verabschiedete er sich an der Grenze von Malchin. 82. Jahrgang. Zuschauerraum. Das Tier suchte durch die Tür des Zu- fchauerraumeS zu entfliehen. Diese war aber von den schreienden Weibern und vorwärtsstürmenden Männern vollständig verammelt. Eine Frau versuchte, das Tier zurückzuscheuchen, der Wolf zerfleischte ihr aber den rech ten Arm vollständig Acht weitere Personen wurden leicht verletzt. Schließlich trieb ein beherzter Schutzmann den Wolf auf die Bühne zurück, wo er eingefangen wer den konnte. Major Dominik von der Kaiserlichen Schutztruppe für Kamerun ist an Bord deS Dampfers „Eleonore Woer- mann", der ihn, den Schwerkranken, in die Heimat brin gen sollte, gestorben. Major Dominik war am 7. Mai 1870 geboren, er hat also nur ein Aller von 40 Jahren erreicht. Ursprünglich war Dominik Leutnant bei den 12. Grenadieren in Frankfurt. Sein Interesse für Afrika wurde hier durch seinen Regimentskameraden, den dama ligen Hauptmann Morgen, erweckt. Mit diesem ging er auch zuerst nach Aegypten, um Sudanesen anzuwerben. Bald darauf fand er in Kamerun Verwendung. Hier zeichnete er sich durch seine unerschrockenen Expeditionen aus. Später trat Dominik auf kurze Zeit in die Armee zurück, und zwar beim Infanterieregiment Nr. 64 in Prenzlau. Von hier aus wurde er zur Kriegsakademie kommandiert. Doch lange hie t eS den schon damals be- währten "Afrikaner" nicht in der Heimat zurück. 1901 unternahm er im Auftrage des Kolonialamtes eine For schungsreise in das Gebiet des Tschadsees. Ein Jahr darauf wurde er wieder L la suite der Schutztruppe ge stellt, und seitdem hat er den Kolonialdienst bis auf eine Jagow sah ihm gedankenvoll nach, dann pfiff er leise vor sich hin. Georg schlug einen Feldweg ein. Die Nehren rauschten zu beiden Seiten, fast nickten sie über seinem Kopf zusammen. Die Grillen zirpten. Träumende Vogelstimmen tönten au« allen Hecken. Sommernächte find nie ganz du»k«l und still. Al« Georg wieder vor dem dunklen Schloß von Lehmin stand, sah er zu dem obersten Stock hinauf. Hinter Nadine« Fenster schimmerte noch ein matte» Licht. Ein Schatten huschte hin und her. D>e weiße Ga'dine flog in den warmen Nacht wind zum halboffenen Fenster hinau». Auch sie konnte also nicht schlafen in dieser ersten Nacht, die sie unter demselben Dache verbrachten! Zwölfte« Kapitel. „Gefällt Ihnen da« Bild? Sagen Si« mir ganz auf richtig Ihr« Meinung" Georg stand Nadine in seinem Arbeit«zimm«r gegenüber und hielt ihr da» vollend« Porträt de« kleinen Jobst hin. Sie sah e« lange aufmerksam an. „Ja — Sie sind in Ihrer Kunst nicht zurückgegangen, sondern haben sich im Grgen« teil vertieft." „Die« Urteil macht mich glücklich." Georg stellte da« Bild wieder auf die Staffelei. Nadine konnte der Vrrsuchung nicht widerstehen; sie nahm Pinsel und Palette und arbeitete etwa« mit hinein. Der nur flüchtig angedeutet« Hintergrund kam unter ihrer geschickten Hand bald besser heraut, der blaue Samt dl« Kleidchen« wurde leuch tender, ein Sonnenfleck irrt« über den weichen, glänzenden Stoff. Georg sah ihr mit Entzücken zu. „Jetzt wird da« Bild erst wertvoll," sagte er leise. Nadine ließ den Pinsel sinken. „Lie umgebe» sich mit alten Pariser Erinnerungen hier." sagte sie langsam. „Auch die Skizze zur „Salome" bemerke ich da noch. Wa« soll da»?" „Ich hänge noch sehr an den Erinnerungen au« der Pa riser Zeit," entgegnete er kurz, setzt« sich auf» Sofa und schlang di« Arm« um die Knie. „Sie idealisieren dies« Zeit." Nadine« Ton klang herb. „Denken Sie an die Not, die Enttäuschungen —"