Volltext Seite (XML)
Sonnabend, 8. Oktober 1910. 2. Beilage zu Ztr. 119. 82. Jahrgang. -4 Hlvfuccr. 4- Roman von CourthS-Mahler. 23. Nachdruck verboten. Ursula hatte überwunden, war sie müde und traurig ge« nacht hatte. Sie blühte von neuem auf und war schöner, be« pudernder denn je. Etwa» von ihrem früheren Frohsinn kehrte mück. E» war freilich nicht mehr die ungestüme Lust de» sorg« l>sen Kinde». Aber etwa» Sonnige», Erwartungtvolle» lag in i-ren Augen, ein Glan, der ihrem Gesicht etwa» Leuchtende» zrb. Di« heirat»fühigen jungen und alten Herren ihre« Gesell« shasttkreise» warfen begehrliche Blick« nach der schönen und reichen Margen Witwe. Man erwartete ungeduldig da» Ende de» Trauer» M» und hoffte, daß dann die Tore von Erlenhorst und Arn« Men dem Verkehr wieder geöffnet würden. M Vorläufig lebte Ursula mit ihrem Vater ziemlich zurückge- W n. Nur di« intimen Bekannten sanden die Herrschaften zu M se. Zwischen Erlenhorst und seiner Tochter bestand jetzt ein Magere» Verhältni» al» früher. Der alte Herr hatte sich uner« M lich bemüht seine Tochter aufzuheitern. Al« er fie da« erste M wieder laut und herzlich lachen hörte, da strahlte er über W. ganze Gesicht. Da» war am ersten Pfingstnachmittag. Han« «.mfeld« war mit Lotti und seinem Erstgeborenen für di« ^Mage nach Erlenhorst geladen. saß auf der Veranda und bewunderte Lotti« kleinen i. Ursula hielt ihn auf dem Arm und sah lächelnd in da« ^Mh mollige Kindergeficht. Da fing der kleine Mensch an, unverständliche Geschichte zu lallen und mochte dabei MM, putzige« Gesicht, daß Ursula in Helle« Lachen ausbrach. M Lotti sah gleich Herrn v. Erlenhorst strahlend in da« Ge« Wt der jungen Witwr. »Belt, Ursula, mein kleine, Dolf ist «in Sonn«nlind. W«r der muß lach««." „Da» hat er von seinem Mütterchen. Er hat gang Ihre Augen, Lotti." „Aber sonst ist er Han» ähnlich, ganz sich«. Sehen Sie hier die beiden finsteren Fältchen an der Nasenwurzel und die schmale Nase. Da« ist ein tzerrenftlder Familienzug. Ja — mein Dölfchen ist rin Aristokrat, trotz seiner bürgerlichen Mama. Schauen Sie nur die schmalen Händchen." „Aber Lotti — unser Bub kann doch nicht jetzt schon Bären« fäuste haben", ries Han« lachend. „Ach geh, du Rabenvater. Gleich gibst du unserm süßen Jungen «inen dicken Kuß. So — o weh — nicht so arg drücken. Da — nun zieht er ei» Mäulchen. — Hat Pappi« Bart ge« kratzt, mein Herzen« bub, sei lieb — ist ja alle« nur Liebe, du dummer Bub. Ach Gott — wenn dich doch deine Großmama so sehen könnte. Au« und vorbei wäre e« mit allem Groll. „Also Großmama Herrenfeld« ist noch immer unversöhnt", fragte Ursula. .Ja — leider. Unsere herzlich« Einladung zu Bubi« Taufe hat fie nicht angenommen. Al« mein Schwiegervater ihr gesagt hat, Hansen« Söhnchen ist nach unserm unglücklichen Sohn Dolf genannt worden, da ist sie aufgestanden und hinauigegangen. Aber sie hat nachher rotgeweinte Augen gehabt. — Wenn sie nur unser Bübchen sehen könnte, da würde sie nicht länger widerstehen." „Gib dich doch nicht immer wieder trügerischen Hoffnungen hin, Lotti", sagt« Han« mit zusammengezogener Stirn. „Du weißt doch, da« Liesa alle« versucht hat, meine Mutter umzu stimmen. Da ist nicht« mehr zu hoffen." Lotti schwieg. Aber sie machte gar kein hoffnungklose» Gesicht. Al« ihr Mann mit Herrn v, Erlenhorst später «inen Ritt unternahm und Bubi sanft und friedlich sein Mittag«schläfchen hielt unter der Obhut seiner Amme, da sagte Lotti: „Liebe Ursula, e« läßt mir keine Ruh« mehr. Mich zieht e« sörmlich hinüber nach Herrenfelde. Wolle» Sie mir noch einmal behilflich sein?" „Gern und mit Freuden, Lotti. Aber wie?" Lotti entwickelte ihr nun einen fertigen Feldzugplan. Und er mußte gut sein. Ursula nickte sehr energisch und beifällig mit dem Kopf. Eine Stunde später saßen die beiden Damen in dem großen Landauer. Bubi auf den Armen seiner Amme wurde auf dem Rücksitz plaziert, und der hellgraue, elegante Kinderwagen kam auf den Bock neben dem Kutscher. Dann ging e« im scharfen Trab auf der Landstraße dahin. Die hell« Sonne lachte zu dem Vorhaben der beiden Frauen. Gegen drei Uhr hielt der Landauer an der Herrenfelder Parkgren,«. Der Kinderwagen wurde herabgehoben, die spitzen besetzten Kiffen wurden aufgeschüttet und Bubi hineingelegt. Mit sorgenden Händen band ihm Lotti ein frische» Lätzchen vor, wischte noch einmal säubernd über da» rosige Kindrrantlitz und dann schob sie langsam und vorsichtig de» Kinderwagen vor sich her in den Herrenfelder Park hinein. Ursula stieg wieder in den Wagen und fuhr bi» vor da« Herrenhau«. Eie ließ sich den Herrschaften melden und wurde empfangen. Frau von Herrenfelde unterhielt sich artig und höflich mit ihr. Ursula glaubte zu bemerken, daß die alte Dam« nicht ganz so ruhig und kühl wi« sonst war. Nun wagte fie den ersten Anlauf. „E« hat mir so leid getan, daß ich der Taus« Ihr«« Enk«l« nicht beiwohnen konnte, Frau von Herrenfelde. Sie waren doch gewiß zugegen?" Die Augenlieder der alten Dame zuckten nervö«. „Nein", sagte fie kurz. „O, wie schade. Der klein« Dolf ist doch «in rrizendt«, süße« Kerlchen, nicht wahr?" „Frau v. Herrenfelde nahm «in« abweisend« Mi«ne an und sah zur S«it«. So konnte Ursula d«m alten Herrn verstohlen Neuyorker Gesellschaft, die ihre gesunde Körperfülle zu ätherischer Schlankheit läutern wollten, zu Herzen ge nommen. Sie gründeten einen Klub, nannten sich, um ihr Verfahren wohl als ein Mittel zur Langlebigkeit zu empfehlen, „Methusaliten", und beschlossen zu hungern. Aber der Beschluß war leichter als die Ausführung. Nachdem sie drei Tage lang gefastet hatten, endete ihr erster Versuch mit einer kräftigen Mahlzeit, die sie gierig zu sich nahmen. Sie ließen sich aber nicht abschrecken und verpflichteten sich feierlich, 14 Tage lang nur Wasser und Orangengelee zu genießen. Am vierten Tage jedoch waren sie wieder mit ihrer Willenskraft zu Ende und bekannten mit rührender Einmütigkeit, es wäre unmög lich, länger den Hunger zu ertragen, aber noch schlim mer seien die Aufdringlichkeiten der Reporter, die ihnen bei ihrer schweren Aufgabe keine Ruhe gekästen hätten. Hungern sei schrecklich, aber noch schrecklicher die Neugier der Journalisten und des Publikums. * (WiedieErdevomMondeauSsieht.) Der bekannte französische Astronom Camille Flammarion be schäftigt sich im Neuyork Herald mit dem Bild der Erde, wie eS einem imaginären Betrachter vom Monde aus er scheinen würde. „Die geographische Gestaltung unseres Planeten würde nicht zu unterscheiden sein," meint er, „weil die Erde nicht wie der Mars und sogar der Mond immer von einem klaren Luftstrom umgeben ist. Die Erdkugel muß den eventuellen Bewohnern des Mondes, wie sie so an dem immer dunklen, Tag und Nacht mit Sternen ausgestatteten Mondhimmel hängt, als eine himmlische Uhr sich darbieten, von der Natur dort ange bracht, damit sie imstande sind, die Zeit zu erkennen und darnach ihren Kalender zu regeln. Von dem Mittelpunkt der Halbkugel des Mondes aus gesehen, die uns bekannt ist, hängt unser Planet wie eine riesige Kugel, bereit, vom Himmel herunterzufallen. Der Durchmesser dieser Kugel ist fast viermal so groß als der des Vollmondes, wie wir ihn sehen, seine Oberfläche I4mal ausgedehnter und leuch tender. Dieser ungeheure Feuerball, der unbeweglich im Luftraum verharrt, abgesehen davon, daß er sich um seine eigene Achse dreht, unterliegt nun ganz analogen Phasen, wie der Mond sie uns bietet. So erblicken die Mondbe wohner, wenn wir einen Vollmond haben, eine „Voller de" und umgekehrt. Die „Neuerde" beginnt gewöhnlich in der Mitte des Mondtages, der 15mal so lang ist als unser Tag. Das „erste Viertel der Erde" erscheint bei Sonnenuntergang, die Vollerde um Mitternacht und das letzte Erdviertel bei Sonnenaufgang." K. * (Blut gegen Blut.) Bei jeder, auch ber klein sten Verletzung kommt es in erfter Linie daraus an, den eintretenden Blutverlust zu hemmen. Gibt eS auch viele Leute, die es nicht nötig haben, beim Eintritt von Na senbluten oder bei einer kleinen Wunde an irgend einer Stelle des Körpers besondere Aufmerksamkeit auf die Blut stillung zu verwenden, so sind doch auch die Fälle häu fig, in denen die Aufgabe ebenso wichtig wie schwer zu erfüllen ist. Ganz besonders find es die sogenannten Blutsamilien, deren Angehörige durch erbliche Veranlag ung bei jedem geringen Anlaß zu schwer stillbaren Blut- ungen neigen und dem behandelnden Arzt viel Mühe und Kopfzerbrechen verursachen. Freilich ist eine große Zahl von Mitteln zur Stillung von Blutungen gefunden und empfohlen worden, aber das rechte und unfehlbare muß hat vor einiger Zeit die Parole ausgegeben, daß das einfachste Mittel, um schlank zu werden, Hungern sei. Diesen Rat haben sich ein paar junge Damen der beste n M ' Vermisstes. * Hungern imDienste derSchönheit. Ein bekannter amerikanischer Arzt Sir James Crichton-Browne Vas neue Naldaus in Dresden wurde dieser Tage in feier- licher Weise seiner Bestimmung übergeben. Der stattliche Bau ist eine Schöpfung des Archi- tekten Roth und des Stadt- bauratS Bräter. An der Voll endung der Werkes wurden 5'/2 Jahre gearbeitet, und die Kosten belaufen sich auf die ansehnliche Summe von neun Millionen Mark. Die Ein weihung des neuen Heims der Dresdener Stadtverwaltung wohnte an der Spitze zahlrei cher angesehener Festgäste König Friedrich August von Sachsen bei. Im großen Saale des neuen Gebäudes wurde ein feierlicher Festakt abgehalten, bei dem der Dresdener Ober bürgermeister vr. Beutler eine schwungvolle Festrede hielt. Dann sand ein großes Fest mahl statt. Vermiscktss. * (Der Bierkonsum auf dem Münchener Oktober fest.) Nach fachmännischer Schätzung werden in den nun mehr abgelaufenen zwei Fest wochen der Zentenarfeier des Münchener Oktoberfestes 12000 Hektoliter Bier vertilgt sein; das macht, die Maß zu »/i Liter gerechnet, denn mehr wird grundsätzlich nicht eingeschenkt, rund 1600000 Liter Bier und die 1200000 Maß Bier zu 45 Pf. 530000 M. WaS da zu gegesfen wurde, an Würst chen, Schinken, Nudeln, Fischen, Geflügel usw., geht ins uner meßliche, und der Enzian als Verdauungsschnaps ist in Strö- mengeflosten. Tue Wirte der großen Buden mußten all- abendlich ihre Einnahme an Scheidemünzen in Säcke ver packt, mit Wagen oder Auto mobilen nach Hause schaffen. Das Wetter war, von drei Regentagen abgesehen, das denkbar herrlichste, so daß man auch am Abend noch in den Biergärten im Freien sitzen konnte.