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Pulsnitzer Mckenblail Sonnaöend, 24. Seplemöer 1910. Aeitage zu Ar. 113. 62. Jahrgang. Lin Interview mit dem neuen Präsidenten der König!. Säcks. Staatseisenbadnsn, Sskeimrat Professor vr. lllbrickt. (Nachdruck verboten.) 8. X. X. Dresden, 23. September. Zum ersten Male seit dem Bestehen des Sächsischen StaatSeisenbahnwesenS tritt am 1. Oktober d. I. an die Spitze der General direktion der Königs Sächsischen Staatseisenbahnen ein Techniker, der Geheimrat Professor Or. Ulbricht. Dieser Shstemmechsel wird ganz besonders freudig von der Industrie begrüßt. — Ein Vertreter der „Sächsischen Zentral-Korrefpondenz" in Dresden hatte am Donnerstag die Ehre, von dem neuen Leiter des Sächsischen Staats- bahnwefens im Königl. Finanzministerium, wo der neue Präsident z-r Zeit noch als vortragender Rat und Re gierungs-Kommissar tätig ist, empfangen zu werden. — Während der am 1. Oktober d. I aus dem Amt, das er seit 1399 verwaltet, ausscheidende Präsident Hans F. Karl von Kirchhach dem Aeußern und Austreten nach als früherer Offizier kenntlich ist, macht sein Nachfolger, Geh. Baurat Prof Vr. Ulbricht, mehr den Eindruck eines Gelehrten, aber durchaus keines verknöcherten, sondern eines modernen Gelehrten. Die Gestalt ist kräf tig und untersetzt, das Gesicht von einem kurzgeschnttienen grauen Vollbarl umrahmt. Natürlich könne er, so sagte der neue Präsident im Anfang des Gesprächs, sich auf kein ssrogranun festlegen, nach dem er sein Amt verwarten oder gar etwa refor mieren werde. Das heiße ja. seinen Vorgänger, den er sehr hoch schätze, in Bezug auf dessen Amtsführung miß billigen. Er werde die Geschäfte so führen, wie er es nach seinem Gewissen und seiner Erfahrung zum Wohle des Landes und der Verwaltung für am besten halte. Das Publikum möge sich dann sein Urteil nach der Art seiner Geschäftsführung bilden. Soviel könne er sagen: »Sr werde sich bemühen, den Interessen der Industrie soweit als möglich entgegenzukommen!" Den Beamten gegenüber hege er selbstverständlich das größte Wohlwollen. — Da Geh Rat Prof. Vr. Ulbricht jetzt Regierungskommissar für elektrische Bahnen ist, richtete der Interviewer die naheliegende Frage an den neuen Präsidenten, ob in absehbarer Zeit an eine Umwandlung der sächsischen Staatseisenbahnen in solche mit elektrischem Betrieb zu denken sei. Herr Präsident Ulbricht erwiderte daraus, daß ein Zeitpunkt hierfür sich nicht angeben lasse. Je doch werde diese wichtige Frage fortdauernd in Er wägung gezogen und es fänden in gewissen Zeit abschnitten Beratungen darüber innerhalb der Generuloirektion statt. — Der Interviewer wies dann darauf hin, daß in den letzten Jahren infolge der Verteuerung der Eisenbahnfahrpreise eine große Verschiebung im Bahnverkehr eingetreten sei, indem die oberen Klassen, besonders aber die erste Klaffe, noch weniger als früher, die vierte Klasse dafür noch weit stärker als sonst schon benützt würden, und fragte, ob nicht gewissermaßen eine Verschmelzung der ersten und zweiten wagenklässe eintreten und man mit drei Klassen auskommen könne, was doch, da e- das Mitführen der unrentablen, weil schwach besetzten Wagen der I. und II. Klasse erübrige, in das leider nötige Sparsystem von Exzellenz Rüger paffe. — Mit feinem Lächeln entgegnete hierauf Präsident Vr. Ulbricht, er könne sich über diese Frage, soweit sie daS Sparshstem betreffe, nicht äußern, dies könne nur der neue Finanzminister v. Seydewitz tun. — Was die Frage der Vereinfachung des Betriebes in der Zugführung anlange, so werde er diese natürlich stets im Auge be halten. UebrigenS sei es auch bisher schon das Bestreben gewesen, eine Vereinfachung eintreten zu las sen in Bezug auf die Wagenklassen. Diesem Bestreben nachkommend habe man die „E i n - K l a s s e n - Züge" eingeführt, von denen zur Zeit schon mehrere im Vorortverkehr eingelegt find. ES find dies Züge, die nur eine Klasse und zwar die dritte Klasse führen. ES sei nicht ausgeschlossen, fuhr der neue Präsident fort, daß in dieser Richtung weiter fortgefahren und daß die, wie gesagt bisher schon eingeleitete Verein fachungsmethode im Betriebe weiter fort gesetzt werde. — Geheimrat Prof. Vr. Ulbricht hat vor kurzem, nach seiner Ernennung zum Präsidenten, wieder einige Wochen in der Generaldireltion der StaatS- bahnen zu seiner Information gearbeitet, verfügt auch sonst in seinem neuen Wirkungskreis über reiche Er fahrungen, da er bereis früher Jahre lang im Eisenbahn dienst tätig war. Er ist 1849 in Dresden geboren, be suchte hier das Annenrealgymnasium, studierte an der hiesigen Technischen Hochschule Ingenieur-Wissenschaften, legte 1874 die höhere technische Staatsprüfung ab, pro movierte mit einer mathematisch-technischen Dissertation zum „vr. pkil." und trat am 1. Januar 1875 in den Dienst der Kgl. Sächs. Staatseisenbahnen. 1878 wurde er als Leiter des EisenbahntelegraphenwesenS nach Dres den berufen und trat am 1. Januar 1898 in die General direktion ein, der er vier Jahre lang angehörte. Am 1. Januar 1902 ward er zum Vortragenden Rat im Finanzministerium ernannt und ist hierauf als RegierungS- kommffsar für elektrische Bahnen tätig. Als Professor der Technischen Hochschule liest er über Tele graphen- und Signalwesen und wurde für mannigfache Verdienste von der Technischen Hochschule zum „Vr. in§. konoris causa" ernannt. Er ist außerordentliches Mit glied der Preußischen Akademie für Bauwesen, seit 1899 Mitglied der Studiengesellschaft für elektrische Schnell bahnen und war 1902 bis 1904 Vorsitzender des Ver bandes der Elektrotechniker. Durch Studienreisen in anderen Ländern hat er seine Kenntnisse fremdländischen Eisenbahnwesens erweitert und war auch 1893 Juror der Elektrotechnischen Abteilung der Chicagoer Weitaus- stellung. 1896 bis 97 war er Vorsitzender deS Sächsischen Ingenieur- und Architekten-Vereins. — Alles in Allem gewinnt man nach persönlicher Bekanntschaft mit Herrn Geheimrat Ulbricht die Ueberzeugung, daß der neue Leiter des Sächsischen Eisenbahnwesens nicht nur ein Fachmann ersten Ranges, sondern auch ein Mann von wohlwollender Well- und Menschenkenntnis ist, unter dessen Leitung sowohl das Eisenbahnwesen wie die Beamtenschaft und das Publikum gut fahren werden. Der rechte Mann amrechtenPlatze! fr. v. Hk. ZlMKVMMW. —H Berlin, 23. September. (Der Kampf in der Metallindustrie) D e von dem Verband deutscher Metallindustrieller beschlossene Aussperrung von 400 000 Arbeitern wird kaum zur Ausführung gelangen. Beide Parteien haben, wie mitgeteilt wird, das Bedürfnis, die Differenzen zwischen den Seeschiffswerften und den Werft arbeitern durch einen Vergleich aus der Welt zu schaffen. Es ist bereits eine Konferenz zwischen dem Verband der Industriellen und dem Deutschen Metallarbeiter-Verband angeregt. Nach Erledigung einiger Formalitäten soll die erste Einigungskonserenz am Montag statistnden. Schwäb.-Gmüud, 23. September. (Zum Streik in der Eselmetallindustrie.) Allem Anschein nach kommt die Lohnbewegung der Arbeiterschaft in der hiesigen Edelmetallindustrie in ein ruhigeres Fahrwasser. Die Arbeitgeber haben, unter besonderer Berücksichtigung der geringer entlohnten Arbeiter, eine Lohnaufbesserung zum 1. Oktober d. I. in Aussicht gestellt, womit sich die im christlichen Metallarbeiter-Verband organisierten Ar beiter einverstanden erklärten. Die im Deutschen Metall arbeiter-Verband organisierten Arbeiter haben in einer gestrigen Versammlung erklärt, abwarten zu wollen, ob die Arbeitgeber ihre Zusage halten. SrMgkl über ZlWMliMil!. 82X. Der Reichstagsabgeordnete M. Erzberger beschäf- tigt sich in einem längeren Artikec in dem sächsischen Zentrumsorgan der „Sächs. Vcuksztg." eingehend mit der „Stichwahltaktik". 1911 erwarte man, so meint Herr Erz. bsrger, weit mehr Stichwahlen und rechne damit, daß diese erst über die Zusammensetzung des Reichstages Klar heit geben werden. Diese Annahme erscheine angesichts der ganzen politischen Lage nicht unbegründet, denn „ge meinsame bürgerliche Kandidaten", wie man sie vor 3»/, Jahren hatte, dürfte es sehr wenig geben, wie schon das Beispiel in Reuß j. L. und in Löbau zeige, wo beide Male nationalliberale Abgeordnete heute schon Konkur renten von rechts und von links haben würden, während sie 1907 sich nur gegen die Sozialdemokraten zu wehren hatten. Aus den vielen Auslassungen der Presse der rechtsstehenden Parteien klinge die feste Entschlossenheit, den Liberalismus nur dann Hilfe angedeihen zu la en im Kampfe gegen die Sozialdemokratie, wenn er hierbei seinen Mann stelle, wenn auch er unter allen Umständen dem bürgerlichen Kandidaten im Kampfe gegen die Ge noffen zum Siege verhelfe. Bisher habe man auf der Seite der Rechten dieses Prinzip der Gegenleistung nicht so scharf betont, sondern liberale Kandidaten in den Stich wahlen ohne weiteres unterstützt. Wenn man jetzt auf eine so klare Fragestellung Hinabtriebe, sei dies leicht zu verstehen, zunächst geschehe es aus Gründen der Selbster haltung, da die Konservativen in einigen Kreisen liberale Stimmen gegen die Sozialdemokratie nötig haben, um sich halten zu können. Dann solle hierdurch der Groß block verhindert werden, denn wenn die Liberalen sicher seien, daß sie im Kampfe nach links stets die Hilfe von rechts erhalten werden, dann könnten sie getrost ins rote Lager gehen, um Hilfstruppen nach rechts zu werben; diese Politik der „beiden Hände" solle aber unmöglich gemacht werden. Gleichzeitig werde damit auch der Han- sabund vor das große Fragezeichen gestellt; denn auch er müsse dann durch die Tat Farbe bekennen und solch ausweichende Antworten wie von Freiherrn von Pech -4 Ursula, -s- Roman von CourthS-Mahler. 17. Nachdruck verboten. „Dann mache doch gut, war du versäumtest," „Wie soll ich dar?' „Nicht» einfacher al» da«. Du läßt dir deinen Wagen an- spannen und fährst zur Stadt. In zwei Stunden bist du dort, hältst an der Wohnung deine» Bruder», stehst dir deine Schwägerin an und ist fie ein anständiger Mensch, dann freundek du dich mit ihr an. Du bedauerst, der Hochzeit nicht beigewohnt zu haben, ladest fie mit deinem Bruder zu dir nach Lindenhof ein und präsentierst fie unbefangen al» deine Schwägerin. Sollst sehen, alle unsere Bekannten rechnen dir da» hoch an. Man ist bei un» gar nicht so adelstolz, daß man sich ablehnend gegen di« junge Frau von Herrenfelde verhielt. Die Zeiten find gottlob vorbei." „Du warst immer ein bi»chen Demokrat." „Vielleicht, aber ich stehe nicht vereinzelt da." „DaS alle» klingt sehr schön. Aber offen heraus, Ursula — ich habe nicht den Mut, gegen Mama so aufzutreten. Ich glaube, «S gäbe einen Eklat." „Wer weiß. Vielleicht ließe fie sich doch gefangen nehmen. Deine» Bruder» Weib soll ein liebe», gebildete» und sehr hübsche» Mädchen sein." „Woher weißt du da»?' „Von einigen Kameraden deine» Bruder», die gestern zum Besuch bei un» waren " „Wirklich? Man verdenkt ihm im Regiment seine Heirat nicht?" „Nein, aber man verdenkt es euch ein wenig, daß ihr so ablehnend seid". Liess überlegte eine Weil«. Dann sprang fie auf. „Nein, nein, Ursula — ich wage e» nicht. Du weißt nicht, wie sehr ich noch immer unter Mama» Einfluß stehe. Ich kann gar nicht« gegen ihren Willen unternehmen." „Aber du möchtest gern?" „Offen herau», ja. Du hast mir große Lust dazu gemacht." „Dann will ich dir etwa» sagen. Deine Mama ist nie gut auf mich zu sprechen gewesen, da» hab ich trotz ihrer Lieben»« Würdigkeit immer heraulgefühlt. E« kommt also gar nicht darauf an, ob ich noch ein wenig mehr in Ungnade falle. Ich werde e» unternehmen, deine« Bruder« Frau in unsern Krei« einzu führen. Gleich morgen fahre ich zur Stadt und mache ihr «inen Besuch. Gefällt sie mir, so lade ich sie nach Arnstetten ein. Und die ganze Nachbarschaft wird dann zu un« gebeten — auch deine Eltern. Da wollen wir doch sehen, ob deine Mutter auch dann noch Front macht. Liesa sah halb erfreut, halb ängstlich in ihr Gesicht. „Wenn da« nur gut geht." „Mit „Wenn" und „Aber" kommt man nicht weit. Ich versuche e«. Und ich rechne auf dein« Unt«rstützung." „Wie denn?" „Du mußt deiner Schwägerin vor allen Menschen lieben!« würdig entgrgenkommen." „Da! will ich tun, Ursula. Und noch ein« — such' mich bei Han« und seiner Frau ein wenig zu entschuldigen und sag' ihnen, daß ich im Grunde auf ihrer Seite stehe. Ja?" „Da» will ich gern tun. Und — Liesa — ich hab' nie sehr viel von dir gehalten, warst mir immer ein wenig unnatür lich und herzen»kalt, trotz aller äußeren Liebeniwürdigkeit. Heute bitte ich dir da» ab. Du bist doch ein wertvollerer Mensch, al« ich annahm. Man hat sich nur in deiner Erziehung etwa« ver griffen." Liesa war ganz rot geworden und lachte ein wenig verlegen. „Du — Offenheit gegen Offenheit — früher fühlt' ich mich übrr dich erhaben. Ich war so unglaublich stolz auf meine Wohlerzogenheit und zuckte ein wenig die Achseln über die „wilde Ursula'. Aber jetzt erkenne ich an, daß du doch über mir bist, sehr viel — und wa« du mir eben sagtest, da« hat mir trotz allem wohlgetan. Sei mir in Zukunft eine wirkliche Freundin, sag' mir ganz offen, wa« dir an mir nicht gefällt." Ursula küßte sie herzlich auf den Mund. „Er gilt, Liesa — unter der Bedingung, daß auch du ganz offen meine Fehler rügst." Al« Liesa sich verabschiedet hatte, suchte Ursula ihren Mann auf. Er saß in seinem Arbeittzimmer über den Büchern. Sein Gesicht sah noch etwa« schlaff und müde au«. Bei ihrem Eintritt belebte e« sich jedoch sofort. „Bist du deinen Besuch lo«, Ursula?" „Ja, Liesa ist eben fort." Sie erzählte ihm ihre Unterredung mit ihr. Er hörte ihr lächelnd zu, wie sie ihm ihren Plan, Han« Herrenfelder Gattin zu protegieren, entwickelte. „Du glühst ja vor Eifer, kleine Frau. So lebhaft habe ich dich lange nicht gesehen." „Mir tut da« arme Ding leid, Kurt. Ich möchte ihr gern helfen. Auf die Dauer kommt e« Han» Herrenfelde doch sauer an, so isoliert zu stehen. Und solange seine eigene Mutter gegen ihn ist- wagt e» niemand, die junge Frau zu empfangen " „Nur du wagst e«. Bist doch ein mutige«, liebe« Geschöpf." „Du mußt mir aber Helsen, Kurt" „Selbstverständlich. Soll ich mit dir zur Stadt fahren?' „Wenn du willst, bin ich dirßsehr dankbar." „Natürlich will ich." „Und eine größere Festlichkeit müssen wir auch geben. E« wird dir doch nicht zu viel werden?" „Keine Ahnung. Ich fühle mich so wohl wie ein Fisch im Wasser." „Gut. Dann veranstalten wir ein Gartenfest. Aue Freude über deine Genesung, Kurt. Alle müssen wir bitten, auch Han« Herrenfelder Kameraden. Die junge Frau muß ganz offiziell in Szene gesetzt werden."