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Pulsnitzer Wochenblatt Donnerstag, 13. Mtoöer 1910. Beilage z« Ar. 121. 62. Jahrgang. WWer Memeißettag des BeMsmeim SsHseiis des Neulichen Fleischemrbandes. 82K. (Fletschteuerung.) Unter dem Vorsitze des Obermeisters Ntetzschmann-Leipzig tagte am Dienstag in Dresden der Obermeistertag des Bezirksvereins Sachsen im Deutschen Fleischerverbande. Der Vorsitzende führte zu dem wichtigsten Punkt der Tagesordnung, der Fleisch teuerung, folgendes aus: Die Vtehpreise namentlich bei Rindvieh und Kälbern sind zu einer enormen Höhe htnauf- gestiegen. Diesem Uebelstand wenigstens einigermaßen zu steuern, haben Verband und Bezirksvereine in Ein gaben an Reichs- und Landesregierungen versucht. Aber alle Forderungen auf Wegfall der Quarantäne, Herab- setzung der Futterzölle, der abnorm erhöhten Viehzölle selbst, alle diese Eingaben sind, da nun einmal die Agrar politik Trumpf ist, ohne Erfolg geblieben. ES sei ja, wie zugegeben werden müsse, aus Grund der Handels- vertrüge nicht so einfach für die Regierung nachzugeben, aber es fehle auch offenbar jede Bereitwilligkeit dazu. Sogar die Audienz des Verbandes beim LandwirtschaftS- Minister verlief resultatloS, ja die Antwort von der Re gierung klang beinahe wie Hohn. Der Verband sei nun ebenso wie die Bezirksvereine zu Ende mit feinen Mitteln, es könne jetzt nur Aufgabe sein, sich in allen Punkten dem Protest des Verbandes gegen die Regierung anzu schließen und energisch zu verlangen, daß den Nachbar staaten nicht durch Grenzsperren die Ausfuhr erschwert und sie damit in der Entwickelung ihrer Viehzucht gestört werden. In der Herabsetzung der Vieh- und Futterzölle und Erleichterung der Vieheinfuhr sind die Mittel der Erleichtern g zu erblicken und wir müssen das immer wieder betonen und hervorheben, daß unser Gewerbe jetzt schwer unter der Fleischteuerung leidet. — Fischer-Riesa wies darauf hin, daß die hohen Getreidezölle wesentlich mit zur Teuerung beitragen. Deshalb würde die Er leichterung der Futterzölle noch keine Abhilfe schaffen, sonde n nur dem Landwirt wieder Nutzen bringen. Man müsse daher eine Herabsetzung der Getretdezölle oder gar ein Verbot der Getreideausfuhr aus Deutschland verlan gen. Man müsse keine Reichstagsabgeordneten wählen, die für hohe Getreidezölle und andere agrarische For derungen eintreten. Die Viehausfuhr aus Ungarn und Frankreich sei bedeutend zurückgegangen. England führe wohlweislich keine solcher Zölle ein, sonst müßte es ver hungern. Auch Vogel-Leipzig wies darauf hin, daß die mangelhafte Vertretung der Fleischer im Reichstage mit schuld an der Fleischteuerung sei. Die Fleischer müßten einig sein und sich selbst helfen durch richtige Kalkulterunq und richtige Preise. Dann würde das Publikum schon dafür sorgen, daß das erreicht werde, was die Fleischer nicht erreichen können. — Böhmer-EberSbach stimmte dem zu. Die weitere Aussprache ging dahin, das Publikum müsse selbst dafür sorgen, daß die Fleischpreise wieder herabsinken. Richter-Dresden führte aus, der sächsische Landeskulturrat habe sogar behauptet, daß das Fleisch in Dresden billiger geworden sei, weil die städtischen Ein gangsgebühren in Wegfall gekommen seien. Dabei sei durch die Erhöhung der Schlachthofgebühren in Dresden der Fleischpreis bedeutend gestiegen. Wenn der Landes kulturrat so etwas sage, dann höre einfach alles auf! Der Vorsitzende schloß hieraus die Debatte über die Fleisch- teuerung. E» bleibe nichts übrig als zu protestieren und die Preise richtig zu kalkulieren. Wir konstatieren, daß wir auf demselben Standpunkt wie der Verband stehen. Man führte aus, die Nachbarländer leiden selber unter der Vtehnot. Allerdings sei aber der Absatz der Nach barländer durch häufige Grenzsperren und Vtehzollerhöhung sehr gesunken. Dagegen aber müsse man eben Garantien fordern, die Gesetzgebung müsse stabiler, die Nachbarländer nicht durch fortwährende Sperren rc. beunruhigt werden, dann werde sich auch der Viehstand dort wieder heben und eine größere Ausfuhr nach Deutschland stattfinden. ,DieS ist es, was wir fordern müssen." — Gründung eines Arbeitgeberschutzverbandes bildete den 2. Punkt der Tagesordnung. — Betreffend die Preisfeststellung für Schlachtvieh ist Aussicht vorhanden, daß die auf dem Be zirkstag in Chemnitz festgestellten Grundzüge vom Ministerium akzeptiert werden Es ist zu hoffen, daß die Verordnungen für Sachsen infolgedessen zufrieden stellend herauSkommen werden. — Unter Führung des Obermeisters Witzschel fand darauf eine Besichtigung des neuen städtischen Schlachthofes statt. Oertttcbes unv Säcbslscdes. — Militärische Ehren bei Etnäscherun- gen. Die sich immer mehr einführende Feuerbestat tung hat in militärischen und MilitärvereinSkreisen eine Frage aufgerollt, deren Regelung gegenwärtig im Gange ist. Bekanntlich besteht in Deutschland die schöne Sitte, daß man Soldaten, die vor dem Feinde sich bewährten, nach dem Tod militärische Ehren erweist und u. a. drei Salven über das Grab feuert. In den meisten Fällen leisten diesen Ehrendienst die Gewehrsekttonen der Milt- tärvereine. Die Ausübung der Sitte wird aber bei Kriegsveteranen, die durch das Feuer bestattet werden, unmöglich. Das Präsidium des König!. Sächs Militär vereinSbundeS wird sich infolgedessen mit einer Eingabe um Erlaß geeigneter Bestimmungen an die königliche Staatsregierung wenden. — Erzählen und Zuhören. Unter allen Un sitten, welche sich im modernen gesellschaftlichen Leben eingebürgert haben, macht sich eine besonders breit. Es ist die Sucht, die Unterhaltung an sich zu reißen, ES fei bei dem Kaffee oder Tee, Diner oder Souper, — re den, reden wollen alle und niemand will zuhören, be- wundert wollen alle sein und niemand will bewundern. Nicht wer das Herz, sondern den Mund auf den rechten Fleck hat, kommt am weitesten. Man will sein Licht, gleichviel ob es echten oder geborgten Schein hat, leuchten lassen. Darin sucht einer den anderen zu überbieten und wehe dem, der sich aus altmodischer Bescheidenheit nicht an diesem Wetteifern beteiligt; er ist „langweilig" und „dumm". „Er sagt ja keinen Ton", mit dieser ver dammenden Kritik wird der „große Schweiger" gleichsam sä scts gelegt, denn ein Mensch, der nicht reden, oder richtiger, nicht schwatzen kann, ist eine gesellschaftliche Unmöglichkeit. Niemand will mehr glauben, daß Schwei gen und Zuhören auch eine Kunst ist, freilich eine stark vernachlässigte. Und doch kann sie bei richtiger Pflege so manche Freude bereiten. Ein aufmerksamer Zuhörer beobachtet und lernt unendlich viel, was dem flüchtigen Lauscher entgeht. Er unterbricht eine Erzählung höchstens mit einer interessierten Zwischenfrage, die sein Teilneh men an dem Geschilderten beweist. Der große Teil der Zuhörer aber wartet gelangweilt auf das Ende der Er zählung, um sich dann möglichst rasch des Wortes zu be mächtigen, das man dann wiederum sehnsüchtig zu Ende wünscht. Die Quantität des Gebotenen steht oft in kei nem Verhältnis zur Qualität desselben, denn die Unter haltung unserer Gesellschaften verflacht mehr und mehr. Gute Gespräche werden immer seltener, weil sie keine Beachtung finden, ja sogar ins lächerliche gezogen werden. Die meiste Beachtung wird demjenigen zuteil, der am längsten und am lautesten spricht. 82K. Dresden, 6 Oktober. Anzetgezwangbet Aufstellung von Grammophonen in Ga st und Schankwirtschaften. Eine für das Gast- und Schankwirtsgewerbe wichtige Entscheidung von prinzi pieller Bedeutung fällte soeben der Strafsenat des Kgl. Sächs. Oberlandsgerichts zu Dresden. Der Inhaber des Gasthofes „Zum Eichengarten" in Dresden, der Restau rateur Klotzsche hatte zur Hebung des Besuches seiner Wirtschaft in seinem Lokale ein Grammophon aufstellen lassen, ohne daß die Vorträge ein höheres künstlerisches oder wissenschaftliches Interesse beanspruchten. Die Po lizeidirektion hatte zur Ausstellung des Instruments die Genehmigung erteilt, nicht aber zur Veranstaltung von Singspielen, Gesangs- und deklamatorischen Vorträgen. Der Wirt glaubte durch die erstattete Anzeige von der Aufstellung des Grammophons seiner Pflicht genügt zu haben. Er erhielt aber bald darauf ein Strafmandat wegen Uebertretung des Regulativs über die Lustbarkeiten vom 22. Juni 1892, nach dem die Grammophonvorträge unter die Bestimmungen des Z 33s der Gewerbe-Ordnung fallen sollen und somit der besonderen polizeilichen Er laubnis bedürfen. Auch das Schöffengericht schloß sich dieser Auffassung an und führte unter Bestätigung des Strafmandats aus, daß Grammophonvorträge, soweit sie Gesänge und Deklamationen wiedergeben, dem ß 33s der Gewerbeordnung unterstehen. Das Landgericht er kannte jedoch auf Freisprechung, denn der Erlaubnis- zwang des 8 33s der Gewerbe-Ordnung könne nicht auf Grammophonvorträge ausgedehnt werden. Die Staatsanwaltschaft legte hierauf Revision beim Ober- landsgericht ein und meinte, daß zwar kein Erlaubnis- zwang, wohl aber ein Anzeigezwang seitens des Wirtes oorliege. Demgegenüber wurde von der Gegenseite be tont, daß die Polizei unmöglich verlangen könne, daß die einmal vom Restaurateur erstattete Anzeige von der erfolgten Ausstellung eines Grammophons fortgesetzt wie- derholt werde. Eine einmalige Anzcigeerstattung müsse genügen. Dieser Auffassung schloß sich auch das Ober- landSgericht unter Verweisung der Revision der Staats- anwaltschaft und unter der Uebernahme sämtlicher Kosten auf die Staatskasse an, wobei der oberste sächsische Ge richtshof begründend aussührte, daß bei Veranstaltung öffentlicher Instrumentalmusik auf Grammophoninstru menten einer Erlaubnis im Sinne des 8 33s der Ge- werbe-Ordnung nicht bedürfe. Eine Anzeigepflicht sei im oben angezogenen Regulative nicht vorgesehen. 8. Dresden, 11. Oktober. (O b err e g is s eur B ey er.) Der Königliche Hofschauspieler Hermann Beyer ist als Oberregisseur der Oper an das neue Stadttheater in Lübeck zum Herbste 1911 berufen worden. 8. Dresden, 11. Oktober (25jährigeS Jubi läum des Wirkl. Geh. Rates vr. Mehnert.) Der ehemalige Präsident der Zweiten Ständekammer, Wirkl. Geh. Rat vr. Mehnert beging am Mittwoch die Feier seines 25 jährigen Jubiläums als Direktor des Landwirtschaftlichen Kreditvereins für daS Königreich Sachsen, aus welchem Anlasse dem Jubilar zahlreiche Ehrungen zuteil wurden. Namens der Staatsregierung überbrachte Mtnisteraldirektor Geh. Rat l)r. Roscher Glückwünsche. Auch König Friedrich August gedachte b-a Jubilars durch Absendung eines Glückwunschtelegrammes Dem Festakte schloß sich ein Festmahl an. 8. Eine Mordaffäre im sächsisch-böhmi schen Grenzgebiet. Im vergangenen Sommer ries eine furchtbare Mordaffäre unter der Bevölkerung des sächstsch-böhmischen Grenzgebietes große Aufregung her vor. Am Abend des 4. Juni d. I. wurde die vierjäh rige Tochter Martha des Tagearbeiters Liebsch in Neu grafenwalde plötzlich vermißt. Man vermutete sogleich, daß das Kind einem verbrecherischen Anschläge zum Opfer gefallen sei und requirierte aus Dresden einen Polizeihund, der sofort die Spur aufnahm und nach einem benachbarten Hause führte, in dem zwei übelbe leumundete Familien Ulbrich und Rösler wohnten. Zur Auffindung des vermißten Kindes führte die Spur jedoch nicht, vielmehr wurde erst 14 Tage später die Leiche des kleinen Mädchen unter einer Holzbrücke bei Grafenwalde gefunden. Die Leiche war mit einem Sacke zugedeckt, der als Eigentum der Ulbrichschen Familie sestgestellt wurde. Der Verdacht des Mordes lenkte sich alsbald auf den 16jährigen Sohn Wenzel der Familie Ulbrich. In seinem Besitze fand die Polizei bei seiner Verhaftung einen Nagel und einen Hammer, dessen Stiel ganz mit Menschenblut besudelt war. Das Geheimnis der dunk- lnen Mordaffäre wurde alsbald gelüftet. Ein Sohn der übelbeleumundeten Familie Rösler meldete sich auf dem Gericht, um sein Gewissen zu erleichtern. Er sei Zeuge gewesen, wie der 16jährige Wenzel Ulbrich das vermißte Kind auf den Heuboden seines elterlichen Hauses gelockt und dort vergewaltigt habe. Etwa 10 Minuten später, als er wieder mit einer Hocke Heu auf den Boden gekommen sei, habe er den Mörder mit blutbe fleckten Händen vor der Kammertüre stehen sehen, das kleine Mädchen lag tot am Boden. Er habe seinem Vater von dem Morde Mitteilung gemacht, der sei da rauf zu dem Mörder gegangen und habe mit diesem das mit Blut getränkte Heu beiseite geschafft. Am Abend hätten dann sein Vater, der 45jährige Messer schmied Rösler, der 16jährige Mörder Wenzel Ulbrich und dessen Mutter Marie Ulbrich die Leiche des ermor deten Mädchens aus dem Hause gebracht. Auch seine eigene Großmutter, die 75 jährige Helene Rösler habe von der Bluttat Kenntnis gehabt. Nach diesem Bekenntnis des jugendlichen Rösler entdeckte die Polizei auf dem Heuboden viele Blutflecke, doch blieben der Mörder und die Mitwisser seiner Tat beim Leugnen, nur die alte Großmutter legte ein Geständnis ab und bekundete, daß sie an dem Mordabend sechs dumpfe Schläge und Schmerzenslaute gehört habe; bald darnach sei der junge Mörder ganz verstört und blutbefleckt die Bodentreppe heruntergekommen. Noch am selben Abend habe ihr Sohn der Messerschmied Rösler ihr erzählt, er habe die Leiche des Kindes auf dem Heuboden gefunden, daS Mädchen sei mit einem Hammer erschlagen worden. — Der Mörder und die Mitwisser seiner Tat hatten sich vor dem Schwurgericht zu Böhmisch-Leipa zu verantworten. Der 16 jährige Mörder erhielt 15 Jahre schweren Kerker, die Mitwisser des Mordes wurden zu 3, 5 und 9 Mo naten schwerem Kerker verurteilt. Bautzen. Oberlausitzer BundeSgesangS- fest. 1912. Eine kürzlich stattgehabte Besprechung der Vorsitzenden und Dirigenten der Bautzner vier Bun des-Vereine hatte eine sehr wichtige Frage zu erledigen: Galt eS doch die Besetzung der obersten Leitung für daS 1912 in Bautzen stattstndende BundeSgesangSfest, die Wahl des Vorsitzenden für den noch zu bildenden Zentral- AuSschuß zu treffen. Einstimmig war man der Ansicht, daß hierfür Herr Kirchenmusikdirektor Johannes Biehle die geeignetste Persönlichkeit wäre, denn dieser tüchtige Musikkenner und bewährte Chordirigent hat durch seine großzügigen Veranstaltungen — wir erinnern nur an die so überaus gelungenen Lausitzer Musikfeste — be wiesen, daß er alle Eigenschaften für das Arrangement und die Durchführung von derartigen Unternehmungen, vor allen Dingen ztelbewußteS Organisationstalent be sitzt. GS ist darum mit Freuden zu begrüßen, daß Herr Biehle den Vorsitz übernommen hat und bedeutet dies die beste Gewähr für ein gutes Gelingen des für unsere Stadt so bedeutsamen Festes. Dieses soll ja doch in be sonders würdiger und glänzender Werse begangen wer den, denn es verbindet sich mit demselben die 50 jährige Jubelfeier des Oberlausitzer Sängerbundes, welcher seiner zeit durch den hiesigen M.-G.-V. unter Herrn Kantor Scharschmidt gegründet wurde. Dem Oberlausitzer Sän gerbünde gehören z. Z. 97 Vereine mit über 3000 Sän gern an. — Ein seltsamer Fall, den^man in heutiger Zett kaum für möglich halten sollte, ereignete sich bet einem kürzlich erfolgten Brande in einem Dorfe der nächsten Umgebung Großenhains. Die vom Brandun glück betroffene Ortschaft besitzt in Gemeinschaft mit einem Nachbardorfe eine Spritze, die in letzterem ihren Standort hat. Nachdem der Brand gemeldet worden war, fand sich niemand, der seine Pferd: zur Verfügung stellte. Lange Zeit stand man zum Aufbruch bereit; schließlich sandte man eimn Boten nach der Brandstätte mit der Weisung, anzufragen, ob eS nötig sei, daß die Svritze nach dort gebracht werde. Nachdem der Bote