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Nr. 124. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, den^20. Oktober 1910. Seite 6. * Exotische Leckerbissen. Dem Bestreben der Gourmets, die moderne Küche durch Erfindung neuer, seltsamer Gerichte zu bereichern, ist in der großen Lon doner Ausstellung der Delikateßhändler und Gkwürzlrä- mer, die soeben in der Agricultural Hall eröffnet wurde, ein neuer Bundesgenosse entstanden. Die Besucher der Ausstellung haben Gelegenheit, Leckerbissen zu kosten, die gewiß nicht zu den Alltäglichkeiten gehören. Die Sen sation des TageS ist die Haislossen suppe; es gibt zwar Leute, die mit einem leichten Schauder diese neueste Kreation moderner Kochkunst ablehnen, aber viele lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen und probieren wenig stens einen Löffel voll von dieser originellen Suppe, von der der Teller „nur" 2 Mk. kostet. Eine andere Rarität ist der „echte Elfenbein-Jelly", eine Art Mar- melade, die durch ein besonderes Verfahren aus gemah lenem Elfenbein hergestellt ist und eine prächtige Gold farbe zeigt. Diese Marmelade wird kalt mit dem Löffel gegessen. Besonders angepriesen wird eine Suppe, die nicht etwa aus einfachen Schildkröten, sondern aus Sumpfschildkröten bereitet jwird. Wer diese „Sumpf suppe" kosten will, muß für den Teller 4 Mk. SO Pf. erlegen. — Guten Appetit! »armmg nn KelWMer. 82K. Der Königliche Große Garten zu Dresden ist daS tägliche Ziel vieler Spaziergänger und Naturfreunde. Lauschige Plätze laden zum AuSruhen und zur Erholung ein, aber nicht selten ist der Große Garten auch das Ziel jener unglücklichen Menschen, die mit dem Leben abgeschlossen haben und die an einsam gelegener Stätte aus irgend einem Grunde durch Gift oder- durch die Revolverkugel dem irdischen Dasein ein vorzeitiges Ende bereiten. Ein seltsamer Menschenfreund treibt nun seit einiger Zett im Großen Garten sein Wesen. Auf den Bänken erblickt man am frühen Morgen fein säuberlich festgeklebt ein gedrucktes Plakat, das die Ueberschrift „Sehr ernste Warnung" trägt. Der Menschenfreund wendet sich hierin an die Lebensmüden und hält ihnen, bevor sie zum Revolver oder zur Giftflasche greisen, noch eine Epistel in der Absicht, die Selbstmörder von der geplanten Tat wieder abzubringen. Die „Warnung" hat folgenden Wortlaut: Entleiben Sie sich niemals unter keinen Umständen! Nur der Dummkopf glaubt, daß er nach dem scheinbaren Erschießen, Hängen u. s. w. tot sei. Der Aufgeklärte, Vorsichtige weiß längst, daß man sich überhaupt nicht tot machen kann. Nur die Hülle ist tot. DaS gilt auch für die, welche im Kriege fallen; sie sind nicht tot und können es nicht sein, weil ein Tod den Naturgesetzen zuwider ist. Was inwendig steckt, der Geist, der Dirigent, der Befehlshaber, der Herr und Bewohner des Gehäuses, muß bewußt wei ter leben. Er nimmt alle guten und bösen Eigenschaf ten, die er sich im Erdenleben erworben hat, und alle Erinnerungen von Jugend auf mit hinüber ins ewige Leben. Dort wird er gefragt, was er getan, was er ge lernt, wie er sein Erdenleben genützt hat. Wer seine Hülle, sein Gehäuse tötet, muß für seine schlimme und feige Tat sofort eine angst- und qualvolle Jen- seitS-LeidenSzeit antreten, die das Erdenleid tau sendfach verschärft und die Hunderte von Jahren dauern kann. Ein Menschenfreund. — Der seltsame Menschen freund erneuert seine Warnungen an jedem Tage wieder, obwohl es bisher noch nicht geglückt ist, chn zu Gesicht zu bekommen. NekIameteN. — Der unter dem Protektorat Seiner Majestät des Königs stehende, im Jahre 1875 gegründete Sächsische Militär-Lebensver sicherungsverein zu Dresden ist in der Lage, über einen recht er freulichen Zugang neuer Versicherungen im Monat September 1910 zu berichten. Es traten ihm in diesem kurzen Zeitraum nicht weniger als 583 Mitglieder mit einer Versicherungssumme von 400900 Mark bei. Der Gesamtversicherungsbestand betrüg 81520 Mitglieder mit 24 341686 64 Mark Kapital. Die Auszahlungen an die Mitglieder oder deren Hinterbliebenen beziffern sich im Monat September 1910 auf 30231,83 Mark und in dem seit Be ginn des 35. Geschäftsjahres verflossenen 8 Monaten auf 275208,70 Mark; Seit Bestehen des Vereins aber ist die stattliche Summe von 3 525 406,68 Mark ausgezahlt worden. — Auskünfte und Prospekte erteilt die Direktion in Dresden, Schulgutstraße 7. kauptgswlnne ver S. Lanvoslottsrie. 5. Klasse. — Gezogen am 18. Oktbr. 1910. — Ohne Gewähr. 20000 Mark. 24772. 5000 Mark. 68143 96409. 5000 Mark. 2274 5907 9204 11904 32057 34597 39834 44678 ' 61207 63585 72095 72716 78692 83432 87683 94432 109587 ->600 Mark. 346 9396 11151 13362 15239 25421 25476 27991 39393 39990 42946 53087 54370 58458 58652 65912 69234 70791 71841 78259 8!990 85037 85227 85767 88470 100128 107608. 1000 Mark. 435 1651 7081 7846 7974 8502 11058 12576 15769 15884 15974 17108 '9472 23168 23779 23868 26551 27034 27359 30246 33589 33896 35671 42286 43277 47151 49961 51447 55698 61561 62007 63328 63446 64775 66564 68996 /Nz/zr-z- Z7^s/L»z-z-/: Vie portugieslscke f^önigskamMs hat Gibraltar, den ersten Zu fluchtsort den sie nach dem Sturz ihres Thrones ausge sucht hatte, wieder verlassen und sich nach England begeben. Nur die Königin Maria Pia, die Großmutter Manuels II., kehrt in ihre italienische Hei mat zurück. Während ihres Aufenthaltes in der englischen Besitzung an Spaniens Süd küste hat die portugiesische Königsfamilie viele Beweise allgemeiner Sympathie em pfangen. So oft sich die Majestäten öfsenlich zeigten, wurden sie von der Bevöl kerung Gibraltars respektvoll begrüßt, so auch auf der auf unserem Bilde dargestellten Fahrt des Königs und sei ner Mutter zur katholischen Kirche. 69993 70172 71635 72297 72738 73311 75401 76464 78146 84424 87717 89848 90783 94247 97772 99044 100781 100816 102011 104867 105452 106004 107671 108595. 500 Mark. 1524 4041 5984 6020 6964 7690 8347 9253 9259 12422 13259 13388 14781 16923 19784 20393 21593 24741 25195 26187 28848 31097 35539 37083 40200 40290 42856 47360 47745 49278 52941 55247 62608 63173 64943 65781 65983 70461 70698 76627 78011 80121 81774 86531 88012 89711 90475 95544 100856 102756 103288 104395 105415 109736 109863. Gezogen den 19. Oktober 1910. fOOOO Mark. 4006 20104 108019. 5000 Mark. 7864. 3000 Mark. 4742 7018 9447 17935 18353 22315 30777 33135 36981 39468 44122 44772 48051 49858 51289 56621 63521 64017 67178 72670 74244 86979 89714 109811. 2000 Mark. 958 S73 26220 28043 30056 31371 38246 45134 50852 63023 66451 69879 70571 70876 79481 80079 81746 90034 90119 92047 95760 S7893 102730 106562. 1000 Mark. 792 867 1112 1758 3084 5342 9167 10745 12258 19354 18457 19790 20162 21193 21258 21271 23886 28001 30190 33647 36289 39680 40713 40854 44269 48652 50662 54182 55399 55493 56640 58043 61067 62407 62656 63132 63345 65332 68370 71271 71417 72723 75677 81202 81273 81645 82754 87646 88812 88852 92379 94194 96065 98529 98591 100041 100373 102444 105190. 500 Mark. 408 2953 7273 13009 16534 18281 20982 21461 23072 23969 28802 29590 29725 31086 33302 33689 39199 46517 50986 51060 53012 54101 54117 54777 54794 55767 55986 56082 58040 59570 59830 61510 67150 67529 69170 70340 70364 73606 74737 75293 75562 76593 76695 78051 78955 81435 82459 91723 92070 96890 101299 102548 106516 106700 107338 107806. verUner Getreidebörse. Der Getreidemarkt zeigte heute ein etwas schwäche res Bild weil anfängliche durch niedrigere russische Of ferten und schwächere amerikanische Berochte Realisatio nen zur Ausführung kamen. Das Geschäft war aber im allgemeinen in Weizen und Roggen sehr gering. Hafer war jedoch etwas mehr beachtet und im Kurse leicht anziehend, weil die heimischen Zufuhren geringer und nur zu erhöhten Preisen zu haben waren. Mais befestigt, Mehl still, Rüböl in Uebereinstimmung mit höheren auswärtigen Notierungen im Kurse anziehend. soeben - Splslpaln der königlickon kZottbslsr zu Dresden Königliches Opernhaus. Donnerstag, 20. Oktober: Der Zigeunerbaron. (Ans. ^,8 Uhr.) Freitag: 1. Sinfonie-Konzert Serie 8. Solist. Mitwirkung: Geschwister Harricon, st/,8 Uhr.) Sonnabend: Eugen Onegin, st/,8 Uhr) Sonntag: Siegfried. (5 Uhr.) Montag: Die Boheme, st/,8 Uhr.) Königliches Schauspielhaus. Donnerstag: Egmont. (Herr Becker als Gast, st/,8 Uhr.) Freitag: Der verlorene Vater, st/,8 Uhr.) Sonnabend: Coriolan. (Herr Becker als Gast. (7 Uhr.) Sonntag: Kyritz-Pyritz. st/,8 Uhr.) Montag: Die Stützen der Gesellschaft, st/,8 Uhr.) Wettervorhersage der Kgl. S. Landeswetterwarte zu Dresden. Freitag, den 21. Oktober 1910. Nordostwind, veränderliche Bewölkung, kühl, zeitweise Niederschlag, stellenweise Schnee. Magdeburger Wettervorhersage. Freitag, den 21. Oktober 1910. Zeitweise heiter, vielfach wolkig oder neblig, früh etwas kälter am Tage milde, im Westen vereinzelt etwas Regen, sonst trocken. kircdttcds Nacbrlcdtsn. Pulsnitz. Sonnabend, den 22. Oktober, 1 Uhr Betstunde. HilfSgeistl. Schuster. Sonntag, den 23. Oktober, 22. nach Trinitatis: V-9 Uhr Beichte I - 9 „ Predigt (Phil. 1, 3—11) s Pastor Resch. ^2 „ Gottesdienst zur Eröffnung der Konftrman. denstunde. Pfarrer Schulze. 8 „ Jungfrauenverein. Amtswoche: Pfarrer Schulze. Er raffte seine Zeitungen zusammen und ging auf sein Zimmer, da« Im anderen Flügel de« Hause« lag. Die Tür hatte sich kaum hinter ihm geschloffen, al« Georg sich lebhaft seiner Mutter zuwandte. „Ich verstehe dich nicht, Mama", sagte Georg verwurskvoll, du hast mich bi» jetzt immer verstanden, hast immer dem Vater zugeredet mich meinen Weg gehen und Maler werden zu lassen — auf einmal wendest auch du dich gegen mich?" „Wie kannst du da» sagen, Georg, — ich mich gegen dich wenden! Niemal«, Aber, Liebling, ich kenne die Armut — und du kennst sie nicht. Ich weiß, daß e» etwa» andere» ist, al» Besitzer künstlerischer Neigungen zn leben, wie al» armer Maler Bilder verkaufen zu wollen." „Mutter, wie oft haben wir davon gesprochen, in Pari« zu leben, wenn ich ein barühmter Maler würde." „Träume — Georg!" „Ihr laßt mir ja krine Zeit, euch zu beweisen, ob diese Träume nicht Wirklichkeit werden könnten." „Früher wußte ich noch nicht, wie schlecht unsere Vermö- genklage ist." „Würde dir denn der Verkauf von Retterlhof so schwer werden? Wie manchesmal hast du über die Einsamkeit hier geklagt., .Ja, aber in 27 Jahren wurzelt man doch fest ein. In der Phantasie malte ich mir wohl ost ein schönere« Leben an einem anderen Ort au«, aber in Wirklichkeit ertrüge ich eine Veränderung nicht mehr. Der Gedanke, die« Hau«, meinen Salon, unseren Garten mit den vielen Rosen zu verlassen, mich in eine eng« Eiadtwohnung mit unangenehmen lärmenden Mit. bewohnttn einzuschachteln — nein, vor dem graut mir. Ich stürbe daran. Ist denn da« Opser so groß, da« wir verlangen, Herzentkind. Anne Marie ist jung, hübsch und reich!" „Dan weiß ich alle«. Aber ich gebe mit dieser Hfirat nicht nur meine persönliche Freiheit, sondern auch meine Künstler« träume auf." * „Keine«weg». Anne Marie ist klug genug, deinen Neigun» gen kein Hindernis in den Weg zu legen. Sie ist sehr froh, wenn du sie allein in Lehmin regieren läßt. Sie würde nicht gern die Herrschaft mit ihrem Manne teilen. Auch ist sie kein« kleine, enge Natur, die verlangt, daß vu ihr immer am Rock hängst. Al« Graf Lehmin bist du reich genug, um durch die ganze Welt zu reisen." „Vom Geld meiner Frau!" „Wa« ihr gehört, gehört dir dann doch auch. Außerdem b ssern sich die Zeiten vülleicht wieder, und wenn Papa nicht die hohen Zinsen für Anne.Marie mehr zahlen muß, kann er auch mehr in Retterthof hineinstecken." Georg stützte den Kopf in di« Hand. Frau von St«chow störte ihn nicht in seinen Gedanken. Ab und zu sah sie mit liebevoller Frage in sein ernstes Gesicht. Mit einem halben Lächeln richtete er sich endlich auf. „Du würdest dich also sehr freuen, kleine Mama, wenn ich eure Wünsche erfüllte?' „Wie unbeschreiblich!" „Der Gedanke, euch eure vielen Opfer zu vergelten, ist ver« sührerisch. Wenn Anne.Marie einwilligt, daß ich trotz unserer Verlobung — e« braucht wohl nicht gleich geheiratet zu werden — für «in Jahr mindesten» nach Pari» gehe, und wenn sie mich später nach meinen Neigungen leben läßt —" „O Kind!" Frau von Stechow strahlte. „Du solltest dir ein Atelier in Lehmin einrichten, meinte sie schon neulich. In dem alten romantischen Turm, wenn er ein bischen auSgebaut wird, ist Platz genug." „Warum hat Anne-Marie e« eigentlich gerade auf mich ab gesehen?" „Frage sie das morgen selber. Bist du denn so wenig eitel, Georg?" „Eitel? Lieber Gott, welch dumme» Gesicht ich morgen wohl aussetzr, wenn ich nach Lehmin rrite, ein« Rost im Knopf. loch und: Papachen und Mamachen wünschen, daß ich heirate, hervorstottere." „Ich glaube, dumm kannst du gar nicht aussehen, Georg." „Meinst du? Jedenfall» wünscht ihr, mir für mein ganze« Leben eine recht dumme Rolle auszunötigen. Denn die Rolle, di« der Mann einer reichen, ganz selbständigen Frau spielt, ist immer eine sehr dämliche." „Da« kommt darauf an, wie er sie auffaßt." „Da gibt« nur eine Auffassung. Im Haus« stumm und dumm, denn man hat eben nicht« zu sagen — außer dem Hause — frri, so gut e« geht. Aber meinetwegen — du wünschest e«, Papa will e«, Anne.Marie ebenfall« — ich füge mich also der stärkeren Macht. Mein Aufenthalt in Pari« wird freilich teuer erkauft," „Wir wollen ja alle nur dein Beste«, wir handeln jeden« fall» nicht au» Egoi»mu»." „Tun Eltern ja niemal».' „Du wirst bitter! Aber ich kenne dich, Georg, du bist ein« einsame Natur, dich würde jede zärtlich« Frau auf die Dauer langweilen, verstimmen. Du willst allein mit deiner Kunst sein. Anne.Marie hat ihre Arbeit, di« Bewirtschaftung de« großen Gute» — das füllt sie au«. Sie wird dich in Frieden deiner Wege gehen lassen. Ihr werdet wie zwei gut« Kameraden leben und euch gegenseitig nicht genieren. Solche Ehen sind die besten. Die, welche mit großen Illusionen anfangen, enden immer mit Enttäuschungen." „Nun, eine gewisse Kulturgemeinschaft müßte in jeder einigermaßen erträglichen Ehe herrschen. Und zwischen Anne. Marie und mir besteht die nicht. Meine Ideen und Wünsch- wird sie mit ihren eng begrenzten Anschauungen nie begreifen. — Aber du siehst müde au», Mama, unser Gespräch hat dich angegriffen — gute Nacht!" Frau v. Stechow sah dem Sohn nach, der, ihr kur, zu» nickend hinau«ging. Bedankenlo» stach st« mit ihrer Nadel in dem Klöbbelkissen herum. (Fortsetzung folgt.)