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Pulsnitzer MckendlaN Dienstag 18. Kktoßer 1910. Beilage zu Ar. 123. 62. Jahrgang. OsrMcbEs unv Sücdsiscdss. — Das auffallendste Merkmal der zeitgenössischen Presse ist wohl der Umstand, daß ihre tägliche Berichterstattung den ganzen Erdball berücksichtigt; selbst das kleinste Lokalblatt ist gezwungen, will es den verwöhnten Ansprüchen seiner Leser genügen, jeden nur Halbwegs wichtigen Vorgang in allen fünf Weltteilen zu ver zeichnen, auch wenn seine Beziehungen zu dem Leben der kleinen Binnenstadt in keinerlei Weise in die Erscheinung tritt. Wie viel größeres Interesse beansprucht ein Thema, welches das politische und wirtschaftliche Leben aller Nationen in der einen oder anderen Weise so wesentlich beeinflussen wird, wie die Frage der bri tischen Reichsverteidigung, die von Graf E. Reventlow im Oktoberheft der „Flotte" in ungemein fesselnder Weise behandelt wird. Der Verfasser zeichnet in klaren Zügen die Grundlinien dieses Verteidigungssystems, dessen Durchführung die Beherrschung aller Ozeane und damit des gesamten Welthandels verwirklichen soll. Ein zweiter Artikel des gut illustrierten Heftes beschäftigt sich mit dem Verkauf der beiden Linienschiffe „Kurfürst Friedrich Wilhelm" und „Weißenburg" an die Türkei und die sich daraus ergebenden Folgerungen. Ein „Feuerschiffe" betitelter Aufsatz von G. Terveen behandelt anschaulich die Einrichtungen und das Leben auf diesen wichtigen Hilfsmitteln der Fahrwasserbezeichnung. Den Abschluß des redaktionellen Teiles bildet eine interessante Schilderung einer Dampferfahrt auf der Elbe von Berlin bis Hamburg von vr. Paul Martell. Unter den Illustrationen sind zwei Bilder aus unserem Schutzgebiete Kiautschau hervorzuheben, welche die Gruno steinlegung zur Wetterwarte im Beisein des Herzogregenten Johann Albrecht zu Mecklenburg darstellen. Wie immer, berichtet das Heft auch über neue Vorgänge in der Kriegsmarine. 8. Dresden. (Kammersänger Karl Burrian auf der „Flucht".) Der berühmte Dresdner Helden tenor Karl Burrian macht wieder einmal von sich reden. Seit zwei Jahren lebt der Dresdner Sänger von seiner Gattin, der Opernsängerin Frau Jellineck, getrennt, und ein beim Wiener Landgericht von Burrian selbst anhängig gemachter Ehescheidungsprozeß konnte bisher noch nicht zum Abschluß gebracht werden. Karl Burrian begründet seine Ehescheidungsklage damit, daß seine Gattin ihn böswillig verlassen habe, während Frau Burrian-Jellineck Widerklage erhoben hat und ihrem Gatten vorhält, daß er durch sein Verhalten eine Trübung der Ehe herbeige führt habe. Karl Burrian ist daher einstweilen zur Zahlung von Alimentationsgeldern an seine von ihm getrennt lebende Gattin angehalten worden und die letztere hat auch einen dahingehenden gerichtlichen Schuld titel in Händen. Der Heldentenor, der indessen sehr am Gelds hängt, zahlt nur mit Widerstreben die ihm aufer- legten, nicht unerheblichen Alimentationsgelder und seit geraumer Zeit soll er gar sehr mit der Zahlung im 1. L>er Zwügouberneuc von Lissabon Eus-Lro L-ao verkündet vom Nathans aus dem Volke die Einführung der Republik. 2. Soldaten und bewaffnete Bürger. 3. KönigZtreue Truppen -mit Maschinengewehr. 4. Reiter mit der republikanischen Fahne. Bilder von der Einführung der Republik in Portugal § Unsere Bilder illustrieren iin überaus anschaulicher Weise Die revolutionären Vorgänge lin Lissabon. Ein Teil der einander widersprechenden Nachrichten, die nach dem Aufstand aus Lissabon ein liefen, besagte daß sich nur stie Truppen, nicht aber auch die übrige Bevölkerung an der Erhebung beteiligt hat ten. Aus einem unserer Bilder ist aber zu ersehen, daß die Marschkolonnen der Republikaner zu gleichen Tei len aus Soldaten und be waffneten Bürgern zusam mengesetzt waren. Die wich tigste Rolle im Kampfe spiel ten natürlich die geschulten Truppen besonders die Ar tillerie, die sich gleich anfangs gegen den König erklärt chatte und deren Geschütze noch jetzt auf den Straßen ausgesahrcn sind. Die große Masse der Bevölkerung wagte sich erst hervor, als das Bom bardement zu Ende war. In den Straßen herrschte ungeheurer Jubel. Die Menge begrüßte begeistert die grün- roke der Revolution, die im Triumph durch die Straßen getragen wurde, und als vom Balkon des Rathau ses aus die portugiesische Republick proklamiert wurde, herrschte unbeschreiblicher Ent husiasmus. Rückstands geblieben sein, sodaß sogar der GerichtSvoll- zieher bei Eintreibung der Alimenten für seine recht mäßige Ehefrau Besuche in der Burrianschen Villa im OrtSteil Schöne Aussicht bei Loschwitz machen mußte. Burrian hat nun sein Landhaus in Loschwitz verlaffen und sich dem Vernehmen nach ins Ausland „abgemeldet". Man vermutet, daß sich der Heldentenor in seinem in ländischen Heim nicht mehr recht wohl gefühlt hat, denn außer den amtlichen Besuchen des Gerichtsvollziehers sollen auch noch andere Personen an Herrn Burrian Interesse haben, vor allem aber ein Dresdner Herr, dessen Gattin sich schon seit längerer Zeit dem Sänger ange schloffen hat und die aus Liebe zu dem Künstler Mann und Haus verlaffen hat. ES hat sich infolge dieser Liaison des Herrn Burrian in Loschwitz manchs unlieb same Szene abgespielt, sodaß man im ganzen OrtSteil dem berühmten Kammersänger wohl kaum eine Träne nachweinen wird. — (Vorsicht bei milzkranken Kühen!) In Kleinbauchlitz starb ein 16 jähriges Mädchen, daß in einem Gute bei Miera, in dem vor 14 Tagen eine milz- kranke Kuh geschlachtet worden war, bedienstet war, an Blutvergiftung. Sensationelle Verhaftung eines Dresdner Arztes wegen Diebstahls in den Königlichen Bibliotheken. Dresden, 13. Oktober. Vor nicht allzu langer Zeit erregte die Verhaftung eines sächsischen Gefängnisgeistlichen, der dabei abgefaßt wurde, als er in den Räumen der damaligen Kunstaus stellung einige wertvolle Skulpturen und andere Kunstgegenstänbe entwendete, großes Aufsehen. Der Geistliche wurde damals auf seinen Geisteszustand untersucht und für geistig unzurechnungs fähig erklärt, das gerichtliche Verfahren somit gegem ihn eingestellt, weil er an einem Falle krankhafter Sammelwut litt. Jetzt Hai ein ähnlicher Fall, in dem es sich um einen angesehenen und viel beschäftigten Dresdner Arzt handelt, die größte Sensation hervor gerufen. In der Königlichen Bibliothek und irn Königlichen Albertinum ist man großen Diebstählen und Beschädigungen wert voller Werke und Illustrationen auf die Spur gekommen. Wie sich bei einer Revision kostbarer wissenschaftlicher, wicht medizinischer und klinischer Werke durch die Königlichen Bibliothekare ergeben hat, sind aus diesen Werken Te.rtseiten, Zeichnungen und Illustra tionen, die zum Teil nicht wieder zu ersetzen sind, entfernt und ausgeschnitten worden und zwar in einer solch raffinierten Weise, daß das Fehlen der kostbaren Blätter erst beim Nachzählen der Buchseiten entdeckt werden konnte. Die geheimnisu Kle Angelegen heit wurde von der Leitung der Königlichen Biblio thek sofort der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, die alsbald umfangreiche: Erörterungen und auch mehrfach Haussuchungen vornahm, die airfangs keinen Erfolg hatten. Der Verdacht der Täterschaft lenkte' sich zunächst auf mehrere Beamte der Königlichen Bibliothek umd des. Mber- tinums. Die Kriminalpolizei stellte einige Angestellte' der Biblio thek unter Beobachtung, doch erwies sich der anfangs.zehegLo Ver dacht als vollständig grundlos. Nun kamen die verschiedenen Entleiher an die Reihe. Da sich die letzteren aber ausschließlich aus den ersten Kreisen der gesellschaftlichen und wissenschaftliche n Welt zusammensetzen, so war es für die Kriminalbeamten außer- ordentlich schwierig, den Täter zu ermitteln. Es wurden die Ge-- wohnheiten der Entleiher festgestellt und bei einem derselben, einem hiesigen angesehenen und vielbeschäftigten Arzte, der außer ordentlich wohlhabend ist und dessen Vater eine große' Klinik be sitzt, ermittelt, daß der betreffende seit Jahren wertvolle Illustra tionen, Texte und Zeichnungen, insonderheit aber Kunstblätter, sammelt. Eine bei dem Arzte vorgenommene Haussuchung be stätigte den gehegten Verdacht, und man fand in seinem Besitze eine größere Anzahl der aus den Werken der Königlichen Biblio thek und des Albertinums entfernten Blätter. Der Arzt wurde in Untersuchungshaft genommen, wird aber wahrscheinlich gegen Hinterlegung einer größeren Summe wieder auf freien Fuß ge setzt werden, nachdem er die Diebstähle unumwunden mit de- —r Der Urinz-HemaHL. Roman von Henriette v. Meerheim b. 2 (Nachdruck verboten.) „Weswegen denn sonst noch? Um dort weiter zu bummeln — was?" „Du wirst es vermutlich so nennen. Leben will ich, ganz einfach leben — nicht vegetieren wie hier seit Monaten." „Aus dem Plan wird nichts." „Daraus wird doch etwas! -- Jetzt laß mich auSreden, Vater." Schlank und hoch stand Georg vor dem Stuhl des Vaters, der ganz verdutzt zu ihm aufsah. Eine senkrechte Falte lag auf der Stirn des eben noch so lässig Ruhenden, die da« ganze Gesicht veränderte, es älter, härter machte. Die großen blauen Augen sahen rücksichtslos entschlossen aus. Auf der einen schmalen, braungebräunten Wange zeichnete sich ein breiter Durch» zieher al» ehrenvolle Erinnerung einer schneidigen Korpsstuden« tenzeit scharf ab. „Bisher ist alle» nach deinem Willen gegangen, Vater," fuhr Georg heftig fort. „Statt mich sofort von der Schule auf eine Malerakademie zu schicken, wie ich es wünschte, hast du mich nach Heidelberg ins Korps gesteckt. Schön — ich hab's mitgemacht, hab' getrunken, gesungen, gefochten, gejubelt, wie sich'» gehört — und heimlich nach Freiheit und Einsamkeit gelechzt. Kaum war da» überstanden, da hieß e» dienen. Jetzt mußte erst da» Frei» willigenjahr abgemacht werden! Du tatest freilich dein übrige« und ließest mich in emem der teuersten Kavallerieregimenter die» nen, aber Zwang und Enge war auch da» wieder. Kaum hatte ich da» hinter mir, galt'» mein Examen zu machen. Der Refe rendar mußt« erreicht werden. Mit Hilse eine» guten Einpau» ker» ist auch diese Staffel menschlicher Gelehrsamkeit von mir er» klommen worden." „Hast dabei aber immer mehr gemalt wie gelernt," schaltete der Alte ein. „Du verdankst e» nur deinem guten Kopf und deinem Glück im Examen, daß du nicht durchgeraffelt bist. „Auf'» Resultat komm»'» an. — Also, nachdem ich so stet» deinem Willen gefolgt bin und eigene Wünsch« unterdrückt habe, soll ich mich nun auch noch in die Ehe schieben lassen, weil Leh» min an unsere Klitsche grenzt und der Besitz dadurch hübsch ab gerundet würde. Da» ist zu viel verlangt!" „Viel verlangt! Ein hübsche», reiche» Mädchen zu heira» ten, die Besitzerin einer prachtvollen Herrschaft ist — das nennst du zu viel verlangen?" „Ich fühle gar nicht den Drang, den Prinzgemahl dieser Erbin zu spielen. Sogar ihren Namen muß man ja tragen, sich Graf Lehmin nennen — danke! Ich bleibe lieber Georg von Stechow und verdiene mir mein Brot selber." „Du würdest wahrscheinlich manchmal recht trockenes Brot knabbern müssen." „Vielleicht — vielleicht auch nicht." „Seit beinah« 2 Jahren, seit du da« berühmte. Examen ge» macht hast, fährst du in der Welt herum." „Verlangst du, daß ich nun sofort auf den Assessor los» steuere? Wa« hat da« für einen Zweck, da ich doch keine Staatsstellung haben will? Das Reserendarexamen habe ich doch nur gemacht, um zu beweisen, daß ich nicht der Bummler bin, al« den du mich hinzustellen beliebst. „Ich weiß wohl, daß du etwa« leisten kannst, wenn du nur willst." „Na also, dann sei zu frieden und laß mich meinen Weg gehen." „In Pari« werde ich nicht viel brauchen, denn ich will dort nicht al« großer Herr austreten, sondern al» Künstler leben. Wird da« schön werden! Einmal allen Krimskram« unsere» Stande» abstreisen, nur sich selbst leben, nur Schöne», Troße», Interessante» sehen und —" „Hör mal zu, mein Sohn!" Der alte Stechow stand auf und faßte Georg« Arm. Er trat zu dem Sohn so nahe, daß er den heißen Atem de« Vaters auf seiner Wange spürte. „Hör zu! Wenn» du die Anne Marie Lehmin nicht heiratest, sind wir bankerott! — Verstehst du mich?" „Nein." „Anne Marie» verstorbener Vater, mem bester F eund, hat mir vor Jahren viel Geld geliehen, weil» schon damals wacklig mit Retter»hof stand. Wenn nun Ann« Marie mündig wird, muß ich ihr da» Kapital auszahlen, sobald sie« verlangt, oder ihr dereinstiger Mann da» fordert, Dann aber ist'» au» mit un»." „Kannst du denn n'cht Hypotheken dafür aufnehmen?" „Rettershof ist bereit» überlastet. Der alte Lehmin erwies mir einen großen Freundschaftsdienst, al» er da» Geld lieh — na, er war ja reich genug, «» entbehren zu können." „Anne Marie wird dich auch nicht zur Au»zahlung drängen." „Sie selbst vielleicht nicht, aber ihr zukünftiger Mann, oder, wenn sie stirbt, die Verwandten, die sie beerben. Wie gern hätte ich schon längst einen Teil ihrer Hypotheken eingelöst, aber du brauchst zu viel, mein Junge und wa» di« Wirtschaft«füh» rung deiner Mutter kostet, da» rechne mal selber au». Kannst du dir deine Mutter ohne Gesellschafterin, Jungfer, Kammer» diener denken? Ich nicht," „Nein. Aber de»wegen verkauf« ich mich noch lang- nicht." „Dumme« Zeug l E» war eine Lieblingsidee meine« alten Freunde», daß unsere Kinder sich heiraten sollten. Er lebte in beständiger Angst vor einem Schuldenmacher oder Nichtstuer, der sein Goldfischchen kapern könnte." „Bei mir wäre da» auch nicht viel anders. Ich würde Anne Marie auch nur zwangsweise und ohne Liebe heiraten." Du wirst sie schon lieben, wenn sie deine Frau ist. Anne Marie kennt den Wunsch ihres Vaters, sie ist bereit, sich mit dir zu verloben." „Zu gütig! Sie läßt wohl wie eine regierende Königin dem Prinzen ihre Hand durch Bevollmächtigte anbirtrn?" Du kannst selig sein, wenn sie dich nimmt, dummer Junge.