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Nr. 105. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 6. September 1910. Seite 6. mußt, daß der Zusatz in der von ihm angewendeten Menge von ca. 1 Zentner falsch sei, dann habe er sich strafbar gemacht. Das Schöffengericht war der Ansicht, daß der Kartoffelzusatz unzulässig sei, Kühne habe sich darüber oder in einem entschuldbaren Irrtum befunden, er wurde daher freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Be rufung ein. Professor vr. Süß, Vorstand der Zentral stelle für Gesundheitspflege in Dresden als Sachverstän diger, führte aus, weiße Backware, also auch Dreierbröd- chen, hätten nur aus Weizenmehl, Wasser bezw. Milch, Hefe und Salz zu bestehen, die geriebene Kartoffel sei ein fremder Bestandteil und verschlechtere als Zusatz die Ware, mache sie auch geringer betreffs des Geldwertes. Das Publikum erwarte den Zusatz von Kartoffel nicht, sondern wolle ein kartoffelfreieS Brödchen haben, es werde durch den Zusatz getäuscht. Der Kartoffelzusatz sei nicht orts- üblich, sondern ein gewerblicher Mißbrauch, werde er nicht bestraft, so sei dem unlauteren Wettbewerb Tür und Tor geöffnet. Ganz gleich, ob die Kartoffel der Hefe oder dem Teig zugesetzt werde, der Zusatz bedeute selbst in ganz geringer Menge eine Fälschung. Er sei ein alter Trick der Bäcker, die Brödchen würden dadurch groß, hätten aber im Innern große Löcher. Auch das von den Bäckern vielfach verwendete „Patentwalzmehl" sei nichts anderes, als besonders zubereitetes Kartoffelmehl, seine Anwendung sei ein schamloses Verfahren und strafbar. Jeder Zusatz von Kartoffel sei eine Fälschung der Backware, jeder Bäcker sei sich auch darüber klar. ES sei zur Sprache gekommen, daß Kühne auch dem Brotteig geriebene Semmel zuge- setzt habe, das sei ebenfalls eine Fälschung. — Oberstaats anwalt Or. Böhme beantragte die Bestrafung Kühnes und erklärte, er werde wegen des Zusatzes von geriebener Sem mel gegen Kühne noch ein besonderes Verfahren einleiten. Das Gericht hob das schöffengerichtliche Urteil auf und verurteilte Kühne wegen Nahrungsmittelfälschung zu 150 Mark Geldstrafe oder 15 Tagen Gefängnis. — Die 43 Jahre alte Wirtschaftsbesitzersehefrau Christiane Jo hanne Katzer geb. Michalz in Potschapplitz hatte am 20. März 1910 der Schneiderin Anna Buder in Rot- nauslitz 8 Mark bares Geld gestohlen und war vom Schöffengericht Bischofswerda am 21. Juni zu 1 Woche Gefängnis verurteilt worden. Der Ehemann der Kratzer legte Berufung ein und brachte ein ärztliches Zeugnis bei, wonach seine Ehefrau geisteskrank ist. Die Katzer wurde daher freigesprochen. K. s Bautzen, 2. Septbr. Landgericht. (Nachdr. verb.) Unter Vorsitz des Landgerichtsrats Kaiser wurde vor der 1. Strafkammer gegen den vorbestraften, am 16. Juni 1877 zu Posen geborenen Malergehilfen Paul Emil Dohnke wegen Diebstahls im Rückfall verhandelt. Am vsr Kaiser und seins Seck ler an vord der „koden- zoUern". Unser Bild gibt eine rei zende kleine Episode wieder, die sich nach den großen Flotten manövern an Bord der Kaiser pacht „Hohenzollern" abgespielt hat. ES zeigt den Kaiser und seine Tochter, die Prinzessin Viktoria Luise, während eines traulichen Plauderstündchens auf dem Promendendeck. Die hüb schen Dakel, die auf dem Bilde fernerhin zu sehen sind, sind die Lieblingstiere des Kaisers und der Prinzessin, die ihnen manche Stunde der Seefahrt durch ihr drolliges Wesen angenehm ver kürzten. Vsrmlscbtos. * (Die Wahlimmensch lichen Leben) Wenn der Mensch auf die Welt kommen, will, wählt er sich die Eltern aus — Wählt sich eine Stimm' zum Brüllen und den besten Platz im Haus — Und nun wächst er und bald wählt er Kameraden auf der Gass' — Wählt den tiefsten Dreck zum Spielen; drin zu wühlen macht ihm Spaß. Kommt er in die Schule, wählt er, ob er auch was lernen will — Und ob ernstlich er das Köpfchen mit Ballast beschweren will. — Kaum drei Käs' hoch, wählt er'S rau chen, später wählt er's Hand werk aus — Wählt sich nun das schönste Mädchen, die Aller schönst' zur Liebsten aus — Wählt sich dann zwei Jahre, wie er exerzieren kann — Sind die um, wählt er die Wohnung, denn er ist ja nun ein Mann. 3. Juli 1910 hatte er in Großröhrsdorf dem Schmied Andratschke einen Anzug im Werte von 20 Mark, einen Schirm und einen Hut gestohlen. In äußerst frecher Weise entnahm er am 5. Juli in Radeberg dem Tauben schlag des Gastwirts Paul Kuschel ein Paar wertvolle Malthesertauben und bot sie dreist zum Verkaufe aus. Dohnke wurde trotz beharrlichen Leugnens überführt und unter Zubilligung mildernder Umstände zu 10 Monaten Gefängnis und 3 Jahren Ehrverlust verurteilt. Die Untersuchungshaft wurde voll angerechnet. K. Dresdner Produkten - Börse, 8. Sept. 1910. Wetter: Trübe. Stimmung: Ruhig. Um 2 Uhr wurde amtlich notiert: Westen, weißer, — M, brauner, alter, 74—78 Kilo, M, do. neuer, 75—78 Kilo, 198—204 M, do. feuchter, 73—74 Kilo, 190-194 M, russischer rot 220-234 M, do. russ. weiß — — M, Kansas , Argentinier 225—230 M, Australischer — M, Manitoba M. Roggen, sächsischeralter70—73 Kilo 146—152M.,do. neuer70—73 Kilo, 148-154 M., do. feuchter, 66-69 Kilo, 136—145 M., preußischer 153—157 M., russischer 164—166 M. Gerste, sächsische, 160—170 M, schlesische 180—195 M, Posener 175-190 M, böhmische 205-220 M, Futtergerste 120—128 M. Kaser, sächsischer 165—170 M, do. neuer 150—160, beregneter 140-148 M, schlesischer 165—170 M, russischer loco —,— M. Mais Cinquantine 176—182 M, alter M, Rundmais, gelb, 145—152 M, amerikan. Mired-Mais , Laplata, gelb, 145—152 M, do. neu, feucht M. Erbsen, 160-180 M, Wicken, sächs. 168-180 M. Buchweizen, inländischer 180—185 M, do. fremder 180—185 M Gelsaaten, Winterraps, scharf trocken, per August 228, do. trocken 218—223, do. feucht 208—218. Leinsaat, feine —, ,— M, mittl. —, M. Laplata 370-375 M. Bombay 390—395 M. Rüböl, raffiniertes 63,00 M. Rapskuchen (Dresdner Marken) lange 12,00 M, runde M. Leinkuchen (Dresdner Marken) I 19,00 M, 11 18,50 M. Mast 26,00-30,00 M. Weizenmehle (Dresdner Marken): Kaiserauszug 36,00—36,50 M, Grießlerauszug 35,00—35,50 M, Semmelmehl 34,00—34,50 M, V äckermundmehl 32,50—33,00 M, Grießlermundmehl 23,50 bis 24,50 M, Pohlmehl 18,00-19,00 M. Roggenmehle (Dresdner Marken) Nr. 0 24,50—25,00 M, Nr. 0/1 23,50—24,00 M, Nr. 1 22,50- 23,00 M, Nr. 2 20,00—21,00 M, Nr. 3 16,50—17,00 M, Futtermehl 12,00—12,40 M, e.rcl. der städtischen Abgabe. Westenkleie (Dresd. Mark.): grobe 9,80-10,00 feine 9,20-9,60 Roggenkleie (Dresdner Marken): 10,60—10,80 M. verNnsr Sstrsidsvörss. An der heutigen Getreidebörse waren die Preise für Brotgetreide wieder größeren Schwankungen unterworfen, während der Weizen indessen infolge von wetteren Ex portverkäufen flirren Preisstand schließlich erhöhen konnte, erfuhr Roggen eine mäßige Abschwächung, da sich nur wenig Kauflust für diesen Artikel geltend machte. Hafer und Mais blieben gut behauptet, Rüböl konnte sich et was befestigen. Wettervorhersage der Kgl. S. Landeswcttcrwarte zu Dresden. Mittwoch, 7. September 1910. Nordostwind, zeitweise aufheiterud, etwas wärmer, kein erheblicher Niederschlag. Magdeburger Wettervorhersage. Mittwoch, 7. September 1910. Meist trocken und ziemlich heiter, Nacht sehr kühl, Tag etwas wärmer. — GMU. Herr, hilf mir, laß mich nicht versinken. Und zieh mich aus der Abgrund Flut! Du brauchst nur mit dem Äug' zu winken, So leget sich des Meeres Wut. Doch immer grimmiger nur sauset Die Windsbraut heulend um mich her. Und immer toller tobt und brauset Das wildempörte, rauhe Meer. Schon will die Woge mich verschlingen Und mich begraben tief im Sand — Da hebt sie mich mit Engelsschwingen Und trägt mich an das heilge Land. dlüller Lk. em. »Kind — da ist e» doch wohl besser, wir verzichten. Mir ist ganz unbehaglich zumute bei dem Gedanken an Ihre traurige Erfahrung, Herr Professor. Ich habe jedenfalls die Lust an dieser Bergfahrt verloren. Es bleibt dabei, Ursula, wir gehen morgen wieder hinunter.* Vollrat atmete auf und setzte sich ruhig wieder an den Tisch Ursula wollte schmollen, aber Will Vollrats ernstem, bittendem Blick gegenüber schmolz all ihr Groll und Weichheit. Sie saßen noch eine Stunde beisammen, ehe jeder sein schlichtes Lager aufsuchte. Zum erstenmal in ihrem Leben blieb Ursula der Schlaf fern. Sie sah mit großen offenen Augen vor sich hin und dachte an Will VollratS vergrämte« Gesicht und seine flammen den Augen. Dabei war ihr, al« wenn flüsternde Laut« an ihr Ohr drangen. Geheimnisvolle« Weben umfing ihre Sinne. Und dann hört« fi« durch den Bretterverschlag, der ihr Lager von dem der Männer trennte, zuweilen «inen tiefen, schmerzlichen Seuster ertönen. Er kam von Vollrat, d«r auch schlaflos in da« Dunkel starrte. Endlich schlief sie doch ein. Im Halbschlaf kam der Traum angeschlichen. Sie sah ganz deutlich Will Vollrat vor sich, wie «r sich zu einem kranken Weibe niederbeugte und mit gramvollen Augen auf sie niederblickte. Da» Weib aber streckte flehend und beschwörend die Hände nach Ursula au«. Mit greifbarer Deut lichkeit sah sie da« schmale, feine Gesicht, von blondem Haar umrahmt und die großen, blauen Augen mit goldigen Wimpern umsäumt, vor sich. Und der bittende Blick wich nicht von ihr. Sie atmete tief und schwer im Traum. Wa« wollte die Frau von ihr? Da wandte sich diese und zeigte auf Vollrat und dann auf Ursula. Und sie erhob sich und schwebte mit ihm heran zu ihr. Sie faßte Will« Hand und die Ursula» und legte sie mit bitten dem Blick ineinander. Und der Mann sah sie an mit seinen zwingenden, machtvollen Augen und faßte ihre Hand fest, ganz fest. Sie erschauderte und schreckt, au« ihrem Traum empor. Mit wachen Augen sah sie verständnirlo» um sich. Dann wußte sie, daß sie nur geträumt hatte. Aber trotzdem hatte sich da» Gesicht der blonden Frau ihren Sinnen eingeprägt. Die großen Augen mit aufwärtrgebogenen, goldenen Wimpern und da» schmale Köpfchen, von goldblondem Haar umrahmt, kam ihr nicht au« den Gedanken. Sie konnte nicht wieder Einschlafen. Leise erhob sie sich, um die anderen nicht zu stören. E« war inzwischen hell ge worden. Sir schlich, ohne sich umzublicken, zur Tür. E« verlangte fi« nach d«r frischen Morgenluft, um den Kopf klar zu be kommen. Al» sie hinau»trat, erschrack fi«, Vor der Hütte ging Will Vollrat ruhelo» auf und ab. Im Frühlichtgrau sah er bleich und abgespannt au». Zögernd trat sie vollend» hinaus. Nun erblickst« «r st«. Seine Augen wurden groß und flammend und hefteten sich auf ihr Gesicht. Sie schauerte unter diesem Blick zusammen, so hatte er sie im Traum angesehen. Zugleich nahm aber auch ein wundersames, starke» und heiße» Gefühl von ihr Besitz und sie lieferte sich diesem Gefühl mit voller Erkennt- ni» au». .Da» ist die Liebe", dachte sie, von Schauern durchdrungen. »Dieser Mann ist dein Schicksal." So standen sie sich gegenüber, stumm und doch beredt. Will atmete schwer. Da« schöne, etwa« erblaßte Gesicht diese» Mädchen», da» in lieblicher Scheu sich ihm zuwandte, weckte warm« Gefühl« in s«iner Brust. E» regte und streckte sich unter der Ei»rind« starr« Entsagung. Da» Leben lock!« plötzlich mit seinen Wonnen und Freuden und schuf eine zitternde Unruhe in seiner Brust. Er war mit seinen achtunddreißig Jahren noch zu jung zum Verzicht auf LrbenSglvck. Endlich brach Ursula da» beklemmende Schwelgen. »Sie find schon so früh wach, Herr Professor?" »Ich schlafe nie hier oben", sagte « heiser. Sie schlang die Hände ineinander und lehnte sich an den Türrahmen. »Dar kann ich Ihnen nachfühlen", antwortete sie leise. Er lächelte — wie man zu unverständigen Plaudereien von Kindern lächelt. «Da» Schicksal mag sie davor behüte«, mir nachfühlen zu können. Ich wünsche r» Ihnen nicht. »Der Uebel ist die größte Schuld." „Sie haben keine Schuld"' sagte sie schnell und dringlich, wie um ihn zu überzeugen. Er sah fi« sondnbar an. „Kind — wa» wissen Si« davon." Sie richtete sich tiefatmend empor. „Schuld ist, wenn man mit Vorsatz Böse» tut — da» andere ist nur Verhängni», Schicksal. »Wer lehrt Sie so fein unterscheiden? Weiß man denn immer genau von sich, ob man Böse» oder Gute» will. Ich habe schon manchmal den Unterschied nicht erkannt. »Da» sind Sophismen, Herr Professor. Auf da» Gebiet kann ich Ihnen nicht folgen. Ich bin ein schlichte», gesunde» Naturkind. Ein» weiß ich jedoch genau, daß Sie nicht da» Böse wollen." »Wa» wissen Si« von mir?" „Nicht» — nur da» Ein«." Ein warme», lebendige» Drängen regte sich in ihm. ES trieb ihn, ihre Hand zu fassen, ,u danken für diese Worte. Aber er wehrte sich dagegen. WaS wollte diese» Mädchen in seinem toten, starren Leben. Weshalb drängte sie sich in seine Gedanken hinein und weckte Wünsche und Befühle in ihm, die er längst erstorben wähnte. Um da» Thema zu wechseln, zeigte er zum Gipfel des Wetterkogel hinauf. (Fortsetzung folgt.)