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Pulsnitzer Mckendlatt Dienstag, 6. September 1910. Beilage zu Ar. 105. 62. Jahrgang. W. HerMburg. Hum 60. Geburtstag der bekannten Schrift- stellerin am 7. September. W. Heim bürg die liebenswürdige und in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes beliebte Roman schriftstellerin, begeht am 7. September ihren 60. Ge burtstag. Berta Behrens — dies ist der wirkliche Name der Dichterin — ist als Tochter eines auch schriftstellerisch tätigen Arztes in Thale am Harz zur Welt gekommen. Sie hat ihr stilles, aber erfolgreiches Leben und Wirken ganz ihrer Kunst geweiht und ist unverehelicht geblieben. Ihre innigen, von Lebenskenntnis und Humor erfüllten Werke, unter denen „Lumpenmüllers Lieschen", „Trud- chenS Heirat", Lore von Tollen", Sabinens Freier" und „Mamsell Unütz" genannt sein mögen, haben sie neben der Marlitt wohl zur beliebtesten Erzählerin des deut- schen Bürgertums gemacht. Ihre Romane erscheinen seit langen Jahren in der „Gartenlaube" Jetzt eben erschei nen in der „Gartenlaube" die ersten Fortsetzungen eines neuen Romans, der alle Vorzüge besitzt, und um derent willen die Dichterin so sehr geschätzt wird. Die MWislW BtgriindMg der Lrauln- frage. In vielen Kulturländern, zumal in England, Deutsch land, Rußland, Oesterreich, und selbst in Nordamerika, sind ein sehr großer Teil der Frauen und Mädchen mit ihrem Schicksale nicht zufrieden, sie verlangen größere Rechte in Bezug auf die Berufswahl und fordern sogar die politische Gleichberechtigung neben den Männern, da neben wird zugleich auch eine bessere und tiefere geistige und technische Ausbildung der Frauen und Mädchen zu erstreben gesucht. Diese Frauenbewegung ist offenbar nicht nur das Produkt einer großen geistigen Fortschritts- bewegung in den weiblichen Kreisen der Kulturländer, sondern sie wird auch hervorgebracht durch eine große Umwälzung aus dem wirtschaftlichen Gebiete. Auf der einen Seite sind die Kosten der Familie ganz bedeutend gegen die früheren Zetten gewachsen, und aus der ande ren Seite ist es infolge der eigenartigen industriellen Entwickelung des Wirtschaftslebens sehr vielen jungen Männern nicht mehr möglich, die rechte wirtschaftltche Selbständigkeit zu erreichen und unter günstigen Bedin gungen eine Ehe zu gründen. Hinter der Frauenbewe gung stecken daher auch sehr tiefe und sehr traurige wirt schaftliche Ursachen, und diese werden ganz besonders durch die Zustände in England beleuchtet, wo eS für hundert tausende, ja Millionen von Mädchen nur geringe ErwerbS- auSsichten und fast gar keine HetratsauSsichten gibt. Fast mehr wie durch lange Abhandlungen wird die traurige Schattenseite des heutigen wirtschaftlichen Lebens für die Frauen und Mädchen durch eine kleine Episode illustriert, die sich kürzlich in einem englischen Hasen zugetragen hat. Dort erschienen 110 junge englische Mädchen aus dem Londoner Stadtteile Saint PancraS, um sich nach Au stralien einzuschiffen. Alle diese junge Mädchen erklärten auf Befragen, daß sie England verlassen müßten, weil dort kein Platz mehr für sie sei und weil sie nicht die geringste Hoffnung hätten, daß sie sich jemals in Eng. land verheiraten könnten, da die englische Industrie den jungen Männern nicht soviel Lohn gebe, daß diese heira ten und einen eigenen Hausstand gründen könnten. Wenn man bedenkt, daß die jungen Mädchen, die etwa ein Al ter von 18 bis 24 Jahren hatten, nicht den niedrigsten Volksklassen angehörten, sondern meistens aus gebildete ren Familien stammten, so wird man ermessen können, welch' ein ungeheuer schwerer und bitter wirtschaftlicher Druck die Frauenbewegung in Englang hervorgerufen hat, und es ist schlimmer als frivol, wenn über die Frau enbewegung und über die Frauenrechtlerinnen in Eng land oft nur gespottet wird. Das große mächtige und für fo reich geltende England hat für Millionen seiner Frauen und Mädchen keine menschenwürdige wirtschaft liche und soziale Versorgung mehr, und wenn wir gerecht sein wollen, so begegnen wir ähnlichen schlimmen sozialen Zuständen auch in unserem Vaterlande, und es ist wohl die größte Schattenseite der Industrialisierung des wirt schaftlichen Lebens der Kulturstaaten, daß sie zwar für viele Einzelarbeiter Brot schafft, aber ungezählten Ein- zelarbeitern nicht so viel verdienen läßt, daß sie einen eigenen Haushalt gründen können, wenn nicht gleichzeitig die Frauen und Kinder selbst mit einen wesentlichen Teil des Lebensunterhaltes verdienen helfen. OvrMcdss unv SScvslscbss. — Wie der Handels- und Gewerbekammer zu Zittau mitgeteilt worden ist, wird der dem Kaiserlich Deutschen Konsulat in Chicago zugeteilte Handelssachverständige vr. Quandt in der Zeit vom 9. September bis 19. Oktober d. I. eine Reihe von Handelskammern besuchen, um den Interessenten persönlich auf Wunsch Auskunft über die wirtschaftliche Erschließung und Entwickelung der paciftschen Küste der Vereinigten Staaten von Amerika und deren Bedeutung für den deutschen Ausfuhrhandel Auskunft zu geben. Er wird sich zu diesem Zwecke am 16. Septem ber 1910 in Zittau aufhalten und von nachmittags 4 Uhr ab für Jnteresfenten im Gebäude der HandelS- und Gewerbekammer, Lessingstraße 2c, zu sprechen sein. 8. 2. K. Dresden, 6. September. (Zur Wahl Göhres inZschopau-Marienberg.) Der im 20. sächsischen Reichstagswahlkreise Zschopau-Marienberg ge wählte sozialdemokratische Abgeordnete Pastor a. D. Paul Göhre ist ein Sohn des früheren Dresdner Stadtverord- neten und Sekretärs im Kgl. Ministeriums des Innern, der übrigens zufälligerweise in demselben Hause in der Gutzkowstraße in Dresden wohnte, in dem der Vorgänger Göhres im Reichstage, der verstorbene reformische Abge ordnete Zimmermann, wohnte, denn Pastor Göhres Vater war selbst Anhänger der Reformpartei. Der alte Göhre war in Dresden eine bekannte Persönlichkeit, der große Redeschlachten im Stadtverordneten-Kollegium ausfocht. So hat er u. a. auch durchgesetzt, daß die Kinderwagen in Dresden auf den Trottoirs fahren dürfen. Am be kanntesten wurde Göhte senior durch einen Prozeß um ihm einmal zu wenig ausgezahlte 5 Pfennige, den er bis in die letzte Instanz durchfocht. Mit Genugtuung pflegte er Besuchern den Stoß Akten zu zeigen, der zu sammengeschrieben worden war, bis er seine 5 Pfennige richtig erhielt. 8. 2. K. Dresden, 6. September. (Prinz Max von Sachsen als Schrift steiler.) Prinz Max, Her zog zu Sachsen, der als Priester unlängst den Berg At- hoS mit dem Mönchskloster in Mazedonien besuchte und darüber bereits in Berlin einen Vortrag gehalten hat, hat dieses Thema jetzt auch als Schriftsteller behandelt. In einem der nächsten Hefte von Westermanns Monats heften wird ein Artikel „Der Berg Athos in Mazedonien" von „Max Herzog zu Sachsen" erscheinen. Nus Osm Serlcbtssaals. Z Bautzen, 1. Septbr. Landgericht. (Nachdr. verb.) Eine für das gesamte Bäckereigewerbe wichtige und prin zipielle Entscheidung fällte heute die 2. Strafkammer in der Strafsache gegen den noch unbestraften 33 Jahre Bäckermeister Hermann Otto Kühne in Stenz wegen Ver gehens gegen das Nahrungsmittelgesetz und Betrugs. Kühne, der schon seit dem Jahre 1902 die Dreierbrödchen für das Barackenlager Königsbrück kontraktlich zu liefern hat, hatte nach der eidlichen Aussage seiner damaligen Gesellen Zimmermann und Schäfer im Jahre 1908 dem Hefestück für die weiße Vackware etwas geriebene Kar toffeln zusetzen lassen, um, nach seiner Angabe, bei schlecht backendem Mehle die Triebkraft der Hefe zu erhöhen. Vor dem Schöffengericht Königsbrück hatten am 20. Juli 1910 die Bäckerobermeister Keller-Kamenz und Brückner- Königsbrück als Sachverständige erklärt, ihnen sei der Zusatz von geriebenen Kartoffeln zu dem angegebenen Zwecke unbekannt, zur Erhöhung der Triebkraft der Hefe werde Zucker, Malzmehl oder gutes Mehl verwendet. Obermeister Bienert-Dresden dagegen behauptete, er kenne den Kartoffelzusatz als Hilfsmittel für das Hefestück, der Zusatz sei seiner Meinung nach ein Verbefferungsmittel (?) und werde von einem großen Teil der Dresdner Bäcker angewendet. Nahrungsmittelchemiker Or. pkil. Hempel des chemischen Untersuchungsamtes Dresden erklärte, im Prinzip sei der Kartoffelzufatz beim Backen zu vermeiden und ein Zusatz von Zucker oder Malz vorzuziehen. An und für sich sei der Kartoffelzusatz etwas Falsches, in ganz geringen Mengen kaum strafbar. Habe Kühne ge- —» Hlrsuta. 4— Roman von CourthS-Mahler. 9. Nachdruck verboten. Nach kurzer Vorstellung und einigem Hin« und Herreden über woher und wohin lud Erlenhorst den Profeffor freundlich »um eben fertig gestellten Mahl ein. In solch weltabgeschiedenen Gegenden macht man wenig Umstände. Der Kulturmensch gibt sich freier und ungezwungener auf Reisen al» daheim. Und vollend« hier oben in den Bergen. In einer solchen Schutzhatte kommen oft die verschiedensten Elemente zusammen. Angesicht« der gewaltigen Natur fallen anerzogene Vorurteile wesenlo« von un« ab. Wir sind Menschen zu Menschen — nicht« weiter. Vollrat nahm wie selbstverständlich mit an dem hölzernen Tisch Platz. Auch der Führer, der Vollrat mit vertraulichem Respekt begrüßt hatte, setzte sich zu ihnen. Da« primitive Eßgerät ging von Hand zu Hand, und da« Essen mundete vorzüglich. Nach Bergpartien schmeckt auch die einfache Kost. Erlenhorst plauderte munter drauf lo« und machte allerhand Witzchen. Selbst über Will Vollrat« ernste« Gesicht huschte zu« weilen ein Lächeln, und er beteiligte sich an der Unterhaltung. Nur wenn er Hinüberblick!« in die dunkle Ecke, wo Eva damal« gelegen hatte, da zog ein düsterer Schatten über sein Gesicht. Ursula merkte da«. Sie saß gegen ihre Gewohnheit sehr still zwischen den drei Männer und vermochte ihre Augen nicht lo«» Meißen von Will Vollrat« gebräuntem Gesicht. Der Mann interessierte sie ungemein. Dagegen half alle« Auftrotzen nicht«. Schließlich fiel ihrem Vater auf wie still fie war. „Ursula, wa« ist« mit dir? Bist so schweigsam. Am Ende bist du nun doch müde?" „Nein, Pa — gar nicht." „So rede mal doch auch ein Wort. Der Herr Profeffor denkt, du bist stumm. Kannst doch sonst reden wie ein Buch." Ursula fühlte, daß ihr da« Blut in« Gesicht schoß unter Vollrat« Blicken. Unmutig wehrte sie sich dagegen, natürlich ohne Erfolg. „Daß ich so schweigsam bin, daran ist der Herr Profeffor selbst schuld", sagte sie trotzig. „Warum, wieso", fragt« Erlenhorst erstaunt, und auch Vollrat blickte sie fragend an. „Weil er dagegen protestierte, daß ich morgen früh mit hinauf auf den G.pfel steigen will." Erlenhorst blickte zu Vollrat hinüber. „Halten Eie e« sür gefährlich?" „Für eine Dame unbedingt." „Aber meine Tochter klettert wie eine Gemse. Sie kommt leichter hinauf al« ich." „Dann bleibt immer noch die große Anstrengung. Der Auf. stieg mag gehen, aber der Abstieg ist äußert gefährlich. Die Kräfte einer Dame möchten da nicht autreichen." „Ursula ist sehr kräftig." Vollrat richtete seine Augen beschwörend auf den alten Herrn. „Trotzdem. Gestatten Sie r« nicht, mein Herr, leiden Sie e« auf keinen Fall. Sie würden e« vielleicht schwer bereuen." Sein sonderbar dringlicher Ton versagte den Eindruck nicht. „Ich habe nicht geglaubt, daß eine Gefahr bei dieser Partie zu fürchten sei", entgegnete Erlenhorst. Vollrat stützte sei» Haupt auf die Hand und sah düster in die dunkle Ecke. „Derselben Ansicht war ich auch einmal, Herr von Erlen. Horst. Wa« gäb' ich drum, wenn mir jemand diese Meinung genommen hätte. Vor vier Jahren stieg ich mit meinem jungen Weib da hinauf. E« ging alle« gut. Wir kamen glücklich wieder unten an. Ich fühlte keine Ermüdung und ahnte nicht, wie schwer meiner Frau der Weg geworden. Am Fuße de« Gipfel« brach fie mir ohnmächtig zusammen." „Vollrat sprang auf und trat hinüber in den Schatten» Ich seinem Gesicht prägte sich grimmiger Schmerz au«. Nach einer Weile fuhr er tonlo« fort: „In der nächstfolgenden Nacht ist fie mir gestorben — hür, auf diesem Fleck, und die Reue über meinen Leichtsinn hat mich ruhelos umhergelrieben seit jenem Tage." Eine schwere, inhaltreiche Pause entstand. Ursula« Augen hingen voll heißen Erbarmen« an seinem Gesicht, in dem der Schmer, zuckte. Wie muß er sein Weib geliebt haben! Wa« mußte er leiden! Gab e« überhaupt solche gewaltige Liebe, die über da« Grab hinau« währte? Ein Zittern flog über ihr« Gli«d«r. Wied«r lrhnte sie sich auf gegen da« unbekannte Gefühl, da« Sie so unruhig macht«. Auch H«rr v. Erlenhorst blickte ernst und sinnend vor sich hin. Vollrat» Worte hatten ihren Eindruck nicht verfehlt. Nach einer Weile sagte dieser ruhig und gefaßt: „Verzeihen Sie, daß ich mich mit meiner traurigen Ge, schichte in Ihre Angelegenheit dränge. E« blieb mir nicht« andere« übrig, um Sie andern Sinne« zu machen. Ihr Fräu. lein Tochter darf Sie um keinen Prei« begleiten. E» gibt leichtere und lohnendere Touren für Damen in der Umgegend." In Ursula regte sich der Trotz, gerade weil sie fühlte, daß Vollrat sie beeinflußte. „Ich will aber mit hinauf, Pa. Ich lasse dich nicht allein". „Da» ist törichter Eigenwille, mein Fräulein. Sie sollten vernkftiger sein und ihrem Vater di« Entscheidung überlasten", rief er streng und heftig. So hatte noch nie ein Mensch zu ihr gesprochen. Nor seinem zürnenden, Blick schlug sie di« Augen nieder. Zugleich zog aber ein rätselhafte» GlückSgefühl in ihre Seele ein, und al» sie gleich darauf wieder zu ihm emporsah, lag ein Abglanz diese» Gefühl« in ihren Augen. Er schaute wir gebannt in die großen dunklen Sterne, und sein Blick nahm eine sonderbare Wei«heit an. Erlenhorst« Stimme riß die beiden Menschen au« ihrer Versunkenheit.