Volltext Seite (XML)
Nr. 99. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 23. August 1SL0. Seite 8. Schwäbisch-Hall, 22. August. (Fürchterliches Un wetter.) In der vergangenen Nacht herrschte hier ein fürchterliches Unwetter. Hagel, Gewitter und orkanartiger Sturm wüteten stundenlang. Auf der Hochebene wurden viele Dächer abgetragen und Obstbäume umgerissen. Bern, 21. August. (Der Juwelenraub in St. Moritz) Der Juwelenraub in St. Moritz, bei dem der Schwägerin des englischen Parlamentariers Bacon für 200000 Mark Juwelen entwendet wurden, hat jetzt end lich seine Aufklärung gefunden. Der Dieb wurde in Vichy und sein Komplize in St. Moritz verhaftet. Die Juwelen wurden bei ihnen noch vorgesunden. Warschau, 22. August. (EindeutscherBallonan der russischen Grenze beschossen.) Der Berliner Ballon „Hildebrandt", Führer Ingenieur Berliner, wurde beim Passieren der russischen Grenze wiederholt beschossen. Die Landung erfolgte glatt bet Warschau. Petersburg, 22. August. (Untaten betrunkener russischer Kavaliere.) Zwei soeben zu Offizieren er nannte junge Kavaliere, die Fürsten Baschnrdze und Martschenko, excedierten schwerbetrunken in den Straßen Moskaus, verprügelten einen Mischwostnik und töteten mit Säbelhieben den sie zur Ruhe weisenden Schutzmann. Die Missetäter wurden vom Platzoffizier der Hauptwache verhaftet. — Der Adelsmarschall Popow in Tula wurde von seinem eigenen Sohn erschossen. Der Mörder be ging die Tat im Delirium tremens. Chicago, 22. August. (Zu den Waldbränden in Amerika.) Zu den großen Waldbränden, die seit eini gen Wochen im Nordwesten der Vereinigten Staaten wüten, wird weiter berichtet, daß große Flächen starken Waldes bereits in Asche gelegt worden sind. Die Wald brände haben ihren Ursprung in der Nähe der kleinen Stadt Wallace. Diese Stadt ist schwer bedroht. Man ist seit drei Tagen ohne jede Nachricht Wallace zählt 5000 Einwohner. Da auf allen Seiten das Feuer um die Stadt wütet, kann man nicht in sie hinein und ist vollständig im Ungewissen über das Schicksal der Ein wohner, von denen man mit lebhafter Ungeduld Nach richten erwartet. Das letzte Telegramm aus der einge schlossenen Stadt besagt, daß die Stadt von allen Seiten von einem 5—600 Meter breiten Feuergürtel umgeben ist und kaum Hoffnung auf Rettung der Einwohner be steht. Die Meldung fügt hinzu, daß die Bewohner ver zweifelte Versuche machen, sich dadurch zu retten, indem sie die Eisenbahnlinie entlang laufen. Da jedoch die Eisenbahnbrücken im Osten und Westen der Stadt voll ständig aus Holz sind, dem Feuer also keinen Widerstand bieten, befürchtet man, daß die Brücken bereits vom Feuer vernichtet wurden und die Einwohner daher nicht in der Lage find, über die Flüsse zu setzen. vsr SetreiOemarkt. Wochenbericht vom 14 bis 20. August 1910. Die Witterung hat sich endlich gebessert, die Niederschläge blieben in der letzten Verichtswoche ziemlich aus. Diejenigen Land wirte, welche kaltblütig die alte Regel, lieber das Getreide auf dem Felde wie in der Scheune verderben lassen, abgewartet haben, haben nun gute, trockene und vor allem haltbare Ware einernten können. Jedenfalls sollen sehr verschiedene Qualitäten eingeerntet werden. Die Gebirgs- und Höhenlagen haben, da in dieser Gegend die Ernte jetzt erst begonnen hat, Aussicht, besseres Getreide zu zu ernten und berichtet man von da eine besonders gute tzaferernte. Auf dem Futtermittelmarkte scheint sich eine weitere Besserung der Preise einzustellen, umsomehr, da auch Anzeichen vorhanden sind, daß deutsches Getreide aus den zunächst in Frage kommen den Gegenden auch weiterhin nach dem Auslande abzieht und da durch hoffentlich das speziell bei Roggen kaum die Selbstkosten deckende außerordentlich niedrige Preisniveau wieder auf einen angemessenen Stand gebracht wird. Die Berichte über Kartoffeln lauten sehr verschieden, doch halten die Klagen über Fäulnis an. Etwas bestimmtes läßt sich in dieser Hinsicht noch nicht angeben. Heu liegt sehr ruhig. Mangels Bedarfs ermäßigten sich die anfangs höheren Forderungen für neues Stroh. vsrNnsr Sstreivsbörss. Berlin, 22. August. Da das Angebot von Weizen vom Inlands reichlich bleibt und auch das Ausland nach- gibige Haltung bekundet, machte die rückläufige Bewegung der Preise heute weitere Fortschritte. Weizen verlor ca. 1/4 bis 2/4, Roggen verlor ebenso viel im Preise, da die Nachfrage für Exportzwecke enttäuschte. Hafer und Mais waren vernachläßigt, Rüböl konnte auf Käufe der Kom missionshäuser im Preise anziehen. - Dresdner Produkten - Börse, 22. Aug. 1910. Wetter: Trübe Stimmung: Ruhig. Um2Ühr wurde amtlich notiert: Westen, weißer, — M, brauner, alter, 74—78 Kilo, 206-214 M, do. neuer, 75—78 Kilo, 192—198 M, do. feuchter, . 73—74 Kilo, 186-190 M, russischer rot 226—236 M, do. russ. weiß M, Kansas , Argentinier 228—232 M, 215—220, do. feucht 205—215. Australischer — M, Manitoba M. Roggen, sächsischer 70—73 Kilo 144—150 M., do. neuer 70—73 Kilo, 146-152 M., do. feuchter, 66-69 Kilo, 133-142 M., preußischer 152—156 M., russischer 164—166 M. Gerste, sächsische, —M, schlesische —M, Posener —,— M, böhmische —M, Futtergerste 124—132 M Hafer, sächsischer 163—168 M, beregneter —M. schlesischer 163—168 M., russischer loco —,— M. Mais Cinquantine 176—182 M, alter M, Laplata, gelb, 152—154 M, amerikan. Mired-Mais , Rundmais, gelb, 145—152 M, do. neu, feucht — — M. Erbsen, 160-180 M, Wicken, sächs. 168—180 M. Buchweizen, inländischer 180—185 M, do. fremder 180—185 M. Melsaaten, Winterraps, scharf trocken, per August 225, do. trocken Leinsaat, feine —, —,— M, mittl. —, M. Laplata 365—370 M. Bombay 385 -390 M. Rüböl, raffiniertes 63,00 M. Rapskuchen (Dresdner Marken) lange 12,00 M, runde M. Leinkuchen (Dresdner Marken) I 19,00 M,II 18,50 M. Mast 26,00—30,00 M. Westennrehle (Dresdner Marken): Kaiserauszug 36,50—37,00 M, Grießlerauszug 35,50—36,00 M, Semmelmehl 34,50—35,00 M, Bäckermundmehl 33,00—33,50 M, Grießlermundmehl 24,00 bis 25,00 M, Pohlmchl 18,00-19,00 M. Roggenmehle (Dresdner Marken) Nr. 0 25,00—25,50 M, Nr. 0/1 24,00—24,50 M, Nr. 1 23,00- 23,50 M, Nr. 2 20,50—21,50 M, Nr. 3 17,00—17,50 M, Futtermehl 12,00—12,40 M, ercl. der städtischen Abgabe. Westenkleie(Dresd. Mark.): grobe 9,80—10,00 feine 9,20—9,60 Roggenkleie (Dresdner Marken): 10,60—10,80 M. Wettervorhersage der Kgl. S Landcswetterwarte zu Dresden. Mittwoch, den 24. August 1910. Süd-Winde, zeitweise heiter, etwas wärmer, vereinzelt örtliche Störungen. Magdeburger Wettervorhersage. Mittwoch, den 24 August 1910. Etwas kühler, doch noch immer ziemlich warm, abwechselnd heiter und wolkig, vielfach Regenschauer, stellenweise Gewitter. -Me Gedenkfeier der Wlichttage Kei Uetz. In diesem Jahre waren 40 Jahre verflossen, seitdem die blutigen Kämpse in der Umge gend von Metz ausgefochten wurden, die wenngleich reich an Opfern, d m deutschen Einig ungskriege ein entscheidend gün stige Wendung gaben. Aus allen Teilen des Vaterlandes hatten sich Tausende deutscher Veteranen zu erhebenden Ge dächtnisfeiern aus den Schlacht feldern versammelt, ebenso wie ihre französischen Kameraden jenseits der Grenze In Metz, .n St. Privat, in Vionville, in Mars-la-Tour wo der furchtbare Todesritt der Bredow-Brigade geritten wurde, und in Grave- lotte, wo die blutigste Schlacht des ganzen Krieges stattfand, wurde in feierlicher und würdi ger Weise das Andenken der Helden geehrt, die ihr Leben für ihr Land in die Schanze schlu gen. An mehreren Feiern nahm als Vertreter des Kaisers der Generalseldmarschall Gras Hae- seler teil. Vermischtes. ' (Ländlich - sittlich.) Man erzählt der „Tägl. Rundschau" : Nach dem ich aus einer Radfahrt von Ber lin nach Prenzlau schon an 80 Kilo meter zurückgelegt hatte, machte sich ein reger Kaffeedurst bei mir bemerk bar, der mich in die nächste Gast wirtschaft eintreten hieß. Während ich auf das eigentlich braun sein sol lende Getränk wartete, fiel mein Blick auf eine große Tafel, auf der in Holz gebrannt, folgende friedliche Worte zu lesen sind: „Es wird ge beten, bei Streitigkeiten nicht mit Tischen und Stühlen zu schlagen, Hinterm Ofen liegen Knüppel!" Wie friedlich sah das blaue verstaubte Kachelwerk aus, gar nicht, als ob es so „eindrucksvolle" Gegenstände ber gen könne! . . . Nach Jahresfrist kehrte er in das stille Bergdorf zurück. Häuschen bezog. Und die Touristen und die Sommergäste er« Am Todestage seiner Frau stand er an ihrem Trabe. Und fuhren die Geschichte von seiner Frau und sahen mitleidig oder dann trieb es ihn hinauf zum Wetterkogel. Dort, wo sie das neugierig hinter ihm her. letzte Mal Seite an Seite mit ihm geschritten war, kam ein -Z Will Vollrat lümmerte sich um keinen. Er zog einsam seine Hauch von Frieden über ihn. Al» wenn ihre kleinen Hände Straße, in sein Leid versunken. kosend über seine gefurchte Stirn strichen, als wenn ihr weiches, i * zärtliches Wesen ihn einhüllte — so war ihm hier zumute. — Ursula v. Erlenhorst stand wartend auf der Freitreppe. Ei« Noch einmal flog er dann hinaus in die Welt. Er unter- lehnte an der Steinballustrade und schwipp!« übermütig mit der nahm kühne Forschungsreisen und war ein eifriger Pionier der Reitgerte. Mit blitzenden Augen sah sie auf den Schloßbof hinab Wissenschaft. Durch angestrengte Arbeit suchte er seinen Gram und klopfte ungeduldig mit den Fußspitzen di« fleineren Quadern, zu ersticken. Eines Tages war es ihm auch vergönnt, zwei auf denen sie stand. Man merkte ihr an, daß unguldige» Warten Menschenleben zu retten. Mit eigener Lebensgefahr holte er nicht ihre Passion war. eine junge Mutter mit ihrem Säugling au« einem brennenden ff Die schlanke, dab i kraftvolle Gestalt, knapp von dem dunkel- Hause. Hinter ihm stürzte die brennende Deck« zusammen. Al« grünen R-itkleid umschlossen zeigte edle Formen. Das Gesicht man ihm danken wollte, war er verschwunden. Für ihn galt da« war reizvoll und fesselnd und mit einem frischen, reinen Teint, nichts. Er fühlte sich durch seine Tat nicht entsühnt und nicht mit den großen, dunklen Augen und dem feingeschnittenen Mund, befrcit. Aber ruhiger wurde er doch. Er trug von nun an A Wellig bauschte sich das in glänzend« Flechten um den Kopf be- seine Schuld wie «in unabänderliches Verhängnis, ließ sich nicht H festigte Haar. Ursula galt allgemein als schön und war viel mehr von ihr niederdrücken. Sie machte ihn inner! ch groß und gefeiert und umworben. Worin der Zauber lag, der von ihr aus reifte ihn einem jener Charakteure, die alle Schuld der Welt „ strahlte, war schwer zu sagen. Si« war mehr schroff al« liebens- verstehen und verzeihen. Aber er blieb einsam in seinem Innern K würdig, galt sür unbändig und herrisch und wurde in der ganzen — und darbte. H Umgegend die „wilde Ursula" genannt, weil sie mit ihrem Vater Im Sommer kehrte er dann wieder zu Eva« Grab zurück, um die Wette ritt und jagte und jedem unbekümmert ihre Er kaufte sich in dem stillen Vergort« ein Häuschen und lebte Meinung in« Gesicht sagte. während der Sommermonate hier seiner Arbeit. Daneben stieg M Daß si« mit ihren zw«iundzwanzig Jahr«n noch frrie Herrin er fast täglich einige Stunden in den Bergen herum. Am/ über Herz und ihre Hand war, lag trotzdem nur an ihr, denn liebsten kletterte er hinauf zum Wetterkogel. Den kannte er an Freiern hatte e« ihr nicht gefehlt. Dazu war sie zu schön bald ganz genau. Er braucht« jetzt krinen Führer mehr, wennH)und zu reich. Al« einzige Tochter ,hre« Vater« würde sie einst er den Gipfel «steigen wollte. AHH«rin von Erlenhorst sein. Da« galt schon etwa«, denn Erlen» Und Eva Vollrat schlief unter dem grünen Rasen, der miMhorst war ein« der größten und schönsten Güter der Umgegend, Blumen bedeckt war. Diese Blumen zart, und fein, wie sie und daß außerdem auch noch Barvermögen vorhanden war, wußte selbst, schienen den stillen ernsten Mann zu grüßen, wenn er man allgemein. Rast kielt an dem schlichten Hügel. Jedenfalls kümmerte die „wilde Ursula" jetzt im Augenblick Die Bewohner de« Dorfe« kannten ihn ganz genau. „Unser weiter nicht«, al« daß ihr Vater voch immer nicht erschien. Professor ist wieder da", hieß e«, wenn er im Sommer sein Die schlanken, «delgeformten Händ« schlüpften ungestüm in die Reithandschuhe und klopften dann unmutig mit der Reitpeitsche auf die Steine. Endlich trat hinter ihr ein älterer Herr au« dem Portal. Seine große, breitschultrig« Gestalt und da« wetter gebräunte, frische Gesicht mit graumeliertem Haar und Bart ver» rieten den Landedelmann auf den ersten Blick. In seinen Augen funkelte e« lustig, al« « seine Tochter wie eine leibhaftige Illustration brennender Ungeduld vor sich stehen sah. „Klopf mir da da« Gesim« nicht kaput, Ursula. Da bin ich schon. Meinetwegen kann e» nun losgehen. Hast wohl schon wieder vor Ungeduld Löcher in die Luft gehauen, Rappel» köpf?" Ursula wandte sich unmutig nach ihm um, lachte ihm ab« dann in« Gesicht. „Ist j, auch zu eklig, Pa, da« ungeduldig« Warten, wenn ein so schöner Morgen zum Auiflug lockt." „Geduld ist dir überhaupt eine unheimliche Tugend, Mau«. Ob e« regnet oder die Sonne scheint, damit stehst du stet« auf Kriegsfuß.' Sie seufzte und mach!« «in tragikomische« Gesicht. „Möchie nur w ssen, wie da« zugehl, Pa, hab doch in dir ein so leuchtende« Vorbild", neckte sie. „Wetterhrxe — mach keine Flausen. Mußt du dich unbe dingt revanchieren? Al« ich noch so jung war wie du, war ich noch sehr geduldig. In deinen Jahren hat man Zeit zum Warten. Aber nun komm, wir wollen Frieden schließen." E: umfaßte seine Tochter lachend und zog si« mit sich di« Frritreppe hinab. Drunten im Schloßbof hatte ein Reitknecht die gesattelten Pferde auf und ab geführt. Ursula setzt« den schmalen Fuß in die Hand de« Vater« und schwang sich kräftig und graziös in den Sattel. Herr v. Erlenhorst war schon etwa« schwerfälliger. Da« Besteigen de« Pferdes entlockte ihm einig« mühevolle Schnaufer. (Fortsetzung folgt.)