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Pulsnitzer Wochenblatt Dienstag, 9. August 1918. Beilage zu Ur. 93. 82. Jahrgang. Aus Sm öeuWn Parteileben. Der glänzende Sieg, welchen die sozialdemokratische Partei auch bet der jüngsten Reichstagsersatzwahl, bei der im Wahlkreise Cannstadt-Ludwigsburg, verzeichnen darf, hat tm Lager der „Genossen" begreiflicherweise gewaltigen Jubel und größte Genugtuung hervorgerufen, denn auch dieser Wahlkreis befand sich bislang stets im Besitze der bürgerlichen Parteien, und daß er nunmehr von der So zialdemokratie plötzlich mit geradezu verblüffender Stim menmehrheit glatt erobert worden ist, dies bedeutet selbst, verständlich einen besonderen Triumph für die „Genoffen". Zweifellos ist auch dieser erneute und in seiner Tragweite nicht zu unterschätzende Wahlerfolg der Umsturzpartei zum wesentlichen Teil auf die Mißstimmung zurückzu- sühren, welche die unglückliche Reichssinanzreform in wei- ten Kreisen des deutschen Volkes hervorgerufen hat; ferner dürfte die Spaltung der bürgerlichen Parteien mit da« ihrige zu dem sozialdemokratischen Wahlsiege in Cann- stadt-LudwigSburg beigetragen haben. Jedenfalls stellt der Ausfall dieser Nachwahl die nattonalliberale Partei, als die auch hier wiederum unterliegende Partei, erneut vor die gewichtige Frage, ob sie künftig energisch nach links einschwenken oder aber wieder mehr Fühlung nach rechts suchen soll. Verschiedene Stürmer und Dränger in der Partei möchten zwar, daß die Nattonalliberalen bei den kommenden Reichstagswahlen gleichzeitig Front gegen die Sozialdemokratie, wie gegen die Parteien der Rechten und das Zentrum machen, aber dazu ist die ge mäßigt-liberale Partei derzeit natürlich zu schwach, es wird ihr eben schließlich nichts übrig bleiben, als An lehnung nach links oder aber rechts zu suchen. Einst weilen herrscht hierüber noch Unklarheit, aber einmal muß sich dies doch entscheiden, zumal ja vorläufig die Wirr- nisse und Differenzen in ihren Reihen, wie sie sich nament lich in der „Bassermann-Frage" bemerklich machten, mit dem Entschlusse des Abgeordneten Bassermann, auch ferner die parlamentarische und politische Führung der national- liberalen Partei beizubehalten, im allgemeinen wieder in den Hintergrund getreten sind. Sicherlich steht die natio nalliberale Partei vor einer ernsten Entscheidung, und muß es für sie um so mehr Pflicht sein, alle Streitig, feiten und Meinungsverschiedenheiten im eigenen Lager zu unterdrücken und dafür wieder geschlossen nach außen auszutreten. In einer entschieden glücklicheren Lage ist da aller dings die sozialdemokratische Partei. Sie kann sich getrost den Luxus großer häuslicher Zänkereien gestatten, wie solche jetzt wieder durch die Budgetbewilligung der sozial- demokratischen Landtagsfraktion und deren „Hofgängerri" verursacht worden sind. Denn diese Auseinandersetzungen zwischen der revisionistischen und der radikalen Richtung in der deutschen Sozialdemokratie berühren den Kern und das Wesen der Partei durchaus nicht weiter, es handelt sich im Grunde hierbei doch nur um taktische Fragen, die mit dem geschlossenen Auftreten der sozialdemokra- tischen Partei gegenüber dem Bürgertum nichts zu tun haben. Man kann darum schon jetzt getrost behaupten, daß der diesjährige sozialdemokratische Parteitag zu Magdeburg, wenngleich aus ihm die prinzipienwidrigen Seitensprünge der badischen „Genoffen" sicherlich zunächst stürmische Debatten veranlassen werden, schließlich doch zu der abermaligen Feststellung führen wird, daß die sozial ¬ demokratische Partei ungeachtet aller inneren Reibungen und Differenzen nach wie vor einig gegenüber den bür- gerlichen Parteien dasteht. Vielleicht wird man sich dessen auch auf Setten der Fortschrittlichen Volkspartei und der Jungliberalen, wo man so gern mit den Revisionisten in der Sozialdemokratie liebäugelt, bewußt werden; denn ein prinzipielles Zusammengehen der einen oder der anderen bürgerlichen Partei mit der Sozialdemokratie muß nach Lage der ganzen Verhältnisse als ausgeschlossen erachtet werden. Ueberhaupt tut Einigkeit zwischen den bürgerlichen Parteien angesichts des erschreckenden An- schwellens der sozialdemokratischen Stimmen doppelt not, und es ist deshalb bedauerlich, wenn gerade im gegen wärtigen Moment der Hansabund gegen den Bund der Landwirte mit einer förmlichen Kriegserklärung in die Schranken tritt. Dies kann nur zu einem erbitterten Kampfe zwischen diesen beiden großen Vereinigungen füh ren, und der lachende Dritte wird auch in diesem Falle wieder die rote Partei sein! OsrMcdes und SScbslfcbes. — Für den Monat Juli 1910 sind behufs Ver gütung des von den Gemeinden resp. Quartierwirten innerhalb der l etreffenden Lieferungsverbände im Monat August 1910 an Militärpserde zur Verabreichung gelan genden Pferdefutters in den Hauptmarktorten der Liefe rungsverbände des Regierungsbezirks Bautzen folgende Durchschnitte der höchsten Preise für Pferdefutter mit einem Aufschläge von fünf vom Hundert festgesetzt worden: Hafer 100 Kilo. Heu 100 Kilo. Stroh 100 Kilo. Bautzen: 16 M 86 Pf. 8 M 08 Pf 4 M 76 Pf. Kamenz: 16 „ 87 „ 7 „ 88 „ 4 „ 46 „ Löbau: 16 „ 12 „ 7 „ 98 „ 4 „ 91 „ Zittau: 16 „ 13 „ 9 „ 61 „ 4 „ 12 „ — In den Lausitzer Flußgebieten wurden in der dritten Dekade (21. bis 31.) des Juli folgenden Nieder schlagsmengen in mm oder Litern pro Quadratmeter festgestellt: Spree 18 (normal 26), Löbauer Wasser 16 (26), Mandau 15 (27), Neiße 9 (27), Schwarze Elster 20 (25), Pulsnitz 19 (26). 8. Dresden, 8. August. (Der „Disziplinbruch" der Badenser.) Die heute stattgefundene Generalver- sammlung des sozialdemokratischen Vereins für den sech sten Wahlkreis beschäftigte sich in eingehender Welse mit dem Verhalten den badischen sozialdemokratischen Land- tagSabgeordneten. Landtagsabgeordneter Fleißner bezeich nete da- Verhalten der Badenser als den schwersten Dis ziplinbruch, der jemals in der Partei vorkam. Reiße die Methode rin, dann brauche die Sozialdemokratie kein Programm mehr. Es wurde sodann folgende Resolution angenommen: „Die Generalversammlung des sozialde mokratischen Vereins für den 6. sächsischen RetchStagS- wahlkreiS, verurteilt entschieden die Annahme des Bud- getS durch unsere badische LandtagSfraktion. Sie erklärt darin einen DiSztplinbruch, der geeignet ist, die AkttonS- kraft der Partei zu schädigen und die Geschlossenheit und unserer auf den Klaffenkampf begründeten Partei zu ge- fährden. Die Versammlung spricht ihre schärfste Miß billigung darüber aus, daß sozialdemokratische Volksver treter in Baden, deren Aufgabe es doch in erster Linie sein muß, den jetzigen Klassenstaat und damit die Mo narchie zu bekämpfen, an höfischen Zeremoniells teilneh- men. Sie erwartet vom Parteitag in Magdeburg, daß Vorkehrungen getroffen werden, die derartige Vorkomm nisse verhindern. Den Budgetbewtlligern muß die Fähig keit abgesprochen werden, öffentliche Aemter in der Par tei zu bekleiden. UMM. Endlich ist die Zeit gekommen, Die der Weber längst erträumt, wo Elektrisch man genommen Und das Drehen aufgeräumt. Und warum soll ich mich plagen, Seht die Räder eilen schnell, Und so geht auch sonder Zagen Frisch das weben von der Stell'. Stuhl du mußt dich selber drehen, Nur zum Wachen bin ich da, Und um dir dann beizustehen, wenn was Schlechtes dir geschah'. Raum tut früh die Sonne scheinen, Knips ich das Elektrisch an, Und ich webe Baumwoll — Leinen. Immerfort so gut ich kann. Und ich seh die Schützen eilen Munter durch die Fäden hin, Nie auf einer Seit' verweilen Zippel, zappel, her und hin. Dann ist Freude mir beschieden, Venn solang' der Stuhl nicht steht, weiß ich, daß ganz unvermieden Meine Arbeit munter geht. Laßt die Zeuge richtig gehen, Laßt die Räder eilen schnell, Laßt sich auch die Scheiben drehen Und die Schützen klingen hell Dann bekommt man Band im Aasten Und er füllet bald sich an, Das man auch einmal darf rasten Und „zur Messe" fahren kann wenn jedoch die Faden reißen, Spulen schluzen immerzu, Rann ich meinen Stuhl nicht preisen, Denn dann raubt er mir die Ruh. Und ich muß beim Lampenschimmer Holen meine Arbeit ein; Denn ich kann ja ruhen nimmer, wenn sie tut im Rückstand sein. Darum, Gott, gib deinen Segen Meiner Arbeit immerzu, Laß' die Räder sich bewegen Und sie pflegen nie der Ruh. Also gleicht mein ganzes Leben Einer vollen Spule wohl, Die ich muß mit Fleiß verweben, wenn sie Früchte bringen soll. vst za Ende dann ihr Faden Abgerollt mein Lebenslauf, wird Mein Gott für meine Taten Zahlen mir die Löhnung auf. A. ^US Sem Ssr!cdtssaale. 8 Bantzen, 8. August. (2. Strafkammer.) Am 7. April früh »/,9 Uhr hatte der Psefferküchler Richard Nitzsche in PulSnitz mildem Briefträger einen Geldbetrag von 40M erhalten und ihn in seiner Wohnstube auf ein Vertiko gelegt, Gegen »/.12 Uhr kam die 50 Jahre alte noch Der JaL WeLsHofen. Kriminalroman von M. Kossak. 22 Nachdruck verboten. 13, Kapitel. Fräulein Karoline Wetzel, die Köchin der Anita Brufio, war hoch erfreut al« nach längerer Zwischenpause ihr Freund Herr Camillo Smetana sie wieder einmal besuchte. »Gott, der Herr von Smetana!" sagte sie ihm die Tür öffnend. „Nein, aber, die Freud! Ahnte mir» doch gleich, al» e» klingelte, daß da» wa» Angenehme» wär. Aber nun kommen Sie rein, Herr von Smetana, und nehmen Ei« Platz, ich habe gerade noch so'n schöne» Stückchen Lungenbraten und von Mittag ein paar Kolltschen, da» will ich warm machen und dann ge schwind Bier für un« holen. Also, bitte, man immer herein, Her von Smetana — ich bin gleich da." Und nun saß Brümmel, der nach Wiener Manier in den Adel»stand erhobene Herr von Smetana, in dem reizenoen Speise« zimmerchen der Brufio, auf da» ErsLeinen der Küchenfee war« tend und zum soundsoviel hundertsten Mal«, über di«j«nigen Zu« sammrnhängr im Fall Wel»hof«n grübelnd, die ihm trotz allem noch dunk«l wren. Wie so oft schon war e» wieder di« Frage? „Woran ist oer Graf W;l»hofen gestorben?" die ihn vor allem beschäftigte. Wäre sein« Freundin anstelle der harmlosen Karo- lin« Wetzel die rachsüchtige und geldgierige Verdi, so wollte er dem Gehrimni« rasch genug auf der Spur sein. „Nun wie ist« Ihnen inzwischen gegangen, Fräulein Lma?" erkundigte er sich, al» di« Genannte mit einem Tablett von, an« genehm duftender Speisen zurückkehrt». Wir steht da» werte Befinden?" „Danke für die gütige Nachfrage, Herr von Smetana, aber wie soll» stehen? Unserem» hat Aerger über Aerger, denn mit der Verdi, dem tückischen Frauenzimmer ist da» gar nimmer mehr au»zuhaltrn. Seit sie mit der Signora verzankt ist." — „Wie?" fiel der Detektiv interessiert «in. „Die Beziehungen der Signora zu ihrer Dienerin haben sich gelöst?" „Na, wenn auch da» nicht gerade, so find Sie doch beide schlecht aufeinander zu sprechen. Ich hab« imm«r gehofft, daß die Verdi fliegen würde — ist rin paarmal wirklich impertinent zu der Signora gewesen, sodaß ich glaubte, die würde sich da» nicht gefallen lassen — aber, ne doch, sie läßt sich alle» gefallen von dem Frauenzimmer. Sie zanken sich zusammen, aber hinterher vertragen sie sich auch wieder — «» ist gerade, al» ob sie nicht lo» könnten, eine von der anderen. Daß die Verdi aber einen furchtbaren Haß gegen die Signora hat, weiß ich sicher." „Aber warum denn nur, Fräulein Lina?" drängte Brümmel. Die Köchin machte ein geheimnisvoll«» Gesicht. „Na, Sie werden mich ja nicht verraten, Herr von Smetana. Ihnen kann ich» am Ende erzählen. Die Signora ist dahinter gekommen, wie grausam sie dir Verdi bestiehlt, und da hat sie nun ihre Sachin durchsucht und allerlei gefunden, wa» ihr gehört. E» gab einen furchtbaren Auftritt zwischen den beiden, und wenn ich auch nicht italienisch oerstrhe, so weiß ich doch, daß di« Marirtte d«r Signora grdroht hat — womit wtiß ich fr«ilich nicht. Daraufhin nahm die Signora ihr nicht, wie sie zuerst wollt«, di« gestohlrn«n Sach«n fort, abrr si« läßt ihr nicht m«hr dir Schlüssel zu ihr« Toilett« und zum Schreibtisch, wo sie ihr G«ld und ihre Juwelen verwahrt. Auch den Schlüssel zu dem Schränkchen" — fügte Lina, auf einen schön geschnitzten Hänge schrank weisend, der sich neben dem Büffet befand — „hat sie abgezogen." „Wa» ist denn dadrin?" forschte der Detektiv gespannt. Lina kicherte. „Wein und Likör ist drin. Den trinkt die Verdi für ihr Leben gern, und daß die Signora den Schlüssel abgezogen hat, verzeiht sie ihr niemal». Der L kör ist noch vom Herrn Graf her, der hat ihr öfter» welchen geschickt und auch davon getrunken. Ja, ja, für Likör« und sowa», da gibt die Mariette ihr Leben her." In Brümmel» Seel« keimte «ine Idee. „Berauscht sie sich denn an den Betränken?" fragte er. „Na und ob l So gerade betrunken ist sie nicht, aber nüchtern auch nicht — bloß schwatzen tut sie viel." „Meinen Sie, daß sie in dem Zustande die Geheimnisse ihrer Herrin verraten würde, Fräulein Lina?" „Aber natürlich doch. Mir glaube ich, hat sie auch schon manche» erzählt — freilich genau wriß ich» nicht, da ich kein italienisch verst«he — da« heißt, sie muß schon ein bilchen viel getrunken haben, denn sonst hält sie den Mund." Lina verbeitete sich darauf noch de« langen und breiten über den Charakter und die schlechten Eigenschaften der Verdi, aber Brümmel hörte kaum noch hin, da er sich den Kopf darüber zerbrach, wir er e« wohl anzufangen hätte, die Italienerin be« trunken zu machen. Sollte er seine Freundin Lina in« Vertrauen ziehen? E« erschien ihm indessen nicht geraten, daß die biedere Küchenfee wahrscheinlich im höchsten Grade entrüstet sein würde, wenn sie erfuhr, daß der Herr von Smetana ein „Spitzel" war und daß seine Aufmerksamkeiten für sie selbst einen Zweck hatten, der ganz und gar nicht ihrer Person galt. „Ob e« nicht einmal ganz lustig wär, Fräulein Lina, die Verdi einmal betrunken zu machen und dann zuzuhören, wa« sie un« erzählt?" fragte er, vorsichtig tastend. Lina sah ihn «in w«nig mißtrauisch an. „Die Verdi ist ein« alte Person und gar nimmer schön", meinte sie in schnell erwachter Eifersucht. „Schön!" wiederholte der Detektiv verächtlich. „Wie kann solch «ine schwarze Italienerin überhaupt schön sein ? Andere könnten da« vielleicht finden, aber mein Geschmack" — hi« traf Lina ein feuriger Blick au« Herrn von Smetana« Augen, „je nun mein Geschmack ist dergleichen nicht. Ich liebe mehr da« blond« Genre, blaue Augen und rosige Wangen und ein freund liche« muntere« Wesen. Aber sehen Sie, Fräul in Lina, ganz lustig denk« ich e« mir doch, so alle Geheimnisse der Sig« nora von ihr aurplauschen zu hören. Un nicht nicht nur lustig,