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Pulsnitzer Mckenblatt Donnerstag, 11. August 1910. Beilage zu Ar. 94. Weiße Sklaven. Nach den Aufzeichnungen eines französischen Fremdenlegionärs. Von Paul Gurenkoff. (Nachdruck verboten.) Unsere gesamte Literatur, so allumfassend sie auch ist, so hat sie doch bis heute wenig Zeit gefunden, eine Ein richtung zu erwähnen, deren Wichtigkeit es eigentlich er fordert, einmal aus dem düsteren Winkel, den sie leider einnimmt, an die Oeffentlichkeit gezogen zu werden. Ich meine die französische Fremdenlegion. So unbestritten ihre traurige Bedeutung für die Zivilisation auch sein mag, man geht darüber hinweg als über ein unvermeid liches Uebel. Und alljährlich ein ansehnliches Kontingent von Männern und Jünglingen aus aller Herren Länder und ebensoviel gebrochene Existenzen und gebeugte Eltern schleudern dieser unglückseligen Einrichtung ihre Flüche nach, ja selbst abenteuerlustige Knaben stürzen ihre Eltern in Sorge und Leid und ungezählte junge Soldaten ver lassen die Fahne, um sich der Fremdenlegion, der Not und dem Elend in die Arme zu werfen. Wahrlich, nur zu wenig wissen diese Armen, welches Leben ihrer harret, und viel zu wenig wird von Schule und Staat getan, um diese Verblendeten auszuklären. Wieviel Unheil könnte in unserem Vaterlande verhindert werden, wenn nach drücklich auf die Gefahren hingewiesen würde, welchen alle diese Irregeleiteten sich aussetzen. Ich will es nicht zu meiner Aufgabe machen, an dem zu nörgeln, was unab änderlich erscheint, was mir aber möglich ist, ist das, ein- mal ein Streiflicht auf jenen düsteren Flecken im Leben unserer heutigen Zeit zu werfen, der das geistige und körperliche Unglück so vieler bedeutet. .... Die Betrügereien im kleinen durch Uebervor- teilung in Nahrung und Kleidung begannen vom ersten Tage unseres Militärdienstes an und sie verstärkten sich, je weiter wir in das Innere der Kolonie vordrangen. Als die Erpeditton nach der marokkanischen Grenze be gann, wurde uns mitgeteilt, wir sollten von da ab 4 SouS Krieglöhnung erhalten. Von der Verkündigung bis zur Ausführung war aber ein weiter Weg, den die Schlapphähne der Legion, diesmal in Gestalt unserer Herren Hauptleute, vorzüglich auszubeuten verstanden. Zunächst wurde uns ein Sou entzogen mit der Begrün dung, es sei dringend nötig, die Menage zu verbessern. Darin hatten die Vorgesetzten wohl recht, und wir waren froh, unsere 4 Pfennige so nützlich angelegt zu wissen. — Doch die Menage blieb schlecht wie zuvor und der Sou war verschwunden. Bald darnach kam das zweite Soustück an die Reihe; die Transportschwierigkeiten, so wurde, uns vorgeschwindelt, seien so große, daß die Löh nung angegriffen werden müße. Dann erreichte auch den dritten Sou das uns feindliche Geschick. Hierfür sollte angeblich der Tabak bezahlt werden, der uns in Shisfou geliefert wurde. Nun erfuhren wir zwar schnell, daß der Tabak auf Kosten der Bevölkerung des betreffenden Ortes beschafft war, auch wurde die Tabaklieferung nach einigen Tagen zuerst teilweise, dann gänzlich eingestellt und über dies kürzte man die Löhnurg derjenigen Mannschaft, welche garnicht rauchte, gerade so wie diejenige der übri gen, aber der dritte von unseren 4 Sou Kriegslöhnung war und blieb doch verschwunden. Rechnet man die Kompagnie zu rund 100 Mann, so ergibt sich, daß ein Hauptmann durch solche Börsenmanöoer täglich mit aller Leichtigkeit 12 Mark für sich herauszuschlagen verstand. Dafür kann man sich schon manche Flasche feurigen Süd- weines zu Gemüte führen. Freilich gab eS auch ehrliche Männer unter ihnen, die dergleichen verschmähten, aber die Zahl der Gauner war doch überwiegend. Und wie die Offiziere, so die Chargierten. Durch die Wegnahme klingender Münzen konnren sie sich seltener bereichern, dafür aber nahmen sie zur weiteren Verwertung an Lebensmitteln, Kleidungsstücken in Beschlag, so viel sie nur erwischen konnten. Auf Kommando in Shisfou soll- ten wir zum Beispiel pro Mann und pro Tag ein viertel Liter Wein und eine Quantität Holz für die Küche er- halten. In der Tat lebte das UnterofstzierkorpS allabend- lich in Saus und Braus, und man konnte schon am Ge. ruche und an der Haltung dieser wackeren Leute merken, daß es nicht Wasser war, was sie tranken, für die Mann schaften hingegen war kein Tropfen vorhanden, und das Holz mußte in den Waldungen geschlagen und mühselig zum Lager transportiert werden. Beschwerden bei dem Sergeanten, welcher für diese Artikel zu sorgen hatte, blieben fruchtlos, erst ein anonymes Schreiben, welches an den General gerichtet wurde, schaffte Abhilfe für kurze Zeit. Ich sage für kurze Zeit, denn der Sergeant ver- stand es, sich herauszureden und begann das alte Spiel von neuem. Schließlich ist er doch noch erwischt worden. Er wurde hinter Schloß und Riegel gebracht und dort hat er durch Selbstmord geendet, indem er sich mittels seiner Halsbinde erdrosselte. Doch davon genug. Wie geringfügig erschienen solche Gaunerstreiche gegenüber den entsetzlichen Schindereien, denen wir ausgesetzt waren, und deren gräßlichste, die Krapaudine, zu den ärgsten Teufeleien gehört, die bös artige Menschen ersonnen haben. Gelinde Strafen gab eS nicht, wir wurden stets wie das Vieh behandelt. Am übelsten waren die Deutschen daran, welche das Unglück in die Legion getrieben hatte. Die Abneigung gegen meine armen Landsleute, zu denen selbstverständlich auch die deutschredenden Elsässer gezählt wurden, ging so wett, daß ihnen sogar verboten wurde, in den wenigen Augen blicken, wo uns überhaupt der Mut kam, einen Gesang anzustimmen, deutsche Lieder zu singen. In KrankheitS- fällen mußten wir armen Menschen nicht selten auf die Linderungen verzichten, welche der Arzt gewähren konnte, einzig und allein,^weil wir Deutsche waren. (Schluß folgt.) Vavrrolcütt , IUs,«o-5eIul1t»»k». dvi »IIvukoLlrmLlM. u. öucükLväl. Kolorit». OrLlls-krodvuAMworo del Levii 8ed^»rtv, Berlins. Schlei) Me ZeyLU-»i1'ir«l- 62. Jahrgang. Vermischtes * (Lüderlich oder liederlich?) Noch immer gibt es Leute, die lüderlich schreiben anstatt des allein richtigen, auch von der neuen Rechtschreibung geforderten liederlich, das in seiner Herkunft freilich dunkel ist, mit Luder aber sicherlich nichts gemein hat. Auch seine äl teste Bedeutung hat mit Luder keinen inneren Zusam- menbana. Alte Hunde lasten sich Nicht bendig machen liederlich — sagt Martin HeynecciuS in seinem drolligen Lustspiel HanS Pfriem (1582), und Fischart im Eulenspiegel: Denn was so seltzam rimet sich, DaSselb behelt man liederlich. Was bedeutet das Wort hier anders als leicht, auf leichte Weise? — Schon sehr bald aber — ein Jahrhundert nach HeynecciuS und Fischart — nahm es in seiner Wet terentwickelung die sittliche Färbung leichthin, leichtfertig an: „Mit der Religion soll man nicht gar zu liederlich sein", meint Weise in seinem Erznarren, und in dem nämlichen Werke erblicken wir das Wort auch bereits im Uebergang zu seiner heutigen Bedeutung „übermäßig leichtsinnig, ja ausschweifend." Wenn daselbst (Kap 6) ein lockerer Herr „seine Kronen und Dukaten in vorneh- men Kompagnien — ein damals im Sinne der Gesell schaft sehr beliebtes Wort — liederlich vertan" hat, so hat er eben schon damals in unserem Sinne des Wortes gehandelt. Aenlich hat auch der Ausdruck leicht von sei ner ursprünglichen GewichtSb Deutung eine Färbung nach der sittlichen Seite hin erhalten. * (Ein teurer Hundebiß.) Wer ist Tierhalter? Diese Frage ist für jedermann von großer Bedeutung. Welch große Verantwortung sich jemand aufbürdet, der sich entschließt, ein Tier zu halten, besten ist er selten be wußt. Nach Z 833 des bürgerlichen Gesetzbuches haftet bekanntlich dW Tierhalter für allen Schaden, den das Tier anrtchtet, auch wenn ihn keinerlei Verschulden trifft. Diese Haftung ist zwar durch Gesetz vom 30. Mai 1908 etwas gemildert worden, aber immer bedeutsam genug. Interessant ist eS nun, wieweit in folgendem Rechtsstreit daS Reichsgericht mit dem Begriffe Tierhalter geht. Der 10jährige Knabe H. in Destau wurde von dem Hunde des Schlossers H. gebissen. Der Hund befand sich da mals in Pflege bei dem Arbeiter K. Trotzdem wurde nicht nur K, sondern auch H. auf Ersatz des Schadens in Anspruch genommen. Das Landgericht Dessau und Oberlandsgericht Naumburg gelangten zur Verurteilung beider. H., der sich nicht als Tierhalter ansah, legte Re vision ein, die jedoch erfolglos war. Der 4. Zivilsenat des Reichsgerichts erklärte: Die Annahme des Berufungs gerichts, Beklagter H. hafte als Tierhalter, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn auch das Tier bei dem Ar beiter K. gefüttert und gepflegt worden ist, so ist ihm doch von H. Unterhalt und Obdach gewährt worden, denn die Verpflegung erfolgte im Auftrage und auf Kosten des H , der seinen Hund, um ihn vorteilhaft verkaufen zu können, in gutem Stand erhalten wollte. Wohl zog K. einen Vorteil; aber dieser Vorteil bestand nicht in der Nutzung des Tieres, sondern in der Vergütung für seine im Interesse des Eigentümers gemachten Aufwendungen und geleisteten Dienste. Da K. durch Vertrag die Füh rung der Aufsicht über den Hund übernommen hatte, konnte Der JaL Welshofen. Kriminalroman von M. Kossak. 23. Nachdruck verboten. „Die Damen gestatten —" er öffnete sein Kästchen und entnahm ihm eine Anzahl kleiner Flaschen, die er vor den gierigen Augen der Verdi auf den Tisch stellte. „Danke besten«, mein Fräulein —* wandte er sich an Lina, di« hinau»eilen wollt«, um Gläser zu holen — „brauche nicht», ist alle» hier — unser einer hat dergleichen immer bei der Hand." Er packte die Gläser aus, goß sie au» einer Flasche mit lockendem goldig gelbem In« halt voll. „Auf Ihr Wohl, meine verehrten Damen", rief er, sein Gla» gegen Lina und Mariette erhebend, nachdem er sich un geniert auf «inen Sessel niedergrlaffe» hatte. „Ein feiner Stoff", fuhr er fort, „Dick wie Oel und feurig und dabei doch sanft und süß, wie die Liebe — wollte sagen, wie alle« wa» schön und beglückend ist, denn da« ist di« Liebe doch — nicht wahr, mrine Damens" „Nein, wi« gespaßig der Herr von Smetana immer ist!" fuhr e« Lina unbedacht herau«. Doch der gewandte Brümmel verstand ihre Unvorsichtigkeit sofort wieder gut zu machen. „Nein, daß da» Fräulein sich auch meinen Namen gemerkt hat!" meinte er unbefangen. „Große Ehre für mich — wahrhaftig! Wir haben un» nämlich schon vor einigen Tagen beim Materialwarenhändler drüben an der Eck« gesehen, al» ich dort meinen Besuch machte", erklärte er Verdi. Da diese ein paar Worte in ihrem fürchterlich gebrochenen Deutsch erwiderte, rief er erfreut, „ah, die Signora ist Jta- liana! Wie mich da» interessiert I Schöne» Land, Italia — bin mehrmal» dort gewesen und kann auch di« herrlich« melodisch« Sprach« so «inigermaßMMMn. Si, fi, parlo italiana, vuole dir« —" und nun in geläufigem Italienisch an Mariette, ihr einige höflich« und schmeichelhafte Phrasen über ihr Geburt»land sagend. Dabei versäumte er e» aber k«ine»weg», auch Lina di« Cour zu machen, um nicht unnötig«, Weis« ihre Eifersucht her, aulzufordern. Mit der Verdi redete er italienisch und mit der Köchin deutsch, dabei immer jeder alle», wa» sie nicht verstand, in ihr heimische» Idiom übersetzend. So bewegte sich die Unter haltung eine Weile fort. Natürlich wurde immer fleißig ge- trunken, denn Brümmel schenkte sofort, sowie ein Gla» leer war, wieder «in Lina trank nm wenig, aber Mariette ließ sich dir günstige Gelegenheit, ihrer Leidenschaft für feine Liköre zu stöhnen, nicht ungenützt entgehen. Schon brannten ihre gelben Wangen und glühten ihre Augen in einem verdächtigen Feuer, al« Brümmel sich behaglich in seinen Sessel zurücklehnend äußerte, „wie schön e» die Damen hier haben l Prächtig, Wohnung, große Eleganz und eine bequeme sorgenfreie Stellung — denn sicher bietet die Signora Brufio Ihnen dir doch. Sir hat wohl bedrutrndr Ein- nahm«»?' „A die!" brummt« di« Verdi ingrimmig. „Dir, die —" ihre ichwarzen Augen funkelten und in ihrem mageren Gesicht erschien «in gehässiger Zug. „So haben Sie Klage über Signora zu führen?" sagt« der Detektiv erstaunt. Al« ob e« nur dieser Worte bedurft hätte, um die Bered samkeit der Kammerjungfer zu entfesseln, so brach jetzt rin Strom von Verwünschungen gegen ihre Herrin von ihren Lippen. Wie geizig fi« wäre, wie undankbar und wi« schlecht — ja, wi« schlecht, setzte sie B ümmrl ««»einander, immer in ihrer aufge regten und zugleich bo»haft«n Weise redend. „O, o, o!" machte Brümmel bedauernd. „Ja, ja, man hörte freilich so mancherlei über di« Signora, ab«r ich dachte mir, dir Leute reden auch so viel, und man darf ihnen nicht alle» glauben. Und besonder«, da der Graf Wrl»hofen, der doch mit der Signora verlobt war, ihr solch große« Vermögen hintttlaffen hat, so mußt' er eine sehr gut« Mtinung von ihr gehabt haben. Aber, so trinken Sie doch, Signora", bat er, seine Flasche dem Gla« der Verdi nähernd. „So, nun probieren Sie einmal diesen Likör — echter Charreuse, im Kloster gemacht, unübertrefflich! Also, um auf den Grafen und die Signora zu rück,»kommen — ob sie ihn wohl sehr geliebt hat, ihren toten Bräutigam — wa«?' Die Verdi lachte giftig. „Geliebt! So'n alten Mann! Und lieben kann die überhaupt nicht." „So, so. Uebrigen» — wa« ich noch sagen wollte — warum mag die Signora eigentlich immer noch austreten, da sie e« doch gar nicht mehr nötig hat — da sie jetzt so reich ist? Aber trinken Sie au«, Signorina, trinken Sie au«." „Ja, sie muß schon", meint« Verdi mit schon stark an stoßender Zunge. „Da sie sich mit ihrem Liebhaber überworfen hat und ihr vor dem Gelde graut, so will sie'«, erst noch einige Zeit liegen lassen — vielleicht auch ist sie ihrer Sache nicht ganz sicher und denkt — wie genommen so zerronnen — da läßt sie'« «den vorerst alle« beim Alten bleiben." Brümmel lauschte mit Staunen diesen für ihn unerklärlichen Worten. Jetzt aber galt e« vorsichtig zu sein, um di« Jtali«nerin nicht mißtrauisch zu machen. „Ja, ja, wie gewonnen so zer ronnen !" wiederholte er lachend. Ein wahre«, alte» Sprichwort, da» in diesem Falle sicher seine Anwendung findet! Denn e» kl«bt doch wirklich viel Unheimliche», sozusagen Blut an dem Reichium." Dabei schenkte er von neuem ein. Die Verdi wurde von Sekunde zu Sekunde trunkener. „Blut nun gerade nicht!" meinte sie kichernd. „Dafür hat der Todd schon Rat gewußt — geschickt, wie er ist, der Teufel! Noch gerühmt hat er sich vor Signora, daß er» so klug ange fangen daß niemand der Sache auf die Spur kommen kann, weil keiner hierzulande da» Gift kennt." „Der arm« Graf!" entgegnete der Detektiv, dessen Her, wie «in Hammer klopfte in diesem entscheidenden Augenblick, der ihm den Ausschluß über all« Rätsel zu bringen begann.