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Nr. 97. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, den 18. August 1910. Seite 6. zur Gegenwart enthielt. Gestern wurden wieder drei Personen verhaftet, die des Diebstahls verdächtig sind, zwei Wächter der Ausstellung und ein Kellner. Einer der Verhafteten ist ein Deutscher. Vermisstes * (Der Eisenbahnzug als Elektrisierma schine.) Eine sonderbare Beobachtung teilt ein Mit arbeiter des Elektrotechnischen Anzeigers über eine Beein flussung von Telegraphenleitungen durch fahrende Eisen- bahnzüge mit. Bei der Verlegung einer neuen Leitung auf einer Strecke der Eisenbahn, die von Natal nach Transvaal führt, machten die Arbeiter die unerfreuliche Erfahrung, daß sie oft mehr oder weniger heftige Schläge erhielten, obgleich die von ihnen gehandhabten Drähte selbstverständlich keinen Strom dutch die Leitung erhielten. Zuweilen waren die Schläge so stark, daß die Leute fast zu Boden geworfen wurden. Zunächst konnte man sich diese Erscheinung überhaupt nicht erklären. Erst' nach längerer Zeit wurde man fast zufällig darauf aufmerksam, daß die elektrischen Schläge dann am stärksten waren, wenn ein Zug aus dem benachbarten Gleise fuhr. Da nach wurden zunächst die Maßnahmen getroffen, daß die Arbeiter dann eine Pause machten, bis der Zug außer Sicht war. Man interessierte sich aber weiter für das Rätsel und wollte ihm auf den Grund kommen. Dieser Zweck ist denn auch erreicht worden, und es hat sich herausgestellt, daß durch eine fahrende Lokomotive eine Elektrisierung der Umgebung bewirkt wird, wenn heftige Dampfströme aus den Röhren der Maschine entweichen. Dadurch wird dann wieder die elektrische Spannung der Leitungsdrähte gesteigert, und es läßt sich somit verstehen, daß 'ein mit einem Draht und gleichzeitig mit der Erde in Berührung stehender Mensch unter solchen Umständen einen Schlag empfängt. Die Versuche zur Feststellung dieses Zusammenhangs find derart sorgfältig angestellt worden, daß an der Tatsache nicht zu zweifeln ist, und es bleibt nur noch fraglich, warum diese Erscheinung so selten und nicht weit früher zur Beobachtung gekommen ist. Wahrscheinlich spielt dabet die Beschaffenheit der Luft eine Rolle, die auf den Hochebenen von Transvaal be sonders dünn und trocken ist, sodaß dort auch ein starker Wind zuweilen Erscheinungen der Reibungselektrizität heroorruft. Zur Reist des Mischen MmiWiHers. Dschavid Bei, der kaiserlich ottomanische Finanzminister ist bereits seit einiger Zeit aus einer Reise unterwegs, um eine neue türkische Anleihe ab- zuschließen. Sein Weg hat ihn auch jetzt nach Berlin ge führt, wo seine Hauptaufgabe darin bestand, die Zahlungs bedingungen für die von der Türkei angekausten deutschen Kriegsschiffe festzulegen. Er wurde hier vom Staatssekre tär des Auswärtigen Amtes von Kiderlen-Wächter empfan gen; auch gab der türkische Botschafter Osman Nisami- Pascha ihm zu Ehren ein grö- ßereS Frühstück, an dem eine Anzahl hervorragender Finanz leute teilnahmen. Unser Bild zeigt ihn zusammen mit dem Direktor der Deutschen Bank von Gwinner. 6us aller >Vstt. Berlin, 16. Aug. (Stiftung.) Der Londoner Bankier Sir Ernest Cassel hat eine Stif tung gemacht, die einen eng lisch-deutschen Charakter haben soll und für die er vorläufig ein Kapital von 4 Millionen ausgesetzt hat. Die leitende Idee des StiftungSplaneS ist, ein Fürsorgesystem zu schaffen, das gleichzeitig den minder bemittelten Engländern die in Deutschland weilen und dort einen Erwerb suchen, und den Deutschen in England, die sich in gleicher Lage befinden, zugute kommen soll. Auf englischer Sette sind Protektoren der Kö nig und die Königin und die Königin Mutter auf deutscher Seite der Kaiser und die Kai serin. n- NettiebsimsM im Dienst. (Nachdruck auch im Auszug verboten.) — j. X. Für alle Beamten ist eine Entscheidung des Reichsgerichts sehr wichtig. Sie erläutert den Begriff Be triebsunfall auf Grund des Reichsbeamtenunfallgesetzes. Der Oberposttnspektor N. war während einer Dienstreise an Influenza gestorben. Die Klage der Erben gegen den Reichspostfiskus war erfolglos. Sie wurde in allen Instanzen und vom Reichsgericht mit folgender Begrün dung abgewiesen: Das Berufungsgericht stellt fest, daß der Oberposttnspektor N. sich entweder die Influenza, dte schließlich seinen Tod herbeigeführt hat, auf der Dienst reise vom 14. bis 16. August zugezogen hat oder den Krank heitskeim bei Beginn der Reise schon tu sich trug oder daß vielletcht damals die Krankheit schon bis zu einem Grade entwickelt war, daß dann aber die WitterungSun- bilden während der Dienstreise den bösartigen, schließlich tödlichen Charakter der Krankheit bewirkt haben. Das Berufungsgericht stellt weiter fest, daß eine Jndividiu- alisterung und zeitliche Begrenzung des schädlichen Ereig nisses während der Reise nicht möglich ist, sondern daß sich nur feststellen läßt, die WitterungSunbtlden während der ganzen Reise hätten entweder die Erkrankung oder dte Verschlimmerung seines KrankheitszustandeS herbetge führt. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umstän den einen im Dienst erlittenen Betriebsunfall im Sinne des ReichSunfallfürsorgegesetzeS für Beamte pp vom 18. Juni 1901 verneint, so ist dies nicht rechtsirrtümlich. Denn ein solcher Betriebsunfall setzt (wie bet den übrigen Un- sallverftcherungsgesetzen) ein zeitlich bestimmtes Ereignis voraus, auf defsen plötzliche, nicht allmähliche Einwirkung die Krankheit zurückzuführen ist, im Gegensatz zu der als Endergebnis von auf einen längeren Zeitraum sich ver teilenden nachteiligen Einwirkungen in die Erscheinung tretenden gewerblichen Krankheit. Demgemäß ist denn auch als ein Betriebsunfall erachtet worden: Ein Hitz- schlag oder ein Blitzschlag, nicht aber eine chronische Er- krankung, die Wurmkrankheit oder die Bleivergiftung in folge dreitägiger Beschäftigung. So wie die Sache aber hier lag, war die Revision zurückgewiesen. (Urteil des R. G. vom 24. Juni 10. UI 347/09.) vsrNner Setreivebörss. Während Weizen heute wiederum vernachlässigt und infolge mangelnder Anregung eher schwächer lag, setzte Roggen seine Aufwärtsbewegung infolge anhaltenden Exportbegehrs und lebhafterer Konsumnachfrage fort. Auch Hafer konnte sich auf diese wenig befriedigende Qualität der Ware neuer Ernte befestigen. Mais hatte geringeres Geschäft, Rüböl neigre zur Abschwächung. Wettervorhersage der Kgl. S Landeswetterwarte zu Dresden Freitag, den 19. August 1910. Süd-Wind, vorwiegend heiter, warm, meist trocken. Magdeburger Wettervorhersage. Freitag, den 19. August 1910. Teils heiter, teils bewölkt, meist trocken, ziemlich warme Tages- temperatur, stellenweise Morgennebel. Mrckiicds Nacdricbten. Pulsnitz. Sonnabend, den 20. August, 1 Uhr Betstunde HilfSgeistl. Schuster Sonntag, 21. August, 13. nach Trinitatis: 8 Uhr Beichte I Marrer Söbulre -/,9 „ Predigt (Röm. 7, 18-25) s -Pfarrer Schulze. r/,2 „ Missionsstunde („Modernes Märtyrertum in Armenien"). HilfSgeistl. Schuster. 8 „ Jünglings- und Männerverein. 3 „ Spaziergang des Jungfrauenvereins. AmtSwoche: Pfarrer Schulze. tisch di« Nebelwolken sich emportürmen", da brachte sie doch noch ein Lächeln, ein Kopfnicken zustande. Während er sich aber dann abwandt« und frohgrmut weiter« schritt, erstarb da» Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie fühlte ganz deutlich, daß es zu End« war mit ihr«r Kraft — trotz allem festen Willen. Sie taumelte, griff mit den Händen in die Luft und sank plötzlich mit einem ächzenden Laut in sich zusammen. Wie ein Teil de» starren Gestein» lag sie zwischen dem Geröll. Will hatte weder den ächzenden Ton noch da» Zusammensinken seiner Frau bemerkt. Erst «in laut«» Zuruf d«» Führer« machte ihn aufmerksam. Er wände sich um und sah nun Eva am Boden liegen. Bestürzt und erschrocken eilte er zurück und kniete neben der leblosen Gestalt nieder. Fassung«!«» sah er in da» bleiche, schmale Gesichtchen, da» jetzt mit geschloffenen Augen so elend und verfallen au»sah. Mit einem Male begriff «r, wie rück- ficht«lo» und unvorsichtig er gewesen war. Wie konnte er nur zugeben, daß diese schlanke, zarte Frau sich am Bergsport be teiligt«, wie konnte er ihr solche Strapazen zumuten? E« war ihm bi»her nicht in den Sinn gekommen, daß «I Strapazen waren; jetzt erkannte er «», und diese Erkenntni» peinigte ihn, bereitete ihm Mißbehagen und gab ihn Selbstvorwürfen prei«. Behutsam richtet« «r Eva in s«inrn Armen auf und bettete ihr Haupt auf sünem Knie. Der Führer hatte Wein und eine belebende Essenz au» dem Rucksack herautgeholt, und mit ver einten Bemühungen versuchten die beiden Männer die Ohn- i mächtige zum Bewußtsein zu bringen. E« gelang ihnen aber i nicht. Mit einem forschenden Blick ringsumher drängte der Führer l zum Ausbruch. Er erbot sich die junge Frau bi» zur Schutz ¬ hütte zu tragen. Vollrat schüttelte jedoch den Kopf. Er nahm > sein« Frau wi« ein Kind auf den Arm und barg ihr blaffe« < Gesicht an seiner Schulter. „Vorwärt«!" Schweigend ging e» durch di, sich dichter und dichter zu- mmrnballenden Nebelschwaden weiter. Vollrat fühlte die erst so leichte Last schwerer und schwerer werden. Eine dumpfe, drückende Angst preßt« ihm da« Herz zusammen. Wieder und wieder legt« «r prüfend sein« Wang« an da» kalt« Gesicht der jungen Frau und rief ihren Namen in stiller Sorge. Sie gab kein Leben«zeichen von sich. Wi« «ndlo» lang erschien ihm der Weg bi» zur Schutzhütte l Er meinte, Stunden müßten vergangen sein, ehe sie dort an> langten. Die Hütte war leer. Die drei waren allein. Schnell zündete der Führer ein Feuer an, während Vollrat seine Frau so bequem al« möglich auf dem primitiven Lager bettete. Er öffnete ihr die Kleider, deckt« st« warm zu und rieb ihr die kleinen erstarrten Hände warm. Wie zart und schlank diese wachsbleichen Hände waren! Blind war er bither «eben Eva hergegangen, hatte gar nicht darauf geachtet, wi« schwächlich sie im Grund« war. Immer rastlo« vorwärt« gestürmt war er im glühenden Tatendrange, und weil sein Körper keine Schwäche, keine Ermüdung kannte, hatte er auch bei ihr nicht da» eine und nicht da» andere ver mutet. In qualvoller Sorge, bestürzt und fassungrlo», mühte er sich nun, sie wieder zum Leben zu erwecken. Und endlich g«. lang e». Leise kehrten die Atemzüge wieder zurück. Noch ein zärt liche» Streicheln, ein dringlich bittende« Rufen ihre» Namen« — dann schlug sie die Augen auf und sah in sein blaffr« besorgte», Gesicht. „Evi — liebe kleine Frau — wa» machst du für Streiche?" schalt er zärtlich. Froh und beglückt, daß sie wieder zu sich ge kommen, küßte er ihre Augen. Sie lächelte schon wieder, weil sie seine Sorge kannte." „Ach Will!" „War e» zuviel für dich, Eschen? Arme» Lieb, warum hast du mir da» verschwiegen?" „E» ist ja nicht so schlimm, Will, mir wird gleich bester sein. Die dummen Nerven — mir einen solchen Streich zu spielen!" sagte sie matt lächelnd. Aber die Zähne schlugen ihr trotz aller Gegenwehr im Frost aufeinander. „Du hättest unten bleiben sollen, Evi. Ich werde «» nie mehr leiden, daß du mich auf solchen Touren begleitest. Ich hätte e» dir verbieten sollen." „O nein — ach Will, lieber Will, kehr dich doch nicht an diese vorübergehend« Unpäßlichkeit. E» war doch so schön da oben — mit dir -- nicht wahr, du läßt mich wieder mit dir gehen ?" „Du solltest mich nicht darum bitten, Eva. Ich mache mi, schwere Vorwürfe, dich mitgenommen zu haben. Jetzt sehe ich ein, daß e» zu anstrengend für dich war." Der Führer hatte inzwischen eine kräftige Suppe bereitet. Die brachte er nun, «in gutmütige» Lächeln in dem gebräunten Gesicht, an Eva» Lager. „Dö» müssen'« erst amol »«schnabulieren, dann wird'« Ihnen gl«' bester gehen. Da drauf kenn i mi au«, hab' i auch durchg'macht,", sagte er in seiner schlichten, treuherzigen Art. Und während Vollrat seine Frau emporrichtete und stützte, flößte ihr der Führer mit allerlei Scherzreden die Suppe löffelweise rin, wie ein«m Kinde. Gehorsam schluckte Eva auch einige Löffel voll hinunter. Dann ging e« aber nicht mehr. Sie schüttelte sich und sibloß die Augen. Ihr Gesicht hatte sich gerötet, au« den Augen leuch, tete fieberischer Glan,, und die kleinen Hände zuckten unruhig auf der rauhen Decke hin und her. Vollrat betrachtete sie be sorgt, .Kind, du wirst mir doch nicht ernstlich krank werden?" „Mir scheint, da i« ein Fieber im Anzug. Döt wär amol net sehr g'scheit. Da hieroben gibt'« nix, wa« zur Krank«npfleg' taugt", flüstert« d«r Führer und trug seine Suppe betrübt wieder zum Herd zurück. (Fortsetzung folgt.)