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Pulsnitzer Mckenblatt Donnerstag, 18. August 1910. Beilage zu Ar. 97. 62. Jahrgang. In dem Arande auf der Brüsseler Weltausstellung. Vom Riesenbrand auf der Brüsseler Weltausstellung. Die Trümmerstätte. Brüssel, 16. Aug. Die mate riellen Werte, die durch den Brand auf der Brüsseler Welt ausstellung zerstört wurden sind sehr gewaltige. Belgien hat seine Juwelen in feuerfesten Schränken und Kastengewölben gerettet. Dagegen sind die Kost barkeiten der belgischen Silber industrie verloren nnd so un endlich viel anderes. Von Eng land aus wird gemeldet, daß nach der Schätzung der dortigen Versicherungen der englische Verlust allein 10 Millionen Mark betrage. Wahrscheinlich dürfte jedoch diese Summe viel zu niedrig getroffen sein. Manch einer der nur schwach versichert war, wird sich nur schwer vom Schlage erholen können, denn es gab Ehrgeizige unter den Belgiern, die glanzvoller ausge stellt halten, als es eigentlich die Größe ihres Geschäftes er laubt hätte. Ob die Verstcher- ungsgesellschasten alle genügend rückversichert waren und, ohne in Schwierigkeiten zu geraten, diesen schweren Schlag auSzu- halten vermögen, das alles weiß man hier noch nicht. Am mei sten jammern die kleinen Wirt schaftsinhaber, Bäcker, Fleischer, und sonstige kleine Inhaber von Alt-Brüssel, die zum Teil voll- ständig ruiniert sind. Brüssel, 16. August. Ueber die Verantwortlichkeit für die Brandkatastrophe in der Ausstellung ist ein lebhafter Streit ausgebrochen; allerdings bemüht man sich, die Ver antwortung abzuwälzen. Seitens der Gerichtsbehörden sind bereits eine Anzahl Personen vernommen, die in der Lage waren interessante Mitteilungen über die mutmaß liche Ursache de§ Brandes zu geben. Die Mehrzahl der vernommenen Personen sind Mitglieder des AuSstellungS- tomitees, sowie Angestellte der Ausstellung insbesondere Aufseher. Einem hiesigen Blattes zufolge geht aus den bisher erfolgten Erhebungen hervor, daß weder Kurzschluß noch Selbstentzündung als Ursache des Brandes in Frage kommen, wie dies zuerst angenommen wurde. Es bleiben daher nur zwei Hypothesen übrig, nämlich: Unvorsichtig keit oder böswillige Brandstiftung. Was die Unvorsich tigkeit der Besucher betrifft, so ist heroorzuheben, daß im Laufe des letzen Sonntags, des Tages der Brandkatastrophe, ein einziger Aufseher am Haupteingange der belgischen Abteilung über 100 Besucher daran erinnern mußte, daß das Betreten der Hallen mit brennender Zigarre oder Pfeife verboten sei. Zahlreiche Prozesse wurden bereits angestrengt. Allgemein ist man der Ansicht, daß die Lehre, die man aus der Katastrophe zu z ehen habe, die sein müsse, daß in Zukunft bei derartigen Ausstellungen nur isolierte Pavillons erbaut werden dürfen, und nicht eine große zusammenhängende Halle, wie dies wieder der Fall gewesen ist. DaS Exekutivkomitee der Ausstellung richtet Dankschreiben an die Truppenkommandeure wegen der energischen und tatkräftigen Mitwirkung der Armee bei den Rettungsarbeiten. Brüssel, 17. August. Die englische Regierung in der Person des Kabinettschefs und verschiedener Minister haben den belgischen Staat, sowie die Ausstellungsgesellschaft und deren Komitee und Mitglieder auf Schadenersatz für die Zerstörung der englischen Sektion in der Ausstellung vor Gericht geladen. Die englische Regierung hat be schlossen, im Namen ihrer sämtlichen Staatsangehörigen, welche Aussteller waren, zu handeln, um jede Verzögerung in der Prozessur zu verhindern und ihre Staatsange hörigen vor jedem Schaden zu bewahren. Die Anwälte der englischen Regierung verlangten die sofortige Er nennung von Experten zur Feststellung des Schadens. Sie weisen auf die Dringlichkeit hin, welche notwendig sei, um eine richtige Feststellung des Schadens zu sichern. Brüssel, 17. August. Der heute nachmittag aus Bayern auf dem Bahnhöfe von Brüssel eingetroffene König Albert von Belgien besichtigte bald nach seinem Eintreffen die Ruinen der Weltausstellung. Er verbleibt nur 24 Stunden hier in Brüssel und fährt schon morgen nach Bayern zurück. Der König drückte den Leitern des AuS- stellungSkomiteeS wiederholt sein herzlichstes Beileid aus. DaS Volk, das sich auf die Kunde des Kommens des Königs sehr zahlreich am Eingänge zur Ausstellung und in dieser selbst eingefunden hatte, begrüßte den König bei seinem Erscheinen außerordentlich lebhaft. Brüssel, 17. August. Im „Petit Bleu" untersucht ein Fachmann die Frage, nach der Verantwortlichkeit für den Schaden, der durch den Brand der Brüsseler Weltaus stellung verursacht worden ist. Nach Artikel 16 des Ver trages zwischen Regierung und Ausstellung lehnen die Ausstellungesellschaften und die Regierung jede Verant wortung für ein Risiko der Ausstellung ab. Sie ver pflichten sich aber alle Sicherheitsmaßregeln gegen FeuerS- gefahr zu treffen. Nach Artikel eines weiteren VertragS- formulareS sind die KompensationSinhaber für allen Schaden, der durch Niederreißen entsteht, verantwortlich. Auch lehnte das Exekutivkomitee jede Verantwortung ab. Der KonzesstonSinhaber müßte nachweislich versichert sein und im Falle er Feuerung irgendwelcher Art in seinen Räumen notwendig hatte, müßte er hierfür besondere Erlaubnis einholen. Der Fachmann weist an Händen einer Entscheidung des KaffationdhofeS vom 22. Februar 1900 nach, daß diese Verträge ungültig seien. ES ist nach dieser Gerichtsentscheidung unzulässig, daß einer der vertragschließenden Teile jede Verantwortung von sich weist, die durch Fehler (Dolus) entstehen könnten. Dem Aus steller selbst ist unmöglich, sich gegen FeuerSgefahr vor zusehen. Die Verpflichtung der Organisation beruht also nicht allein darin, alles auszuscheiden, was eine Gefahr verursachen könnte, sondern auch im voraus alles bereit zu halten, um gegen Unglück gewaffnet zu sein, falls es eintritt. Im Gegensatz zu dem schlechten Material, das für die abgebrannten Hallen verwandt wurde, ist bei der deutschen Abteilung eine ganz andere Vorsorge getroffen worden. Die Hallen sind vor allem aus Drahtgeflecht und Gips erbaut, das dem Feuer widerstandsfähig ist. Schon vor der Eröffnung der Ausstellung nahmen die Leiter der deutschen Ausstellung persönliche Löschprcben vor. Auch wurde der Wasserstrahl ausprobiert, welcher so stark war, daß bei einem Versuche die Leitungsröhre platzte. Bei der deutschen Abteilung waren auch stets Mannschaften mit eigenen Spritzen zur Stelle, sodaß jeder Zeit die Dächer dieser Abteilung hätten unter Wasser ge- setzt werden können. Brüssel, 17. August. Die Untersuchung über die Brandursache nimmt immer größeren Umfang an. Die Gerichtsbehörden Haden jetzt eine größere Anzahl von Sachverständigen zugezogen. Man scheint tatsächlich die Untersuchung so zu führen, als ob eine Brandstiftung vorliege. Brüssel, 17. August. Erst jetzt übersteht man die außerordentlich zahlreichen Diebstähle, die aus der Aus- stellung vorgenommen wurden. Man vermißt u. a. drei wertvolle Broschen, 100 perlenbesetzte Kolliers, 60 Kra- vattennadeln, 200 goldene Ringe, fast die gleiche Anzahl goldener Uhren, ein Diadem mit drei Brillanten, eine Uhr im Werte von 20000 Fr. Abhanden gekommen ist ferner eine außerordentlich wertvolle Münzensammlung, die alle Arten sranzößischeS Geld von den Zeiten der Gallier bis WrsuLa. 4- Roman von CourthS-Mahler. 1. Nachdruck verboten. In ewigem Eise erstarrt lag der Gipfel de< Wetterkogel hinter den drei Gestalten, die sich langsam auf dem mit Geröll bedeckten Weg« vorwärt» schoben. Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Der Nebel kam in dichten Schwaden au» den Tälern heraufgezogen und brachte frühe Dämmerung. Tiefe Stille ring»um. Nur die Schritte der drei Menschen, ihr tiefe» Atmen und zuweilen da» leise Gleiten «ine» gelösten Steine» waren ver nehmbar. Voran schritt Will Vollrat mit hocherhobenem Haupte. Die tiefliegenden, grauen Augen blitzten kühn unter der hohen, gewölbten Stirn hervor. Seine große, kraftvolle Gestalt bewegt« sich mit ruhiger Sicherheit vorwärt». In dem großzügigen, charaktervoll«» G«ficht prägt« sich frohe Genugtuung über die zu« rückgelegte Kletterpartie au». Ihm folgte mit weniger kräftigen und sicheren Schritten seine Gattin, eine schlanke, zarte Blondine mit lieblichem Gesicht und fieberhaft leuchtenden Augen. Von Zeit zu Zeit schwankte sie ein wenig. Dann legte sie verstohlen die Hand auf da» Herz und holte tief Atem. E» ging dann eine Weile wieder besser. Zuletzt ging der Führer. Er trug Rucksack und Seile, welche vor kurzem noch die drei^Personen aneinandergefesselt hatten. Der Wetterkogel drohte finster und in Nebel gehüllt hinter ihnen her. Der Führer, dessen wettergebräunte» Gesicht wie au» Erz gegossen schien, ließ die scharfen, Hellen Augen wachsam und spähend umherschweifen, um den rechten Pfad zu finden. Jetzt rief er Will Vollrat einige Worte zu, um ihm die Richtung an ¬ zugeben. Dieser nickte mit dem Kopfe und sah rückwärt» zum Gipfel de» Wetterkogel hinauf. Da oben hatten sie vor einigen Stunden gestanden nach mühevoll«» Klrtt«rarbeit. Will Vollrat hatt« jauchzend d«n ei»« gepanzerten G pfel erklommen und mit strahlenden Augen den überwältigenden Rundblick in sich ausgenommen. Wie schön, wie einzig schön und wunderbar! Eva Vollrat hatt« sich schwer atmend auf den Arm ihre» Gatten gelehnt. Mit schwärmerischer Innigkeit hafteten ihre Augen auf seinem kühn geschnittenen Profil, und seine machtvollen, strahlenden Augen hielten sie im Bann. Wa» galt Eva Vollrat die ganze märchenhafte Schönheit der gigantischen Glrtscherwelt gegen dir» geliebte Antlitz? Nur, um fich nicht von ihm trennen zu müssen, war fi« mit ihm hinaufgestiegen. Sir ertrug «» nicht, still da unten im Hotel zu sitzen und zu warten, bi« er zurückkam. Sie ging mit, wohin er sie führte. Kein Wort von ihr verriet, wie schwer ihr zuweilen di« anstrengenden Touren wurden. Und er, in seiner kraftstrotzenden Vollnatur, hatte keine Ahnung davon. Er glaubte, alle» getan zu haben, wenn er sein wilde», Ungetüme» Vorwärttstreben bezwang und fich in «in mäßige» Tempo fügt«. Er nahm e» al» selbstverständlich hin, daß seine Frau denselben Genuß bei den Kraxelpartien «m« pfinden müsse, wie er selbst. So schön wie hier oben in feinen geliebten Bergen war e» doch sonst nirgend» auf der Welt. — Bei gutem, klarem Wetter hatten sie den Abstieg begonnen. Er war Eva Vollrat viel beschwerlicher erschienen al» der Auf« stieg. Obwohl die Parti« auf drn Wettirkogel nicht zu den schwersten gehörte — Will hatte au» Rücksicht für seine Frau von drn gefährlichsten Touren Abstand genommen — so er« schien sie doch Eva al» ein mühevolle», gefährliche» Unternehmen. Ihr Herz klopfte in wilden, angstvollen Schlägen, wenn wieder und wieder eine gefährliche Stell« genommen werden mußte. Sie dachte bang an all die Unglück»sälle, von denen sie in den Zeitungen gelesen. Auch der Wetterkogel hatt« schon Opfer ge« fordert, da» wußte sie. Die Kniee zitterten unter ihr, di« Puls« flogen — aber sie lächelte dabei. Will konnte ängstliche Frauen nicht leiden, und schwächliche Naturen waren ihm unsympathisch Auch hätte er sie da» nächste Mal unweigerlich von derartigen Au»flüg«n au»geschloffen, wenn er eine Ahnung bekam, wie e» in ihr au»sah. Deshalb bezwang sie heldenhaft alle», wa» ihm ihren Kleinmut, ihre Schwäche verraten konnte. Sie lächelte, während sie sich manchmal nur mühsam fortschleppte. Und ihr Mann war ohne «ine Ahnung davon, welche vtra« pazen er ihr zumutete. Starke und gesund« Menschrn können sich selten einen Begriff davon machen, wie e» schwachen und zarten Naturen zumute ist. Al» sie den obersten Gipfel noch nicht ganz hinter fich hatten, schlug da» Wetter um. E n eisiger Wind trieb Nebelwolken zu« sammen. Sie blieben am Wetterkogel hängen und verbreiteten Kälte und Dunkelheit. Bi» zur Schutzhütte war e» vom Fuße de» Gipfel» immer noch eine Stunde Weg». Eva fror innerlich, während ihr Gesicht brannte und wie von tausend Nädelchen zerstochen schien Aber sie ließ sich nicht» merken, wie elend schwach ihr zumute war. Tapfer mit Aufgebot ihrer letzten Kraft schritt fi« zwischen den beiden Männern dahin und verlangte sehnsüchtig nach Ruhe und Erholung. Je weiter sie inde» vorwärt» kamen, desto unsicherer wurde ihr Gang. Sie fühlte, e» war bald zu Ende mit ihrer Kraft. Nur mit größter Willen»anstrengung vermochte sie fich noch auf« rechtzuerhalten. E» wallte blutrot vor ihren Augen, die ihr brannten von der eisigen Luft. Eie erschauderte innerlich und biß die Zähne zusammen, daß sie nicht im Frost aufeianderschlugen. Di« Brust schmerzte unter den mühevollen Atemzügen. So elend fühlte sie sich, so st«b,n»elrnd. Al» fich aber jetzt Will mit strahlenden Augen nach ih, umsah, ihr lächelnd zurief: „Wie schön, Eva — sieh, wie gigan