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Pulsnitzer Wochenblatt : 19.03.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-03-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Pulsnitz
- Digitalisat
- Stadt Pulsnitz
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1840935979-191003193
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1840935979-19100319
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1840935979-19100319
- Sammlungen
- LDP: Bestände der Stadt Pulsnitz
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Pulsnitzer Wochenblatt
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-03
- Tag 1910-03-19
-
Monat
1910-03
-
Jahr
1910
- Titel
- Pulsnitzer Wochenblatt : 19.03.1910
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Nr. 32. Pulsnitzer Wochenblatt. — Sonnabend, den 19. März 1910. Seite 2. Pulsnitz. Die feierliche Entlassung der Kon- ! firm and en unserer Stadtschule fand am vergangenen ! Donnerstag abends 7 Uhr in der Turnhalle statt. Diese Feier, zu der sich Herr Bürgermeister vr. Michael, Herr Pfarrer Schulze, Herren des Rates und des Stadtverord- neten-Kollegiums, das gesamte Lehrerkollegium und zahl reiche Angehörige der abgehenden Schüler und Schüle rinnen eingefunden hatten, wurde mit dem allgemeinen Gesang: Lied 522, 2, eröffnet. Herr Kantor Bartusch deklamierte hieraus eine Dichtung von Herrn Schuldirektor Brück, betitelt: „Zur Schulentlassung". Nach dem Gesang des Lehrerkollegiums: „Nur in des Herzens heilig ernster Stille", komponiert von Flemming, hielt Herr Oberlehrer Schmalz die Entlassungsrede, deren Text „Phil 3, 12" (Pauli Selbstzeugnis) er in eine dreifache Mahnung für unsere Abgehenden ausklingen ließ: 1. Im Glauben be kennt es: Wir sind von Christo Jesu ergriffe ; 2. In Demut bezeugt es: Nicht, daß wir es schon ergriffen haben oder schon vollkommen seien; 3. In Treue gelobt es: Wir jagen ihm aber nach, ob wir es auch ergreifen möchten. Diese zu Herzen gehende und erbauende Rede des ge schätzten Herrn Lehrers, in der er nicht nur herzliche Worte des Abschiedes, sondern auch ernste Worte der Warnung und Mahnung den Abgehenden zurief, fand eine Bestätigung darin, daß ein christlich lutherischer Gerst durch unser SchulhiruS geht! Nach aber maligem Gesang des Lehrerkollegiums: „Abendlied" von Hering, entließ Herr Oberlehrer Schmalz, als stellvertre tender Schuldirektor, die Abgehenden durch Handschlag und händigte ihnen ihre Zeugnisse aus. Hierauf sang Klasse II ein Abschiedslied. Nach dem allgemeinen Gesang eines Gesangbuchliedes fand diese schöne Feier ihr Ende. Die Abgehenden verließen in freudiger aber wohl auch weh mütiger Stimmung ihr ihnen lieb gewordenes Schulhaus, und die Erwachsenen trennten sich in dem Bewußtsein, zu einer frommen Andacht vereint gewesen zu sein. Pulsnitz. Herr Pastor Prehn hat, wie uns berichtet wird, vom Direktorium des Landesvereins für innere Mission einen Ruf erhalten, als zweiter Geistlicher in dessen Arbeit einzutreten. Er gedenkt, diesem ehrenvollen Rufe zu folgen, und wird Mitte April unsere Gemeinde ver lassen und nach Dresden übersiedeln Pulsnitz. Wie den hiesigen Innungen aus Zittau mitgeteilt wird, beabsichtigt die Gewerbekammer zu Zittau in der Zeit vom 5. April bis 13 Juli 1910 in Bischofs werda einen Unterrichtskursus für Frauen und weibliche Angehörige von Handwerkern und Gewerbetreibenden avzuhallen. Dieser Kursus wird sich auf Buchführung, Geschäftskorrespondenz, Wechselrecht, Arbeiterversicherungsgesetze und Gewerberecht erstrecken. Der Unterricht soll zweimal wöchentlich und zwar Diens tags und Freitags erteilt werden. Es ist eine feststehende Tatsache, daß der Handwerker der Gegenwart, wenn er seinen praktischen Beruf nicht vernachlässigen will, oft kaum in der Lage ist, die schriftlichen Arbe ten, insbeson dere die Buchführung und die Geschäftskorrespondenz selbst ordnungsmäßig zu erledigen. Daraus ist die Uebung entstanden, daß diese Arbeiten vielfach durch Frauen und Töchter der selbständigen Handwerker aus geführt werden und es ergibt sich hiernach von selbst die Notwendigkeit, die erforde lichen Kenntnisse und Fertig keiten auf diesem Gebiete den Handwerkerfrauen- und -töchtern zu vermitteln. Die Gewerbekammer zu Zittau richtet nun an die Obermeister der hiesigen Innungen die Bitte, ihren Mitgliedern die Beteiligung deren Frauen und weiblichen Angehörigen an diesem Kursus anzur'ten, da er Gelegenheit bieten soll, sich mit dem nötigen Rüst zeug auszustatten. Nähere Auskunft erteilen die Ober meister der hiesigen Innungen. Dresden. Prinzessin Mathilde begeht heute ihren Geburtstag, an dem sie ihr 47. Lebensjahr vollendet. Dresden. Der Bürgerausschuß für vaterländische Kundgebungen zu Dresden plant in diesem Jahre eine größere Feier des SedanfesteS anläßlich der 40jährigen Wiederkehr dieses denkwürdigen Tages. 8. Dresden, 16. März. (Tumultszenen in einer Spiritistenversammlung.) In Dresden ist die Zahl der Spiritisten außerordentlich groß. In großen und kleinen Zirkeln, offen und versteckt, werden Geister beschwörungen veranstaltet und diejenigen, die aus „Gei- jtererscheinungen" ein Geschäft zu machen verstehen, fin den meist in Dresden ein dankbares Publikum und reiche Ernte. So auch am Dienstag abend im städtischen Aus- stellungSpalast, wo sich Hunderte von Personen, darunter natürlich viele Frauen, eingefunden hatten, um einem Vortrage des Vorsitzenden des deutschen Spiritualisten- bundeS, Kessemeier, über das Thema „Es gibt ein Fort leben nach dem Tode!" beizuwohnen. Viele waren auch wohl gekommen, um angekündigte Geistererscheinungen zu erleben. ES kam am Schluffe zu einem ungeheueren Tumult und es wäre sogar fast zu Tätlichkeiten gekommen. Der Redner behauptete die ungeheuerlichsten Sachen, er sprach von Geistern, die auf der photographischen Platte festgehalten worden seien, behauptete, daß ein Geist eine unter einer Glasglocke stehende Wage belastet habe, konnte aber neue Beweise für das Fortleben nach dem Tode nicht erbringen. Jetzt brach der Unwille der Anwesenden los. Zunächst trat ein Dresdner Arzt hervor > suchte den Hokuspokus zu widerlegen Der R ' . sich- aber nicht irre machen. Er kau - ruh—ildcr aus dem Geisterreiche. Auf photographische Platten bemerkte man angebliche Geistergestalten en Zro8. Anwesende Photographen klärten aber das große Geheimnis aus. Nun brach ein EntrüstungSsturm unter den Hunderten los. Ungeheurer Tumult erfüllte den bis auf den letzten Platz gefüllten Saal. DaS Publikum, das in leinen Erwartungen sich bitter getäuscht sah, pfiff und schrie. Rufe wie „Schwindler", „Betrüger", „Wir wollen unser Geld zurück haben", „Wir wollen Geister sehen!" erfüllten daS HauS. Hunderte von Damen und Herren erstürmten das Podium, um den Geisterbeschwörer beim Kragen zu nehmen. Der hatte sich aber schleunigst aus dem Staube gemacht und nun kanme die Wut der Anwesenden keine Grenzen mehr. „Seht den Feigling, wie er davon läuft. Er will sein Geld in Sicherheit bringen, das er den Dresdnern abgeschwindelt hat!" scholl es hinter dem Spiritistenhäuptling her. Dann aber kam Herr Kessemeier zurück, und ein anwesender Oberlehrer rief ihm sofort mit lauter Stimme entgegen: „Ich verlange, daß Sie mir einen Geist zitieren, dann bin ich der treueste An hänger!" Aber Herr Kessemeier ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Unter höhnischem Gelächter des Publi kums erklärte er, „daß Verstand nur bei wenigen Men schen zu finden sei" Alles Neue breche sich nur schwer Bahn. — Wieder entstand ein ungeheurer Spektakel. „Warum nehmen Sie uns denn das Geld ab, das ist ja alles Schwindel und Betrug, geben Sie unser Geld her aus!" schallte es aus tausendfältigem Munde dem Herrn Kessemeier entgegen. Eine Ausländerin, die sich wie ra send gebärdete, erklärte mit kreischender Stimme, sie werde nicht eher den Saal verlassen, als bis sie den an- gekündigten Geist gesehen habe. Höhnisches Gelächter war die Antwort. Inzwischen hatte sich in dem allge mein.n Tumult Herr Kessemeier mit gefüllten Taschen unsichtbar gemacht, und als das Publikum das Ver schwinden des schlauen Herrn bemerkte, stürmte es wü tend und schimpfend in die Garderoben. Planen. Der Streik der Buchbinder und Karto- nagenarbeiter ist nach achtwöchiger Dauer beigelegt wor den, nachdem der Tarif von den Arbeitgebern und der Leitung der Arbeitnehmer unterschrieben worden ist. Säcdsiscdsr Landtag. Dresden, 17 März. (Zweite Kammer.) Zur Schlußbera- tnng steht zunächst der Antrag Brodaus und Gen., die Regierung zu ersuchen, der Ständeversammlung noch in der laufenden Session einen Gesetzwurf vorzulegen, durch den die Bestimmungen über die Ruhe an Sonn- und Feiertagen und über die geschlossene Zeit einer Neuregelung insbesondere dahin unterzogen werden, daß die stille Zeit vor Ostern eingeschränkt werde. Abg. Hartmann (ntl.) erstattet namens der Gesetzgebungsdeputation den Bericht. Die Verhältnisse in unserem Vaterlande hätten sich so verschoben, daß die 40 Jahre alten Gesetze über die Sonntagsruhe dringend einer Aenderung bedürften. Einmütig habe die Deputation sich ent schlossen, die geschlossene Zeit vor Weihnachten erst am 22. Dezem ber an beginnen zu lassen. Betreffs der geschlossenen Zeit vor Ostern seien die Ansichten auseinander gegangen. Die Minorität wolle sie 8 Tage vor Valmarum beginnen lassen, die Majorität erst am Sonntag vor Palmarum für öffentliche Tanzmusiken und für Familienfestlichkeiten erst von Gründonnerstag ab. Eine leb hafte Aussprache habe auch über die Bestimmungen des Sonntags gesetzes stattgefunden und die Mehrheit der Deputation neige der Auffassung zu, den Sonntag erst morgens 6 Uhr beginnen zu lassen. Nach den jetzigen Bestimmungen sei es fast unmöglich, an Sonnabenden Tanzmusiken abzuhalten, besonders nachdem das Oberverwaltungsgericht entschieden habe, daß der Sonntag nachts 12 Uhr beginne. Staatsminister Graf Vitzthum v. Eckstädt er klärt, die Regierung sei bereit, die Bestimmungen über die Be obachtung der geschlossenen Zeit einer Durchsicht daraufhin zu unter ziehen, inwieweit sie eine Minderung erfahren können. Sie könne schon jetzt zusichern, daß der Antrag der Deputation, die geschlos sene Zeit vor Weihnachten erst am 22. Dezember beginnen zu lassen, voraussichtlich auf keine Bedenken gestoßen wird. Auch eine Verkürzung der stillen Zeit vor Ostern werde vorzusehen sein. Dagegen glaube die Regierung auf den Wunsch kaum eingehen zu können, die Karwoche bis Mittwoch für Familienfestlichkeiten freizulassen. Auch zur Abänderung des Sonntagsgesetzes in der Richtung des Antrages gedenkt die Regierung die Hand zu bieten, freilich nicht in dem Umfange, daß die Nachtstunden bis früh 6 Uhr für alle geräuschvollen Vergnügungen unbeschränkt freizu geben wären. Hierauf entspinnt sich eine längere Debatte, in der sich die konservativen Abgeordneten Dr. Spiest, Horst, Aockel, Hähnel und Schönfeldt im Sinne der Minderheit der Deputa tion und die Abg. Nitzschke (Natl.), Brodauf (Freis.), Riem Soz.) und Schwager lFreis.) im Sinne der Mehrheit aussprachen. Auch Kultusminister Dr. Berk nahm nochmals Veranlassung den Stand punkt der Regierung darzulcgen. Hierauf wurde der von der Deputation einstimmig gestellte Antrag, als geschlossene Zeiten die Tage von Sonnabend vor Sonntag Palmaruni bis mit dem ersten Osterfeiertag sowie die Tage vom 22. Dezember bis mit dem 1. Weihnachtsfeiertage gelten zu lassen, einstimmig angenommen. Der Mehrheitsantrag der Deputation, die Regierung zu ersuchen, eine Bestimmung dahin zu treffen, daß in der Karwoche Familien- festlichkeitcn mit Tanz (nicht Privatfestlichkeiten schlechthin) bis ein schließlich Mittwoch vor Ostern erlaubt sind, wird mit 49 gegen 21 Stimmen angenommen. Weiter nahm die Kammer den zum Sonntagsgesetz gestellten Mehrheitsantrag der Deputation, den Sonntag erst nwrgens 6 Uhr beginnen zu lassen mit 49 gegen 26 konservative Stimmen an. Der Minderheitsantrag, die Ruhe zeit bereits 2 Uhr morgens beginnen zu lassen, wurde abgelehnt. Die Petitionen soweit sie sich mit den gefaßten Beschlüssen decken, wurden für erledigt erklärt, im übrigen aber auf sich beruhen ge lassen. Zwei Petitionen, die denselben Gegenstand betreffen, wurden an die Beschwerde- und Petitionsdeputation überwiesen. Es wird sodann eine große Reihe von Kapiteln des ordentlichen Etats ohne erhebliche Debatte bewilligt. Bei Kapitel 52, Landesmedizi nalkollegium fragt Abg. Frästdorf (Soz.), ob die Regierung bereit sei, in Zukunft bei Beratung des Landesmcdizinalkollegiums über Fragen, welche die Krankenkassen betreffen, auch deren Vertreter zu hören. Ministerialdirektor Geheimrat Dr Rumpelt erwidert: Im Landesmedizinalkolleginm könnten nach den jetzigen Bestimmun gen außerhalb dieses Kreises Stehende nicht gehört werden. Ueb- rigens sei das Kollegium nur eine begutachtende Behörde. Das Kapitel wird sodann bewilligt, ebenso eine Reihe weiterer Kapitel. Bei Kapitel 64, Gewerbe- und Dampfkesselaufsicht, kritisieren die Abgeordneten Held und Linke (Soz.) die Tätigkeit der Gewerbcin- spektoren und verlangen die Stellung der Hausindustrie unter die Gewerbcaufsicht. Abg. Günther (Freis) hält die Unterstellung der gesamten Hausindustrie unter die Gewerbeaufsicht nicht für empfehlenswert. Abg. Merkel (Natl.): Die Arbeiterführer sollten lieber dafür sorgen, daß die Arbeiter auch die Schutzvorrichtungen und andere Bestimmungen genau beachteten. Die Sozialdemokra tie wolle die Hausindustie gänzlich vernichten, weil sich die Heim arbeiter nicht organisieren ließen. Abg. Winkler (Soz.) meint, durch die Heimarbeit würden die gesetzlichen Bestimmungen über die Arbeits zeit illusorisch gemacht. Nach weiterer Debatte wird das Kapitel 64 nach der Vorlage genehmigt. Es folgt die Schlutzberatung über den Gesetzentwurf über die Feuerversicherung bei privaten Versiche rungsunternehmungen und die dazu vorliegenden Petitionen. Abg. Löbner (Natl.) berichtet eingehend über die Dcputätionverhand- lungen. Der Entwurf habe in der Deputation eine gründliche Umänderung erfahren. Redner erörtert die wichtigsten Bestimmun gen des Gesetzes, welche nunmehr derartig gestaltet sei, daß man auch die Uebcrschrift habe ändern müssen. Die Deputation bean trage, das Gesetz zu nennen „Gesetz über die Feuerlöschkasscnbei- träge der privaten Feuerversicherungsunternehmungen." Die Abg. Hähnel (Kons.) und Aleinhempel (Natl.) erklären sich im allge meinen mit den Deputationsbeschlüssen einverstanden. Hierauf wird das Gesetz nach den Anträgen der Deputation einstimmig angenommen. Dresden, 18. März. In der Zweiten Kammer gab es heute vor Eintritt in die Tagesordnung die erwarteten Erklärungen. Zunächst teilte Präsident Dr. Degel folgendes Schreiben der so zialdemokratischen Fraktion an das Präsidium mit: Im Auftrage der Fraktion bitten wir eine Untersuchung darüber anznstellen, ob, wie die „Leipziger Neuesten Nachrichten" vom 16. März und die „Zwickauer Zeitung" vom 17. März behaupteten, Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion das amtliche Stenogramm zu beein flussen versucht haben. Wir bitten, das Ergebnis der Untersuchung der Kammer mitzuteilen und dieses zur allgemeinen Vorberatung auf die Tagesordnung zu setzen. Fräßdorf, Sindermann. Sodann gab Ministerialdirektor Geheimer Rat r>. Sevdewitz eine persön liche Erklärung ab über den vom Abg. Heldt (Soz.) in der Sitzung am 9. März gefallenen Zwischenruf. Er selbst habe denselben nicht gehört und hätte die Angelegenheit auch nicht weiter verfolgt, wenn die Presse sich nicht mit dein Zwischenruf befaßt hätte. Erst dann hätte er beim Präsidium nachträglich die Erteilung eines Ord nungsrufes gegen den Abgeordneten Heldt in Anregung gebracht. Hierauf verlas Präsident Dr. Vogel, eine Erklärung des Inhalts: Die von mir von dem Ministerium 'des Innern verlangte Unter suchung in der Angelegenheit des abgeänderten amtlichen Steno gramms hat stattgefunden und das Ministerium des Innern teilt mir mit, daß der Zwischenruf „Pfui Teufel" von den Berichterstat tern des „Dresdner Journals" zwei Referendaren, eingefügt wor den ist, nachdem sie den Zwischenruf in den Tagesblättern gelesen, ihn im amtlichen Stenogramm aber vermißt und deshalb noch abends 10 Uhr sich mit dem Finanzminister Dr. r>. Rüger ver- verständigt hatten, der ihnen die Weisung gab, den Zwischenruf in das amtliche Stenogramm hineinzukorrigieren (Zurufe unglaub lich . Der Zwischenruf selbst ist von einigen Herren auf der Jour nalistenbühne vernommen worden. Ebenso sollen mehrere Abge ordnete sich bereit erklärt haben, zu bezeugen, daß sie den Zwischen ruf gehört haben. Der Präsident fügte hierauf noch hinzu, daß er mit den Worten „tatsächliche Fälschung" nichts anders habe sagen wollen, als daß eine nach seiner Meinung unbefugte Ab änderung vorlieae. Jede andere Auffassung habe ihm selbstver ständlich fern gelegen. Im klebrigen habe er keine Veranlassung von seiner Erklärung etwas zurückzunehmen. Die von der Regie rung anders aufgefaßte Frage, unter welchen Voraussetzungen Aenderungen oder Ergänzungen der stenographischen Niederschrif ten zulässig seien, werde späterem Einvernehmen der Direktorien beider Kammern mit der Regierung unterliegen und nach Befin den im Wege der Gesetzgebung erledigt werden. Nach einer län geren sehr erregten Geschäftsordnnngsdebatte tritt die Kammer endlich in die Tagesordnung ein und erledigte zunächst einige Kapitel des Rechenschaftsberichtes, bett. Bauverwaltereien, Albrechts burg in Meißen, verschiedene bauliche Zwecke und allgemeine tech nische Zwecke, wobei nachträglich die vorgekommenen Etatsüber- schreitungen genehmigt wurden. Hierauf bewilligte die Kammer ohne Debatte mehrere Titel des außerordentlichen Etats, Eisen bahnangelegenheiten betreffend und zwar sämtlich nach der Vor lage und vertagte sich alsdann auf Mittwoch den 30. März, nach- mittags 2 Uhr. Eisenbahnsachen. lagksgescklcktL- Deutfches Reich. Der Reichskanzler v. Bethmann- Hollweg hat mit seinen tapferen Darlegungen über die auswärtige Politik des Reiches viel Zustimmung gefun den. Auch ausländische Blätter kargen nicht mit ihrer Anerkennung. So meint die Wiener „N. Fr. Pr.": Aus der Mittwoch-Debatte ging Herr v. Bethmann-Hollweg mit verstärkter Autorität hervor. So wie er gesprochen, spricht ein aufrichtiger Mann, der nichts Höhere? kennt als seine Pflicht und der er nach bestem Wissen und Ge wissen nachstrebt Selbst Londoner Blätter begrüßen die Rede, der sie den ernsten Willen des deutschen Reichs kanzlers entnehmen, seine auswärtige Politik mit Stetig keit zu führen. Unzufrieden sind allein die deutschen Organe, die Bethmanns äußere Politik mit derjenigen Bismarcks vergleichen, der gerade vor 20 Jahren in den Ruhestand trat. Die „Leipz. N. N." schreiben: Bismarcks Politik war klug und rücksichtslos, Herrn v. Bethmanns ist tugendhaft. Nur daß di Tugend schon vor den Zeiten Macchiavellis in der Politik den Kurswert verloren hatte. — Der „Tägl. Rundsch." wird mitgeteilt, daß auch der Fürst von Reuß j. L. keine Zivilliste bezieht. Dem Fürstenhause wurden seiner Zett die Domänen und Forsten de? Landes mit ihrer Nutznießung zugesprochen, wofür daS Fürstenhaus dem Lande als Entschädigung eine Million zahlte. — Pastor v. Bodelschwingh, der bekannte Philantrop, hat zu feinem 80. Geburtstag u. a. auch herzliche Glück wünsche des KaiserpaareS erhalten. — Die Heraufsetzung des Diskonts der Bank von England um 1 auf 4 Proz. kam völlig überraschend und um die jetzige Zeil als etwas ganz ungewöhn liches. Wird auch bei uns das Geld teurer werden? Berlin, 18. März. Die heutige Feier auf dem Fried hof der Märzgefallenen im Friedrichshain gestaltete sich reger als in den vorangegangenen Jahren. Von früh 7 Uhr ab strömten größere Menschenmengen, da runter viele Frauen, dem Friedhof zu Gegen 10 Uhr waren bereits 7000 Menschen an den Gräbern vorüber gezogen. Aus zahlreichen Etablissements in Berlin und Umgebung haben Arbeiter und Arbeiterinnen Kränze ge sandt, desgleichen aus den Staatsbetrieben in Spandau. Die Zensur der Kranzschleifen wird sehr milde gehand habt. — Der Polizeischeere verfielen auf dem Friedhof der Märzgefallenen bis mittags 52 Schleifen, darunter 15 von Anarchisten gewidmete. Ein Abgesandter des Anarchistendundes in Göttingen wurde verhaftet, als er einen Kranz mit der Inschrift „Nieder mit dem Parla ment! Nieder mit der Monarchie! Hoch die Anarchie!" niederlegen wollte. Er wurde zur Feststellung seiner Personalien von zwei Kriminalschutzleuten nach dem Polizeipräsidium übergeführt. Weitere Sistierungen find nicht vorgenommen worden. Berlin, 18. März. Gestern abend hatte der Präsident der Deutsch-Astatischen Gesellschaft, Generaloberst v. d. Goltz Pascha, zu einem offiziellen Herrendiner einge laden Frhr. v. d. Goltz erwähnte in seiner Ansprache, er hoffe, aß die Gesellschaft sich auch fernerhin langsam, ruhig, aber stetig weiter entwickeln möge zum Vorteil und Segen der beteiligten Völker. Zum Schluß verabschiedete sich Frhr. o. d. Goltz für längere Zeit vom Präsidum, da, wie er ausführte, der Kaiser ihn mit einem besonderen Auftrage nach Argentinien gesandt habe. Berlin, 18. März. Heure nacht gegen 1 Uhr zog eine mehrhundertköpfige Menge vom Spittelmarkt kommend, die Leipziger Straße entlang unter Hochrufen aus daS Wahlrecht und Absingen der Arbeiter-Marseillaise. An der Ecke der Wilhelmstraße machte ein Tr pp M'ene,
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