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Nr. 28. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, den 10. März 1910. Seite 2. Zeit so ersprießliche Beweise der Wohltätigkeit im Dienste s der Nächsten- und Vaterlandsliebe erbracht hat, daß sich i immer mehr und mehr finden mögen, welche diese gute j und edle Sache unterstützen und fördern helfen. «A. , Pulsnitz. Da in einzelnen Klassen unserer Schule ) eine größere Anzahl der Schulkinder erkrankt ist, werden ) deren Eltern gebeten, die betreffenden Prüfungsord- > nungen beim Herrn Schulhausmeister Schwiebus abholen < zu lassen. Krück. Pulsnitz. Im Gasthof zu Pulsnitz M. S. veranstal- ' tet Herr A. M. Symmank nächsten Sonntag, Montag und Dienstag eine Ausstellung seiner in 10 Jahren her gestellten Holzschnitzereien, die in 500 Flaschen eingebaut sind. Diese sehr sehenswerte Ausstellung ist in zwei Teile gegliedert, der erste Teil umfaßt Historien des alten Testaments, der zweite Teil Begebenheiten aus aller Welt, wie Landschaften Denkmäler, Burgen rc. Diese Arbeiten sind einzig in ihrer Art und können dem Besuch des Publikums empfohlen werden. Ohorn. Gegentlich des Oster-Examens sind auch die ses Jahr wieder verschiedene bedürftige Konfirmanden hiesiger Schule mit Geldunterftützungeu bedacht worden. Die Mittel hierzu gewähren d:e Zinsen des Oswaldschen Legates und vor all m der Beitrag des WohltätigkeitS- vereinS „Sächsische Fechtschule", Verband Rödertal. Es wäre zu wünschen, daß die guten Zwecke dieses Vereins auch in unserer Gemeinde durch Entnahme recht zahlreicher Mitgliedskarten zu 50 Pfg. gefördert würden. Niederstem«. Der hiesige Bezirksobstbauverein hält nächsten Sonntag eine außergewöhnliche Versamm lung im Gasthof zum Vergißmeinnicht ab, wo unter anderem ein Vortrag des in Sachsen und weit darüber hinaus wohlbekannten Bauschulenbesitzers Herrn Paul Hauber, Tolkewitz-Dresden, stattfindet. (Siehe Inserat in heutiger Nummer.) In Anbetracht des großen Inte resses, welches die weitere Ausdehnung unseres Obstbaues genießt, machen wir auch an dieser Stelle auf den Vor trag aufmerksam. Der Bezirksobstbauverein versucht auch die breitesten Schichten der Bevölkerung mit den Maß nahmen zur Förderung des Obstbaues bekannt zu machen. Er vermittelt ebenso den Bezug der Obstbäume, er gibt Auskunft in Fragen des allgemeinen Obstbaues und ist so bestrebt, den Nutzen einer rationellen Obstkultur in alle Kreise zu tragen. In diesem Sinne mache wir aus die Versammlung am 13. März aufmerksam und möchten noch speziell erwähnen, daß Freunde und Liebhaber des Obstbaues auch als Gäste herzlich willkommen sind. o. 0. Bautzen. (Sitzung des Kreisausschusses.) Unter dem Vorsitz des Herrn Kreishauptmann v. CrauS- haar fand Sonnabend vormittag von 11 Uhr ob im Sitzungssaale der Königl. Kreishauptmannschaft öffentliche Si ung des KreiSauSschusseS statt. Die Tagesordnung umfaßte 14 Beratungsgegenstände. Genehmigt wurde u. a. die Aufnahme eines DarlehnS von 300000 Marl seitens der Stadtgemeinde Pulsnitz zur Erweiterung der städtischen Elektrizitätswerke, weiter die Veränderung der Bezirksgrenzen der Amtshauptmannschaften Kamenz und DreSden-Neustadt anläßlich eines AlealauStausches zwischen der Gemeinde Großröhrsdorf und dem selbstän digen Gutsbezirk Staatsforstrevier RöhrSdorf, sowie der 1. Nachtrag zur Anlagenordnung für die Stadt Pulsnitz vom 16. Januar 1903. Dresden, 9. März. Das frühere Mitglied der Ersten Ständckammer und langjähriger Vorsitzender des Auf sichtrats der Dresdner Bank vr. ing. Geh. Jinanzrat a. D. Hans F. Jenke ist gestern abend am Herzschlage gestorben. Geh. Rat Jenke war auch lange Zeit in der Leitung der Krupp'jchen Werke tätig gewesen. Dresden. Zum Syndikus des Sächsischen Bauern- bundes wurde der Direktor der Landhausbaugesellschaft Erdmannshain-Naunhof bei Leipzig, vr. Constantin Neu mann gewählt. Der Sitz der Bundes befindet sich in Dresden. Klotzsche. Herr Schulrat vr. Lange hielt am Sonn abend im Bahnhofshotel eine amtliche Konferenz mit der Lehrerschaft des Pädagogischen Zweigvereins Klotzsche-Lausa uyd des Radeberger Lehrervereins ab. Der Herr Vorsitzende hielt einen Vortrag über die öffent lichen Schulprüfungen. Diese für Kinder, Lehrer und Eltern wertvollen Veranstaltungen sollen nicht abge schafft, sondern — wo erforderlich — zweckmäßiger ge staltet werden. Sie sollen einen Einblick gewähren in die Art und Weise des Arbeitsbetriebes der Schule und in der Tüchtigkeit der Schüler. Letztere sollen in der Prüfung zeigen, das Gedächtnis (Kenntnisse), Ver stand (Erkenntnisse) und Gemüt (Interesse) gepflegt worden sind. Die Prüfungen müssen die Form einer denkenden Wiederholung haben. Das Thema ist nach Schluß des Unterrichts zu stellen und mutz den Schülern selbstver ständlich unbekannt sein. 8. (Ein grauenhaftes Reiseerlebnis — Mör der unter dem Bett.) Von einem furchtbaren Erleb nis erzählt der in Sachsen allgemein bekannte Viehhänd ler Franz Weiser aus Zwötzen im Vogtlande. Weiser bereist schon seit einer langen R ihe von Jahr m Danzig und Umgegend und kauft dort Vieh zu Zucht- und Schlachtzwecken auf. Aus seiner letzten Reise in die Dan ziger Gegend ist Weifer nur mit genauer Not einem sicheren Tode entronnen. Die Schilderung seines Erleb nisses ist grauenhaft. Am letzten Freitag logierte Weiser im Hotel „Zum grünen Baum", das er bereits seit länger als 10 Jahren besucht. Er hatte mehr als 30000 Mark bares Geld bei sich, das er wohlverwahrt in einer leder nen Tasche auf der Brust trug. In den Abendstunden begab sich Weiser auf sein Zimmer, um noch einige Ge- schäftsbriese zu erledigen. ES war bereits dunkel im Zimmer und daher zündete sich Weiser die Lampe an. Er warf das noch glimmende Streichhölzchen auf den Fußboden vor seine Lagerstätte. Plötzlich bemerkte er, wie sich unter dem Bette hervor eine menschliche Hand nach dem Streichholz ausstreckte und dann wieder ver schwand. Das Blut erstarrte dem Manne fast in den Adern. Er verlor in diesem kritischen Augenblicke aber keineswegs die Geistesgegenwart und die Ruhe, sondern ging, die Augen fest auf das Bett gerichtet, auf die Zimmertüre zu, öffnete dieselbe und trat aus den Korri dor des Hotels. Gleichzeitig verschloß er die Türe und begab sich nach unten in das Gastzimmer, wo er den anwesenden Gästen sein Erlebnis erzählte und sie auf- forderte, mit ihm nach oben in sein Zimmer zu kommen. Mehrere Männer begleiteten den sächsischen Viehhändler, untersuchten das Bett und fanden unter der Lagerstätte den Sohn des Hotelbesitzers, ausgerüstet mit einem großen FleischeÄeile, einem Revolver und einem Messer. Man zog den sich heftig wehrenden Menschen hervor und über gab ihn sofort der Polizei. Noch in derselben Nacht er folgte auch die Verhaftung des Vaters, des Hotelbesitzers, der der Beihilfe oder der Anstiftung zu dem geplanten Raubmorde dringend verdächtig ist. In dem zum Hotel gehörigen Garten machte man dann noch eine andere Entdeckung; man fand nämlich eine frisch geschaufelte Grube, die Vater und Sohn am Tage zuvor gemeinsam gegraben hatten. Da die Verhafteten keinen triftigen Grund anzugeben vermochten, zu welchen Zwecke die Grube gegraben worden war, fo nimmt man an, daß sie zur Aufnahme der Leiche des Viehhändlers dienen sollte. Chemnitz. Die Landestagung der national liberalen Partei sand letzten Sonntag hier statt. Zur öffentlichen Hauptversammlung waren Delegierte aus allen Teilen Sachsens erschienen; außerdem Land tagspräsident vr. Vogel und die Abgeordneten Lang hammer, Nitzschke, Posern, Hettner, Göpfert und Döhler. Den Vorsitz führe Gontard-Leipzig, der die Anwesenden begrüßte und mit einem Hoch auf Kaiser und König schloß. Dann sprach Reichstagsabgeordneter Hieber über „Politische TageSfragen". Dann sprach der Vorsitzende des nationalliberalen Vereins Meißen, vr. Böhme, der der Frauenfrage eine größere Bedeutung beigemesfen wissen wollte. Abg. Langhammer bat, die Angelegenheit einem besonderen Ausschüsse zu überweisen. Auch Abg. Hettner berührte kurz die Frauenfrage und erklärte, die Partei werde den ihr gemachten Vorschlägen, mehr nach rechts zu steuern, nicht folgen, sondern unentwegt weder nach rechts noch nach links, sondern geradeaus weiter zu schreiten. Folgende Resolution wurde angenommen: „Der Landesausschuß der nationalliberalen Partei spricht der nationalliberalen Landtags-Fraktion seine Zustimmung aus zu ihrer bisherigen Haltung in den sachlichen Fragen gegenüber der Regierung und den anderen Parteien und hofft, daß sie durch energische Weiterarbeit in der gleichen Richtung, dem liberalen Gedanken diejenige Geltung in Sachsen verschafft, auf die er Anspruch hat." — Die Kombattanten des 106. Regiments (1870/71) halten ihre 3. Zusammenkunft Ende August dieses Jahres in Leipzig ab. Anmeldungen nimmt ent- gegen Kamerad Carl Carius, Leipzig-Lindenau, Birken straße 15. Sückslscbsr Lanvtag. Dresden, 8. März. Die 2. Kammer beriet heute zunächst über mehrere Eisenbahnpetitionen. Zu der Petition der Firma Schöne S- Böhme in Wehrsdorf und Gen. um Erbauung einer Eisenbahn von Sohland über Wehrsdorf nach Steinigtwolmsdorf oder weiter bis Neustadt i. S. erstattet Abg. Rentsch (Konserv.) den Bericht. Die Abgg. Linke (Soz.), Fren?el (Konserv.) und § Dr. Spiest (Konserv.) treten für die Petition ein. Mimsterial- direktor Geh. Rat v. Seydewitz erklärt, die Regierung könne die Herstellung einer Verbindungsbahn Neustadt-Sohland zurzeit als nicht dringend notwendig anerkennen. Die Frage werde aber nochmals eingehend erörtert werden. Die Petition wird hierauf, soweit sich dieselbe auf Erbauung einer Industriebahn von Soh land bis Steinigtwolmsdorf bezieht, der Regierung zur Kenntnis- nähme überwiesen; weitergehende Wünsche aber werden auf sich beruhen gelassen. Ferner beschloß die Kammer, die Petition der städtischen Kollegien zu Döbeln und Gen. um den vollständigen zweigleisigen Ausbau der Eisenbahnstrecke Borsdorf-Coswig der Regierung zur Kenntnisnahme zu überweisen und die Petition der Gemeinde Rübenau und Gen. um Erbauung einer Bahn von Olbernhau bezw. Kupferhammer-Grünthal nach Rübenau auf sich beruhen zu lassen. Sodann steht zur Beratung der Antrag Fried rich und Gen. (Kons.), die Regierung zu ersuchen, das Abrufen der Eisenbahnzüge auf allen Stationen des Landes wieder einzu führen. Abg. Friedrich (Kons.) begründet den Antrag und bittet, ihn zur Vorberatung an die Finanzdeputation 4 zu verweisen. Nachdem sich mehrere Abgeordnete gegen bezw. für den Antrag ausgesprochen haben, erklärt Finanzminister Dr. v. Rüger, er könne eine Prüfung der Verhältnisse zusagen und ein erweitertes Abrufen auf verschiedenen Stationen in Aussicht stellen. Darauf wird der Antrag einstimmig zur Begutachtung an die Finanz deputation überwiesen. — Die Kammer nimmt sodann den nationalliberalen Antrag auf Vermehrung der für die Wahlen zum Landeskultnrrat bestehenden Wahlkreise in allgemeine Bera tung. Abg. Llaus begründet den Antrag und gibt einleitend einen geschichtlichen Rückblick auf die Entstehung des Landeskultur rates. Er weist u. a. darauf hin, daß die gegenwärtige Zahl der' gewählten Landwirte im Landeskulturrat eine zu geringe sei. Vor allem müßten die kleinen und mittleren Landwirte eine bessere Vertretung finden. Redner beantragt zum Schluß, diesen Antrag an die Gesetzgebungskommission zur weiteren Verhandlung zu überweisen. Staatsminister Graf Vitzthum v. Lckstädt erklärt, daß bis auf den gegenwärtigen Antrag an die Regierung seit langem keine Anregung auf Vermehrung der Wahlkreise gelangt sei. Es liege auch keine Veranlassung vor, das erst vor 4 Jahren erlassene Organisationsgesetz zum Landeskulturrat schon jetzt wie der, ohne daß man Erfahrungen gesammelt habe, zu ändern. Abg. Schaffe (Soz.) erklärt sich mit der Ueberweisung des An trages an die Gesetzgebungsdeputation einverstanden, möchte aber den Antrag Claus erweitert wissen in der Richtung, daß eine Herabsetzung der Steuereinheiten zur Wahlberechtigung herbeige führt werde und die landwirtschaftlichen Arbeiter eine Vertretung im Landeskulturrat finden. Abg. Frenkel (Kons.) erklärt, daß er mit seinen politischen Freunden dem Anträge zurzeit noch skeptisch gegenüberstehe, denn es sprächen lediglich nur äußere Gründe für eine Vermehrung der Wahlkreise. Seine Partei hielt es auch nicht für gut, daß die Regierung, ohne vorher den Landeskulturrat ge hört zu haben, an eine Aenderung des Gesetzes heranträte, deren Dringlichkeit er nicht anerkennen könnte. Abg. Göpfert (Natl.) erklärt, der Landeskulturrat sei in seiner gegenwärtigen Zusammen setzung nicht imstande, seine Aufgabe voll zu erfüllen. Von 2l Vertretern der sächsischen Landwirtschaft seien 17 Ritterguts besitzer. Abg. lfähnek (Kons.) bittet die Negierung, von den ge setzlichen Bestimmungen über den Landeskulturrat auf keinen Fall abzuweichen. Die Dringlichkeit, mit der die Nationalliberalen die Sache betrieben, gebe ihr einen politischen Beigeschmack. Abg. Donath (Kons.) erklärt, daß er dem Anträge nicht unsympathisch gegenüberstehe. Es müßten die bäuerlichen Besitzer mehr als bisher vertreten sein. Abg, Dietel (Frs.) erklärt namens seiner Partei seine Zustimmung. Abg. Schönfeld (Kons.) meint, es handle sich nicht um vitale Interessen der Landwirtschaft. Nach weiterer De batte, in der besonders Abg. Schmidt-Freiberg (Kons.) in scharfen Worten gegen die Nationalliberalen polemisiert, wird der Antrag Claus einstimmig der Gesetzgebungsdeputation zur Weiterberatung überwiesen. Den letzten Punkt der Tagesordnung bildet der kon servative Antrag der Abg. Biener, vr. Spieß, Schreiber und Gen. um Erhöhung des Fonds zur Gewährung von Dar.ehen an ge werbliche Genossenschaften und juristische Personen um 1 Million auf 3 Millionen mit der Maßgabe, daß ein Drittel der gesamten Summe den gewerblichen Genossenschaften vorbehalten bleibt. Abg. Biener (Rfp.) begründet deiu Antrag. Ein Blick auf den gegenwärtigen Stand des Fonds lehre, daß er nicht ausreichend dotiert sei. Staatsminister Graf Vitzthum v. Lckstädt führt aus, die Regierung sei stets bereit, dem bedrängten kleinen Gewerbe zu Hilfe zu kommen. Sie habe darum stets gern aus dem Zwei- Millionen-Fonds Darlehen gewährt. Sie sei deshalb auch geneigt, trotz der Schwierigkeiten, die eine weitere Inanspruchnahme von Staatsmitteln der Bilanzierung des Etats bereite, von der in Aussicht genommenen Ermächtigung zur Erhöhung des Fonds Gebrauch zu machen. (Beifall.) Abg. Roth (Freis.) stimmt na mens feiner Fraktion dem Anträge zu. Eine gleiche Erklärung gibt Abg. Beda namens der nationalliberalen Fraktion ab; nur wünscht er, daß die erhöhten Mittel nicht nur für die Genossen schaften, sondern im allgemeinen für gewerbliche Zwecke ausge geben werden. Abg. Fleißner (Soz.) begründet den ablehnenden Standpunkt seiner Partei und betont, daß sie den Wirtschafts- genosfenfchaften durchaus sympathisch gegenüberständen, doch müß ten diese auf dem System der Selbsthilfe beruhen. Jede Staats- unterftützung müsse ihnen verweigert werden. Nach weiterer De batte wird, schließlich der Antrag auf Ueberweisung an die Gesetz gebungsdeputation angenommen. Nächste Sitzung Mittwoch vor mittag 10 Uhr. Gesetzentwurf betr. die Gemeindeverbände und Eisenbahnangelegenheiten. Dresden, 9. März In der 2. Kammer kam heute zunächst das Dekret über die Gemeindeverbände zur allgemeinen Vorbera tung. Der Minister des Innern Graf Vitzthum v. Lckstädt hielt eine längere Einführungsrede, in der er zunächst die glänzende Entwickelung hervorhob, die die sächsischen Gemeinden unter der Gesetzgebung vom Jahre 1873 genommen hätten. Diese Gesetz gebung habe aber doch einige Lücken, insbesondere soweit der korporative Zusammenschluß der Gemeinden in Frage komme. Diesen Zusammenschluß zu bringen sei das vorliegende Dekret be stimmt. Der Gesetzentwurf bewege sich nach 3 Richtungen. 1.) Es fei wiederholt in Zweifel gezogen worden, ob die Gemeindever bände schon jetzt die Eigenschaft öffentlich rechtlicher Körperschaften hätten. Diese Frage bedürfe unbedingt der Klärung, einmal im Interesse der Gemeinden selbst, die sich zu Verbünden zusammen schließen und zum anderen im Interesse derjenigen, die mit den Verbänden geschäftliche Verbindungen eingehen. 2.) bedarf auch das Aufsichtsrecht gewisser Bestimmungen und 3.) soll auch den Schulgemeinden die Bildung solcher Verbände ermöglicht werden. Das Gesetz hält an der Freiwilligkeit fest. Zwangsbestimmungen sind nur in einigen ganz beschränkten Fällen vorgesehen. Der Minister erörtert dann im einzelnen die Vorlage und bittet zum Schluß um wohlwollende Beratung des Entwurfes, indem er die Hoffnung ausspricht, daß dieser Gesetzentwurf dazu beitragen werde, die Selbstverwaltung der Gemeindeverbände zu heben. (Beifall.) Abg. Nitzstchke (Natl.) erklärt, daß seine Parteifreunde mil der Ansicht des Ministers, daß die Gesetze von 1873 sich gut bewährt hätten, einverstanden sei; nur mache er darauf aufmerksam, daß diese Gesetze nur unter Mitwirkung -es liberalen Geistes zustande gekommen seien. Wir sind der Meinung, daß die Gemeindever bände auf alle Fälle zu fördern sind. Wenn das aber in der richtigen Weise geschehen soll, dann müssen die Gemeindeverbünde die größtmögliche Selbstverwaltung erhalten und das Aufsichts recht muß auf ein Minimum beschränkt werden. Er beantragt die Ueberweisung des Dekrets an die Beschwerde- und Petitionsdepu tation. Abg. Dr. Schau? (Kons.) erklärt die Zustimmung seiner politischen Freunde zu dem Gesetzentwurf, regt aber einige Aende- rungen an. Dieselbe Erklärung geben Abg. Dr. Roth namens der Freisinnigen und Abg. Nietsche namens der Sozialdemokraten ab. Letzterer wünscht eine Demokratisierung des Gemeindewahl rechtes. An der weiteren Debatte beteiligen sich Abg. ffcvmann (Kons.), Dr. Mangler (Kons.) und Uhlig (Soz). Letzterer ver- s langt, daß man nicht nur die Bildung von Gemeindezweckverbän den, sondern auch die Vereinigung einzelnstehender Gemeinden zu größeren politischen Gemeinden fördere. Staatsminister Graf Vitzthum v. Lckstädt legt nochmals den Standpunkt der Regie rung dar und bemerkt, daß das behördliche Aufsichtsrecht das un vermeidliche Korrelat der Selbstverwaltung sei. Eine lebhafte De batte entspinnt sich über die Behauptung des Abg. Dr. Spiest (Kons.), in Wurzen seien, als einmal die sozialdemokratischen Ge meindevertreter die Majorität hatten, die Gemcindeabgaben von 140 auf 250 gestiegen. Die sozialdemokratischen Abgeordneten Nietsche, Riem und Uhlig versuchen diese Behauptung zu wider legen, Abg. Däbritz (Kons.) bestätigt aber ihre Richtigkeit. Darauf wird das Dekret antragsgemäß an die Beschwerde- und Petitions deputation verwiesen. Die Kammer erklärt sich hierauf mit der vollspurigen Nebenbahn Markneukirchen-Siebenbrunn bis Erlach einverstanden und bewilligte die hierzu erforderlichen Mittel von 205000 M. Alsdann wird eine Anzahl Eisenbahnpetitionen nach den Anträgen der Deputation erledigt. Weiter kommen noch einige Petitionen persönlichen Charakters zur Schlußberatung, die zumeist ohne Debatte erledigt werden. Nur bei der Petition des vormaligen Werkstättenarbeiters Oswald Schwenker in Leipzig- Stötteritz und Gen., ihre plötzliche Entlassung in den Eisenbahn werkstätten von Engelsdorf betr., entspinnt sich eine längere Debatte Ueber die Petition entspinnt sich eine längere Debatte, an der sich die Abgeordneten Hettner und Rudolph (Natl.), Fräßdorf und Richter (Soz.) und Dürr (Freikons. beteiligten. Finanzminister Dr. v. Rüger spricht sich gegen die Perition aus und erklärt, daß er eine Koalition der Eisenbahnarbeitec nicht zulassen könne. Durch wiederholte Zwischenrufe aus dem Hause unterbrochen, fährt der Minister fort: Ich bitte, mir derartige Ungezogenheiten zu erspa ren. Darauf erhebt sich ein tosender Entrüstungssturm auf der linken Seite des Hauses. Rufe, wie „Unverschämtheit", „Unerhört", „Was bilden Sie sich ein" werden laut Dazwischen ertönen die Hammerschläge des Präsidenten Dr. Vogel, der sich derartige Aeutze- rungen der Kammermitglieder verbietet. Nachdem Staatsminister vr. v. Rüger seine Ausführungen beendet hat, bemerkt Präsident vr. Vogel, er besitze leider keine Handhabe, um gegen Aeußerungen eines Regierungsvertreters, wie sie soeben gefallen seien, vorzu gehen. Er bedaure diese Aeußerung zwar, müsse aber die Würde des Hauses wahren und könne den Abgeordneten solche Zwischen- rufe, wie sie soeben laut wurden, nicht gestatten. Darauf erhob sich erneuter Lärm auf der linken Seite, der sich in erregten Zwi schenrufen Luft macht: Mag die Regierung auch die Würde des Hauses wahren. Mag der Minister nach Rußland gehen. Abg. Fleißner Soz.» ruft: „Das lassen wir uns nicht gefallen" und wird vom Präsidenten zur Ordnung gerufen. Nur langsam legt sich die Erregung der Abgeordneten, die sich dicht um den Ministertisch geschart haben. Es entspinnt sich noch eine längere Debatte über die Petition, wobei sich immer neue Redner zum Wort melden, vr. Vogel macht den Vorschlag, die Verhandlung abzubrechen, da die Deputationen doch auch Zeit für ihre Arbeiten gewinnen müßten. Nach einer Geschäftsordnungsdebaite wird ein Airtrag, die Rednerliste zu schließen, gegen die Stimmen der Konservativen abgelehnt. An der weiteren Debatte beieiligen sich noch die Ab geordneten Günther (Freis.), Mangler (Kons.), Langhammer und Hettner (Ntl) Schließlich wird die Petition, soweit sie darauf ge richtet ist, auf Wiedereinstellung des Petenten hinzuwirken, mit 51 gegen 21 Stimmen für unzulässig erklärt und soweit sie als Beschwerde aufzufassen ist, mit 46 gegen 27 Stimmen auf sich be ruhen gelassen 'Nächste Sitzung morgen vormittag 9hr tlhr De- h tret betr die Gestundungen von Steuern und Abgaben. Petitionen.