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Nr. 18. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 15 Februar 1910. Seite 6. Welche Vorzüge die Wasserstoffüllung im Vergleich zu der mit gewöhnlicher Luft etwa besitzt, wird freilich noch nicht mitgeteilt. * (Die Damen in der Defensive.) Es ist wie derholt darüber Klage geführt worden, daß den Damen im öffentlichen Verkehr nicht immer die schuldige Rück sicht entgegengebracht wird. Wenn diese Sache, wie alle Dinge, auch zwei Seilen hat, so ist es für gewisse Herren — wir meinen die Uebermenschen vom Ellenbogen-Kom ment — beschämend, daß die Damen hier und da sich schon in den Verteidigungszustand gedrängt sehen und nach ihrer Art Uebergriffe abzuwehren versuchen. Und darin sehen wir wiederum die Ausländerinnen „in der Front", die in ihrer Heimat eine andere Behandlung seitens der Herrenwelt gewöhnt sind. Hier nun einige drastische Beispiele aus dem Straßenbahnverkehr in Berlin. Eine Amerikanerin, die mit einem Berliner Künstler ver heiratet ist, wird kürzlich von einem Herrn unsanft bei seite gestoßen. Sie wirst dem Ungehobelten einen ver nichtenden Blick zu und sagt: „Sie sind kein Mann! Wäre ich «in Mann, so würde ich Sie hauen — Sie Feigling!" Der „Herr" mußte diese etwas kauderwelsche, aber doch sehr deutliche Lexion hinunterschlucken . . . . Weiter: Im Nachtbummler-Wagen stehen mehrere Aus länderinnen, denen keiner der mitfahrenden Herren einen Platz anbietet — was in England und Amerika uner hört ist. Als eine Dame aussteigt, stürzt sich sofort ein Herr auf den freigewordenen Platz, weil die älteste der Damen nicht schnell genug ist. „Der Herr ist müde!" sagt diese unter allgemeinem Gelächter. Der Apostro phierte sinnt auf Rache. „Hier, haben Sie zwei Mark," meint er an der nächsten Haltestelle, an der die Damen aussteigen wollen, „nehmen Sie sich ein Automobil." Mit verächtlicher Miene geht die Dame hinaus, kehrt dann aber zurück und — nimmt das dargebotene Zwei markstück an, um es sogleich dem Schaffner als „Trink geld" zu übergeben, während der freigebige „müde" Herr verdutzt dreinschaut — unter dem schallenden Gelächter der Mitfahrenden. * (Die Energie eines Dampfkessels.) Die Explosion eines Dampfkessels ist nicht das Werk eines Augenblick, sondern entsteht aus einer Reihe wohl unter scheidbarer, aber mit großer Geschwindigkeit aufeinander folgender Vorgänge. Geschieht der erste Bruch unterhalb der Wasserlinie im Kessel, so ist es möglich, daß über Haupt keine Explosion eintritt, weil das Wasser zuerst ausläuft und sich dadurch der Druck im Innern verrin gert. Erfolgt aber der Bruch über oder in der Nä e der Wasserlinie, so kann eine heftige Explosion geschehen. In den meisten Fällen geht die Explosion folgendermaßen vor sich: Zuerst bildet sich eine kleine Oeffnung an einer Stelle, wo der Widerstand des Materials geringer ist als der ausgeübte Druck. Die Folge ist ein Ausströmen von Dampf oder von Wasser oder von beidem. Dann dehnt sich der Riß schnell auf die benachbarten Teile aus, wenn auch diese dem gesteigerten Druck nicht zu widerstehen len dieses stürmischen Winters reiht sich die furchtbare Kata strophe des Passagierdampfers „General Chanzy" an, der am Abend des 10. Februar bei der Baleareninsel Minorca ui weit der Ortschaft Ciudadella mit Mann und Maus unterging, und von dessen Passagieren nur ein einziger mit dem Le ben davonkam. Der „General Chanzy" faßte 2300 Tonnen und verkehrte in den letzten Jahren auf der Linie Mar seille—Tunis—Malta. Seine letzte Reise sollte ihn nur ausnahmsweise nach Algier führen. In früheren Jahren ZW MMN- ins stinMschen Imp fers „General ShaW".W Den vielen SchiffSunsäl- hatte das der Compagnie TranS- Der französische Passagierdampfer „General Chaney", atlantique gehörige Schiff auch der vor Minorca unterging, wobei über 150 Menschen den Tod fanden. Nordlandfahrten unternommen. Im Juli 1896 strandete eS unweit von Bergen an der norwegischen Küste ru d wurde durch die tatkräftige Hilfe des deutschen Kanonenbootes „Greif" gerettet. (Unser heutiges Bild wurde bei diesem Anlaß Hergestellt.) Diesmal ist es dem Dampfer aber nicht so gut ergangen, die Notsignale blieben unbe achtet, und mehr als 160 Personen fanden den Tod in den Wellen. vermögen, und zwar in heftiger und fast plötzlicher Weise, indem nämlich der Kessel gewaltsam in Stücke zerrissen wird. H ben die Teile in der Nachbarschaft des ersten Bruchs noch genügende Widerstandskraft, so wird eine eigentliche Explosion ausbleiben. Eine ungleiche Stärke der K sselwänds bietet also, so widerspruchsvoll es klingen mag, eine gewisse Sicherheit gegen Explosion. Die Energie, die dabei entwickelt wird, ist bet einem Kubikfuß hoch erhitzten Wassers ungefähr gleich der eines Pfundes Schießpulver. Der größte Teil der Energie innerhalb eines Dampfkessels ist in dem Wasser enthalten und nur ein verhältnismäßig kleiner in dem entwickelten Dampf. Die Energie in einem Kilogramm Wasser unter dem Druck von 3 Zentnern würde bet einer Explosion und der dadurch bedingten Ausdehnung etwa 2000 Meter kilogramm betragen; in der Gesamtheit des Wassers eines bis zur gewöhnlichen Höhe gefüllten Dampfkessels unge fähr 20 Millionen Meterkilogramm. Einschließlich des Dampfdrucks würde die Energie hinreichen, um einen Kessel von 100 Zentnern Gewicht mehr als 3 Kilometer hoch in die Luft zu schleudern. vev Atömgiich SZchstschev ;« Drssdew. Mittwoch, den 16. Februar: Südostwind, wolkig, kein erheblicher Niederschlag. MirgLovUPgsr MsttervEhsxsage. Allgemein mildes, vorherrschend wolkiges bis trübes, windiges Wetter mit Niederschlägen. MllNI Gciiffnet jeden Sonntag vormittag ..jz io jm Schulgebäude. Dresdner Proudkten-Börse, 14. Februar 1910. Wetter: Schön. Stimmung: Geschäftslos. Um 2 Uhr wurde amtlich notiert: Westen, weißer, — — — M, brauner, neuer, 74—78 Kilo, 218—226 M, do. feuchter M, russischer rot 240-252 M, do. russisch, weiß M, Kansas 249—252 M, Argentinier — M, Amerikanischer, weiß —,— M. Roggen, sächsischer 70-73 Kilo 157—163 M, russ. 183-186 M. Gerste, sächsische, 152—167 M, schlesische 164—179 M, Posener 159—174 M, böhmische 179—194 M, Futtergerste 135—142 M Hafer, sächsischer 161—167 M, beregneter 143—155 M. schlesischer 161-167 M., russischer 151—157 M. Mais Cinquantine M, alter 181—188 M, Laplata, gelb, 160—163 M, amerikan. Mired-Mais - , Rundmais, gelb, ' 159—163 M, do. neu, feucht . Erbsen, 180-190 M, Wicken, sächs. 170—185 M. Buchweizen, inländischer 190—195 M, do. fremder 190—195 M. Gelsaaten, Winterraps, feucht —,—, trocken — M. Leinsaat, feine 320,00—330,00 M, mittl. 305,00—320,00 M. Laplata 315,00—320,00 M. Bombay M. Rüböl, raffiniertes 62,00 M. Rapskuchen (Dresdner Marken) lange 13,50 M, runde M Leinkuchen (Dresdner Marken) l 19,00 M, II 18,50 M. Mast 26,00-31,00 M. Weizenmehls (Dresdner Marken): Kaiserauszug 37,50—38,00 M, Grießlerauszug 36,50—37,00 M, Semmelmehl 35,50—36,00 M, Bäckermundmehl 34,00—34,50 M, Grießlermundmehl 25,50 bis 26,50 M, Pohlmehl 18,00—19,00 M. Rogqenmehle (Dresdner Marken) Nr. 0 25F0-26,00 M, Nr. 0/1 24,50—25,00 M, Nr. 1 23,50- 24,00 M, Nr. 2 21,00—22,00 M, Nr. 3 17,50—18,00 M, Futtermehl 14,40—14,60 M, e.rcl. der städtischen Abgabe. Westenkleie (Dresd. Mark.): grobe 12,00—12,20, feine 11,50—11,70. Roggenkleie (Dresdner Marken): 12,40—12,60 M. Hinter der Maske. Von Aarl Berkow. so. Nachdruck verboten. «Sie lieben sich, da« ist klar — aber warum dann diese« stete Meiden und Auseinandergehen?" „Frarcekco sagte mir emst, er sei des Mädchens, das er liebte nicht mehr wert; ich ahnte damals noch nicht, daß cs Helga sei," „Nicht mehr wert?" sprach Gabriele sinnend, „ch sollte meinen, die echte Liebe weiß auch Verirrungen zu verzeihen, in die oft nur ei« harte» Schicksals»»« gedrängt. Mich berührt es schmerzlich, wenn ich denk«, daß an dieser Klippe vielleicht zweier Menschen Lebensglück scheitern sollte. Wenn man selbst glück lich ist —" „Dann möchte man andere Leute auch gern unter da« Ehehäubchen bringen, mein kleine« Weib, nicht wahr?" scherzte Bergen. ,.O du Spötter! Nein, dann möchte man andere auch gern glücklich sehen, und für uns Frauen gibt e« nun einmal kein höhere« Glück, al« da« an der Seite eines geliebten Mannes. O Ludwig", sagte sie bewegt, ihr schönes Haupt an sein« Schulter legend, „wenn ich dich vor jenen Jahren schon so ge kannt, wie ich dich jetzt kenne und liebe und dich gewählt — wieviel Gram und Leid wäre uns beiden erspart geblieben." „Und doch hätte» wir dann beide vielleicht unser Glück nicht so tief empfunden, darum laß uns die Jahr« der Trennung al« di« ernste Lebenrschule ansehen, in derAunsere Herzen ge läutert und gestählt worden." Sie nickte stumm; dann aber richtete sie sich unter Tränen dankbarer Rührung lächelnd «mpor und fragte halb ungewiß: „Und für jene beiden uns so lieben Menschen ließe sich gar nicht« tun? Wenn du einmal mit Frarcekco sprächest " „Ich möchte nicht durch Einmischung in so zart- Verhält" niss« mir den Schein der Aufdringlichkeit zuziehen. Ueberlaß e« der Zeit, allmählich da» zu klären, wa» jetzt noch dunkel zwischen ihnen liegt, aber seit wann", fügte er neckend hinzu, ..ist dir der „unheimliche" Frarcekco so lieb geworden? — Vor kurzem fürchtetest du dich noch vor ihm." „O, ich fürchte mich gar nicht mehr", lachte sie fröhlich, „denn jetzt habe ich meinen Schutzgeist bei mir, meinen lieben Mann." * * * Frarceseo kam der Aufforderung Gabrielen», ihr Führe* durch die ewige Stadt zu sein, mit einer gewissen Zurückhaltung nach; e» war offenbar, er wollte e» vermeiden, mit Helga zu sammen,»treffen. ....... .. , . Und doch I 8» war «ine fast wilde Seligkeit, d«e sein Herz erfüllte, wenn er ihren leichten Tritt sich nahen hörte, und er fühlte dann, daß er sie liebe — so wie er nie mehr zu lftben gehofft — heiß und glühend — bi» zum Wahnsinn säst — aber erfolglos. Er sagte sich zu tausend Malen, daß er ihrs Liebe niemals erringen werde, daß unter der ruhigen Außen seite de« Mädchen» vielleicht nicht einmal ein Verständnis seiner eigenen Gefühle zu finden sei — er empfand e» wie marternde Qual, sie täglich zu sehen, täglich sprechen zu müssen, ohne ihr ein Wort von dcm sagen zu dürfen, wa« seins Brust fast zu zersprengen drohte, und dennoch sch'en ihm, al« sei die Welt um ihn erstorben, wenn sie fehlte, al« fühle er den Pul»« schlag heißen Leben» erst, wenn sie wieder «schien. Wenn er die Freunds durch Galerien und Paläste begleitete und überall den kundigen und erfahrenen Führer machte, pflegte ,r seine Worte stet» nur an Gabriele und ihren Gatten zu richten; Und doch sprach er so, wie er meinte, nur allein von Helga verstanden zu werden, und doch fühlte sie an dem leisen Beben seiner Stimme, an manchen nur leicht hingeworfenen Worten, die eine beiden gemeinsame Erinnerung in sich schloffen, daß seine Wort« für sie bestimmt gew«s«n. Man k«hrte von «inem Ausflug nach der Grotte der Egeria zurück. Das Wetter hatte in herrlichste: Weise die interessante Partie begünstigt, alle Beteiligten waren in der vortreiflichsten Laune, die schwüle Spannung, die da» eigentümliche Verhält«!» Fran- cekeoS und Helga» mit sich brachte, schien etwa« geschwunden zu sein. Francisco war zum ersten Male seit dem Zusammentreffen mit den Freunden übermütig heiter und belustigte sich, zu Her. bert« großem Entzücken, auf dem He-mwege damit, die kleinen, neben dem Wagen herlauftnden Bettelknaben mit Geld und Stücken Konfetti« zu werfen, wodurch fast jede Minute ein komische« Balgen und Ringen entstand. Helga saß ihm gegen- über im Wagen und lächelte zuweilen über die Heiterkeit der anders«. — Da — bei einer plötzlichen Biegung de» Wege» kamen von der Stadt her ihnen mehrere Wagen entgegen; Frarcekco hatte ihnen keine Beachtung geschenkt — aber, al« er jetzt einen flüchtigen Mck auf Helga warf, bemerkte er, wie sie totenblaß geworden, in ihren Sitz zurückgesunken war. Die erschreckte Feage, dis ihm auf den Lippen schwebte, erstarb unter dem flehenden Blick, den sie auf ihn richtete; sie wandte sich mtt der ihr eigenen Selbstbeherrschung mit einer gleichgültigen Bemerkung zu Gabriele, dis ebensowenig wir ihr Gatte von dem kleinen Vorfall auch nur da» geringste bemerkt. Frarcekco legte den Nest de« Heimwege» in kaum zu be kämpfender Unruhe zurück. — Endlich hielt der Wagen vor der in der Vorstadt gelegenen Villa, di« der RegierungSrat mit seiner Familie für d-e Dauer seine» Aufenhalte» in Rom be zogen ; al» die Heimkehrenden den davor befindlichen Garten durchschritten, blieb Frarcekco mit Helga ein wenig hinter den übrigen zurück. .Ich flehe Sie an, mir zu sagen, wa» Sie vorhin so er- schreckt", sprach er halblaut; „eS konnte nicht« alltägliche« sein, wa» Sie so au» der Fassung brachte." „Ich glaubte in einem der un« begegnenden Wagen ein mir bekanntes Gesicht zu entdecken", antwortete Helga zögernd, und " „Aber wer — wer war e»?" drängte derij Maler. „Haben Sie Ursache, hier jemand zu fürchten. -Ich Hoffr nein, und sicherlich war e» nur Schwäche von mir, so zu erschrecken; die Augen aber, die sich auf mich richteten, waren eigentümlich drohend und bewiesen mir, daß jene Dame, die mir nur einmal entgegentrat, mich nicht vergessen — es war Frau von Wielopolska l" Der Maler entfärbte sich. „Sie hier?" murmelte er. „So folgt mir denn überall ein düsterer Fluch, der mir jeden glück lichen Augenblick de« Leben« zu vergiften droht, Helga", fuhr er dringend fort, „ich beschwöre Sie jetzt, da ich von der An« Wesenheit jene» Weibe« weiß — seien Sie vorsichtig. Vermeiden Sie e«, ohne Begleitung auszugehen, denken Sie daran, welche namenlose Qual e» mir bereiten müßt«, Sie abermal« einer Gefahr preisgegeben zu sehen, — versprechen Sie mir, daß Sie auf ihres Hut sein wollen, um Ihrer selbst — und um meinet willen", fitzte er leiser hinzu. Zum ersten Male, seit sie sich hier begegnet, hielt er ihre Hände wieder in der seinen — die dunklen Augen senkten sich mit angstvollem Flehen in dis ihren — sie wollte antworten, „Onkel Frarcekco", kam da plötzlich Herbert herangestürmt, „Mama läßt fragen, ob du heut abend bei un« Tee trinken willst." Der Künstler ließ die Hände de« Mädchen« hastig lo« und folgte dem Knaben in da« Hau«. * Helga hatte sich nicht getäuscht; Kazimira befand sich seit mehreren Tagen in Nom, und ein unglücklicher Zufall hatte sie bei ihrem ersten Ausflugs sogleich die beiden Personen treffen lassen, die sie vor allen anvern auf der Welt am glühendsten haßte. Wenn es früher Liebe gewesen, wa« sie Francesco» Spuren folgen ließ, so war es da» brennende Verlangen end« kicher Rache an dem T eulosen, da» sie nach Italien führte, wo er jetzt weilte. — Wa» sie wollte, wußte sie kaum; weithalb st« ihn in Florenz vergebens suchte, sie konnte sich darüber keine Rechenschaft oblegen; al« sie ihn aber heut- wieder in der Ge« sellschast dieser gehaßten Deutschen erblickte, war ihr Entschluß gefaßt. Wer sie in später Abendstunde derselben Tage« in ihrem Zimmer gesehen, bleich mit düsterer Energie mit einem Manne sprechend, der, in der Tracht ber Landbewohner gekleidet, unter würfig vor ihr stand, der würde in dem finsteren, verzweifelnden Weibe kaum die bezaubernde Polin früherer Tage wiederer kannt haben. (Schluß folgt.)