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Nr. 22. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, Len 24. Februar 1910. Seite 2. iQgSsgssckicvts. Deutsches Reich. Berlin, 22. Februar. In der hie sigen Dreifaltigkeitskirche fand heute nachmittag 4 Uhr die öffentliche Trauerfeier für den verstorbenen Präsidenten deS Reichstages, des Grafen Udo zu Stolberg-Wernigerode, statt. Schon kurz nach 3 Uhr begann sich die räumlich sehr beschränkte Kirche zu füllen. Vertreten waren Ab ordnungen des Reichstages, des Landtages und der städ tischen Behörden. Das preußische Staatsministerium, an seiner Spitze der Reichskanzler von Bethmann-Hollweg, war nahezu vollständig erschienen, ebenso die meisten Mitglieder des Bundesrates, ferner die zurzeit in Berlin weilenden Generäle und das gesamte Offizierskorps des Garde du Corps und der Gardekürassiere. Die Auf bahrung des Eichensarges vor dem Altar war würdig und schlicht, ohne Prunk und Pracht, wie es der Ent schlafene gewünscht hatte. Am Kopfende des Sarges ruhten die Kränze des Kaise s und des Kronprinzen mit denen der Familie' Im Kreise folgten dann eine große Fülle von Blumen und Arangemmts mit Widmungs- schleisen. Sämtliche Fraktionen des Reichstages hatten Kranzspenden niederlegen lassen. Die Feier wurde durch einen Chorgesang „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben" von Blumner eingsleitet. Nach diesem folgte eine Ansprache des Konsistorialrates Lahusen, in der er die Verdienste des Vergangenen um das deutsche Reich eingehend würdigte und unter anderem hervorhob, daß dieser der erste Präsident des Reichstages gewesen sei, den der Tod mitten aus seiner Amtstätigkeit abberusen habe. Ein abermaliger Chorgesang beschloß die würdige Feier. Kurz vor 6 Uhr leerte sich das Gotteshaus und es folgte die Ueberführung der Leiche in feierlichem Zuge nach dem Lehrter Bahnhof. Abends um 10 Uhr 50 Min. wurde die Leiche nach Döhnhofstädt in Ostpreußen über führt, wo sie in der Familiengruft beigesetzt wird. Berlin, 22. Februar. August Bebel beging heute die Feier seines 70. Geburtstages. Parteifreunde und Ver ehrer auS allen Teilen Deutschlands und dem Auslande hatten Bebels Heim mit Flieder und vor allem mit roten Blumen gefüllt. Ein großes Blumenschiff sandte der „VorwärtS"-Verlag, ein umfangreiches Album mit mit Unterschriften und Sprüchen die Parteileitung. Der Parteivorstand widmete August Bebel und seiner Gatt n zwei silberne Ehrenbecher. Glückwunschtelegramme liefen bündelweise ein. Ihre Zahl dürfte 1000 übersteigen. Frankfurt a. M., 23. Febr. Die sozialdemokratische Partei hatte auf heute nachmittag 4 Uhr neun Protest- Versammlungen einberufen mit der Tagesordnung: Wer trägt die Verantwortung für die Vorkommnisse am 17. Fe bruar? Die Versammlungen waren überall gut besucht, teils überfüllt. Viele Fabriken hatten den Arbeitern Ge legenheit gegeben, die Versammlungen zu besuchen. Nach den vorliegenden Berichten sind die Versammlungen ruhig verlaufen. Die Ruhe ist auf den Straßen nicht gestört worden. Er wurde eine Resolution angenommen, in der gegen das provokatorische Einschreiten der Frankfurter Polizei gegenüber Straßenpassanten protestiert wird. Weiter wurde verlangt, daß dsS allgemeine gleiche, ge heime und direkte Wahlrecht in den preußischen Landtag eingeführt werden müsse. Nach einer Versammlung im Bahnhofsviertel zog eine größere Masse von Versamm lungsteilnehmern die Kaiserstraße entlang, wurden aber am Bismarckdenkmal von einem Schutzmannsausgebot von 10 Mann ausgelöst. — Es ist Geld im Lande, der beste Beweis da für ist, in wie flotter Weise die ersten Einzahlungen auf die neuen Anleihen des Reichs und Preußens erfolgt sind. Es wurden bisher 70 Prozent des Gesamtbetrages von 480 Millionen eingezahlt. Gefordert waren nur 40 Prozent. Oesterreich-Ungarn. Budapest, 23. Februar. Die oppositionellen Blätter in Budapest, „Pesti Naplo" und „EgyeterteS", stellen die Reise des Grafen Aehrenthal nach Berlin als eine Reise nach Canossa dar, weil es nicht richtig gewesen sei, daß Graf Aehrenthal die Annäherungs versuche Oesterreich-UngarnS an Rußland ohne die vor herige Zustimmung Deutschlands unternommen habe, wo doch Deutschland aus Bundestreue zu Oesterreich-Ungarn fast seine guten Beziehungen zu Rußland geopfert habe. Dabei herrscht eine innere Befriedigung darüber, daß das ungetrübte Einvernehmen zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn über allen Zweifel erhaben fei.. Belgien. Brüssel, 23. Februar. In der Kammer wurde heute die Debatte, über die Kleriker- und Gemeinde schulen fortgesetzt. Der liberale Abgeordnete Masson wies darauf hin, daß die Regierung sehr zu Unrecht die großen Mittel den klerikalen Schulen zuwendete, die zu dem bezüglich der Bildung bei weitem nicht das Ziel er reichten, welches für die Gemeindeschulen bestimmt ist. Die Mittel müßten in erster Linie diesen und nicht den katholischen Schulen zugute kommen. Dies sei auch in sofern eine große Ungerechtig da in diesen privaten und katholischen SchuUn der y:ß gegen die Liberalen gepredigt wird. Griechenland. Athen, 23. Februar. Die seit eini gen Tagen verbreiteten Gerüchte über die Bildung einer militärischen und politischen Gruppe zur Bekämpfung des Offiziersbundes bestätigen sich jetzt. Nach authenti schen Informationen vertritt der aus dem letzten Kriege gegen die Türkei bekannte General Somlenski die Ansicht, daß der Osfizierbund sich sofort auslöfen müsse, und daß dem Parlament in seinen Beschlüssen über die National versammlung unbeschränkte Freiheit zu gewähren fei. Somlenski erklärt zur Durchführung diefer Meinung, eventuell ein bewaffnetes Vorgehen für notwendig. Mit Somlenski sind die zur Partei Theotokis gehörigen Ge nerale Limpritus und Kumundorus sowie viele Offiziere der Marine und des Landheeres einverstanden. Die hiesige Garnison ist kürzlich um 6000 Mann verstärkt worden. In den Provinzen wächst täglich die allgemeine Unzu friedenheit. China. 25000 Mann chninesische, nach japanischem Muster ausgebildete Truppen sind vor mehreren Wochen von Szetschuan nach Tibet aufgebrochen unter Führung des Bruders des Vizekönigs von Szetschuan. Die Truppen sind vollständig ausgerüstet mit Maschinengewehren, Gebirgsgeschützen und Apparaten für drahtlose Telegraphie. Augenscheinlich beabsichtigt China seine Herrschaft in Tibet zu befestigen und den chinesischen Niederlassungen in Tibet neuen Mut einzuflößen. Zur Ausrüstung dieses Heeres sind in den dem unter deutscher Leitung stehen den Arsenal von Chegau 7000 Arbeiter tätig gewesen. Die Expedition hatte unter der Kälte und unter der Feind seligkeit der Grenzstämme sehr zu leiden. In der Nähe von Batung geriet sie in Hinterhalt, wobei sie 100 Mann und einige Geschütze verlor. ttus aller Berlin, 23. Februar. (Erkrankung des jungen Fürsten Bismarck.) Der 12jährige Fürst Otto von Bis marck, der Enkel des Altreichskanzlers, wird in den näch sten Tagen mit seiner Mutter aus der Schweiz kommend, in Berlin erwartet, um sich hier einer Nierenoperation zu unterziehen. Wiesbaden, 23. Februar. (Selbstmord.) Gestern Abend nach 8 Uhr verübte hier im städtischen Kranken hause die 22 Jahre alte Krankenschwester Fräulein von Roedern, Tochter des Generals von Roedern, einen Selbst mordversuch, indem sie sich eine Kugel in die Brust schoß. Das Projektil drang in die Lunge und verletzte die junge Dame schwer. DaS Motiv der Tat ist in Dunkel gehüllt. Man vermutet, daß Liebeskummer die junge Dame zu dem verzweifelten Entschluß trieb. Stockholm, 23. Februar. (Liebesdrama.) Ein italienischer Seemann namens Gallina versuchte seine Geliebte, eine schwedische Zigarrenarbeiterin zu erschießen, weil er meinte, daß sie ihm nicht mehr treu fei. Er ver letzte sie aber nu am Arm. DaS Mädchen und eine Freundin von ihr sprangen vor Schreck aus dem Fenster, stürzten aus ein niedriger gelegenes flaches Hausdach und retteten sich durch ein offenstehendes Dachfenster. Der Italiener sprang ihnen nach und schoß sich auf dem Dache eine Kugel in den Mund, wodurch er tötlich verletzt wurde. Newyork, 23. Februar. (Straßenkämpfe.) Die Verhaftung des Streikführers Pratt in Philadelphia ver anlaßte den Ausstand aller Gewerkschaften. In Phila delphia befinden sich 120000 Arbeiter im Streik. Die Unruhen dauern fort. Die Miliz ist vorläufig zu schwach, um Gewalttaten verhindern zu können. Brüssel, 22. Februar. (Folgen des Sturmes.) Die telephonischen Verbindungen mit Paris und London sind immer noch infolge des anhaltenden Sturmes ge stört. Auch der übrige telephonische Verkehr ist erschwert. London, 23. Februar. (Stur m.) Weitere Meldun gen über den nunmehr seit fünf Tagen andauernden Sturm berichten über zahlreiche Unfälle auf hoher See. Ein unbekannter Dreimaster ist an der Küste von Pem brokeshire mit Mann und Maus untergegangen. Das italienische Schiff „Ciampa" ist unweit Cork mit 24 Mann untergegangen. Das Fährboot an der Banstaple Bap ist gestrandet, wobei drei Personen in den Fluten umgekom- m n sind. Sowohl im Aermelkanal als auch in der Nordsee dauert der Sturm mit unvermindeter Heftigkeit fort. Sämtliche Dampfer erleiden sehr große Verspätun gen. Der belgische Dampfer „Nemrod", welcher in der Chale Barfl auf der Insel Whigt gestrandet ist, ist nun mehr infolge des Sturmes total zertrümmert worden. Die Besatzung konnte gerettet werden. Auch in vielen Städten Englands richtete das Unwetter großen Schaden an, ganz besonders in Birmingham und London. Die Windstärke betrug in England 6 und in Schottland 11 Sekundenmeter. Die Wetterstationen künden ein Fort bestehen des Sturmes an. Paris, 22. Februar. (Sturm.) Aus den Hafen städten laufen fortgesetzt ungünstige Nachrichten über den Sturm ein. In Havre ist bereits großer Schaden ange richtet worden. Die Küstenschiffahrt ist vollständig unter brochen Auch in Cherbourg hat der Sturm großen Scha den angerichtet. Zahlreiche Bäume wurden entwurzelt viele Mauern eingedrückt, Schornsteine umgeweht usw. Die transatlantischen Dampfer treffen sämtlich mit gro ßen Versp tungen ein. Aus Pup wird ein starker Schnee sturm gemeldet. Viele Häuser sind abgedeckt worden. Die telegraphischen Verbinde: zen in Pup mit dem üb rigen Frankreich sind vollständig zerstört. Die Zugsver bindungen sind unterbrochen, mehrere Züge sind im Schnee stecken geblieben. Die Flüsse D. Saone weisen infolge des anhaltenden Regens ein starres Steigen aus. Auch die kleineren Nebenflüsse schwellen an und lassen neue Ueberschwemmunger sorgen. von Hirsch's Teleg rar henbureau. Köln, 24. Februar. Der Rhein zeigt infolge des an dauernden Regenwetters erneut starkes Steigen. Der Kölner Pegel ist zu einer Höhe von 4>/2 Metern ange wachsen. Auch vom Oberrhein und den Nebenflüssen wird steigender Wasserstand gemeldet. Im ganzen Mosel gebiet ist der Fährbetrieb eingestellt worden. Breslau, 24. Februar. Im Anschluß an eine von der demokratischen Vereinigung in der „Neuen Börse" ver anstalteten Wahlrech1Ä>emonstrationsversammlung, in der Herr von Gerlach gegen die Wahlrechtsvorlage der Re gierung sprach, kam es zu Straßendemostrationen. Gegen tausend Personen, meist jugendliche Arbeiter, versuchten unter Absingung von Arbeiterliedern und Hochrufen auf das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht nach dem dem Rathause zu ziehen. Am Ring stellten sich ihnen Schutzleute entgegen. Die Schutzmannskette wurde wieder holt durchbrochen. Erst nach Mitternacht tonnte die Ruhe in den Straßen wiederhergestellt w.rden. Mehrere Verhaftungen wurden oorgenommen. Pola, 24. Februar. Wie verlautet, wird Mitte März der König von Sachsen auf der Insel Brioni eintreffen und dem dort weilenden österreichischen Thronfolger Erz herzog Franz Ferdinand einen Besuch abstatten. London, 24. Februar. Prinz Heinrich von Preußen empfing gestern auf der deutschen Botschaft eine Depu tation der Gesellschaft zur Förderung der englisch-deutschen Freundschaftsbeziehuagen unter Führung des Herzogs Argyll und des Lords Avebury. Die Deputation über reichte dem Prinzen eine Adresse, in welcher es heißt: „Wir haben die feste Ueberzeugung, daß in Zukunft alle Ursachen zum Mißtrauen und zu Verdächtigungen durch ein engeres Zusammengehen in den internationalen Fra gen und durch ein rückhaltloses Anerkennen der Rechte jeder einzelnen Macht, sowie ihrer besonderen Noiwend g- keiten und ihrer besonderen Wünsche für ihre verschie denen nationalen und kommerziellen Interessen beseitigt werden werden wird. Wir hoffen fest, daß im Laufe der nächsten Jahre diese enge Freundschaft und eine feste Entente zwischen den Völkern der beiden Staa.en der ruinierenden Rivalität, wie sie jetzt besteht, ein Ende machen wird." In seiner Antwort sagte Prinz Heinrich: „Ich reile freudig die Wünsche, die Sie in Ihrer Adresse ausgedrückt haben. Ich bin sicher, daß mein vielgeliebter Bruder, der deutsche Kaiser, darüber sehr glücklich sein wird. Ich möchte nachfolgendes hinzusügen: Ich wünsche lehr lebhaft, daß Sie in Zukunft dasselbe Vertrauen zu unserem Souverän und zu unserer Regierung haben wer den, wie wir es Ihrem geliebten und hochgeachteten Sou verän und Ihrer Regierung entgegenbringen. — Abends fand auf der deutscyen Botschaft zu Ehren des Prinzen und der Prinzessin Heinrich von Preußen ein Diner statt. Unter den geladenen Gästen befanden sich König Eduard, Königin Alexandra, Prinzessin Viktoria, Premierminister Asquith und Lord Rosebery. London, 24. Februar. Aus Philadelphia wird tele- grahiert: Der Pöbel beherrscht weiter die Situation. Trotz der großen und ständig wachsenden Zahl der Po- lizeimannschäften und Milizen dauern die Angriffs auf Straßenbahngesellschaft unbehindert fort. Vorgestern wurde ein großer Schuppen für Wagen mit Dynamit in die Lust gesprengt. 15 dort stationierte Polizisten wären beinahe von den Trümmern erschlagen worden. Der Pöbel ergriff eine Anzahl Milizsoldaten, die die Bahngleise bewachteu, zog ihnen die Uniformen auS, nahm ihnen die Gewehre ab und ließ sie dann laufen. Ungefähr 10000 Polizisten und Milizsoldaten kämpfen gegen die Volksmenge. Eine große Zahl Personen wur den verletzt, mehrere getötet. Die Behörde erwägen die Einberufung von 10000 Mann Nationalgarde. Es besteht dre Befürchtung daß der Streik noch auf andere Slädte übergreist. — Ein weiteres Telegramm aus Philadelphia meldet: Der Zeitpunkt der Ausführung des Generalstreiks ist von den Leitern der Arbeiterorga nisationen verschoben worden. Es soll das Resultat der nachgesuchten Vermittlung der politischen Arbeiterführer in dem Streik der Straßenbahner erst abgewartet wer den. Durch die andauernden Unruhen und den Mangel an Verkehrsmitteln erleiden Handel und Industrie schwere Schädigungen. Gestern kam es zu keinen schweren Aus schreitungen. Die Polizei behauptet, daß sie jetzt die Situation beherrsche. 700 Polizisten bewachen 25 Stra ßenbahnlinien. Paris, 24 Februar. Di Marne ist infolge der sint- flutnrtigen Regengüsfe im schnellen Steigen begriffen. Auch das Wasser der AiSne steigt rapid. Paris, 24. Februar. „Matin" berichtet auS Vienne (Dez. Asere), daß bei dem dortigen 17. Dragonerregiment bedenkliche Zustände herrschen. Innerhalb des Regiments hüt sich eine Bands von Apachen gebildet, welche sich zu ernsten Ausschreitungen Hinreißen ließ. Vergangene Nacht versuchte ein Apache die Gebebte e.nes Kameraden zu ermorden, welcher er norwarf, Denunzantin zu 'ein. Letzte Nacht sind nicht weniger als 12 Soldaten des Regiments über die Kasernenmauer gestiegen und haben in der Stadt allerlei Unfug getrieben. Sie wurden von Offizieren ge sehen, die jedoch nicht zahlreich genug waren, um nie Soldaten verhaften zu können. M GW W kt nickt nur ein E MMM M ist lld eckig uptüscbssMglrkMs NM GM «HM V sonüsni ösc Veit. Icinksn 8iö llslisc nur