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Nr. 15. PalSnttzer Wochenblatt. — Dienstag, den 8 Februar 1910. Seite 6. Bürger jedenfalls wohl die berechtigte Befürchtung hegen werden, daß die Diebe möglichst noch vor Erscheinen des „Halleyschen Kometen" unschädlich gemacht werden müssen, um einem ähnlichen Gaunertrick vorzubeugen. , * Ein fettes Schwein als Jagdbeute dürfte nicht vielen Jägern beschieden sein, und doch widerfuhr in Blattersleben dem Pächter des dortigen Reviers dies sel tene Geschick. Kam ihm, da er mit mehreren Herren von einem JagdauSfluge zurückkehrte, ein grunzendes Borsten tier auf der Dorsstraße in den Weg gelaufen, und witzig meinte er, das Gewehr anlegen: „Hier könnte man einen schönen Blattschuß machen!" Das Gewehr war aber noch geladen, ein Schuß fiel, und das quickende Tier wälzte sich in feinem Blute — zum Ergötzen aller Um stehenden, für dU es am Abend, nachdem das Schwein wie bei einer Schlachtung vorschriftsmäßig behandelt worden war, ein unvorhergesehenes Wellfleischessen gab. * (Wie leicht das Sparen den Engländern gemacht wird.) Darüber erzählt die „Frankf.-Ztg.": Ein englisches Bankinstitut hat ein großes Automobil als Sparkasse und Wechselstube eingerichtet, das bestimmt ist, nach einem genau festgelegten Reiseplan eine Reihe kleiner Dörfer und Städte zu besuchen. Der originelle Wagen ist völlig als Wechselstube eingerichtet, man sieht hinter einem Gitter die Pulte von Beamten und im Hintergründe einen feuersicheren Kasfenschrank, der die Ersparnisse der Landbevölkerung aufnimmt und hütet. * (Der Staat.) Der Professor Schmidt, der ein eifriger Politiker war und deshalb oft von seiner putz süchtigen Frau geneckt wurde, rief einst zornig aus: „Der Staat, der uns Männer beschäftigt, hat geographische und politische Grenzen, der Staat aber, den ihr Frauen oft macht, ist grenzenlos." * Folgendes Epigramm auf Moritz Arndt sei der Vergessenheit entrissen: Er hat's gebracht zu neunzig Jahren Und srug als Jüngling glutentbrannt: „Was ist de? Deutschen Vaterland?" Er starb — und hat es nie erfahren! * Druckfehlerteufel. Aus einer Anzeige der Grimmschen Märchen: „Diese Kindermädchen gehören noch heute zu den schönsten Schätzen des deutschen Vol kes und sind selbst für reifere und bejahrte Männer ein Gegenstand des Entzückens . . ." Lingsgangens vücksr. Einen wertvollen Berater für alle ständigen oder gelegent lichen Inserenten hat die bekannte Annoncen-Erpedition Invalidendank, Berlin lv., soeben mit ihrem Zeitungs-Katalog pro tyio, verbunden mit einem Kalendarium, herausgegeben. Fils sehr wesenliche Neue- rnng enthält der Katalog die Angaben, an welchen Tagen im Monat bezw. der Mache die einzelnen illustrierten Blätter und Fachzeitschriften erscheinen, was von allen Inserenten dankbar anerkannt werden wird. Das vormhm ausgemttete und dabei handliche Werk, sührt in zuver lässiger, übersichtlicher Reihenfolge fast sämtliche Tageszeitungen, illstrierter Blätter und Fachzeitschriften der Welt auf, sodaß es jedem, der in die Lage kommt zu inserieren, an ksand dieses Katalogs mög lich ist, sich schnell und "sicher zu orientieren. Die wohltätigen, ge- meinützigen Bestrebungen des Invalidcndank sind bereits allgemein be kannt, ebenso auch, daß Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz das protektorrat über diesen Verein übernommen hat. Es wäre zn wünschen, daß im Interesse der hilfsbedürftigen Invaliden und deren Hinterbliebenen, denen doch ausschließlich die Einnahmen des Iuvalidendank zugute kommen, auch diejenigen Leser unseres Blattes, welche den Inoalidendank noch nicht in Anspruch genommen haben, sich seiner erinnern, falls einmal aus irgend einer Veranlassung die Aufgabe von Inseraten notwendig wird; Mehrkosten entstehen da durch nicht. Die Versendung des Katalogs an Inserenten erfolgt gratis und franko von der Zentrale „Invalidendank" in Berlin w. 8, Unter den Linden 2z oder von einer der nächsten Geschäftsstellen. vriekkastsn. A. P. 100. Ein Recht steht dem im Parterre woh nenden Mieter nicht zu. Er hat sich zunächst, wenn er nicht selbst Besitzer dieses Wohnhauses ist, mit dieser Be schwerde an seinen Hauswirt zu wenden, welcher für Ab hilfe dieses Uebelstandes sorgen wird. Eine gesetzliche Arbeitszeit in einer Privatwohnung besteht nicht. N. S. 30. Nach einer Ministerialverordnung vom 2. November 1907 kann ein städtischer Musikdirektor auf je 2 von ihm beschäftigten Gehilfen 1 Lehrling halten. Wenn ein Musikdirektor eine im Mißverhältnisse zu dem Umfang oder der Art seines Gewerbebetriebs stehende Zahl von Lehrlingen hält und dadurch die Ausbildung der Lehrlinge gefährdet erscheint, so kann dem Lehrherrn von der unteren Verwaltungsbehörde die Entlassung eines entsprechenden Teiles der Lehrlinge auferlegt und die Annahme von Lehrlingen über eine bestimmte Zahl hinaus untersagt werden. StanQssamts - Nackrickten vom 29. Januar bis 4. Februar. Geburten: Paul Kurt, S. des Schlossers Daniel Gottlieb Walther Wild in Pulsnitz M. S. — Georg Walter, S. des Fär- bereiarbeitcrs Friedrich Arno Schöne in Vollung. — Ale.r Erich, S. des Fabrikarbeiters Ernst Otto Bürger in Ohorn. — Ma.r Georg, S. des Sattlers Hermann Mar Köhler in Pulsnitz M. S. — Martin Walter, S. des Fabrikarbeiters Emil Bernhard Beyer in Ohorn. Eheschliessungen: Robert Alwin Zschiedrich, Tagearbeiter in Pulsnitz M. S., mit Emilie Frieda Schreier, Fabrikarbeiterin in Pulsnitz M. S. Sterbefälle: Käte Marie Louise, T. des Pastors Curt Rudolf Volkmar Resch in Pulsnitz, 9 M. 20 T. alt. — Johanne Wilhelmine verw. Springer geb. Frenzel, Lohntreiberin in Ohorn, 80 I. 2 M. 1 T. alt. Dresdner Proudkten-Börse, 7. Februar 1910. Wetter: Trübe. Stimmung: Ruhig. Um 2 Uhr wurde amtlich notiert: lvenen, weißer, — — — M, brauner, neuer, 74—78 Kilo, 219—227 M, do. feuchter M, russischer rot 240—252 M, do. russisch, weiß M, Kansas 249—225 M, Argentinier M, Amerikanischer, weiß —M. Roggen, sächsischer 70-73 Kilo 157—163 M, russ. 183-186 M. Gerste, sächsische, 152-167 M, schlesische 164-179 M, Posener 159—174 M, böhmische 179—194 M, Futtergerste 135—142 M lsascr, sächsischer 163-169 M, beregneter 145-157 Ai. schlesischer 163—169 M., russischer 153-159 M. Mais Cinguantine M, alter 181—188 M, Laplata, gelb, 160—163 M, amerikan. Mired-Mais — , Nundmais, gelb, 159—163 M, do. neu, feucht M. Erbsen, 185-200 M, Wicken, sächs. 175-190 M. Buchweizen, inländischer 190—195 M, do. fremder 190 -195 M. Gelsaaten, Winterraps, feucht —, trocken — M. Leinsaat, feine 320,00—330,00 M, mittl. 305,00—320,00 M. Laplata 315,00-320,00 M. Bombay Bi. Rüb öl, raffiniertes 62,00 M. Rapskuchen (Dresdner Marken) lange 13,50 M, runde M Leinkuchen (Dresdner Marken) I 19,00 M, II 18,50 M. Malz 26,00—31,00 M. weüenmehle (Dresdner Marken): Kaiserauszug 37,50—38,00 M, Grießlerauszug 36,50—37,00 M, Semmelmehl 35,50—36,00 M, Väckermundmehl 34,00—34,50 M, Grießlermundmehl 25,50 bis 26,50 M, Pohlmehl 18,00-19,00 M. Roggenmehle (Dresdner Marken) Nr. 0 25,50—26,00 M, Nr. 0/1 24,50—25,00 M, Nr. 1 23,50—24,00 M, Nr. 2 21,00—22,00 M, Nr. 3 17,50—18,00 M, Futtermehl 14,40—14,60 M, ercl. der städtischen Abgabe. Weizenkleie (Dresd. Mark.): grobe 12,00—12,20, feine 11,50—11,70. Roggenkleie (Dresdner Marken): 12,40—12,60 M. Uebersicht über die an den Hauptmarktorten Deutsch lands in der letzten Woche gezahlten Fettviehpreise Die Preise sind in Mark für 50 kx; Schlachtgewicht bezw. Lebendgewicht (l bedeutet Lebendgewicht) angegeben. Die erste Zahl bedeutet den niedrigsten, die zweite den höchsten für die betr. Viehgattung gezahlten Preis. (Unberechtigter Nachdruck verboten.) m. . . . Hammel, Rmdmeh Schafen. Aachen.... Großvieh 46-73 Kälber 60—120 Lämmer 66—78 Schweine 70—74 Barmen . . . 58-70 75—88 72—82 65—72 Berlin .... 47—77 56—130 53—80 61-72 Bremen . . . 55—76 60—110 60—80 63—73 Vreslan . . . 51—73 52—85 62-82 58—73 Bromberg. . . 24—361 30—401 34-351 45—501 Chemnitz . . . 40—74 38—531 30-401 63—78 Dortmund . . 50-75 42—561 75-80 62—71 Dresden . . . 46—86 70—82 67—86 64—74 Elberfeld . . . 57—81 70—90 60—75 63—73 Essen .... 55—77 38—75 65—80 62—73 Frankfurt a. M. 38—84 68—90 75-78 67—75 Hamburg . . . 49—72 85-134 70—92 58-67-/, Hannover. . . 47—73 65—100 65—87 64—72 Husum .... 68—70 — — 46—501 Kiel 45—70 54—95 70—78 38—551 Köln a. Rh. . . 50—80 50—115 68—90 62—74 Leipzig.... 42-81 34—561 32—411 64—73 Magdeburg . 27—43 l 29—501 381 60—72 Mainz .... 66—77 85—90 — 67—77 Mannheim . . 48—84 80—90 60—70 73—75 Nürnberg. . . 58-82 53—72 40—68 72—74 Stettin.... — 50—80 — 64—70 Zwickau . . . 45—74 43—541 33-431 68—76 Aufgestellt am 3. Februar die am 2. Februar abgehaltenen 1910. Mitberücksichtigt Märkte. sind noch Mettervsrhersage dcr Königlich Achsischen LandesmektermarLc zu Drssde«. Mittwoch, den 9. Februar: Nord-West-Wind, wolkig, kälter, zeitweise Regen und Schnee. Magdeburger Wetrernarye» sage. Ziemlich trübes, etwas wärmeres, windiges Wetter mit Regen. Mocken - Spielplan der königlicksn lZoktkealsr Zu Dresden. Königliches Opernhaus. Mittwoch, den 9. Februar: Mit allerhöchster Genehmigung: Zum Besten des Unterstützungs-Fonds für die Witwen und Waisen von Mitgliedern der Königl. musikalischen Kapelle: Aschermittwochs-Konzert ('/z 8 Uhr.) Donnerstag: Madame Butterfly. Freitag: Die Afrikanerin. (7 Uhr.) Sonnabend: Der Schleier der Pierrette. Versiegt. (7 Uhr.) Sonntag: Die Meistersinger von Nürnberg. (6 Uhr.) Montag, den 14. Februar: Der Schleier der Pierrettc. Das gol dene Kreuz. (7 Uhr.) Königliches Schauspielhaus: Mittwoch, 9. Februar: Der Arzt am Scheideweg. (^28 Uhr.) Donnerstag: Auf Allerhöchsten Befehl: Faust. I. Teil. (6 Uhr.) Freitag: Der Arzt am Scheideweg. (-^8 Uhr.) Sonnabend: Agnes Bernauer. (7 Uhr.) Sonntag: Der Arzt am Scheideweg. (-F8 Uhr.) Montag, 14. Februar: Zweimal zwei ist fünf. ('/z8 Uhr.) Hinter der Maske. Von Aarl Berkow. 27. Nachdruck verboten „Wir wollen vergessen, Hedwig", sagte ich, „wir haben beide schwer gelitten und wenn wir fehlten, wir haben e« hart gebüßt. Du sollst nicht mehr verlassen sein; ich will dir Freund und Bruder sein; ich will dich schützen, dich pflegen; ich will dich dem Leben wiedergewinnen, Unter dem sonnigen Himmel Italiens, meiner zweiten Heimat, sollst du die Vergangenheit be« graben." „Da richtete sie die glanzlosen, einst so schönen Augen auf mich mit einem Ausdruck, den ich nie vergessen werde. „Zu spät!' schrie sie mit herzzerreißender Stimme, „zu spät!" „Und von neuem sank sie bewußiloS in die K-ffen zurück „Ich stürzte hinaus in die kalte Winternacht. Immer wieder hörte ich den einen — einen Schrei. „Zu spät!" klang «S in mir, ries er mir zu von allen Seiten und der ganze Jamm« einer gebrochenen Menschenlebens bebte durch den markerschütternden Ton. „Als ich am nächsten Morgen in Hedwig« Wohnung kam, sagte man mir, daß sie gestorben sei; jenes verzweifelnde Wort, daS letzte was ich von ihr gehört, war ihr Todesschrei gewesen. „Und dieser gellende Nus ließ nicht ab, mich zu verfolgen Tag und Nacht; ich hörte ihn immer, immerfort, in dem Taumel wildester Lust, mitten in dem Kampfgewühl, in dar ich mich stürzte — immer hörte ich daS eine Wort. Ja «S war für mich zu spät geworden; nach jenim entsetzlichen Wiederfinden gab eS kür mich keine Zukunft mehr. Ich bin seitdem ruhelos, wie der ewige Jude, in der Welt umhergeirrt, unaufhörlich da« Ver» gessen suchend, dar ich nirgends sand. Sie nennen mch den tollen Mal«, Bergen, ja, ich komme mir selbst zuweilen wie ein Wahnsinniger vor. Wer mit allen Hoffnungen gestrandet, wer nicht« auf der Welt besitzt, zu dem er verehrend empor» blicken kann, weck alles an ihm sich al« Trug erwiesen, muß ja dem Wahnsinn halb verfallen sein, um sein Leben überhaupt ertragen zu können." „Und Ihre Kunst, Francekco? Vergessen Sie nicht, wie viel Sie ihr verdanken, wie reich Sie dadurch vor vielen anderen begnadigt sind." „O, daß ich eS vergessen könnte", ries der Maler wild, „vergessen, daß e» noch etwa« Höhere« auf Erden gibt, wonach da« Herz zuweilen in namenlosem Sehnen ringt. Ja, ich liebe meine Kunst, aber die Welt der Ideale, die ve» echten Künstler« Herz erfüllen soll, ist für mich tot; mir ist eS stet», al« könne ich nur Zerrbilder schaffen." „Und gibt e» denn nicht« in der Welt, da» Sie retten könnte? Mir graut davor, Sie so zerfallen mit sich selbst und dem Geschicke Ihrem sicheren Verderben «ntgegeneilen zu sehen." „Ueber FrancekcoS Gesicht flog ein trüb« Ausdruck. „Ja", sprach er langsam, „e» gibt ein Wesen noch, da« mich retten könnte, aber e» ist hier, wie überall zu spät." „Und warum zu spät?' drängte Bergen. „Zur Umkehr ist eS nie zu spät. Wenn Sie jenes Mädchen lieben und von ihr wiedergeliebt werden, kann Ihnen noch ein Glück erblühen, von dem Sie niemals träumten." „DaS sagen Sie Bergen, der sich nie einen Vorwurf zu machen hatte; ich aber bin der reinen Liebe eine« solchen Wesen« nicht mehr wert. Ich, der toll« Maler, der Geliebte der Frau von WielopolSla, ein solider Ehemann? Ha, ha — e« wäre zum Lachen, wenn e« nicht so traurig wäre! Und sie sagte mir selbst, daß sie nur dort zu lieben vermöchte, wo sie von Herzen achten könne. Nein, nein, Bergen, Sie müssen mich aufgeben; ich bin nicht mehr für da« Glück bestimmt." — — Achte«Kapitel. — — Frühltngswehe«. Gabriele stand zu einem AuSgange angelleidet am Fenster ihre« Boudoir«, Herbert erwartend, dessen Unterricht noch nicht beendet war. Ein leichter Unwohlsein hatte sie für einige Zeit an ihr Zimmer gefesselt und ihr nicht einmal erlaubt, die ge. wohnten Gäste bei sich zu sehen, aber sie vermißte sie auch kaum. Die letzten Tage und Wochen seit jener überraschenden Erklärung Franckes« hatten sie tiesnachdenklich gemacht und wie Spiegelbilder der Erinnerung an ihr vergangene« Leben an ihrem geistigen Auge vorübergleiten lassen. Und fast unwillkür. lich tauchte in ihr der Gedanke auf, wie ganz ander« ihr Leben, ja ihr ganzer Charakter sich gestaltet hätte, wenn sie die Gattin eine« bedeutenden Manne« geworden, eine« Manne«, der mit fester Hand, mit ernstem Willen ihre Fehler bekämpft, unter dessen behütenden Augen ihre besseren Eigenschaften sich zu reicher Blüte entfaltet, eine« solchen Manne« — wie Bergen war. Wa« war statt dessen au« ihr geworden? Sie hatte in gedankenlosem Leichtsinn die Hand de« Manne« zurückgewiesen, der jene zu spät geschätzten Eigenschaften besaß und sie hatte in dem sclbstgewählten Geschick die bitterste Strafe gesunden. Oft hatte in den trüben Jahren ihrer Ehe jene» ernste Männer» antlitz vor ihrer Seele gestanden, dessen Augen nie ander«, al« gütig auf sie herabgcblickt, und sie hatte sich gefragt, wie sie e« jemals habe so häßlich finden können. Und dann hatte da» Schicksal sie wieder zusammengeführt, al» sie e» kaum erwartet; er war vor sie hingetreten, gereift an Geist nnd Charakter, ein edler, willentflarker Mann, zu dem sie jetzt demütig hinaufzublicken vermochte, nicht mehr der L ebende von ehedem, den da« geringste Zeichen ihrer Gunst so hoch be glücken konnte, nein, ein strenger prüfender Freund, dessen Auge kein einziger ihrer Fehler entgehen konnte. Er sagte ihr nie eine Schmeichelei, aber ost sehr bittere Wahrheiten, er fand auch jetzt nicht den üblichen Ton leichter Konversation oder verschmähte ihn, den ihre übrigen Gäste führten, aber er wußte für jede« Lud, für jeden Schmerz da« rechte Wort zu finden und wie von selbst verschwanden die trüben Schatten von Gabrielen» Stirn, wenn er zu ihr sprach. Ob er sie wohl noch liebte? — Wohl kaum! Wer über da« Weib, dem einst sein Her, gehört, so kühl, so unparteiisch urteilen konnte, hatte längst zu lieben aufgshört, und hatte er nicht dem Italiener stets den sichtbarsten Vorrang in Gabrielen« Gunst eingeräumt, ihm jede Gelegenheit verschafft, sie, so oft e« anging, zu sehen und zu sprechen? Gabriele schauderte leise, wenn sie daran dachte, wie nahe sie daran gewesen, jenen ihr unheimlichen Mann zu lieben, der in fast rätselhafter Weise in ihr Leben verflochten war. „O, sei Dank, daß e« vorüber", flüsterte sie, ihre Hände mit innigem Danke zusammenpreffend. Eine Tür wurde jetzt hinter ihr geöffnet; Helga trat mit dem Knaben ein. „Möchten Sie mich nicht begleiten, liebe Helga?" fragte Gabriele freundlich. „Sie sehen seit einiger Zeit so angegriffen au«; die frische Luft würde Ihnen gewiß gut tun." Helga« blasse Wangen übe, flog ein leise« Rot, al« sie dankend verneinte. Gabriels warf einen prüfenden Blick auf ihre Erzieherin, sie wiederholte die Aufforderung indessen nicht, sondern verließ mit lächelndem Gruße da« Gemach. Herbert hatte heute sehr viel zu erzählen und wunderte sich zuweilen, daß er von seiner Mutter nur zerstreut« und em» silbige Antworten eihielt. Er fragte wiederholt, warum Tante Helga gestern abend so sehr geweint und warum Onkel Fran ceico denn gar nicht mehr käme. Der letztere Umstand schien dem Knaben besonder« nahe zu gehen; der Maler« lebendige» Wesen war ihm in hohem Grade sympathisch. „Sprich doch nicht unauihörlich von Signor Francskco!" sagte Gabriele endlich etwa» ungeduldig. Herbert blickte sie erstaunt an. „Warum denn nicht, Mama? Kannst du Onkel Francekco nicht leiden?" „Da« nicht, aber —" Gabriele stockte, „Hast du Onkel Bergen lieber?" fragte Herbert mit der Kindern eigenen Beharrlichkeit, einer Sache auf den Grund zu kommen. (Fortsetzung folgt.)