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Nr. 11. Pulsnitzer Wochenblatt. — Sonnabend, den 29. Januar 1910. Seite 2. durch den Raubmord erbeuteten Gelbe, der sich dann in die nächste Schänke begab, um sich Zigarren zu kaufen. Nach vollbrachter Tat kehrte der Mörder zu seinem Dienst- Herrn, dem Gutsbesitzer Zieger in Omsewitz, zurück. Er trug ein ruhiges, unauffälliges Wesen zur Schau, erkun digte sich Abend, wenn das Gesinde in der Gesindestube versammelt war, ob schon der Mörder des Fleischerlehr, lings Höch ermittelt worden sei. Auch wollte er stets wissen, was die Zeitungen über die Bluttat berichteten, und eine Magd mußte ihm stets die die Mordtat betref. senden Zeitungsartikel vorlesen. Der Mörder ist am 12. April 1891 in Vorstadt Löbtau als Sohn rechtschaf fener Eltern geboren. Dis letzteren betrieben anfangs einen Produkten- und Kohlenhandel, bis der Vater vor einigen Jahren am Herzschlag starb. Die Mutter wurde schwermütig und beging Selbstmord durch Erhängen. Heinze wurde 1905 zu Briesnitz konfirmiert und war dann bei verschiedenen Gutsbesitzern als Knecht in Stellung. Er ist von langer, schmächtiger Gestalt und wird als ein fleißiger, ordnungsliebender Mensch geschildert. Er hat noch zwei Schwestern, von denen die eine verheiratet ist. Am 9. Januar dieses Jahres verübte er bei seinem früheren Dienstherrn, Gutsbesitzer Große in Merbitz, einen Einbruchsdiebstahl, wurde aber erkannt und jetzt verhaftet. Er ist auch verdächtig, bei Bränden auf Diebstahl auS- gegangen zu sein. Vor dem Untersuchungsrichter hat er jetzt eingeräumt, noch eine Anzahl Diebstähle und Ein brüche ausgeführt zu haben. Im Untersuchungsgefängnis trägt er ein ruhiges Wesen zur Schau. Sein umfassen des Geständnis scheint sein Gewissen erleichtert zu haben. 8. Dresden, 28. Januar. (Von derAnklagebank in den Tod?) Einen tragischen Abschluß hat das Leben eines jungen hoffnungsvollen Dresdner Raisbe- amten gefunden. Der RatSbureauassistent Martin Wagner erhielt am 2. November 1903 Anstellung als Ratsbe amter und amtierte von da ab als Buchhalter in Dresdner Stadtbauamt 6. Als solcher bezog er zuletzt 1800 M JahreSgehalt. Wagner erfreute sich bei seinen Vorge setzten allgemeiner Achtung und auch in seiner Eigen schaft als Familienvater führie er das denkbar glücklichste Leben Eines Tages erlitt er eine Kopfverletzung und von dieser Zeit an klagte er fortwährend über Gedächt nisschwäche. Nach dem erlittenen Unfälle, vom Mai bis August 1909 kassierte Wagner, nicht als beauftragter Beamter, sondern aus Gefälligkeit von einem Dresdner Kabarettinhaber in mehreren Einzelposten insgesamt 887 M für GaS und quittierte darüber entsprechend. Die erforderlichen Buchungen im Etnahmejournal unter- ließ W. jedoch, lieferte auch das kassierte Geld nicht ob, sondern verbrauchte es in seinem Nutzen. Der Kabarettin haber erhielt eines Tages vom Rate die Aufforderung, rückständige Gasrechnungen zu bezahlen. Hierdurch kam die Sache ans Licht und der Beamte wurde aus dem Dienste entlassen. Auch erfolgte gegen ihn Strafanzeige, doch ließ ihn die Staatsanwaltschaft aus freiem Fuße. Wagner leistete sofort vollen Ersatz, erklärte aber nicht angeben zu können, was ihn dazu veranlaßt habe, das Geld für sich zu behalten. Er entschuldigte sich mit er ihm an haftenden Gedächtnisschwäche und hoffte nunmehr, zumal niemand geschädigt worden, auf eine milde Strafe. Das Landgericht war indessen anderer Ansicht, und verurteilte Wagner zu der empfindlichen Strafe von 1 Jahr 2 Monaten Gefängnis und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 2 Jahren. Auf ein solches Strafmaß war der Angeklagte keineswegs gefaßt. Vollständig gebrochen wankte er, da er sich aus freiem Fuße befand, von seinem Verteidiger begleitet, aus dem Gerichtssaal in? Freie. Der Verteidiger sprach ihm noch Mut zu und stellte eine erfolgreiche Anfechtung des landgerichtlichen Urteils beim Reichsgericht, sowie ein Gnadengesuch beim König in Aussicht. Stumm hörte der Beamte die Worte seines Verteidigers au, dann drückte er dem letzteren zum Danke für die ihm bewiesene Teilnahme die Hand und verschwand — für immer. Das war am Montage. Seit diesem Tage ist W. spur los verschwunden. Seine Angehörigen sind in größter Sorge um ihn. Aber man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß der bedauerswerte Mann aus Ver- zweiflung in den Tod gegangen ist.— l^gssgesübickts Deutsches Reich. Berlin, 27. Januar. Die Feier des Geburtstages des Kaisers im königlichen Schlosse wurde auch in diesem Jahre durch das große Wecken ein leitet, daß die Spielleute der 2. Garde-Inf. Brigade und die Hoboisten des 2. Gard regimentS ausführten. Um 8 Uhr morgens setzten die Trommler auf dem inneren Echloßhofe mit dem großen Wirbel ein, an den sich ein Vers des Niederländischen Dankgebets schloß. Der Kaiser erschien schon während des Aufmarsches der Spielleute an denl großen Fenster über Portal I nach dem Hofe hinaus. Gleichzeitig blies das Trompeterkorps des 2. Garde-Ulanenregiments von der beschneiten Galerie der Schloßkuppel herab den Choral „Nun danket alle Gott" in die vier Windrichtungen. Die Neveille setzte sich im Schlenderschritt in Marsch, Trommler und Pfeif fer rührten das Spiel, und die Kapelle ließ das alte Freut euch des Lebens" ertönen. So ging es nach dem Schloßplatz hinaus. Der Kaiser erschien am Fenster sei nes Arbeitszimmers und wurde vom Publikum mit Hoch rufen, Hut- und Tücherschwenken begrüßt. Wie das Kö niglich. Schloß sich beflaggt zeigte, so waren auch die öffentlichen und viele private Gebäude mit Fahnen und Guirlanden geziert. Viele Schaulustige beobachteten die Anfahrt der zum Gottesdienst und zur Cour Geladenen und der zur Gratulation eintreffenden Fürstlchksiten. Nach Schluß der Schulfeiern verstärkte die Schuljugend die Ansammlungen im Lustgarten und auf dem Schloß platze. Der Kaiser nahm zuerst die Glückwünsche der kaiserlichen Familie entgegen und empfing dann dis Gra tulationen der Damen und Herren des engeren Hofes und des Hauptquartiers und im Pseilersaal die hier ständig anwesenden und zum heutigen Tage hier einge troffenen Prinzen un Prinzessinen des königlichen Hau ses und der Gäste. Um 8»/^. Uhr empfing der Kaiser den Reichskanzler vr. v. Bethmann-Hollweg. In der Schloß kapelle versammelten sich die Botschafter und die anderen Chefs der hier akkreditierten Missionen, die Mitglieder des hohen Adels, der Reichskanzler, die Mitglieder des Bundesrates, die Generalität und Admiralität, die Ritter des Schwarzen Adlerordens, die Staatsminister, die Prä sidenten der drei Parlamente und die Hofgeistlichkeit. Die Stäbe der Zeremonienmeister klopfen den Estrich, der Domchor intonierte den Psalm 20 „Der Herr erhöre mich in der Not". Dann erschien der Hof D r Kaiser führte die Großherzogin von Baden, der König von Sach sen die Kaiserin, der König von Württemberg die Kron prinzessin. Das Kaiserpaar und die Fürstlichkeiten nah men vor dem Altäre Platz. Gemeindegesang und Litur gie leiteten den Gottesdienst ein. Oberhofprediger Dryn- der predigte über das vom Kaiser selbstgewählte Wort des Psalmisten „Aber das ist meine Freude, daß ich mich zu Gott halte und mein Zuversicht setze auf den Herrn, daß ich verkündige alle deine Tugend". Den Gottesdienst schloß, vom Domchor mit Posaunenbegleitung vorgetra gen, der Gesang „Gott ist gewaltig", dem das nieder ländische Dankgebet folgte. Berlin, 27. Januar. Aus Anlaß des heutigen Ge burtStages des Kaisers werden zahlreiche Ordens- und Titelverleihungen, Beförderungen und sonstige Gnaden beweise bekanntgegeben. U. a. wurden verliehen, der Schwarze Adlerorden dem Reichskanzler vr v. Bethmann- Hollweg. Berlin, 28. Januar. Der Kaiser empfing heute vor mittag 11 Uhr die anläßlich der Rokokoausstellung hier weilenden französischen Herren und zeigte ihnen u. a. den früheren Apollosaal im Königlichen Schloß, welcher unter dem Namen Joachimsfaal im Stile der Zeit des Kur fürsten Joachim unlängst umgebaut wurde. Berlin, 28. Januar. Die Hoffnung daß der Präsi dent des Reichstages Graf zu Stolberg-Wernigerode nach dem Geburtstage des Kaisers die Leitung des Präsidial geschäfte wieder übernehmen werde, hat sich nicht bestä tigt. Obwohl Graf Stolberg aus dem Wege der Besser ung sich befindet, mutz er doch auf Wunsch der behan delnden Aerzte das Bett hüten und wird wird wohl noch einige Zeit den Sitzungen des Reichstages fernbleiben muffen. Oesterreich-Ungarn. Budapest, 28. Januar. Im Abgeordnetenhause, wo heute die Debatte über die Vor stellung des neuen Kabinetts fortgesetzt wurde, verzichteten die meisten der noch vorgemerkten Redner — 19 an der Zahl — auf das Wort, sodaß es zur allgemeinen Neber- raschung schon heute zur Abstimmung über den Miß trauensantrag Justh und den Antrag Kossuths auf Er richtung einer selbstständigen ungarischen Bank kam. Beide Anträge wurden mit großer Mehrheit angenommen und somit dem Kabinett Khuen Hedervary ein Miß trauensvotum erteilt. Daraufhin- übergab der Minister präsident Graf Khuen Hedervary dem Präsidenten ein königliches Handschreiben, welches sofort zur Verlesung gelangte Gemäß diesem wird das Abgeordnetenhaus bis zum 24. März vertagt. Dieses Handschreiben ries einen großen Sturm der Entrüstung bei der Mehrheit hervor. Es wurde ein Antrag angenommen, worin ge gen die ungesetzliche Vertagung protestiert wurde. Gleich zeitig wird der Regierung die Verwaltung der öffentli chen Gelder, die Verausgabung der Summen für die ge meinsamen Angelegenheiten und die Weiterführung von Handelsvertragsverhandlungen verboten. Das Abgeord netenhaus erklärt schon jetzt, daß es die Giltigkeit solcher Verfügungen, namentlich auch die Verlautbarungen einer Verfassung Bosniens und Herzegowinas im Verordnungs wege nicht anerkennen werde. Dieser Beschlußantrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Dafür stimmte die Unabhängigkettspartei und Volkspartei, dagegen ein großer Teil der Verfassungspartei, Alsdann wurde die Sitzung unter großer Erregung geschlossen. England. London, 27. Januar. Die meisten Mi nister, darunter Herr Asquith, trafen gestern in London ein. Der Schatzkanzler, der mit Asquith eine längere Besprechung hatte, soll nach dem „Daily Chronicle" be schlossen haben, im neuen Staatshaushalt für die Marine fünf bis sechs Millionen Pfund Sterling mehr zu ver langen. Minister Churchill, der gestern in Frome in der Grafschaft Somersez eine Rede hielt, betonte, die liberale Partei habe keinen Grund, über den Ausgang der Wah len niedergeschlag. zu sein. Eine Mehrheit von 120 Stimmen sei gesichert. 6us nNsr MeU. Berlin, 28. Januar. (Wilderers Ende.) Wie aus Kalkberge-Rüdersdorf bekannt wird, hat in der Grün linder Forst der Förster Nusche in der Notwehr den Arbeiter Gustav Augat erschossen. Essen, 28. Januar. (Schneesturm im Ruhr ge biet.) Im ganzen Ruhrgebiet hat heute vormittag er neut ein heftiger Schneesturm eingesetzt, der dis behobenen Verkehrsstörungen wieder in verstärktem Maße hervorruft. Bielefeld, 28. Januar. (Großfeuer.) In den Re- paraturrüumen der Automobilsabrik Dürkopp brach heute früh Großfeuer aus. Automobile und Automobilteile im Werte von 400000 Mark wurden zerstört. Der Schaden ist durch Versicherung gedeckt. Der Betrieb wurde nicht gestört. Budapest, 28. Januar. (Beim Küssen verun glückt.) In Hodmezöväsarhely wusch ein 15jährigeS Mädchen am Brunnen Wäsche, als ihr Geliebter von rückwärts daherkam und sie stürmisch küßte. Die Ueber- raschte verlor das Geichgewicht und stürtzte in den 60 m tiefen Brunnen. Man brachte sie als Leiche wieder ans Tageslicht. Budapest, 20. Januar. (Beim „Fensterln" er» schlagen.) In Szilägyhamat wollte der Landwirt Michael BaläzS nachts zu seiner Geliebten,, die in einem Hause mitten im Walde wohnte, durch das Fenster ein steigen. In diesem Augenblick tauchte der Vater des Mädchens auf, der Waldhüter Georg Bite» der in BalLzS einen Räuber oder Wilderer vermutete, und den Neber- raschten als er flüchten wollte, mit einem Knüppel zu Brei zerschlug. Als das auf das Geschrei herbeigeeilte Mädchen die gräßlich verstümmelte Leiche des Geliebten erkannte, eilte es verzweifelt in seine Kammer, nahm Gift und starb nach wenigen Minuten. Paris, 28. Januar. (Zur Hochwasserkatastrophe in Paris.) Große Gefahr besteht in vielen Stadtteilen von Paris, da eine Anzahl von Häusern Risse aufzeigen und bereits zu sinken beginnen. Wenn nicht bald ein Fallen des Hochwassers eintritt, stehen ernste Katastrophen bevor. Neue Schrecknisse werden aus Charenton ge meldet. Dort mußten mehrere Hunde getötet werden, die tollwütig geworden sind und eine Anzahl Menschen ge fährdeten. Das Spital Bucicvt, in welchem sich über vierhundert Kranke befinden, mußte schleunigst, geräumt werden, da eS einzustürzen droht. Die Kranken wurden über andere Spitäler verteilt. Nenrrsts Slrskts MslQungsn von Hirsch's Telegraphenbureau. Hamburg, 2s. Januar. In der Unterelbe kollid erten gestern Abend nach 7 Uhr in der Nähe von Wittenberg diePassagierdampser „Berstell." und „Albertroß". „Berstel" sank sofort, „Albertroß" erlitt Beschädigungen am Bug. Die Passagiere beider Dampfer konnten durch den Schnell dampfer „Konstant" gerettet werden. Der Maschinist deS gesunkenen Dampfers wurde durch ausströmenden Dampf schwer verletzt. Paris, 29. Januar. „Journal" bringt die sensatio nelle, jedoch zweifellos völlig unbegründete Mel ung aus Nancy, daß der deutsche Kronprinz und einer seiner Brü der gestern in Nancy verweilt hätten, wo sie in einem Hotel abgestiegen seien. Sie hätten die Stadt besichtigt und dann die Weiterreise nach Paris angetreten um die Hochwasserkataflrophe in Augenschein zu nehmen. Die Polizeibehörde hätte die Prinzen genau erkannt. Paris, 29. Januar. Der Hafcnpräfekt von Toulon ist aufgefordert worden, alle verfügbaren Boote nach Paris zu senden. Der Verkehr auf dem rechten und linken Ufer der Seine wird immer schwieriger. Im Zentrum von Paris stehen nur noch zwei Brücken für den Verkehr zur Verfügung. Die Keller des Finanzministeriums stehen unter Wasser, weshalb alle Vorkehrungen getroffen wur den, um erforderlichen Falles das Gold und das Bargeld in Sicherheit zu bringen. — Von den 2 Millionen Francs, welche das Parlament für die Opfer der Hochwasserkata- strophe bewilligt hat, gelaugten gestern 500000 Francs an die Bedürftigen zur Verteilung. Die öffentliche Sub skription hatte bis nachmittags bereits die Höhe von 14/s Millionen ergeben. — Wie aus London gemeldet wird, hat der Lordmayor ebenfalls für die Pariser Ueder- schwemmten eine Subskription eröffnet. Paris, 29. Januar. Um 3 Uhr gestern nachmittag hatte die Flutwelle ihren Höhepunkt erreicht. Der Wasserstand an Port Rayal betrug 9,5 Meter. Infolge des rapiden Sinkens der Marne und des Oberlaufs der Seine erwartet man ein langsames Fallen des Wassers in der Stadt. Jedoch ist man angesichts des Regen wetters in dieser Hinsicht nicht allzu optimistisch ge stimmt. Was die Versorgung von Paris mit Trink wasser anbelangt, so herrscht deshalb keine Befürch ung da die Kanalisation gegen alle Eventualitäten gesichert ist. Ueberdies hat der Bautenminister den Bahngesell schaften die Anweisung erteilt, ine Züge mit Lebens mittel für Paris vor allen anderen Zügen zu befördern. Der Telegraphenverkehr mit den großen Städten ist wiederhergestellt. Die Lage deS Kais zwischen der In validen- und Almabrücke verursacht augenblicklich die lebhafte Beunruhigung bei den Behörden. Der Kai ist an mehreren Stellen eingestürzt, weshalb die Anstren gungen der Behörden sich besonders auf den Schutz dieses Punktes richtet. London, 29. anuar. Im englischen Amtsblatt wird die Verleihung des Ranges eines Admirals ok tiie ksieet an den Prinzen Heinrich von Preußen entsprechend sei nem Range als G in der deutschen Marine bekannt gegeben. Löndon, 29. Januar. Nach amtlicher Bekanntmachung wird der König das neue Parlament am 21. Februar eröffnen. »MM irt nickt nur ein gütet, sondern Lam! iZlüböpiiaupläkfbLZleULlrkM öe? Helt. Irinksn 8ie äaksi- nur