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Nr. 91. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, den 4. August 1910. Seite 6. denzen und Intelligenzen daheim erzählen könnten. Ein intelligenter Residenzler kaufte von solchen Angeboten na türlich nie, nie! Oder vielleicht ist er gerade der Dumme, der kauft, während die Dummen von draußen die Ge scheiden sind. ES ist doch in der Tat kaum glaublich, daß man sich an gewissen Stellen die „Leute von draußen" als die Motten vorstellt, die nur so in das weltstädtische Enttäuschungslicht hineinflattern. Kein Staat hat so viele solide Großstädte von 50000 bis 200000 Einwoh nern wie Deutschland. ES hat eine Unmenge sehr wohl habender Mittelstädte von 15 000 bis 50000, wo man nicht nur viel sehen, auch viel kaufen kann. Und wer in die ganz große Stadt kommt, der hat sich längst vor her anderswo umgeschaut. Der bezahlt kein Lehrgeld mehr! Und am Ende hüten sich die weltstädtischen Ge schäfte, eS zu verlangen. * (Rettung vor einer Klapperschlange durch ein Lasso.) Der bekannte Weltreisende John O Rivver erzählt in der „Elektric World" ein Erlebnis, wie «Hin San Diego in Kalifornien vor einem furchtbaren Schick sal durch die Geschicklichkeit eines Mexikaners bewahrt worden ist. Rivver befand sich auf der Farm eines ihm befreundeten SennorS zu Besuch und hatte sich im Gar ten sorglos schlafen gelegt. Er erwachte von einem selt samen Geräusch, das in seiner Nähe zu hören war. Schlaftrunken blickte er sich um und glaubte, daß ihm das Blut in den Adern erstarren müßte. Wenige Schritte vor sich sah er nämlich eine furchtbare Klapperschlange, die sich drohend erhoben hatte und Lust zu haben schien, sich auf ihn zu stürzen. Er blieb wie gelähmt liegen und konnte keinen Schrei ausstoßen. Dies war vielleicht seine Rettung. Er gewahrte nämlich plötzlich einen der auf dem Gute beschäftigten mexkianischen Arbeiter, der ihm zurtef: „Ruhig liegen bleiben!" Der Arbeiter warf die Hacke, mit der er den Boden bearbeitete, fort, da die Klapperschlange sich nun gegen den Störenfried wenden wollte, der es gewagt hatte, dem Reisenden die Warnungs worte zuzurufen. Blitzschnell hatte aber der Mexikaner einen starken ledernen Lasso aus der Tasche gezogen, den die Mexikaner mit tötlicher Sicherheit handhaben. Das Kampfspiel zwischen dem Mexikaner und der Schlange war nun, wie Rivver erzählt, von wahrhaft grauenhafter Spannung. Die Schlange hatte sich noch höher erhoben, um sich auf den Mexikaner zu werfen, der etwa 6 bis 7 Schritte von ihr entfernt sein mochte. Im gefährlich sten Augenblick sauste nun die lederne Schlinge durch die Luft und hatte einen lähmenden Erfolg. Im selben Augenblick stürzte die Schlange wie vom Blitz gefällt tot zusammen, denn der Lasso hatte sich ganz scharf um den Hals d^S Tieres gelegt und ihn zugeschnürt. Rivver konnte sich vor Schreck immer noch nicht rühren, bis end lich der Arbeiter ganz gemächlich herankam und ihm zeigte, daß das Tier völlig wehrlos sei. Er spielte mit der Schlange und neckte sie, ohne daß sie sich rühren konnte. Nachher schlug er sie mit einem Knüppel tot. Nus Sem Sericktssaals. 8 Pulsnitz. Kgl. Schöffe ngericht. (Sitzungam 27. Juli 1910.) Wegen Betrugs hatte sich zu verant- warten der Schmtedegeselle H. in Großröhrsdorf. H. hatte am 17. Juni dsS. Js. den Gastwirt W. in Pulsnitz um 60 Pf. und am 22. Juni dsS. IS. den Bierausgeber F. um 50 Pf. dadurch betrogen, daß er sich von ihnen Speisen und Getränke verabreichen ließ, obwohl er kein Geld hatte zum Bezahlen. Er wurde deshalb wegen Be trugs in zwei Fällen zu 10 M Geldstrafe ev. 2 Tagen Gefängnis verurteilt. — Weiter wurde der Handarbeiter T., z. Zt. hier in Haft, wegen Vergehens gegen 8 183 des St. G. B'S und weil er am 7, Juli 1910 den Gast wirt Sch. in Großröhrsdorf dadurch um 20 Pf. schädigte, als er sich Essen und Schnaps im Werte von 35 Pf. ver abreichen ließ, obwohl er nur 12 Pf. besaß. Das Schöffen gericht verurteilte ihn deshalb zu einer Strafe von 30 Tagen Gefängnis, wovon 1 Woche von der erlittenen Untersuchungshaft als verbüßt gilt. 8 Dresden, 3. August. Vor dem hiesigen Landgericht begann heute der auf drei Tage anberaumte Strafprozeß gegen den Filmsfabrikanten Dederscheck und 20 Genossen wegen Herstellung und Verbreitung unzüchtiger Films. Angeklagt sind auch eine Anzahl hiesiger männlicher und weiblicher Aktmodelle, die die obskönen Bilder zu den Films stellten. Den Modellen wurde erklärt, die Films sollten nur im Auslande vorgeführt werden. Sie wurden jedoch in einer kinematographischen Vorführung in Pirna bei Dresden gezeigt und dort beschlagnahmt. Die Oeffent- lichkeit wird während der ganzen Dauer des Prozesses ausgeschlossen sein. Les nm Umgliche Le- sidenMotz in Posen. In den nächsten Tagen wird in Gegenwart des Kaisers, des Kron- prinzenpaares und des Prinzen Eitel- Friedrich das neue Königliche Resi- denzschloß in der Stadt Pofen feier lich eingeweiht. Der stolze Bau, der nach den Plänen des Geheimen Bau rats Schmechten im romanischen Stile errichtet wurde, erinnert an eine Kaiserpfalz des Mittelalters. Ein 70 Meter hoher und 15 Meter breiter Turm gibt dem Gebäude et was ungemein Imposantes. Die Wohnräume für den Monarchen be finden sich in der Front des Schlos ses, die der Kaiserin im ersten Stock werk nach dem Parke hinaus. Ein riesiger, für Repräsentationszwecke bestimmter Saal befindet sich aus der dem Turm entgegengesetzten Seite. Auch die Innenarchitektur und die Einrichtung dieses gleichsam als Wahrzeichen des Deutschtums in der Ostmark errichteten Furstensitzes entspricht genau dem romanischen Stile des Schloßgebäudes. 8 Ein Prozeß, der interessante Einblicke in das Trei ben internationaler Mädchenhändler gewährt, wird zur zeit vor der 10. Strafkammer des Landgerichts I zu Ber lin verhandelt. Angeklagt ist eine Anzahl polnischer Ju den, darunter auch zwei Frauen; das Haupt der saube ren Gesellschaft ist der „Pferdehändler" Kieme Meyer Sil berreich. ES ist festgestellt, daß Silberreich, unterstützt von den Mitangeklagten, zwei Mädchen in Berlin an warb, um sie unter Vorsviegelung, ihnen gute HauSstel- len Auslande zu verschaffen, an öffentliche Häuser zu verkuppeln. Durch die Reinemachefrau des Hotels, in dem Kieme Meyer Silberreich abgestiegen war, kam das Treiben des Mädchenhändlers heraus. Der Händler fragte sie im Vertrauen, ob sie nicht für ihn geeignete Mädchen kenne. Für alte Mädchen könne er nur 2 Mk. pro Stück zahlen, für junge, sehr schöne und feurige „Ware" im Alter von höchstens 19 Jahren zahle er da gegen 150 bis 200 Mk. Die Frau bewog zwei Bekannte, zum Schein auf den Handel einzugehen, während gleich zeitig die Kriminalpolizei benachrichtigt wurde. So ging der Jude in die Falle. Die Staatsanwaltschaft betonte bei Eröffnung des Prozesses selber, es liege im Interesse der Oeffentlichkeit, wenn sie Aufklärung über das gemein gefährliche Treiben der Mädchenhändler erhalte. Der Zu- schauerraum war bei Eröffnung der Verhandlung gedrängt voll, und als bei der Vernehmung des nur mangelhaft deutsch sprechenden Silberreich Schwierigkeiten entstanden, erhoben sich im Zuschauerraum sofort eine Dame und ein Herr, ihre Sprachtenntniffe anbietend. Das Gericht hatte aber seinen eigenen Dolmetscher und ersuchte Zwi schenrufe zu unterlassen. 8 Berlin, 3. August. Die beiden Hauptangeklagten im Mädchenhändler-Prozeß Silbereich und Wollerstein, die gestern zu 2>/, und 2 Jahren Zuchthaus verurteilt wurden, werden gegen dieses Urteil beim Reichsgericht Revision einlegen. Die Angeklagte GedainSka, die noch vier Monate Gefängnis verbüßen muß, hat sich bei dem Ur teil beruhigt. Vsrttnsr Getreidebörse. Der Getreidemarkt eröffnete in recht gedrückter Stimmung. Das Jnlandsangebot zeigte sich nachgiebiger, auch lagen von Nord- Amerika und der Donau ermäßigte Offerten vor. Im Verlaufe befestigte sich die Tendenz auf Deckungskäufe. Hafer gab heute abermals im Preise nach. Rüböl befestigte sich auf Käufe der Kommissionäre. Wettervorhersage der Kgl. S. Landeswetterwarte zu Dresden. Freitag, den 5. August 1910. Veränderl. Winde, wechselnde Bewölkung, warm, Gewitterneigung. Magdeburger Wettervorhersage. Freitag, den 8. August 1910. Vielfach heiter und trocken, am Tage warm. Im Süden teilweise — Gewitter und wolkiger. — Mrckttcdo NaiDri^ten. Pulsnitz. Sonnabend, 6. August, 1 Uhr Betstunde. HilfSgeist- licher Schuster. Sonntag, 6. August, 11. nach Trinitatis: 8 Uhr Beichte > HtlfSgeistltcher l/,9 „ Predigt (Röm, 1, 16—25) s Schuster. V-2 „ Gottesdienst für die konfirmierte weibliche Jugend. Pastor Resch. 8 „ Jünglings- und Männerverein. AmtSwoche: Pastor Resch. Um ihn zu hindern, noch nachträglich Anzeige gegen mich zu erstatten, mußte « in den Stand gesetzt werden, einigermaßen sorgenfrei zu leben. Ach, e» hätte dieser Verführung gar nicht bedurft, um mir mein Geld aus der Tasche zu locken, da meine Sünde mich ohnehin fast zu Boden drückte. Ich gab um mein mahnende« Gewissen zu b-schwichtigen, nicht au« Angst vor Strafe. Denn vor der fürchtete ich mich nicht. Wer kannte denn dort wo ich weilte, meinen wahren Namen? Ich hatte mir gefälschte Papiere versorgt und niemand vermutete in mir den Schmuggler au« den Abruzzen. Al« ich Todd einmal brieflich anfragte, ob die übrigen Schmuggler, die dazumal mit den Gendarmen da« Gefecht gehabt, bestraft seien, schrieb er mir, daß bei der Unter suchung nicht« herau«grkommen sei, da die Schmuggler sämtlich geschwärzte Gesichter gehabt hätten und von den Gendarmen nicht erkannt worden seien. Erkannt wär« ich allein von dem Pa« trouillensührer, weil wir uns eben früher täglich gesehen und mein« Züge, Bewegungen und meine Gestalt gerade diesem Manne vertraut gewesen seien. Ich bezweifelt« dies« sämtlichen Angabrn nicht im mindesten — wenn da« eigene Gewissen «inen Menschen so drückt wie mich, läßt er sich in dieser Richtung leicht täuschen. Ich fühlte mich namenlo» unglücklich dazumal, denn ,« allem übrigen, wa« ich litt, kam noch die Sehnsucht nach de« Anita, die wahnsinnige Eifersucht auf Todd, der beständig da« Glück ihrer Näh« genaß — «in Glück, für da« ich mein« Seele Seligkeit hingrgrben hätte. Ich schrieb ihr öfter und hie und da antwortete sie mir auch, aber immer nur mit «in paa flüchtig«» Zeilen, die mich zwar mächtig aufregten, im übrigen aber mehr verletzten al« erfreuten, weil ich au« ihr «ober flächlich tändelnden Art ersah, wie gleichgültig ich ihr im Grunde war. Am Ende hielt mich« nicht läng« fern von ihr. Ich mußt« si« seh«n, wenn mich di« Sehnsucht nicht verzehren sollte. So wie meine Verpflichtungen meinem Varieteedirektor gegenüber «» zuließen, reist« ich nach Neap«l und verschafft« mir b«i der Tänzertruppe, bei der Todd und die Anita waren, «in Engage- ment. E« war erbärmlich grnug, d«nn di« Lmt« gebrauchten gar keinen zweiten Rezitator, Todd, der Clown genügte völlig zur Au«süllung der Pause», aber da ich mich mit der denkbar geringsten Sage einverstanden «klärte, so behielten sie mich am Ende doch. Hatte ich früher schon Eifersuchtkqualen gelitten, so war da» jetzt doppelt der Fall. Ich konnte mich nicht länger d« Erkenntni« verschließen, daß Anita, meine schöne Anita, die holder war al« die Houri« de« morgenländischen Paradiese«, diese« «kl« Gewürm, den Todd, mir vorzog. Er nahm sich Ver traulichkeiten gegen sie herau«, die nur einem Geliebten oder Gatten eine« Weibe« erlaubt sind und die sie doch duldete. E» waren ja Augenblicke in denen sie auch gegen mich zärtlich war, ab« im allgemeinen behandelte sie mich mit Spott und Geringschätzung. „Wie kannst du Ansprüche auf mich erheben?" fragte sie mich, wenn ich üb« ihre Kälte klagte. „Du bist arm wie ein Bettler, wa« soll ich mit dir?" „Aber du hast mir versprochen, mein Weib zu werden", erwiderte ich mit leidenschaftlichem Vorwurf. „Ja, wenn du reich bist", lautete ihre Antwort, unter der ich mich wie ein Wurm wand. Sie hatte ja recht, ich konnte ihr nicht« geben, nicht einmal ein armselige« Paar Ohrgehänge an ihrem Namen«tage. Dann ereignete sich jener Vorfall, von dem Sie ja Kennt« ni» haben. Ich geriet während einer Vorstellung in einen eifer süchtigen Streit mit Todd, der damit endete, daß ich ihn nieder stach. Ich wurde verhaftet, erhielt aber nur «ine geringe Strafe, weil die Richter in dem eifersüchtigen Zustand, in dem ich mich befand, einen Milderung»grund sahen. Todd wurde freigesprochen, weil er sich in Notwehr befunden. Meine« oder vielmehr unsere« Bleiben« in Neapel aber war nicht mehr länger, denn wir hatten durch jenen Vorfall zu sehr die öffentliche Aufmerksamkeit er regt, al» daß der Meflro der Truppe un» behalten mochte. Vielleicht fürchtete er auch die Wiederkehr ähnlicher Szenen. J4 ging fort, nachdem ich meine Straf« abgebüßt, au» Italien und nahm in Pari» unter dem Namen meiner Mutt«, Lanzani, «in Engagement. Meine Bemühungen, Anita zu überreden, mit mir zu gehen, scheiterten, sie behauptete, r» vor Heimweh fern von Neapel nicht aushalten zu können. Die Wahrheit aber war, daß sie ohne Todd nicht gehen wollte, denn, al» er von seinem Krankenlager aufgestanden war, folgten mir beide. Zwischen mir und Todd kam eine Versöhnung zustande, zu der di« ersten Schritte von ihm au»gingen. Der Hund wollte mich eben nicht au» seinen Händen lassen, denn «»zeigte sich, daß ich in Pari» viel Er folg hatte und er sah in mir ein Objekt, in dem er seine Geld. gier gut au»nütz«n konnte. Hätte da» Publikum mich au»ge- pfiffen, so würde er sicher kein weitere» Verlangen nach mein« Freundschaft getragen haben. Ich sah da» selbst auch so ziem lich ein, aber wa» sollte ich machen? Anita war unzertrennlich von Todd, und wollte ich an ihrer Seite bleiben, so mußte ich ihn al» Zugabe nehmen. Ich weiß nicht wie e» zuging, daß Anita anfänglich nicht recht gefiel. Sie trat auch in Pari« al« Tarantellatänzerin auf, und Tarantellatänzerin gab« dazumal genug in der Seinestadt. Dieser Umstand hatte dann zur Folge, daß sie sich wieder enger an mich anschloß. Ich gab natürlich einen guten Teil meiner Gage für sie au», «inen weiteren Teil mußt« ich meiner Mutter schicken, sodaß ich wenig genug für mich übrig behielt, trotz meiner guten Einnahmen. Nicht ein mal die übliche Summe konnte ich Todd für den siechen Gen« darmen au»liefern! Doch brauchte dieser nicht» zu entbehren, da der biedere Jame» in seiner uneigennützigen Freundschaft die» Geld für mich au»legte. Ich habe hier übrigen» vergessen zu erzählen, daß er da« gleiche angeblich schon in Neopel getan hat, damal», al» wir noch bei der Tarantellatruppr waren. Demnach steckte ich tief in sein« Schuld — meinem Glauben nach heißt da». Da Anita sich über ihren Mißerfolg grämte, sann ich un ermüdlich darüber nach, eine andere Nummer für sie ,u er finden, die den Rei, der Neuheit besaß. E« gelang mir, ich er- sann einige Verwandlung«szrnen, ähnlich wie der „Loto»blume- Tanz', für sie, und in diesen fand si« rasrnden Beifall Eine Zeit lang lächelt« ihr da» Glück Wir zogen in den großen Städten Europa» umher, wurden überall beifällig ausgenommen und erzielten große Einnahmen. Die Hauptsache für mich war aber, daß Anita sich mir huldreich zeigte und jetzt nicht mehr heftig „nein" sagte, wenn ich si« bat, mein Weib zu werden. Nur wollte sie den Zeitpunkt unserer Vermählung noch länger hinau»schieben und gestattete auch nicht, daß ich sie vor der Welt meine Braut nannte. Ach, wie habe ich mich von der Schlange am Narrenseil führen lassen — von ihr und dem Todd, ihrem Spießgesellen! Ich Tor, ich blinder Tor! Sein ganze» Leben so zu verspielen um einer Chimäre willen!" (Fortsetzung folgt.)