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Pulsnitzer Mckenblatt Donnerstag, 23. Juni 1910. Aeitage zu Ar. 73. 62. Jahrgang. OsrMcbos unv Säedslsckss. — (Sommersanfang.) Gestern, am 22. Juni, vormittags 9 Uhr, trat die Sonne aus dem Zeichen der Zwillinge in das des Krebses ein, kam sie am Mittag dem Scheitelpunkte am nächsten, zeitigte sie die längste Dauer des Tages, begann der kalendarische Sommer. Nun ist die Zeit gekommen, von der der Dichter singt: Nun grüßt der lachende Sommer die Welt, Grün steht der Wald, bunt leuchtet das Feld, Die Rosen duften in Wonne. Wie lang sind die Tage! Wie warm und wie lind Geht schmeichelnd und kosend der Juniwind! Wie glänzen die Strahlen der Sonne! Möge der heurige Sommer jeglichem unter uns das bringen, was er von ihm erwartet: Erquickung, Labung, Vollendung und Erfüllung in jeder Art und jeder Hin sicht. Wir schließen mit den Schiller'schen Worten, die wir in seinem prächtigen Gedichte „Der Frühling" fin den, die so recht auf den Beginn des Sommers passen und die also lauten: Sei, Licht, mir gesegnet! Dein Strahlcnguß regnet Erwärmend hernieder auf Anger und Au'. Wie Silberfarb slittern Die Wiesen, wie zittern Tausend Sonnen im perlenden Tau! In säuselnder Kühle Beginnen die Spiele Der jungen Natur, Die Zephyre kosen Und schmeicheln um Rosen Und Düfte beströmen die lachende Flur! Leipzig Zum leitenden Arzt für das im Bau befindliche Stadtkrankenhaus St. Georg ist vom Rate Prof. Or. Wandel, Oberarzt an der medizinischen Univer- tätSklinik zu Kiel und gegenwärtig mit der Errichtung des neuen Stadtkrankenhauses zu Plauen beschäftigt, ge wählt worden. Prof. Or. Wandel steht erst im 37. Le bensjahre. riagssgefcklüdts. Berlin, 21. Juni. In einem durch Sperrdruck heroorgehobenen Artikel beschäftigte da? oist- zielte Organ der Nationalliberalen, die „Nationale Korre spondenz", mit dem Ministerwechsel in Preußen und faßt ihr Urteil dahin zusammen, der Wechsel bedeute, „daß sich der Reichskanzler entschlossen hat, der Machtstellung des schwarz-blauen Blocks Rechnung zu tragen und einen einseitig-konservativen Kurs zu steuern." Berlin, 21. Juni. Prinzessin Feodora von Schleswig- Holstein, die jüngste Schwester der Kaiserin, ist heute vor mittag in Obersüßbach bei Karlsruhe, wo sie zum Besuch bet Freifrau v. Röder weilte, an Herzschwäche gestorben. Die Prinzessin war am 3. Juli i874 in Primkenau ge boren; sie war das jüngste Kind des Herzogs Friedrich von Schleswig-Holstein und der Prinzessin Adelhaid zu Hohenlohe. Prinzessin Feodora lebte seit dem Tode ihrer Mutter in Bornstedt bet Potsdam und weilte fast ständig in der Umgebung der Kaiserin. Die jetzt verstorbene Prinzessin, die unvermählt geblieben ist, war eine eifrige Malerin und hat auch als Dichterin sich betätigt. Sie litt seit längerer Zeit an einem Fußleiden, für das sie im Taunus vergeblich Heilung suchte. Zu diesem ver- alteten Leiden trat dann eine Herzkrankheit, an deren Folgen die Prinzessin heute verstorben ist. — Der Entwurf des Gesetzes über die Schiffahrts abgaben, der von den Ausschüssen des Bundesrats ein stimmig angenommen wurde, wird in der „Köln. Ztg". veröffentlicht. Das Gesetz besteht im ganzen aus vier Artikeln. Die Abgaben auf künstlichen Wasserstraßen dürfen nach Artikel 1 die Kosten für Herstellung und Unterhaltung nicht übersteigen, auch sollen die Kosten nur zu einem verhältnismäßigen Anteil durch SchiffahrtSab- gaben aufgebracht werden. Nach Artikel 2 werden drei Strrmverbände, Rheinverband, Weserverband und Elbe verband, gebildet. Die Mittel der Verbände find zu ver wenden zur Herstellung der nötigen Fahrwassertiefen und zur Unterhaltung. Vorgesehen sind die Kanalisierung des Main und des Neckar und der Ausbau der Saale von der Einmündung des geplanten Verbindungskanals mit Leizpig in der Nähe von Krypau bis Halle. Die Mittel können bei Zweidrittelmehrheit auch zu anderen Zwecken, die genau verzeichnet find, verwendet werden. Die Tarife sind eingeteilt in fünf Klaffen mit tonnenkilometrischen Einheitssätzen nach Stromabschnitten. Die Sätze sind folgende: 0,02 Pfg., 0,04 Pfg., 0,06 Pfg., 0,08 Pfg. und 0,10 Pfg. Zu Aenderungen des Tarifs ist eine Zweidrittel mehrheit notwendig. Der Ertrag fließt in die gemein samen Stromkassen und wird an die Verbandsstaaten im Verhältnis zu ihren Aufwendungen verteilt. Eine Ver pflichtung der Staaten zur Aufwendung von Mitteln wird durch das Gesetz nicht begründet. Die Verwaltung erfolgt durch Ausschüsse, denen Strombeiräte zur Seite stehen. Die Ufergemeinden können durch die Landes regierung zur Mitwirkung bei der Erhebung der Abgaben verpflichtet werden. Artikel 4 endlich behandelt Straf bestimmungen und legt fest, daß durch kaiserliche Ver ordnung der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bestimmt wird. — Freisinniger Re.chSverrat. Das „Berliner Tage blatt" meldet: „Die Fortschrittliche Volkspartei im Wahl kreise Friedberg-Büdingen will bet der Stichwahl für den Sozialdemokraten Busold eintreten. — Die sozialdemokratische Wahlkasse für die nächsten ReichStagSwahlen soll nach einer Berliner Korrespondenz jetzt bereits über zwei Millionen Mark ausweisen. Die Wahlsammlungen in den einzelnen Wahlkreisen haben, sich in den letzten Monaten bedeut-nd gehoben. Welche Summen der Sozialdemokratie zufließen, sieht man daraus daß als Ueberschuß für eine Kranzsammlung für die Märzgefallenen in der A. E.-G. in Berlin 2665 Mark dem Parteifonds überwiesen wurden. Die 8 Wahlkreise Groß-BerltnS brachten wieder 12000 Mark auf. Der sozialdemokratische Radfahrerbund, der viele Tausende von Mitgliedern zählt, ist jetzt so organisiert, daß er zu jeder Zeit ein Korps von 300 Mann in einen beliebigen Wahlkreis absenden kann. Den bürgerlichen Parteien zur Nacheiferung empfohlen. Berlin, 22. Juni. Die „Nordd. Allgem Ztg." hält daran fest, daß der päpstliche Stuhl in den durch die Borromäus-Enzyklika hervorgerufenen Streitfall den von der preußischen Regierung gestellten Forderungen ent sprochen hat. DaS offizielle Blatt erklärt: „Das Vor gehen der preußischen Regierung hatte von Anfang an kein anderes Ziel, als die Störung des Friedens unter den Konzessionen abzuwehren und gutzumachen. Dabei fand sie sich in Nebereinstimmung mit dem preußischen Abgeordnetenhaus und mit den führenden Kreisen des evangelischen Volkes." Kiel, 22. Juni. An Berliner amtlicher Stelle wird, den „Kieler Neuesten Nachr." zufolge, die Mitteilung, daß Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen Oberpräsident von Schlesien werden solle, als absolut unzutreffend be zeichnet. Der Prinz käme vielleicht später einmal für den Posten in Betracht. Im gegenwärtigen Moment werde jedoch an seine Ernennung zum Oberpräsidenten noch nicht gedacht. (Vesterreich-Ungarn. Wien, 22. Juni. Die Par- lamentskommission des Polenklubs beharrt auf der so fortigen Durchführung des Donau-Oder-Weichsel-KanalS und will die Entscheidung dem Plenum des Polenklubs überlassen, der noch heute abend zusammentreten soll. Da die Regierung den Aufschub bis zum Herbst verlangt, gilt die Situation als kritisch. — Der heutigen Audtrnz des Barons Bienerth wird außergewöhnliche Bedeutung beigemessen, da auch die Frage der Schließung der Session erörtert wird. Russland. Petersburg, 22. Juni. Die russische Re- gierung bringt eine Vorlage über Beschränkung des Land besitzes von Ausländern im Südwestgebiete ein. Die Vorlage richtet sich gegen die deutschen Kolonisten, die in diesem Gebiete seit 200 Jahren ansässig und russische Untertanen sind. Die Kolonisten haben sich durch große Landerwerbungen, die sie ihrem Fleiße verdanken, miß liebig gemacht. Das Memorandum zur Vorlage erklärt, die deutschen Kolonisten seien in ihren Herzen Panger manen und nichts verbände sie mit Rußland; sie ver- drängten die russische Bevölkerung und bedeuteten für den Kriegsfall eine große Gefahr. — Die „Nowoje Wremja" erklärt, die deutsche Regierung und deutsche Banken unter stützten die Kolonisten aus strategischen Rücksichten. Die deutschen Konsuln bemühten sich, unter den Kolonisten den alldeutschen Geist zu erhalten. Die RegierungSvor- läge, die von solchen Gesichtspunkten auszugehen scheint, sieht ein vollständiges Verbot des Landerwerbs oder der Pachtung durch deutsche Kolonisten im russischen Unter- tanenverband vor. Die Vorlage bezieht sich auf die Gouvernements Kiew, Podolin und Wolhynien. England. London, 22. Junt. Daily Expreß meldet auS guter Quelle, daß die Krönung König Georg V. im Monat Mai deS Jahres 1911 stattsinden soll, wenige Tage nach dem Jahrestage des Todes König Eduard Vll. Bald nach der Krönung wird sich der Herzog von Connaught nach Kanada begeben und seine Stellung als Gouverneur antreten. Spanien. Madrid, 22. Juni. Aus Oviedo wird berichtet, daß der Gouverneur eine Klage gegen die Ordensbrüder von MiereS eingebracht hat, weil diese sich gegen das Genossenschaftsgesetz verstoßen hätten. ES heißt, daß die Ordensbrüder Spanien verlassen werden. Wie andererseits berichtet wird, nehmen die Protestkund gebungen gegen die antiklerikale Politik der Regierung in ganz Spanien immer mehr zu. ES finden fortge setzt Verhandlungen statt, von denen energische Proteste an die Regierung gerichtet werden, während andererseits wiederum auch die Antiklerikalen Versammlungen veran- statteten, um die Regierung aufzufordern, in ihrer anti klerikalen Politik zu verharren und diese durchzusühren. In Sevilla mußte der Bürgermeister den Blättern zu folge gegen die Predigt eines Pfarrers beim Gouverneur Einspruch erheben. Der Jall Welshofen. Kriminalroman von M. Kossak. L Nachdruck verboten. E ne Weile kämpfte sie noch mit sich und widerstrebte, aber dann gab sie nach Sie war ja doch viel zu verliebt in den hüschen Menschen mit dem intereffanten dunklen Kopf, um lange Mit °hm zu schmollm seinen freundlichen, liebkosenden Worten gegenüber schwand ihr Trotz wie Schnee an der Sonne. „Die Louison meint, daß es noch gar nicht sicher ist —" gestand sie leis« — „daß — daß der Graf Welshofen dir Anita heiratet.' Die Züge des jungen Mannes verdüstertrn sich beim Anhören de» Namen» der Italienerin, aber er bezwang sich. „Und wenn er e» auch nicht tut', fragte er scheinbar gelaffen, „was dann? Wait kümmert» dich?' „Dann bleibt di« Anita hier beim Varietee", kam es seuf zend au» dem Munde des blonden Kinde». „Ach sol Schon wieder einmal eifersüchtig!" meint« er. »Verlaß dich aber darauf, Kind, er heiratet sie. Wen die ein« »Nal gefangen hat, der kommt nicht mehr lo» von ihr." Er preßte die Lippen zusammen und murmelte mit halb unterdrückt«« Llimm« einen italienischen Fluch. Frieda sah erschrocken zu ihm auf. „Der kommt nicht mehr los von ihr?" wiederholte sie angstvoll „Dann — dann -- kommst auch du nicht —" „Was geht mich die Anita an?" unterbrach er sie auch. »Ist sie meine Braut, meine Frau oder Geliebte? Mag sie de» Teufel» Frau werden — mir einerlei! Der Teufel holt sie doch über lang oder kur, — sie und den, welchen sie an sich hat. Vccanita ragaua!" .Du hast sie aber doch einmal sehr geliebt, Felix', warf do» Mädchen schüchtern e n. „Ich bitte dich Kind, wenn du mich lieb hast, rede nicht von der — der —" Da» Wort, welche» sich auf seine Lippen drängen wollt« und gewiß keine Schmeichelei für die Italienerin bedeutete, verschluckte er noch rechtzeitig. „Komm, sei mein vernünftige» Mädchen — quäl« dich nicht mit Dumm heiten und sei vergnügt. Ehe der Winter zu Ende ist, werden wir beide «in Paar, und dann machen Herr und Flau Olf«» gemeinsam Kunstreisen und nehmen viel, viel Geld ein — so viel, daß meine kleine Frieda e» eben so gut hat, wie —" aber, mal» wollte ihm da« „accanita ragazza" über seine L ppen, vor Frieda» flehenden Blicken aber unterdrückte er e». „Grb mir rasch einen Kuß, Klrine", schloß er, „ich muß noch memorieren, denn — weiß der Himmel warum — ich fühle mich heut« nicht fich«r genug, um zu improvisieren". ..Ich aber weiß e»", dachte da» Mädchen, nachdem er sie verlassen. „Weil heute die Verlobung de» Grafen mit der Anita ist." Sie seufzte tief auf. Im übrigen blieb ihr keine Zeit, um lang« ihren eifersüchtigen Gedanken nach zu hängen, da Louison» Nummer inzwischen zu Ende gegangen war und der Jnspizent sie auf die Bühne rief. Der Zufall wollte e», daß Louison an diesem Abend eine Einladung mehrerer Herren angenommen hatte« um mit ihnen und einigen Kolleginnen in einem bekannten Weinlokal zu soupieren. An solchen Abenden pflegte Felix Olser» seine kleine Braut, die sich fürchtete, in der Dunkelheit allein auf der Straße zu gehen, b » vor die Tür ihrer Wohnung zu begleiten. Heute jedoch zeigt« er keine Lust dazu. „Du darfst mir« nicht übel nehmen, Kleine", sagte er, „aber ich hab« ein« Verabredung mit einem Agenten, der mir für die Frühjahrsmonale «in überaus vorteilhafte« Engagement vermitteln will. Den darf ich nicht im Stich lassen." Da «r F-ieda« betrübte« Gesichtchen sah, streichelte er liebkosend ihre Hand. E« lag aber etwa« Zerstreute« in der Liebkosung, auch erschrak Frieda darüber, wie fieberheiß seine Finger waren. «E« geht wirklich nicht ander», Kind", schloß er. „Aber warte, ich will dir eine Droschke besorgen, in der du nach Haus« fahren kannst." Er begleitet« si« vor da« Sebäud«, wo zahlreiche Fiaker und Auto« standen, aber leider waren sie bestellt, und Felix Olser« fand sich genötigt, den Portier fortzuschicken, um einen Wagen holen zu lassen. Während die beiden jungen Leute seiner Ankunft harrten, sahen sie, wie «in altir Herr, dessen ver lebte« Gesicht «inen widerwärtigen Gegensatz zu der gesucht jugend lichen Kleidung bildete, au« dem Portal trat und sich suchend umschaute. Er war auffällig dürr und die hellgrauen Bein kleider schlotterten um seine etwa« eingeknickten Knie, e« machte den Eindruck, al« wären ihm die sämtlichen Kleider herunterge rutscht oder al« wär« rr mit sein«« Toilett« noch nicht r«cht fertig gewordrn, btvor «r sich zum Ausgehen angeschickt hatte. Doch mochte dieser Effekt wahrscheinlich beabsichtigt sein zugunsten de« Etil«, der zur Zeit unter den alten Wiener Lebemännern Mode war. Aus dem schmalen Kopfe trug er keinen Hut, und man konnte daher erkennen, wie sorgfältig die wenigen Haare über seine Glatze gekämmt waren. .Ekelhafter Kerl!" murmelte Felix, während er ihn finsteren Auge« beobachtete. Frieda war im Grunde ganz seiner Meinung, aber ihr gute« Herz trieb sie dennoch, den alten Aristokrat«« zu vertei dig««. „Er ist gewiß schon recht hinfällig und darum sieht er so schlottrig au»", meinte si«. „Hinfällig?" Felix lachte kurz auf. „Um so schlimmer, wenn so'n —" er stockte, den« au» dem Portal trat eine jugend- schöne Gestalt — Anita Brufio — in einem langen weiten Sportspaletot, mit einem kleinen Matrosenhut auf dem schwarzen Lockenhaar. Ihre freudestrahlenden Augen glänzten in der un gewissen Beleuchtung wie Diamanten, und da» feine Oval ihre« Gesicht» hob sich silhouettenartig von dem Hintergrund, der Hausmauer ab. Der Alte war auf sie zugekommen, und beide sprachen im Flüstrrton zusammen. Dann war er ihr beim Ein. steigen behilflich, schloß den Wagenschlag und winkte ihr, wag