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Pulsnitzer Mckenblatt Sonnabend, 18. Inni 191«. Beilage zu Ur. 7!. 62. Jahrgang. OertUckes unv Sückslsübss. — (Kirschen zett.) Nun sind sie wieder da, jene rosaroten, schwarzbraunen oder wohl auch gelblichweißen Früchte, nach denen, als den Erstlingen des Jahres, na mentlich den lieben Kleinen der Mund wässert, zumal wenn es für einen Nickel deren möglichst viele gibt. Die Kirsche ist und bleibt die begehrte Frucht der Kinderwelt, aber auch der verwöhnte Gaumen des erwachsenen Fein schmeckers delektiert sich gern an dem saftigen, würzigen Fleische einer Herzkirsche. Es wird erzählt, der bekannte römische Feinschmecker Lukullus, berühmt durch seinen Krieg gegen den König Mithridates von Pontus, habe die Kirsche von dort nach Europa milgebracht, darum führe sie auch ihren lateinischen Namen nach der klein asiatischen Stadt KerasuS (CerasuS). Allein diese Angabe des PliniuS ist unhaltbar seit man in den Pfahlbauten der Schweiz, die auf ein viel höheres Alter zurückweisen, ein par Kirschkerne gefunden hat. Vielmehr scheint es, daß die Kirsche, die gerade als ein speziell nordischer Baum zu bezeichnen ist, man vergleiche nur, was das Fleisch und die Würze betrifft, eine deutsche oder norwe gische Kirsche mit einer wässrigen italienischen längst auch in unserem Klima eingebürgert war und in eine Verede lung der bekannten kleinen Vogelkirsche darstellt. Die Kirsche kann natürlich ebensowenig als Nahrungsmittel gelten, wie unsere übrigen Obstarten. Dagegen bildet sie ein hervorragend erfrischendes Genußmittel mit all den vorzüglichen Eigenschaften eines solchen und ist da her der Genuß von Kirschen alt und jung nur zu em pfehlen. Nur achte man darauf, daß namentlich Kinder nach Genuß von Kirschen nicht reichlich Wasser trinken, denn das kann die schlimmsten Folgen, schwere Magen- und Darmkrankheiten zeitigen. Königsbrück, 16. Juni. (Militärisches.) Auf dem hiesigen Schießplätze trafen gestern nahezu 2000 ÜbungS- mannschaften ein. Die Beförderung erfolgte mit 3 Son derzügen, von denen der erste, nachm. 3 Uhr 11 Min. hier anlangend, von Dresden kam, während der 2., 4 Uhr 30 Min eintresfend, von Chemnitz her und der 3., abends 7 Uhr ankommend, von Zwickau her verkehrten. LoMvi« sei Dresden, 16. Juni. (Todesfall.) 'In starb am Sonntag im 82. Lebensjahre der König!, sächsische Baurat und Regierungsbaumeister Herr Theodor Lehnert. Er war seit langen Jahren Ehren mitglied der Vaumeisterinnung zu Dresden und Ritter des AlbrechtSordenS 1. Klasse. Lehnert hat zahlreiche schöne Bauten in Dresden und dessen weiterer und näherer Um gebung errichtet. Vie evangsttscbs Protest-Sewsgung. König Friedrich August von Sachsen erhielt für sein Eintreten für die Protestanten über tausend Glück wunsch-Depeschen aus allen Gegenden. Wie die „Voss. Ztg " meldet, hat der König zwei Handschreiben, an den Papst und an den Kardinal Merry del Val, nach Rom abgehen lassen. Eine Bestätigung dieser Nackricht war nickt zu erlangen. Der Herzog von Koburg ordnete an, daß am Morgigen Sonntag in sämtlichen Kirchen von den Kan zeln ein' Kundgebung des deutschen evangelischen Kirchen- auSschusseS gegen die Enzyklika bekannt gegeben wird. Der herzliche Dank, den der Reichskanzler durch den preußischen Gesandten Mühlberg dem Papste für die Erledigung des Enzyklika-Zwischenfalles hat ausspre chen lasten, ist in der protestantischen Welt mit Achsel zucken hingenommen worden. Die alldeutschen „L.N.N." sind der Ansicht, daß der Papst im letzten Grunde gar nichts preisgegeben hat, er habe nur den konfessionellen Gegensatz im Volke verschärft. Die „Kreuzzeitung" ver öffentlicht nachträglich die Zuschrift eines katholischen Geistlichen, der der Ansicht ist, daß die unverantwortlichen Ratgeber des Papstes scheinbar wenig Ahnung von deut schen Verhältnissen haben. Auch im bayrischen Abgeord netenhaus betonte Kultusminister von Wehner, daß die Enzyklika im Protestantismus als schwere Verletzung empfunden werden mußte. Das Präsidium des Evangelischen Bundes er klärt, daß es in der vom Vatikan der preußischen Regie rung zugestellten Note keine ausreichende Genugtuung für die schweren Beschimpfungen der deutschen Reforma tion und Nation erblicken kann. In Bodenbach veranstalteten die Evangelischen und die Altkarholtken eine Massenkundgebung, an der auch viele Römisch-Katholische teilnahmen. Wie der Breslauer „Lokalanzeiger" hört, hat Kardi nal Kopp dem Reichskanzler bet seinen Verhandlungen mit dem Vatikan als Vermittler gedient. Auf den Vor schlag des Kardinals Kopp dürste es auch zurückzuführen sein, baß die auf den Juli angesetzte Konferenz der Bischöfe Preußens nicht erst im Hochsommer, sondern be reits in der nächsten Zeit abgehalten werden wird. Aus Rom wird gemeldet: Die Gerüchte von dem bevorstehenden Rücktritt Merry del Vals wollen nicht ver stummen. Von vatikanischer Seite wird eine solche Mög lichkeit nicht direkt bestritten. Unwetter - Nattrricklen. Ulm, 16. Juni. (Hochwasser in Bayern.) Die Iller führt Hochwasser, wie seither nie. Oberhalb UlmS sind die Hochwafferdämme mehrfach gebrochen, die Ufer überschwemmt. Die Orte stehen meist unter Wasser, das Vieh wurde in Sicherheit gebracht. Koblenz, 16. Juni. (OpferderHochwasserkata- strophe.) Die Zahl der infolge des Hochwassers umge- kommenen Personen beträgt nach amtlicher Aufnahme bis heute 59. Der Schaden geht in die Millionen. Altenahr, 16. Juni. (Zur Hochwassertatastro phe im Ahrgebiet.) Vom LandeSamt in Ahrweiler wird mitgetellt, daß die Abschätzung der Wasserschäden bisher ergeben hat: an Gemeindeanlagen in der Gemeinde Altenahr 125 000 M, an privaten Anlagen 740000 M in der Gemeinde Ahrweiler an Gemeindeschaden 100000 M, an Privatbesitz noch nicht festgestellt (etwa 140000 M). Bern, 16. Juni. (Die Ueberschwemmung in der Schweiz.) In Kradorf (Thurgau) sind infolge einer Dammrutschung 6 Personen ertrunken. Gallen, 16. Juni. Infolge des Hochwassers wurden bei Diepoldau zwei Männer vom Rhein fortgeriffen; einer ist ertrunken. Bei Bischofszell wurden 4 Personen, ein Mann, e ne Frau und zwei Kinder von der Thur wegge schwemmt und sind ertrunken. Bei Jona wurden 2 Häu ser zerstört. Ein weggeschwemmter Arbeiter wurde mit Not gerettet. Budapest, 16. Juni. (100 Menschen durch Hoch wasser getötet.) Nach den neuesten Meldungen soll das verheerende Unwetter in Südungarn 100 Menschen das Leben gekostet haben. Budapest, 17. Juni. Nach amtlichen Meldungen aus dem Komitat Lugos laufen dort immer schrecklichere De tails über die durch Hochwasser und Wolkenbrüche ange richteten Verheerungen ein. Am meisten betroffen sind die Bezirke Orsowa, BozovicS und Moldova Ganze Dör fer sind in Trümmerhaufen verwandelt, mehrere sind gänzlich verschwunden. Die Saaten sind vollständig ver nichtet Nus aller Welt. Friedrichshafen, 17. Juni. (Vom „Zeppelin Vll".) Die für nächsten Sonntag vorgesehenen Vergnügungs fahrten des Luftschiffs „Zeppelin VII sind abgesagt wor den, da der Gang der Motoren nicht befriedigt. Karlsruhe, 17. Juni. (Zum Kampfe im Bauge werbe.) Der Baugewerbeverband KarlSruhe-Durlach hat die Aussperrung mit dem 15. d. M. für beendet erklärt. Die hiesigen Bauarbeiter haben indessen, da ihnen die Bestimmungen des Dresdner Schiedsgerichts nicht ange nehm sind, die Arbeit noch nicht ausgenommen. Breslau, 17. Juni. (Annahme des Dresdner Schiedsspruches abgelehnt.) Die Bauarbeiter in Breslau, Leipzig und Nürnberg und anderen Städten haben die Annahme des Schiedsspruches abgelehnt. Lissabonn, 17. Juni. (Erdbeben in Portugal) Auch in der Umgebung von Sibatejo sind Erdstöße ver spürt worden, die von heftigen Gewittern begleitet wa ren, welche sich über den ganzen Norden von Portugal erstreckten. Calais, 17. Juni. Zur (Bergung des „Pluvi- o s e.") Die Bergungsarbeiten des „Pluviose" sind neuer dings wieder auf Schwierigkeiten gestoßen. Die Ketten sind nämlich bei den heutigen Hebungsarbeiten gerissen, was eine erhebliche Verzögerung der Bergungsarbeiten nach sich ziehen wird. Man wird nunmehr das Eintref fen eines stärkeren Lichterers mit widerstandsfähigeren Ketten^abwarten, welcher bereits von Cherburg abgegan gen ist. Der Plan, daS Unterseeboot nach dem Quai zu bringen, ist indessen vorläufig aufgegeben worden. ES ist beschlossen worden, das Anterseeboot ins Trockendock zu bringen. Die Überführung nach dem Trockendock wird jedoch nur bei sehr starker Flut vor sich gehen. 5. ökksntttÄds StaVtvsrorSnstsn Sitzung am 16. Juni 1910, »/,8 Uhr abends, im Sitzungssaals des Rathauses. Anwesend 12 Mitglieder, 3 entschuldigt. Sitzungs- leiter: Herr Vorsteher Hedrich. Vom Rat:: Herc Bürger meister vr. Michael. Zur Tagesordnung übergehend, wurden folgende Be schlüsse gefaßt: Punkt 1—3. Herr Vorsteher Hedrich bringt die für daS Jahr 1910 aufgestellten Haushaltpläne und zwar a) für die Feuerlöschkaffe, b) für die ElektrizitätSwerkSkaffe und c) für die Stadtkaffe in Einnahme und Ausgabe zum Vortrag. Nach eingehen der Beratung dieser Haushaltpläne werden dieselben allent- halben vom Kollegium in der vorliegenden Fassung ge nehmigt. -s- SGloß Schönfeld. Roman von Franz Treller. 22. Nachdruck verboten. (Schluß.) „Gan, einfach, man bringt sie mit dem Verbrechen in der «rabkapelle in Zusammmenhang." Cuno tat entrüstet. „Wer sollte e« wagen ? Ich weiß ja von gar nicht«, H war ja in der Stadt." Kur, und schroff entgegnet« Mehlburger: «Verstellen Sie sich nicht, denn man kann Sie überführen, A Sie hier gewesen sind. Zwei meiner Dienstknecht, haben ^ie in jener Nacht mit Müller und dem berüchtigten Matthias "ürch den Park gehen sehen nach der Trabkapelle ,u. Freilich «nd Sie dann wieder zur Stadt zurückgefahren." DaS Gesicht Cuno» war leichenblaß geworden. Eie sind im Irrtum, Herr Mehlburger", stotterte er. „Diese Zeugnisse wie da» de» Matthias, welcher bereits in Wn liegt, lauten bestimmt genug", erklärte der Rentier unbeirrt, »Und ich mache Sie darauf aufmerksam, daß, sobald der Kriminal« '»spektor Taube zurückkehrt, Ihre Verhaftung bevorsteht." Cuno hatte sich wieder gefaßt und sagte frech: „WaS soll das alles? Wie will man mich auf so albernes Awäsch hin verhaften? Und warum? Wa» geht mich denn Matthia» an!" ' „Daß Sie mit Müller und Matthias die Särge erbrochen ^ben, daran ist gar kein Zweifel. Ich zweifle auch nicht, daß ,'tser Einbruch dem Fam'lienschmuck gegolten hat, denn eines ^fachen Leichenraube« halte ich Sie nicht fähig, doch wenn dieser -»erdacht die Inhaftnahme nicht rechtfertigen sollte, dann doch die Wechsel, die Inspektor Taube vielleicht in diesem Augen« «lick dem Agenten We'ßstock schon abgeuommen hat, und deren Unterschriften von Ihnen — gefälscht find." „Ich will« kur, machen, Herr Baron", fuhr Mehlburger fort. „Wenn ich mich überhaupt noch um Ihre Angelegenheit bekümmere und mir wider mein innere« Recht»gefühl versage, der Gerechtigkeit freien Lauf ,u lasten und Sie der wohlver dienten Strafe ,n übergeben, so ist nur die edle Frau daran schuld, die nicht will, daß der Name Godtberg öffentlich am Pranger stehe, siier dies« fünftausend Mark', er nahm di« Banknoten au« seiner Brieftasche und legte sie auf den Tisch, „find für Eie unter der Bedingung, daß Sie sofort und ohne Zögern Deutschand verlaffen, wa« ja in Ihrem Interesse liegt. Benutzen Sie den Hinteren Parkeingang, um spurlo« ,u ver schwinden ; denn wie gesagt, sobald Taube Sie hier noch antrifft, find Sie verloren." Der Baron atmete aus nach diesen Worten, al« ob neue« Leben durch seine Adern ströme. „Ich bin in ,ehn Minuten au« dem Schlöffe und in vier« undzwan,ig Stunden außerhalb der deutschen Grenzen." „Da« wird gut für Sie sein und hüten Sie sich zurück« zukehren." Mehlburger grüßt« kurz und ging hinau». Unt«n fragt« «r «inen Diener: „Waldemar, hast du den Kammerdiener Müller nicht ge sehen ?" „Der ist in merkwürdiger Eile nach dem Dorf gerannt, warum weiß ich nicht", war die Antwort. „Gut", murmelte Mehlburger, zwei sind weg. Nun kommt noch die dritte und schwierigste Aufgabe. Wie diesen Matthia« au« den Fängen der übereifrigen Polizei befreien? Wa» die einmal in den Fingern haben, da» lasten sie nicht so leicht lo»". Doch der Zufall soll ihm hierin zu Hilse kommen, aller- ding» in anderer Weise, al» er sich« hatte träumen lasten. Die im höchsten Grade unerquickliche Affäre sollte unvermutet noch einen blutigen und tragischen Abschluß finden. Er war gerade auf dem Wege nach dem Häulchen de» Matthia», al» er, noch ungefähr 500 Meter davon entfernt, plötzlich einen Schuß fallen Höcke. Bestürzt rannte er, so schnell ihm seine Beine tragen konnten, dem Schalle nach und kam gerade noch zurecht, um den am Boden liegenden Matthia» den letzten Atemzug au»hauch«n zu sehen. Wie ihm die von dem Inspektor zurückgelaffenen Beamte« erzählten, hatte er sich, ohne daß sie» merkten, allmählich der Handfeffeln entledigt und war plötzlich zur Tür hinau«gesprungen. Drei Mal hatten sie ihm „Halt!' zugerufen, und al» er nicht darauf reagierte, ihre Revolver abgeschoffen. So hatte der un selige Mensch ein Ende gefunden und war seinem irdischen vorzeitig entzogen worden. Al» Inspektor Taube von seinem Besuch bei dem Agenten Weißstock zurückkehrte, fand er für sich nicht» mehr zu tun übrig. Der eine Täter, allerding» wohl mehr Helfer»helfer, war nicht mehr am Leben, und die beiden anderen waren spurlo» verduftet. Er konnte daher nicht» weiter tun, al» den Tatbestand auf nehmen und dann mit seinen Beamtin die Fahrt «ach Berlin an treten, um von dort au» sofort einen Verhaftbefrhl hinter den beiden Flüchtige» lo»,»lassen, der jedoch niemal» einen Erfolg gezeitigt hat, denn die beiden Hallunken waren über alle Berg«. * * * Al« d«r Wagen, welcher Frau Lehmann und die beiden God»berg trug, am Parktor anlangte, stand dort Gottfried, der ehrerbietig grüßte. „Vor allem, wie steht e» mit der unangenehmen Ge schichte ? Und wo ist Inspektor Taube?' Der alte Gärtner erzählte, wa» sich inzwischen ereignet hatte." „Gott sei Dank", murmelte die Greisin, „wenigsten» die Ehre gerettet." Einen Augenblick stand sie wie in Gedanken versunken. Dann wandte sie sich wieder an Gottfried und blickte ihn unt freundlichem, fast zärtlichem Lächeln in da» treue, von Runzeln bedeckte Gesicht.