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Pulsnitzer Wochenblatt Donnerstag, 16. Anni 1910. Beilage zu Ar. 70. 62. Jahrgang. König und PnA Die Kundgebungen des katholischen Sachsenkönigs und seiner Minister haben im ganzen Lande begeisterten Widerhall und freudige Zustimmung gefunden und aus allen Teilen Sachsens und des deutschen Reiches sind zahlreiche ZusttmmungSerklärungen im Dresdner Residenz schlosse eingegangen, in welchen dem Könige der Dank der evangelischen Volksgenossen in begeisterten Worten ausgesprochen wird. König Friedrich August war am Mittwoch der Gegenstand herzlicher Ovationen. Wo sich der Landesherr auch nur sehen ließ, wur^e chm entgegen- gejubelt und in patriotischen Kreisen der Bürgerschaft plant man für die allernächste Zeit eine große Massen huldigung vor dem altersgrauen Wettiner Königsschlosse. — Von großem Interesse ist die Stellungnahme des Organes der sächsischen Katholiken zu dem bedeutsamen Schritte des Sachsenherrschers. Die „Sächs. VolkSztg." äußert sich darüber folgendermaßen: „Der Schritt des Königs wird im ganzen Lande mit großer Befriedigung vernommen werden. Er hat als konstitutioneller Monarch eines Landes gehandelt, dessen Staatsbürger in ihrer überwiegenden Mehrheit der ev.-luth. Kirche angehören. Nachdem das StaatSmtnisterium bereits am 11. Juni sich d^m Proteste der evangelischen Volkskreise angeschlossen und auch seinerseits die als Angriffe empfundene Enzyklika zurückgewiesen hatte, hätte eine andere Stellungnahme der Krone zur Enzyklika einen Zwiespalt zwischen Mini sterium und Monarchen auslösen müssen. Ob der Wort laut der Enzyklika Beleidigungen der deutschen Prote- stanten enthält, ob die protestantische Geschichte die Worte des Papstes rechtfertigt, das läßt der Monarch nach seiner Erklärung dahingestellt — das ist schließlich Nebensache gegenüber der Tatsache: Die Kgl. Sächs. Staatsregierung sah sich durch die tiefgreifende Bewegung in der protestan tischen Bevölkerung veranlaßt, jene päpstliche Kundgebung auf daS schärfste zurückzuweisen, in der die ev.-luth. Be völkerung eine Verunglimpfung der Reformation erblickt. Der Monarch ist daher nach eigener Entschließung ge willt, durch ein eigenes Handschreiben an den heil. Vater v'^der Erregung Kenntnis zu geben, welche jener Passus Minern Lande und im deutschen Reiche unter der pro- zMMchen Bevölkerung hervorgerusen habe. Der König erdnah'. dem Papste daS Oberhaupt seiner Kirche. Falsch ist die Behauptung, daß der Katholik jede Kundgebung des Papstes als Inspiration oder Dogma aufsassen müsse. Die vorliegende Bulle enthält keinerlei autoritative Ent scheidung über Glauben und Sitten. Es steht unter dieser Voraussetzung dem Katholiken eine freie Meinungs äußerung über ein solches Rundschreiben zu. Wenn der König von dieser Freiheit der Meinungsäußerung dem heil. Stuhle gegenüber Gebrauch macht, so bewegt ihn hierzu seine verantwortungsvolle Stellung als katholischer König in einem Lande, dessen Bevölkerung fast ganz der ev.-luth. Landeskirche angehört. Als Monarch lastet auf ihm die schwere Verantwortung für die Aufrechterhaltung des konfessionellen Friedens. Er ist nicht nur Oberhaupt der evangelischen Bevölkerung, sondern auch der katholischen Minderheit. Die infolge der päpstlichen Enzyklika tief eingreifende Erregung läßt einen Rückschlag auf den be stehenden konfessionellen Frieden befürchten, d r sich auch auf gesetzgeberischem Wege bemerkbar machen könnte. Diese gewichtigen Gründe lasten nun die Kundgebung des Königs vollständig berechtigt erscheinen und zeugen von dem- hohen staatsmännischen Blick und der kraftvollen Energie, womit er allen ernstlichen Weiterungen und ge fährlichen Jntriguen der Hetzer ein Ende macht. ES wird auch für die Fürsorge für den ruhigen Bestand der katholischen Kirche in Sachsen warme Gefühle des Danker auslösen, womit wir den Schritt des Königs begrüßen." Die Entschließung König Friedrich stellt zweifellos einen staatsmännischen Akt hoher Weisheit wie landeS- väterlicher Erkenntnis und Fürsorge dar, welcher beweist, daß der sächsische Monarch in seinem unbestechlich klaren und gesunden Empfinden die Notwendigkeit erkannt hat, sich auf die Seite seines Volkes zu stellen und zu be kunden, daß auch er die Borromäus-Enzyklika als Herrscher eines fast rein protestantischen Landes nicht billigte. Da her Hit er es auch nicht bei seiner mitgeteilten Erklärung den m EvangeliciS beauftragten Mitgliedern des sächsischen Ministeriums gegenüber bewenden lassen, sondern sich mit seiner ganzen Person selbst in die Bresche gestellt. Man muß die ganze, sicher nicht leichte, eigenartige Position König Friedrich Augusts, der als katholischer, seiner Re ligion nach Tradition und persönlicher Neigung treu er gebener König, der Herrscher eines Landes mit fast voll ständig protestantischer Bevölkerung ist und dessen einer Bruder die Weihen des katholischen Priesters empfangen hat, erwägen, um die Initiative des Königs in ihrer vollen Bedeutung zu erfassen. Friedrich August muß sich hierbei einen schweren Gewissenskonflikt zwischen den An forderungen seiner Religion und den Pflichten als Ober haupt eines fast rein evangelischen Staates, wie Sachsen ist, ausgesetzt fühlen. Wenn er trotzdem geglaubt hat, jetzt nicht mehr länger schweigen za können und seine Stellungnahme zu der Borromäus-Enzyklika des Papstes seinen Untertanen sowohl als auch der gesamten Mitwelt öffentlich darzulegen, so zeigt dies uns, welch eine hohe Auffassung dem Monarchen von seinem Herrscherberufe eigen ist. Darum wird gewiß nicht nur die evangelische Welt Deutschlands, sondern auch jeden vorurteilsfreien deutschen Katholiken dies rein männliche Auftreten des Königs Friedrich August nur mir Hochachtung erfüllen. OsrMcdss und Säcdsifcbss. — Ein einfaches Mittel, um Wegen zu ent fernen, besteht darin, daß man in den Zimmern alle, auch die oberen Fenster öffnet und bei gleichfalls geöffneten Türen starke Zugluft entstehen läßt. Die Zugluft ist der Fliege unerträglich, und schon nach wenigen Minuten find die Zimmer fliegenfrei. Was die Fliegenplage in der Speisekammer anbelangt, so sei darauf hingewiesen, daß alle Insekten blaue? Licht nicht vertragen können. Wenn man daher die Fenster der Speisekammer mit blauem Papier beklebt oder aber bester mit blauen Gardinen versieht, ist man ganz sicher, weder Fliege noch Ameise zu finden. — 8.L.K. (Die Familie und die Gleichheit.) Die Familie löst die Aufgabe der Gleichheit, soweit sie hienieden gelöst werden kann. Sie macht die großen, wahrhaften Güter allen zugänglich, sodaß die Unglück lichsten, wenn sie die Familie haben, tausendmal reicher sind, als die Reichsten, welche sie nicht haben. Gleich dem Leiden und dem Tode, gleich der Sünde und Erlösung gegenüber, im Besitz desselben Gottes, derselben Bibel, der selben Vergebung, derselben Verheißungen, derselben Ewig keit, wie derselben Luft und desselben Lichts, gleichen wir uns weit mehr, als wir von einander verschieden ist. Wir haben gleiche Interessen; ein und dasselbe geht uns nahe an. Mögen wir krank oder gesund sein, häßlich oder schön, niedrig oder mächtig, das beste Teil unseres Erb gutes ist dasjenige, welches nichts, welches niemand uns rauben kann. Aber es gibt eine Bedingung: die Familie. Wo sie fehlt, entsteht eine schreckliche Ungleichheit; wo sie ist, zeigt sich die großartigste Gleichheit. Die Familie lie fert uns das Vorbild der Gleichmachung, so wie Gott sie gewollt hat, der Gleichmachung von oben her. (Aus GaS- partn, die Familie.) — Die Handelskammer Zittau macht wieder holt darauf aufmerksam, daß nach dem Abschluß deS deutsch-portugiesischen Handelsvertrages in Spanien das Bedürfnis bestehen soll, auch einen Handelsvertrag mit Deutschland herbeizuführen. Um für den Fall der Ein leitung derartiger Verhandlungen die Feststellung und Geltendmachung der im Kammerbezirk in bezug aus den Verkehr mit Spanien bestehenden Wünsche rechtzeitig vor bereiten zu können, werden die Interessenten gebeten, von ihren Interessen und Wünschen der Handelskammer Zittau Mitteilung zu machen. ttus Sem Sericdtssaals. 8 Dresden, 16. Juni. (Eine tollkühne Fahrt auf den Puffern des Schnellzuges.) Ein trübes Bild aus der Großstadt entrollte eine Verhandlung vor dem Jugendgerichtshof des Dresdner Landgerichts, als sich der 15 jährige Fleischerlehrling Paul Diesel wegen einfachen und schweren Diebstahls und VagabondierenS zu verantworten hatte. Der Angeklagte hat frühzeitig die Mutter verloren und ist, da der Vater von früh b's abends in der Fabrik beschäftigt war, tatsächlich auf der Straße aufgewachsen. Als der Vater mit Strenge ein griff, mied der Bursche das Elternhaus wochenlang, nächtigte im Walde, am Elbufer oder in öffentlichen An lagen. Auch nach der Konfirmation hielt er es bei sei nem Meister nur kurze Zeit aus. Vom Wandertrieb er saßt, unternahm er völlig mittellos wiederholt Fußtouren bis nach Oschatz und Leipzig und benutzte zur Heimfahrt gewöhnlich Fahrräder, die er an der Straße wegnahm und nach vollendeter Fahrt einfach wieder stehen ließ. Eine waghalsige und verhängnisvolle Fahrt unternahm D. nach einem abermaligen Abstecher nach Leisnig. Ohne im Besitze einer Fahrkarte zu sein, schwang er sich in Meißen unter dem Schutze der Dunkelheit auf den zur Abfahrt bereiten Dresdner Schnellzug, begab sich jedoch nicht in ein Wagenabteil, um bei einer Revision nicht entdeckt zu werden, sondern nahm auf einem Puffer zwischen dem letzten und vorletzten Wagen Platz und machte in dieser gefährlichen Lage als blinder Passagier die Reise mit dem Schnellzug nach Dresden mit. Um an der Endstation nicht doch noch geklappt zu werden, sprang D. zwischen Radebeul und Dresden-Neustadt von dem in voller Fahrt begriffenen Zuge ab und blieb mit zerschmettertem Bein liegen. Schwerverletzt wurde der Waghalsige von Bahnbediensteten aufgefunden und nach dem Krankenhause gebracht, wo ihm das rechte Bein bis zum Knie abgenommen werden mußte. Nach erfolg ter Genesung blieb D. auf einige Zeit von der Wander lust kuriert und arbeitete wieder. Am 26. März revi dierte er die Kleider seines Arbeitsgenossen, sand in einem Jackett ein Portemonnaie mit 21 M Inhalt und ver gnügte sich damit nach Herzenslust während der Oster- SGloß SGönfeLd. --- Roman von Franz Treller. LI. Nachdruck verboten. „Gar nicht, e» ist mein vollständiger Ernst, auch werden Eie, wie ich mich überzeugt habe, sich kein » Korb holen, wenn Eie um Elsa werben. Also bringen Sie al» echter Ritter ein Dpfer für die Dame." „Fräulein Mehlburger", sagte er, und seine Stimme zitterte dabei, „gehört mein Herz mit jeder Faser, warum soll ich et dicht gestehen, und wär« ich reich, ja nur unabhängig, würde ich «at Glück meine« Leben» von ihrem Vater mir erbitten. Jchßbin dun und freudlo» und muß mit dem Leben ringen. Der Ge- danke ist für mich au»geschlosien, der reichen Erbin meine Hand l» bieten." „Und wenn Sie reich wären, würden Sie, ein Mann Hit einer langen Ahnenreihe, um die Tochter de» Bierbrauer» »erben?" »Ja", sagte er innig, „sie trägt ein adlig Wappenschild in v«rz und Seele." Der alten Frau mochte bei dieser Aeußerung eine Erinne- ü«ng austauchen; denn sie wiederholte leise: „Ein adlig Wappenschild in Herz und Seele." „Dann führte sie langsam di« Hand vor di« Augrn und ^deckte di«s«. So saß sie kurz« Zeit bewegung»lo» da. Und plötzlich dünkt« r» Mathilde, al» wenn sie hier vor Einem furchtbaren Geheimni» stehe. Sie, welche dieser Unterredung stumm und teilnahm«lo» belauscht hatte, glaubt« zu srhen, wi« kangsam «in« Träne unter der Hand hervor über da» faltig« Gesicht rollt«. E« war so st'll in dem kieinen Zimmer, daß die Atemzüge drei darin vereinten Menschen hörbar waren. Frau Lehmann ließ die Hand finken, und man sah jetzt, dH die Augen feucht waren. „Heinrich von Godtberg", sagte sie feierlich, in einem Tone, der die tiefbewegte Seele verriet, «wirb um deine Liebe, denn du bist reich, Schönfeld ist dein Eigentum." Er und Mathilde starrten die alte Frau an, mit Schrecken fast, sie aber fuhr ruhig fort: „Ich habe e» für dich gekauft. Den wilden Hochmut deine» Stamme» hast du besiegt, und in dir, einem edlen Sproß de» Hause», soll da« Geschlecht verjüngt aufleben." „Gnädige Frau", stammelte er fast verwirrt. Die alte Frau, wenn auch bewegt, sprach ruhig und klar, und doch stieg in ihm und Mathilden der Gedanke auf, sie sei geiste»gestört, so märchenhaft klangen ihre Worte. Sie gewahrte, wie den jungen Leuten unfaßltch schien, wa» sie sagte, sie blickte beide an und setzte langsam hinzu: „Wundert Euch nicht länger — ich bin von Eurem G«. schlecht — bin Helene von Godtberg, Eure Tante." Wäre ein Toter au» dem Grab« erstanden, die Ueber- raschung hätte nicht größer sein können. „Mein Sarg steht in der Trust meiner Ahnen. Selene von Godlberg starb vor fünfzig Jahren, aber au« dem Grabe kehrt sie zurück, um da» Geschlecht vor dem Verderben zu retten." Immer noch sahen beide stumm in wortlosem Staunen die alte Frau an. „Nur einer hat mich auch nach dieser langen Zeit erkannt, der alte, treue Gottfried." „Mein Gott", sagte der tieferschütterte God»berg, „welch Geheimni» liegt hier zu Grunde?" „Ich bin die Schwester deine» Vater», die einzige Tochter de» General» und jener holden Lichterscheinung, deren verkörperte» Bild mich in Mathilden anlächelt. Meine teure Mutter, sie starb zu srüh für mich, für uni alle. Al» ich noch jung und freudig, neunzehnjährig durch die» Leben ging, verzogen und ge liebt von allen, trat der Mann in meinen Leben»krei«, dem bald alle» gehören sollte, wa» ich an Liebe in meinem Herzen trug. Während de» Kriege» wurde «in verwundeter freiwilliger Jäger auf Schönfeld ausgenommen und verpflegt. Wir sahen un», lernten un» kennen und liebten un» mit aller Kraft der jugend lichen. Mein Otto war der beste und edelste der Männer, noch heute, wo ich dem Grabe zusinke, denk« ich sein mit unveränderter Liebe; er war bürgerlich, von Beruf Kaufmann und führte den wenig romantischen Namen Lehmann, aber er war adelig an Ge sinnung und Sitten, er trug, wie du sagst, ein adlig Wappen schild in Herz und Seele. Geheilt ging er nach Frankreich zur Armee zurück und focht di« Schlachten de» Preußenheerr» mit. Nach dem Kriege und nachdem er ein« klrine Fabrik für Holz-, Horn«, und Metallknöpfe gegründ«t hatte kam er, trat vor meinen Vater und warb um meine Hand. Mit Hohn und Ver- achlung wurde der bürgerliche „Knopsmacher" abgewiesen. Ich sagte Nater und Bruder, wie ich ihn liebe, welch rin edler Mensch er sei, ich bat, flehte, weinte, verzichtet« im Einverständnis mit Otto auf jede Mitgift, versprach, nie zu erwähnen, daß ich eine God»berg sei, umsonst. Wie eine Wahnsinnige behandelten sie mich, weil ich den Stamm durch ein« Heirat mit einem Bürger lichen entehren wollte, und schwuren, den frechen Plebejer, der e» wagte, sein Auge zu einer God»berg zu erheben, mit der Hundepeitsche tot zu schlagen, wenn er e» noch einmal wage, sich zu zeigen. In Vater und Bruder tobte di« mittelalterliche Wildheit de» Stamme». Al» ich erklärte, daß ich unerschütterlich dabei beharre, ihn zum Manne zu nehmen, und sie au« den Briefen, die fie auffingen, wahrnahmen, daß ich zu fliehen beab- sichtigte, behandelten fie mich grauenhaft unv wurde eingesperrt. Der Welt sagte man, ich sei krank, geiste«grstört, Nur zwei teure Seelen hatte ich in Schönfeld, meine Amme und den Reit knecht Gottfried. Mit ihrer Hilf« wurde verabredet, daß ich meiner Hast entfliehen und Otto mich an bezeichneter Stelle «r- warten sollte, um mich zu seiner Mutter zu führen. E« war «in rauher stürmischer Frühling«tag, und der Fluß, der hinter dem Park von Schönfeld fließt, war stark angeschwollen. Al» die dunkle Nacht hereingebrochen und alle» ring» herum still war, entschlüpfte ich mit meiner Freunde Hilfe meinem Gefängni»,