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Sonnabend —4 Ar. 47. 4— 23. April 1910. MmMliWes M Vkgmn der Tmensmson 1S10. Mit dem Monat April beginnen die Automobilisten wieder ihre Wagen für die Tourenfahrten im Frühjahr und Sommer herzurichten. Während bisher das Coupe, das Landaulett und die schwere Limousine die Straßen beherrscht haben, wagt sich nun der offene Tourenwagen bei Beginn des schönen Wetters wieder hervor. Allent halben werden die Sommerkarosserien heroorgezogen und auf das Untergestell ausgesetzt, allenthalben werden oie Wagen nachgesehen und sorgfältig instand gesetzt, denn die schönen Tage nehmen im April ihren Anfang, und damit heißt es für den automobilistischsn Tourenfahrer, gerüstet sein, damit, wenn der Frühjahrswind erst die Landstraßen trocken gefegt hat, alles bereit ist, um hin- auSzusahren in die schöne Natur und in unser schönes Sachsenland. ES ist vielfach nicht unangebracht, bei Beginn der Tourensaison auf so manches hinzuweisen, was sowohl für die Automobilisten selbst von Vorteil und Nutzen ist und was gleichzeitig auch dem übrigen Publikum frommt, um sich vor Schaden an Leib und Leben und vor aller lei Nachteilen zu bewahren. Der heutige moderne Ver kehr verlangt, daß man sich ihm anpasse. Nur ganz Törichte können leugnen, daß er der Allgemeinheit ganz ungeheure Vorteile gebracht hat. Aber wie es bet allen Neuerungen ist, es gibt immer Leute, die sich allem Mo dernen entgegenstemmen. Zur Zeit der Einführung der Eisenbahn gab es heftige Widersacher und als man in den Großstadtstraßen elektrisch fuhr, glaubten sich viele Fuhrwerksbesitzer in ihrem Verdienst geschmälert. Die Widersacher der Eisenbahn sind überwunden worden — wer könnte sich heute die Welt ohne Eisenbahn vorstellen — und auch die Kutscher in den Straßen der Großstadt haben eingesehen, daß die elektrische Straßenbahn sie durchaus nicht schmälert. Zu diesen Fortbewegungsmit teln hat sich seit einem Jahrzehnt das Vehikel der Neu zeit, das Automobil, hinzugesellt. Ihm ist es Vorbehal ten geblieben, Raschheit, Sicherheit und Bequemlichkeit mit einander zu verbinden. Wie die Statistik zeigt, kom men von Jahr zu Jahr mehr Automobile in den Ge brauch und die Fabriken gehen dazu über, das Automo bil durch den Bau von den kleinen und billigen Wagen volkstümlich zu machen. Nach dem heutigen Stand der Dinge sind die Auto mobilisten noch in der Minderzahl, deshalb sei vor allem an sie die Mahnung gerichtet: Fahret so, daß ihr euch selbst und andere nicht gefährdet. Liebet eure Nächsten, dürfte man jedem Automobilisten auf die erste Seite des Tourenbuches schreiben, wie euch selbst. Andererseits seien aber die Ntchtautomobilisten darauf hingewiesen, daß rasches Fahren durchaus keine Gefahr bedingt. Das Auto mobil ist eine feine Präzisionsmaschine, bei der alle Teile, wenn sie richtig in Ordnung gehalten werden, tadellos funktionieren. Ich habe seinerzeit, als die letzte Herkomer- fahrt durch unsere Lande ging, darauf hingewiefen, daß sehr wohl die Lehrer unsere Jugend über den Charakter unseres modernsten Straßenfahrzeuges aufklären könnten, und daß gleichwie in den Städten in den Fortbildungs schulen die Schüler allerlei für das praktische Leben Wis senswerte mitbekommen, auch in den ländlichen Bezirken die Jugend auf ihr Verhalten auf den Straßen, die öffent liche Verkehrswege sind, hingewiesen werden könnte. ES ist meiner Ansicht nach durchaus nicht — wie mir da mals in Zuschriften von Leh ern betont wurde — ent würdigend, wenn der Lehrer den älteren Schülern, die in der Landwirtschaft verbleiben, klar macht, daß unsere Polizeioeroednungen rechts auSweichen und links oorvei- fahren vorschreiben und daß sich und andere vor Scha den und Strafe bewahrt, wer beizeiten sein Wagenlicht anzündet. Vor ungefähr zwei Jahren hat wohl auS derselben Erwägung das König!. Sächsische Ministerium des Innern eine Verfügung erlassen, wonach die Kinder angewiesen werden sollen, daß Werfen von Steinen und Schneebällen nach Kraftfahrzeugen zu unterlasfen. Daß ich seinerzeit nicht ganz unrecht hatte, geht aus einer neuen Verordnung hervor, die jetzt die Landesregierung des Fürstentums Lippe erlassen har. Diese sehr zeitge- mäße Verfügung, die man allen Regierungen im Deut schen Reiche dringend empfehlen kann, lautet im AmtS- blatte des Fürstentums Lippe vom 26. Februar 1910: An sämtliche Herr.n Volksschullehrer des Landes. Ange sichts der Gefahren, denen Kinder bei unvorsichtigem Ge hen oder Stehen, sowie bei mutwilligem Vorüber- oder Entgegenlaufen kurz vor einem schnell herankommenden Automobil ausgesetzt sind, auch in Anbetracht der Gefähr dungen, welche den Kraftfahrzeugen und ihren Fahrern durch Unarten wie dos Weifen von Steinen und derglei- chen von Kindern bereitet werden, weisen wir in gegebe ner Veranlassung die Herren Lehrer hiermit an, in Über wachung des Verhaltens ihrer Schüler auch außerhalb der Schule diese vor solchem Tun von Zeit zu Zeit zu warnen und ferner darauf aufmerksam zu machen, daß ihre Eltern unter Umständen haftbar gemacht werden können. Detmold, 21. Februar 1910. Fürstlich LippischeS Konsistorium. Man soll Kindern gewiß nicht die Jugendfreude und ihren Lebensübermut schon so früh nehmen, aber immer hin müssen sie in einem geordneten Staatswesen beizei ten daraufhin erzogen werden, daß die Allgemeinheit ein Recht darauf hat, vor Schaden bewahrt zu werden. Zu dieser Allgemeinheit zählen auch die Automobilisten. Schon das Werfen des geringsten Steines bringt die Insassen eines Automobils in schwerste Lebensgefahr und das Le gen eines Prügels auf die Straße kann unabsehbare Fol gen nach sich ziehen, wie ein Fall beweist, der sich neulich bei München zu.etragen. Ist es nicht furchtbar, wenn wegen eines ursprünglich gewiß nur als Schabernack ge meinten Streiches zwei Menschen ihr Leben lasten müssen. Vernuftgemäße Abhilfe bleibt hier nur der Schule über lasten, und die Lehrer, die doch sonst das Zeitgemäße auf allen Gebieten betonen, würden sich um die Allgemein heit auch weiter verdient machen, wenn sie ihr Augen merk auf diese Seite der Erziehung richten. So seien die Lehrer jetzt auf eine Einrichtung auf- merksam gemacht, die der Königlich Sächsische Automobil klub im Einvernehmen mit der StaatSregierung geschaf fen hat. k. n. Nus Sem Ssricktsfaals. Bantzen, 21. April. (Sitzungen des Königlichen Schwurgerichts in der 2. Schwurgerichtsperiode 1S10.) Vorsitzender: Herr Landgerichtsdirektor Berndt. 1. Mon tag, den 2L. April, vormittags 10 Uhr gegen den Maurer Ernst Emil Fichte aus Zochau wegen versuchter Notzucht.*) 2. Vormittags »/,12 Uhr gegen den Arbeiter Joseph Ptock aus Dobrack in Galizien wegen versuchter Notzucht. *) S. Dienstag, den 26. April, vormittags */i10 Uhr gegen den Arbeiter Karl Komarek aus Albrech- titz in Böhmen wegen versuchter Notzucht und Körper verletzung.*) 4. Mittwoch, den 27. April, vormittags '/.10 Uhr gegen den Zementarbeiter Ernst Moritz Noack aus Oppach wegen vorsätzlicher Brandstiftung. 6. Donnerstag, den 28. April, vormittags '/i10 Uhr gegen den Kinema- tographenbesttzer Friedrich Ernst Otto Wiedemann aus Großpopnig wegen Zeugenmeineides. 6. Freitag, den 29. April, vormittags »^10 Uhr gegen den Brunnenbauer gehilfen Emil Paul Bachmann aus Dresden wegen vor sätzlicher Brandstiftung. Die mit *) bezeichneten Verhand lungen finden voraussichtlich unter Ausschluß der Oeffent- lichkeit statt. vutterpreiss auk dem diesigen Wocbsnmarkte Sonnabend, den 23. April 1910. 4 Stück Mark 2.80. Marktpreise zu FamVNZ am 21. April 1910. höctMer niedrigst. Preis. Preis. 50 Kilo M. Pf. M. Pf. M. Pf. Korn 7 50 7 80 Heu 50 Kilo ( höchster 4 80 Weizen 10 80 10 50 s niedr. 4 — Gerste 7 75 7 50 Strohs Schütt- 32 — Hafer 7 80 7 50 ^^Pfd.(Maschm. 30 — Herdekorn — — ButterKo ( 2 80 Hirse 17 — 16 — ouir erno. niedrigst. 2 60 Kartoffeln 2 80 — — Eier 6 Erbsen 50 Kilo 17 50 Marktpreise Mr Schweins und Serksi in Kamenz am 21. April 1910. Läuserschweine: pro Paar: Ferkel: höchster Preis 120 Mk., höchster Preis 52 Mark, mittler „ 90 Mk., mittler „ 40 „ niedrigster „ 85 Mk., niedrigster „ 30 „ Zum Verkauf waren gestellt: 26 Läufer und 364 Ferkel. Für ausgesuchte seine Ware wurden Preise über Notiz gezahlt. Dresdner Produkten-Börse, 22. April 1910. Wetter: Bewölkt. Stimmung: Geschäftslos. Um 2 Uhr wurde amtlich notiert. Westen, weißer, — — — M, brauner, neuer, 74 -78 Kilo, 215—223 M, do. feuchter M, russischer rot 234—243 M, do. russisch, weiß — — M, Kansas 245—248 M, Argentinier — M, Amerikanischer, weiß —,— M. Koggen, sächsischer 70-73 Kilo 150—156 M. rass. 175 178 M. Gerste, sächsische, 152-165 M, schlesische 162 -175 M, Posener 159—170 M, böhmische 179—190 M, Futtergerste 130 135 M Hafer, sächsischer 158—164 M, beregneter 140—152 M. schlesischer 158—164 M., russischer loco 148—154 M. Mais Cinquantine 172—182 M, alter M, Laplata, gelb, 160—163 M, amerikan. Mi.red-Mais 147 -150, Rundmais, geio, 154—158 M, do. neu, feucht Lrbsen, 170-180 M, Wicken, sächs. 168-180 M. Buctzwesten, inländischer 180—185 M, do. fremder 180—185 M Gelsaaten, Winterraps, feucht —, trocken — M. Mile Welt staunt Wohlgeschmack des so schnell beliebt gewordenen Malzkaffee E? URL M Irrungen. 4— Kriminal-Novelle von G. Struder. 28 Nachdruck verboten. Verstohlen drückten sie innig sich die Hand und dann schritten sie zwischen den übrigen Personen dahin, um jener Art von Unterhaltung sich hinzugeben, wie sie unter Liebenden nun einmal üblich ist. eine Unterhaltung, die für fremde nicht da« mindeste Interesse, für die hierbei Beteiligten aber einen unend lichen und nie ermattenden Rei, besitzt. Auf jener Wirse herrschte «in äußerst rege« Leben und Treiben. Sozusagen da« halbe Städtchen war nach derselben hinau«gegangen, um an der allgemeinen Freude teilzunehmen. Da« dort anwesende Publikum, au« Menschen jede« Alter« und Stande« bestehend, amüsierte sich so gut, al« e« unter den vor handenen Verhältnissen nur eben möglich war. Man sprach dem We ne, der au« großen Fässern von mehreren Küfern de» Bürger, meister« verzapft wurde, ebenso wie den Brötchen mit Fleisch und Käse wacker zu, man lachte, sang und tanzte, man unter hielt fich mit interessanten Gesprächen oder beteiligte sich an den scherzhaften Volkrspielen, kurzum, die Fröhlichkeit war eine ebenso aufrichtige wie allgemeine. Auf der Wiese waren mehrere Tische und Bänke ange. bracht worden, bestimmt für den Bürgermeister und seine speziellen Gäste, und nach diesen Tischen geleitete nunmehr der Erstere zwischen den ehrerbietig zurücktretenden Menschen hindurch den stattlichen Zug, welcher hinter ihm drein folgte. Kaum hatte man sich dort niedergelassen, al« die Küfer blinkende Gläser und stattliche Weinflaschen h-rbeibrachten, worauf von den Herren da» vorhin unterbrochene Gelage munter fortgesetzt wurde. Bald jedoch begannen einzelne mit ihren Damen aufzu- brechen und unter da« übrige Volk sich zu zerstreuen, immer mehr folgten diesem Beispiele und zuletzt waren höchsten« noch etwa zwanzig Herren nebst einigen Damen, sämtlich ältere und die Bequemlichkeit liebende Leute, an dem Tische übrig. Auch Hedwig und Ferdinand hatten fich erhoben, um da« Menschengewühl au« der Nähe sich anzusehen. Wo da« Braut paar sich zeigte, wurde e« mit Hochrufen oder lauten Komplimenten begrüßt, aber die Aufmerksamkeit, welche anfang« den jungen Mann erfreute, begann ihn nach und nach »u ermüde». E« drängte ihn außerdem, einige Augenblicke ungestört mit der Gr, liebten verbringen zu können, und so schlug er denn eine Rich, tung ein, in der sie die lärmende Menge bald hinter fich haben mußten. „Wohin führst du mich, Ferdinand?* frug Herwig mit einem Male. „Wir dürfen nicht zu weit vom Festplatze un« entfernen, denn man könnte unsere Abwesenheit un« übel nehmen." „Brruhige dich, mein Lieb", versetzt« er zärtlich, „wir wollen nur auf wenige Minuten auf dem Wege, der nach Hohenheim sich zieht, dahin wandeln. Nur einige trauliche Worte wollte ich ungestört mit dir reden, mein Herz, von un« und unserer Liebe mit vir sprechen. Denn ist e« nicht eine seltsame Sitte, daß gerade an dem Tage, welcher da« beglückendste und bedeutung«. vollste Ereigni» unsere« Leben« in sich schließ«, wir kaum «inen Augenblick un« gehören dürfen, sondern dafür vor allem sorgen müssen, wie wir fremden Menschen recht viele Freude bereiten l" Inniger schmiegte sich Hedwig an ihn und entgegnete: .Ich stimme dir vollkommen bei, mein Ferdinand. Auch ich bin glücklich, wenn der heutige Tag endlich vorüber ist, diese« Lärmen und dieser laute Jubel will gar nicht zu der Stimmung meiner Seele paffen. Und doch ist e« andererseits ein erhebender Gedanke, so allgemein geliebt und geachtet sich zu sehen, die Empfindung zu haben, daß alle diese Menschen, welche un« umgeben, nur die freundschaftlichsten Gefühle für un« im Herzen tragen. Ach, wenn ich unsere« unendlichen Glücke« mir bewußt werde, dann fällt mir unwillkürlich ein, wir un« glücklich und bedauerntwert in diesem Augenblicke diejenige sein muß, welche dem frohen Tage, den wir jetzt feiern, noch vor nicht zu langer Zeit so heiter und vertrauen«voll entgegensah, deren Hoffnung«« ab«r mit einem Male in so schrecklicher Weis« zertrümmert wurden. Ich denke an die unglückliche Marga, Ferdinand! Die beleidigende Nichtachtung, welche sie un» stets gezeigt, habe ich vergeben und vergeffin und Gott ist mein Zeuge, daß ich kaum noch «inen höheren Wunsch in diesem Momente hätte, al« fi« in ihrem Schicksale wie eine Schwester trösten zu können." „Dieser Wunsch macht deinem vortrefflichen Herzen ave Ehre, meine teure Hedwig", antwortete Ferdinand bewegt. «Auch ich zweifle nicht daran, daß Marga tief, tief unglücklich ist aber doch vielleicht au« einem anderen Grunde, al« du dir unterstellst. Denn ich habe die Ueberzeugung, daß sie jenen Menschen nie» mal» geliebt hat und daß nur der vermeintliche Reichtum des selben fi« dazu verleitete, ihm ihre Hand zu bewilligen. Doch weshalb sollen wir durch die Erinnerung an sie diesen frohen und traulichen Augenblick trüben? Sein Schicksal schafft der Mensch sich selbst, und daß ein solches Unglück ihr widerfahren ist, da» war eigentlich nur eine Folge de» grenzenlosen Hoch mute» und Stolze» der sämtlichen Mitglieder dieser Familie." „Urteile nicht so lieblok, Ferdinand', bat Hedwig. „Um von einem nichttwürdigen Betrüger auf eine solche Weise hinter, gangen zu werden, dazu bedarf e» keiner besonderen Fehler, für welche die Betrogene verantwortlich gemacht werden kan». Ich habe da» aufrichtigste Mitleid mit Marga, denn ihr Unglück ist ein unverschuldete», und «» ist mir ganz unbegreiflich, woher sie die nötige Stärke findet, um diesen furchtbaren Schlag zu er- tragen. Doch sich nur Ferdinand, dort kommt eine Kutsche un« entgegen, die ich fast für diejenige de» Baron» halten möchte. Ja, e» ist diese und keine andere, ich erkenne jetzt deutlich den auf dem Bocke sitzenden Johann. Alle n kann derselbe nicht au»gefahren sein, mithin wird fich jedenfall» die herrschaftliche Familie in dem Wagen befinden."