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Nr. 157. Pulsnitzer Wochenblatt. — Freitag, den 31. Dezember 1909. Seite 8. Wien, 30 Dezember. (Unwetter) Hier ist seit gestern abend ein starker Wetter- und Temperatursturz eingetreten. Seit gestern abend wütei hier ein furchtba rer Schneesturm. Die Temperatur ist von 8 Grad über Null auf 1^2 Grad unter Null herabgesunken. Aus der Provinz laufen fortwährend Meldungen über das Un wetter ein. Durch die kolossalen Schneefälle sind viele Telefon- und Verkehrsstörungen verursacht worden. Zürich, 30. Dezember. (Verhafteter Gauner) Der wegen Betrugs in Höhe von einer Viertel Million Francs von der russischen Behörde verfolgte, flüchtige Großholz Exporteur Damowitsch aus Riga konnte auf Requisition der Rigaer Staatsanwaltschaft in einem hie sigen Hotel verhaftet werden. Er hatte noch große Summen Geldes bei sich. Damowitsch ist einer der größ ten russischen Exporteure. Paris, 30. Dezember. (Unwetter.) Ein neuer Sturm wütet seit gestern in der Gegend von St. Mene- hould. Die Gewalt des Sturmes ist so groß, daß Bäume entwurzelt und Dächer abgedeckt wurden. Gleichzeitig gingen starke Regengüsse nieder. Die Flüsse Aisne und Marne treten aus ihren Ufern. Auch in Toulon herrscht neuerdings seit gestern Abend Unwetter. Ein Boot mit mehreren Mann an Bord sank plötzlich und die Mann schaft wäre unrettbar verloren gewesen, wenn nicht in demselben Augenblick das Unterseebot Cigogne, welches Tauchversuche vornahm, an der Seite des Bootes erschie nen wäre und d e Mannschaft gerettet hätte. Toulon, 30. Dezember. (Unterfeebootkatastro phe.) Das Unterseebot Omega stieß gestern Abend mit dem Torpedoboot No. 140 zusammen. Beide Fahrzeuge erlitten erhebliche Beschädigungen, konnten jedoch in den Hafen gesteuert werden. Der Unfall ist durch die aufge regte See verursacht worden. Konstantinopel, 30. Dezember. (Bombenattentat) Nach einer von der Regierung verheimlichten Meldung des Vizegouverneurs von Jaffa wurde dort von unbe kannt gebliebenen Attentätern eine Bombe gegen das Gouvernementsgebäude geworfen. Das Attentat geschah um Mitternacht und diesem Umstande war es zv verdan ken, daß kein Menschenleben zu beklagen ist. Konstantinopel, 30. Dezember. Aus Jemen gelangt die Schreckensnachricht hierher, der General und Gouver neur dieser Provinz Tassan Tahsim wäre gestern ermor det worden. Nähere Einzelheiten fehlen noch, auch wird in offiziellen Kreisen der Mord noch nicht bestätigt. Die Tat wäre begangen worden einige Stunden, nachdem Hassan Tahsim die Hauptstadt Sanaa verlassen habe, auf dem Wege zur Küste des Roten Meeres als er seinen Urlaub antreten wollte. Namur, 30. Dezember. (Verhinderte Lynchjü- stiz.) Eine Frau, die unter dem Verdacht, ihr eigenes Kind ermordet zu haben, heute verhaftet wurde, wurde von der wütenden Volksmenge tätlich angegriffen und schwer mißhandelt. Nur das energische Einschreiten der Gendarmerie konnte die Verhaftete vor einer Lynchjustiz retten. Aus der Geschäftswelt. Der heutigen Nummer unseres Blattes liegt eine Extrabeilage des bekannten Manufaktur-, Mode waren- und Konfektionshauses Siegfried Schlesinger, Dresden, Aönig Zahann-Strafie 6, bei, auf welche wir ganz besonders Hinweisen möchten. — Die Firma veranstaltet alljährlich einmal einen Znoetttur-Aäninungsverkanf, welcher nächsten Montag, den 3. Januar, in sämtlichen Spezial-Abteilungen des Geschäfts ¬ hauses beginnt. Die ungemein große Verschiedenartigkeit der Ar tikel gestattet nur eine begrenzte Aufstellung und bietet eine sel tene Gelegenheit für Beschaffung bester und grundsolider Waren gattungen für Vekleidungszwecke jeder Art, für Aussteuern, wirt schaftlichen Gebrauch, für Wohnungseinrichtungen usw. Es ist so mit an diesen Tagen eine Kaufgelegenheit geboten, die zu benützen im Interesse aller liegt, welche die in der Extrabeilage näher be zeichneten Waren wohlfeil zu beschaffen wünschen. In den Par- ierreräumen sind Kleider- und Seidenstoffe, halbfertige Roben, seidene Bänder, sowie Weißwaren, Aussteuer-Artikel, Tisch- und Küchenwäsche und sämtliche zur Schneiderei notwendigen Artikel enthalten, während in den oberen Etagen Damen- und Kinder- Konfektion, fertige Leib- und Bettwäsche, Portieren, Tisch- und Diwan-Decken, Kameelhaar- und Pferdedecken, Möbelstoffe, Tep piche, Gardinen- und Normalwäsche lagern. Die Preise sind an erkannt wohlfeil, sodaß der Besuch zu diesem Extraverkauf jeder mann sehr empfohlen werden kann. Im Januarheft von VelhagenS 8c Klastngs Monats heften finden wn nachstehendes hübsches Neujahrsgedicht, verfaßt von Hans Caspar Starken, das wir mit Erlaub nis der Redaktion hier wiedergeben: JalMsmude. W r hatten fo viel von ihm gehofft, Vom alten Jahr — nun ist es dahin! Es war wie so oft: Schmerzen statt Freuden, Verlust statt Gewinn, So furchtbar viel Schatten, So wenig Licht, Was wir zur Wende im Traume gesehen hatten, Es wurde uns nicht; Es blieb uns ein Wunsch — ein Traum! Doch wir fühlten es kaum, Denn wir steigen auf unserer Lebensleiter Von Sprosse zu Sprosse und hoffen weiter . . . Nur Narren Glauben, daß alles Hoffen und Harren Vergeblich, töricht und kindlich sei . . . Laßt uns die Hoffnung! — Ist sie dahin, Dann ist es vorbei, Dann ist das Leben auch Narretei Und ohne Sinn. Doch so lange wir hoffen, Vom Jahr zum Jahr, Vom Frühling zum Sommer, vom Sommer zum Winter, So lange stehen die Tore noch offen, Und ganz ferne dahinter, Weit, weit zurück Liegen die Träume, wohnt unser Glück. Doch über dem Tore wunderbar Stehen die Worte im leuchtenden Zeichen: „Ihr werdets erreichen." Darum haltet die Herzen weit, weit offen Zum neuen Jahr Und lasset uns hoffen. vuttorprsiss auk dem kiesigen Wockenmarkls. Sonnabend, den 3l. Dezember l909. 4 Stück Mark 2.50—2.60. Wettervorhersage der Königiich Sächsischer» Ka«des»vetter»parte zu Dresden. Sonnabend, 1. Januar: — Südostwind — heiter — sehr kalt — trocken. — Magdeburger Wettervorhersage. Meist wolkig, bis trüb, wärmer, windig, Regen Marktpreise zu Kamenz am 30. Dezember 1909. höchsterj niedrigst. Preis. Preis. 50 Kilo M. Pf. M. Pf. M. Pf. Korn Weizen 7 10 80 60 7 10 50 40 5 4 60 Gerste 8 — 7 50 s;^lfl200( Schütt- StrohP^Maschin. 36 — Hafer 7 80 7 50 30 — tzeidekorn 10 50 10 — Butter Ko ( höchster Butler 2 60 Hirse 17 — 16 — 2 30 Kartoffeln 2 60 — — Eier — 10 Erbsen 50 Kilo 15 — Marktpreise kür Scbwsins und §srksi in Kamenz am 30. Dezember 1909. Läuferschweine: pro Paar: Ferkel: höchster Preis 110 Mk., höchster Preis 44 Mark, mittler „ 90 Mk., mittler „ 35 „ niedrigster „ 85 Mk., niedrigster „ 26 „ Zum Verkauf waren gestellt: 32 Läufer und 224 Ferkel. Für ausgesuchte feine Ware wurden Preise über Notiz gezahlt. Kirckiicds Nacdricdtsn. Pulsnitz. Sonnabend, den 1. Januar 1910, Neujahrstag: '^9 Uhr Beichte. I Pastor Resch 9 „ Predigt (Röm. 8, 24—28). s 5 „ Predigt (Psalm 121). Hilfsgeistlicher Prehn Sonntag nach Neujahr, den 2. Januar: >^9 Uhr Beichte. s „ 9 „ Predigt (Jac. 4, 13—15). j Pfarrer «chulze. 7 „ Christbescherungsfeier des Jungfrauenvereins. AmtSwoche: Pastor Resch. LiÄrtendsrg. Sonnabend, den 1. Januar, Neujahrsfest: Vormittags 9 Uhr Gottesdienst mit Predigt. Sonntag nach Neujahr, den 2. Januar: Vormittags 9 Uhr Gottesdienst mit Predigt. vdor! icdtsnau. Freitag, den 31. Dezember: Abends 7 Uhr: Silvester- gottesdienst. Sonnabend, den 1. Januar, Neujahrstag: 9 Uhr Predigt über Röm. 8, 24—28. Sonntag nach Neujahr, den 2. Januar: 9 Uhr Predigt: HerrPastorZietzschmann-Reichenbach. Die Konftrmierten-Unterredung im Januar fällt aus, ebenso die Bibelstunde am 5. Januar. Getauft am 26. Dezember: Erich Otto, S. des Fabrik arbeiters Robert Paul Voigt. (Zrotznaunvork. Sonnabend, den 1. Januar 1910, NeujahrStag: 9 Uhr Predigtgottesdienst. Text: Röm. 8, 24—28 Sonntag nach Neujahr, den 2. Januar: 9 Uhr Predigtgottesdienst. Text: 1. Petri 4, 12—19. Getraut: Felix Edmund Müller, Lehrer in Dresden, und Anna Martha Großmann, hier. Unter der Waske. Von Aarl Berkow. 12. Nachdruck verboten. „Ihre verehrten Enel» leben Beide nicht mehr, wie ich mit Teilnahme hörte?" fragte Bergen. „Eie starben Beide in demselben Jahr, kurz bevor mein Bruder Reinhard un« für immer verließ," Die dunklen Schatten wurden sichtbarer bei den letzten Wollen; Bergen wußte, wie seh? Alle an dem schönen, leicht, sinnigen Bruder gehangen, der jetzt in einem fernen Weltteile d e Verirrungen seiner Jugend büßte. Der Kreis um Gabriele hatte sich allmählich gelichtet; sie befand sich in der sie umgeben» den Menge mit Bergen allein. „Ich habe Sie duich mein Hervorrufen der vergangenen Zeiten traurig gemacht", sagte er jetzt bedauernd, „und mich zugleich der Nachlässigkeit gegen einen Freund schuldig zu be kennen Hier, ein neugewonnener Bekannter, Signor Lombardi, bittet um die Ehre Ihnen vorgestellt zu werden. Ich brauche dem Namen nichts hinzuzusügen." Gabriele blickte betroffen in da» Angesicht de» Maler», dessen Namen sie in der letzten Zeit fo oft hatte nennen hören; sie kannte diese bronzenfarbenen Züge, die dunklen, flammenden Augen, die kühn gewölbte Stirn, wie war eS möglich, daß der verwundete Pole, der mit ihr am Sterbelager Alfred» gesessen, mit dem wilden italienischen Maler identisch war? Lombardi kam der Bewegung zuvor, die sich ihrer bei dieser erschütternden Erinnerung zu bemächtigen drohte, indem er um die Gunst de» nächsten Tanze« bat. Willcnlo» ließ sie sich in die Reihen führen. „Ich muß zu meinem schmerzlichen Bedauern erfahren, daß gnädige Frau mich nicht vergessen haben", sprach der Pseudo- Pole in der ersten Pause, die der Tanz gestattete. „Wir haben un« in zu e-nster Stunde kennen gelernt, al« daß ein Vergessen mir unmöglich wäre", entgegnete Gabriele, „nur hätte ich nicht geglaubt, in dem polnischen Flüchtlinge, dem ich ein Asyl gewährte, einen berühmten Maler wisderfinden zu müssen. Der Italiener lächelte. .Ich bin ein Abenteurer, Signora. Bewegung allein ist Leben, Wechsel allein Genuß Ich habe in Indien gekämpft, in Afrika Löwen gejagt, in Australien Gold gesucht — e« gibt kaum ein Land, da« ich nicht flüchtig kennen gelernt. Zu den polnischen Kämpfen trieb mich die Langeweile, weiter nicht». „Dann setzt e» mich in Erstaunen, daß Sie unsere prosaische Residenz zum Aufenthalt wählten." „Ich gedenke auch nicht, mich dauernd hier fesseln zu lassen. Nur den Winter« über halten mich gewisse Verbindlichkeiten hier fest." Mit geschickter Wendung leitete er da« Gespräch auf all gemeine Gegenstände, in richtigem Takte e» vermeidend, Gabriele nach ihrer Vergangenheit zu fragen, der Einbl ck, den er da- mal« in ihr Familienleben getan, ließ ihn zu düstere Seiten gewahren, al« er nicht noch andere schmerzliche Erfahrungen in dem Leben der jungen Frau vermutete. Die Augen Bergen» ruhten währenddessen beobachtend auf dem Paare. Wie schön Beide waren! Bergen erinnerte sich, nie zuvor gewußt zu haben, wie einnehmend und fesselnd Lombardi« Erscheinung sei. Wenn er, wie jetzt, lebhaft und angeregt sprach, verschwand au» seinen Augen auch da» un- stät« Flackern, au» seinen Zügen jener Au»druck de» Ueber- druffe», der dort so häufig sichtbar war, Gabriele dagegen blickte ernst und nachdenklich vor sich hin. Jetzt war der Tanz zu Ende; Lombardi geleitete seine Dame auf ihren Platz zurück, wo Bergen sie erwartet«, um sie zu ihrer Begleiterin, einer entfernten Verwandten, zu führen. Der Maler glitt durch da« Gedränge und die Treppe hin» aneilend, trat er in die Tür einer Seitenlozr, die nur von einer e nzelnen Dame eingenommen war. „Kazimira!" Die Angeredete wandte sich um; e« war eine prachtvolle Frauenerscheinung, mit reichem, dunkem Harr und großen schmach tenden Augen, in jeder ihrer Bewegung jene unnachahml che Grazie, die ein unbestrittene» Erbteil jeder vornehmen Polin ist. Sie trug ein Kleid von schwarzem Samt, da» in seltsamer Weise mit dem alabastergleichen Teint der schönen Frau kon trastierte ; in dem kunstlo« geordneten Haar schimmerte eine we ße Kamelie. „Francekco, wie spät du kommst", sagte sie in polnischer Sprache vorwurfsvoll, „ich habe dich seit mehreren Stunden erwartet." Der Maler zuckte lkicht die Achseln. „Ich war ^von allen mögl'chen Bekannten in Anspruch genommen, erst jetzt ist e» mir möglich gewesen, mich sreizumachen." Kazimira schien von der Au»kunst nicht befriedigt zu sein. „Wer war die blonde Frau, mit der du tanztest?" „Deine frühere Gut»nachbarin, Frau von Waldau. Ich traf sie zu meinem Erstaunen hier wieder." „Woher kennst du sie?" „Ich verlebte einen Tag in ihrem Hause, al« mich Dzia- lintki verwundet über die Grenze brachte. Von ihr direkt kam ich zu dir." „Aber FranceSco, ich wünsche nicht, daß du nun häufige« mit ihr zusammentr ffjt. Man nennt sie eine Kokette der ge fährlichsten Art." Francekco bist unwillig die Lippen zusammen. Ich bitte dich, Kazimira, nur keine Eifersucht. Ich denke wir wissen ge nau, wie mir miteinander stehen wollen." Kazimira« sophirblaue Augen blitzten leidenschaftlich auf. „Ich lasse mich nicht verdrängen", flüsterte sie bebend vor. Zorn, „du vergissest die Opfer; die ich dir brachte," E« ist in den meisten Fällen sehr unpolitisch von eine« Frau, den Mann an einst gebrachte Opfer zu erinnern; auf FranceSco» Gesicht erschien der weltverachtende Zug, der ihm so eigentümlich war. „Kazimira, al« wir un« näher traten, sagte ich dir, daß ich kein Herz besäße, daß e« unklug und töricht sei, de ne Nei«. gung an mich zu verschwenden, der an kein wahre» Gefühl mehr zu glauben vermöchte; du hast mich trotz alledem geliebt. Willst du die Fessel lösen, die diese« Verhältnis dir auferlegt ich bin e» zufrieden." Er schränkte die Arme über d-e Brust und schaute gleich-! gültig auf da» Gewühl der Tanzenden im Saale unten. Keine Murkel zuckte in dem unbewegten Gesicht; man hätte ebensogut glauben können, daß er soeben nur eine Bemerkung Über da« Wetter gemacht. Die Polin antwortete nicht; ihre zierlichen Hände ballten i sich krampfhaft um den kostbaren Fächer, der in ihrem Schoße lag- Da« zarte Elfenbein knisterte leise unter dem unbarm herzigen Drucke, aber auch »hre Züge änderten sich nicht. Sie< hatte gelernt sich zu beherrschen. „Wann darf ich morgen kommen, dein Bild zu vollenden ?* fragte FranceSco jetzt ruhig, sich zu ihr wendend. „Ich bedarf deiner nicht", war die halb unterdrücktet Antwort. „Wann darf ich kommen?' (Fortsetzung folgt.)