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Adorker Wochenblatt. Mittheilungen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Siebenter Jahrgang. Preis für den Jahrgang bei Bestellung von der Post Sl Neugroschen, bei Beziehung des Blattes durch Botcngelegenheit IS Ncugroschen. 26. Erscheint ^ede Mittwoche. 29. Juni 1842. Der Abmarsch der Turner. Ein Gespräch. Ludwig. Irre ich nicht, so befand sich mein poli tisch gebildeter Freund Adalbert heut auch mit im Schwarm von Alt und Jung, die im Jubelschall ge leiteten die roth geschmückten Turner? Adalbert. Du irrtest nicht. Ludw. Deine Hoffnungen gehen wohl in die Höhe, wie die voigtländischen Hefenklöse, denkst Du an die unendsamen Folgen der Turnkunst, jener edel sten der sreicn Künste, welche vernünftige Leute Spie lerei nennen? Adalb. Soll ich aufhören zu lieben und zu hof fen, will ich auch aufhören, zu leben. Ludw. Du machst Dich lächerlich, mein Freund. Der Mann soll beständig auf das Nächste blicken, zu greifen, wo zuzugreifen ist, Besitz erhaschen. Alles Andere wird sich' finden. Hoffen und Harren macht Manchen zum Narren. Adalb. Turnen macht Männer — Ludw. Aus Kindern? Fort mit dem Wahn! Das Turnen ist eine Mode, wie es einst das Me nuetttanzen, das Billardspielen, das Lustschießen war. Adalb. Moden dauern nicht zehn Jahre; das Tnrnen aber hält sich schon seit 30, ja 40 Jahren. Ludw. Ganz recht, die Kinderei ist bald im Zu nehmen, bald im Abnchmen. Seit 1820 turnt Deutsch lands Jugend, auf daß es dereinst starke, freie, deut sche Männer gebe. Nachgerade ,- dächt ich, müßten sie fertig werden! Adalb. Das sind si§ auch, ob Dein blödes Auge sie schaut oder nicht. Einst war es Sitte der Leute, ihre gewesene Zeit für die bessere zu halten; jetzt ist's Sitte, das Neue geradezu abzulcugnen und zu thun, als sähe und wüßte man nichts davon. Unsere Na tion hat sich seit einem halben Jahrhundert außeror- dentlich erhoben. 'S gab eine Zeit, wo Deutschland zu verwelken schien. Das war damals, als man französisch sprach, »veil man deutsch zu reden sich schämte, im Jahre 1780, als Zopf und Perrüquier wichtige Rollen spielten, zur Zeit der Fürsten- und Klosterschulen, als Wieland, Schiller und Göthe jung waren. Unter dem gemeinen Volk Stumpfsinn und Schnaps, unter dem Mittelstand Sentimentalität und — geheime Laster. Werthers Leiden! das war das höchste Product des deutschen Geistes, der Trost und Augenstern der Gebildeten und: „hier ruhst Du Carl re." sang das Volk nach. Traurige Epoche der wei ßen, thränenschwangern Jungfrauen, der schleichenden, duldenden, nichts als lateinisch könnenden oder ganz stüpiden jungen Männer! In Frankreich keimte die Freiheit und brach plötzlich los, wie das entfesselte Element, durchriß alle Dämme, wie Meeresfluth, raß- te in den trotzigsten Altbauten, wie Feuer, brüllte mit des Sturmesstimme, machte den Erdkreis zittern und in Deutschland — frciete Herrmann um die ausgc- wanderte Aristocratin Dorothee*), dichtete Schiller wider „des Menschen Freiheitswahn, als das Schreck lichste der Schrecken"") und schlich die Nation ge bückt, büßend der Väter Schuld und kränkelnd einher an den Folgen der Verziehung, Verbildung und ge schwächten Manneskraft. Ludw. Die sächsischen Dragoner, die bei Kaisers lautern die Franzosen mit dem Ruf: „keinen Pardon den Königsmördern" niederhieben, waren eben so we nig kränkliche Leute, als die Altbaiern, Pommern und Marker von damals und — heute. Adalb. Zum Glück waren sie das; sonst wär es mit uns zur Neige gegangen. Ein geheimes aber zehrendes Gift knickte die Blüthe des Adels, fraß gierig am Stand der Gelehrten, griff den Bürget stand an und ließ den kernhaften Landmann nicht un geschoren. Statt fröhlicher Knaben, schüchterne Alt kluge, hohläugige Scheue, statt kecker Studenten, matte französisch sprechende Stutzer, statt kräftiger Handwerksstromer huckten verkümmerte Gestalten beim ') Githe dichtete zur Zeit der Schrcckensperiodc in Frank reich: Herrmann und Dorothee, in anderem Bezug eins unserer besten Idylle, in welchem ein braver Gastwirth eine ausgewan- dcrte Französin hcirathet. ") Schiller im Lied von der Glocke.