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Marla iprwgt erschreckt aus, alle Träume find oer« schwunden; sie sieht ^»tzt ganz deutlich die Mutter deS Kindes, eine starke, stämmige Frau; sie gibt dem Kindq die Brust, legt es wieder in die Wiege und schimpft, weil Warka eingeschlafen war. Die Schatten verziehen sich allmählich, der Morgen graut, aber Warka ist noch immer furchtbar schläirig md bemüht sich vergeblich, die Schläfrigkeit zu unter« drücken. „Warka, heize die Ofen!" läßt sich draußen die Stimme deS Brotherrn- vernehmen. Es ist also Zeit aufzustehen und an die Arbeit zu ;ehen. Warka verläßt die Wiege und rennt, Holz aus )em Schuppen zu holen. Beim Hin- und Herrennen über mannt sie der Schlaf weniger. Sie bringt Holz, heizt die Ofen und fühlt, wie ihr erstarrtes Gesicht ouftaut, wie sie allmählich zur Besinnung kommt. „Warka, mach den Samovar warm!' ruft die Haus frau. Warka hat kaum die eine Arbeit fertig, als ein neuer Befehl ertönt: „Warka, putze dem Herrn die Überschuhe!' Sie setzt sich auf den Fußboden, putzt die Gummi schuhe und denlt, daß es schön wäre, wenn sie den «Kopf in den groben, tiefen Schuh stecken und ein wenig schlafen könnte . . . „Warks, scheure die Treppe, es ist eine Schande vor den Kunden!' Warka scheuert die Treppe, räumt die Stuben auf, heizt den zweiten Ofen ein und rennt in den Laden. Die Arbeit häuft sich, sie hat nicht einen freien Augenblick. Aber nichts ist so schwer, als still auf einer Stelle vor dem Küchentisch zu stehen und Kartoffeln zu schälen. Der Tisch zieht den Kopf förmlich an, die Kartoffeln beginnen zu schwanken, das Messer fällt aus den Händen; dabei rennt die dicke aufgeregte Wirtin mit aufgestülpten Ärmeln hin und her und redet so laut, daß es in den Ohren klingt. Der Tag geht zu Ende. Als Warka die dunklen Fenster steht, druckt sie ihre erstarrenden Schläfen mit den Fingern und lächelt, ohne zu wissen, weshalb. Abends kommen Gäste zu den Herrschaften. „Warka! den Samovar!" ruft die Herrin. Warka muß den Samooar fünfmal wärmen. Nach dem Tee steht Warka bewegungslos an einer Stelle und wartet auf neue Befehle. „Warka, hol' schnell drei Flaschen Bier!' „Warka, hole Schnaps! Warka, wo ist Ler Pfropfen zieher! Warka, richte einen Hexing an!" Endlich sind die Gäste gegangen; das Licht wird aus- gelöscht, die Herrschaften gehen zu Bett. „Warka, bleibe beim Kinde!" ertönt der letzte Befehl der Herrin. Im Ofen zirpt eine Grille; der grüne Fleck an der Decke und die Schatten kriechen von neuem in Warkas hochgeschlossene Augen und verwirren ihre Gedanken. Wieder sieht Warka die Chaussee mit den müden Wanderern, Pelageja und den Vater Jefim. Sie erkennt alle, begreift alles, nur kann sie im Halbschlaf nicht fassen, welche Kraft eS ist, die ihr keine Ruhe gibt, sie an den Füßen und Händen zerrt, sie am Halse packt und nicht leben läßt. Endlich rafft sie alle Kraft zusammen, starrt auf den grünen Fleck, vernimmt das Geschrei des Kindes und findet den Feind, der sie nicht leben läßt. Dieser Feind — ist das Kind. Sie lacht. Sie wundert sich, daß sie nicht früher dahintergekommen ist. Eine seltsame Vorstellung nimmt Warkas Sinne ge fangen. Sie erhebt sich, lächelt breit, ohne mit den Augen zu blinzeln und geht im Zimmer aus und ab. Sie atmet auf bei dem Gedanken, daß sie das Kind los wird. Das Kind töten . . . und dann schlafen, schlafen... . Schlaftrunken schleicht Warka sich zu der Wiege hin und beugt sich über das Kind. — Nachdem sie es erwürgt hat, streckt sie sich eilig auf dem Boden aus, lacht vor Freude, daß sie schlafen kann, und eins. Minute später schläft sie so fest, wie ein Stein Das Kindermädchen Von Anton Tschechow. lNachdruck verhöhn.) NachtS. Warka, ein Kindermädchen im Alter von etwa dreizehn Jahren, schaukelt die Wiege, in der ein Kind liegt, und brummt mit kaum hörbarer Stimme: „Schlaf, Kindlein, schlaf. . .' Vor dem Heiligenbild brennt ein grüneS Lämpchen; im Limmer ist eine Schnur aufgespannt, auf der Windeln und lange schwarze Beinkleider hängen. Von der Lampe fällt ein großer grüner Fleck auf die Decke, während die aufgehängten Sachen lange Schatten auf den Ofen, die Wiege und Warka werfen ... ES riecht nach Krautsuppe und Schusterware. Das Kind weint. ES ist schon ganz heiser und er schöpft vom Weinen, aber es hört nicht auf zu schreien. Warka fallen die Augen zu, sie möchte schlafen, ihr Nacken schmerzt, der Kopf fällt ihr auf die Brust. Im Ofen zirpt ein Heimchen. Im Nebenzimmer schnarchen der Herr und der Geselle. Die Wiege knarrt kläglich — alles zusammen vereint sich zu einer ein wiegenden Nachtmusik, die so süß in den Ohren klingt, wenn man schlafen geht. Für Warka ist diese Musik eine Oual: sie darf nicht einschlafen, sonst wird sie von der Frau geschlagen. Die Lampe flackert. Die Schatten geraten in Be wegung, kriechen in Warkas halbgeöffnete, glotzende Augen und rufen in ihrem halb verschlafenen Hirn schaurige Träume hervor. Auf dem Boden wälzt sich ihr verstorbener Vater Jefim Stepanow. Sie sieht ihn nicht, aber sie hört, wie er sich vor Schmerz hin- und herwirft und jammert. Er kann kein Wort hervorbringen, seine Zähne klappern, seinen Lippen entringt sich ein stammelnder Laut. Die Mutter Pelageja ist in das herrschaftliche Wohnhaus hinübergeeilt, zu melden, daß Jefim im Sterben liegt. Sie Müßte längst wieder zurück sein. Warka liegt auf dem Ofen, sie schläft nicht und hört das Stöhnen des Vaters. Plötzlich vernimmt man Rädergeraffel. Die Herrschaften schicken den jungen Arzt der, der zufällig bei ihnen zu Besuch ist. Der Arzt betritt das Zimmer; man sieht ihn nicht im Finstern, aber man hört ihn husten und Lie Tür suwerfen. -Macht Feuer!' sagt er. Die Mutter eilt zum Herd, läuft geschäftig hin und her und macht Feuer an. Der Arzt beugt sich über Jefim, dessen Wangen glühen und dessen Augen seltsam funkeln. „Nun, was ist Euch, Aller, habt Ihr schon lange darunter zu leiden?' fragt der Arzt. „Meine Zeit ist um, Ew. Wohlgeboren... 's ist Leit zu sterben ... mir ist nicht zu helfen...' stammelte der Kranke. Der Arzt untersucht den Kranken sorgfältig und sagt: „Ihr müßt sofort ins Krankenhaus ... zur Operation »I. Ich werde dafür sorgen, daß man Euch Pferde schicke.' Eine halbe Stunde später wird Jefim fortgebracht. Dann bricht der Helle, frohe Morgen an. Pelageja ist tnS Krankenhaus gegangen, nach dem Kranken zu suchen. Irgendwo weint ein Kind; Warka hört ihre eigene Stimme singen: „Schlaf, Kindchen schlaf." Pelageja kehrt zurück und flüstert: „Es war zu spät ... soeben hat er die Seele aus- gehaucht." Warka geht in den Wald und weint — aber plötzlich schlägt jemand so kräftig auf ihren Hinterkopf, daß sie mit der Stirn an die Wiege anstößt. Sie öffnet die Augen und sieht ihren Herrn, den Schubmachermeister, vor sich. „Was fällt dir ein, dummes Ding! Du schläfst und küßt das Kind schreien!' fährt er sie an. Er reißt sie am Ohr, sie hebt den müden Kopf empor, wiegt die Schaukel und summt ihr Lied. Wieder steigen die Nebelgestatten vor ihr auf, sie. sieht, wie sie schlasen und möchte für ihr Leben gern auch schlafen. Aber die Mutter mahnt sie zur Eile! Sie gehen beide »ur Stadt, sich »u vermieten. „Gib daS Kind her!' ruft eine bekannte Stimme in drohendem Tone.