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Oer schlimme Kieselack. HumoreLle von Roller-Berg^ , lNacbdruck verboten.) Der Forstmeister Eckler, mein aller Freund und Lehrer in allen weidgerechten Dingen, war eine Seele von Mensch. ES gab eigentlich nur dreierlei, worüber er sich gelegentlich ärgerte. Erstens, wenn seine hohe oor- gesetzte Behörde wieder mal was Geschriebenes von ihm haben wollte; zweitens, wenn dem Tabakhändler in der Stadt, obwohl dieser sür den alten Herrn schon die halbe Ernte von Schwedt und Umgegend aufzukaufen pflegte, die bestimmte Sorte Knaster abermals ausgegangen war; und drittens über Kieselack. Namentlich über Kieielackl Wenn im Dorfe, wo der Forstmeister auch die polizei lichen Funktionen hatte, etwas abhanden gekommen war — Kieselack. Wenn die Waldhüter aus ein Stück ver ludertes Wild stießen — Kieselack. Wenn überhaupt irgend etwas passierte, das gegen Recht und Ordnung ging — Kieselack. Sobald Heinrich Eckler nur den Namen hörte, machte er das grimmigste Gesicht, besten er überhaupt fähig war, und in das Pfeifenrohr hinein knurrte er daS lästerlichste Wort, das man je von ihm gehört: „Ei, du verfluchtes Kaffeehaus! Den Kerl soll der Hahn picken!" Ganz abgesehen von der geringen Wucht dieser äußersten Zornanwandlung, hatte ich immer den Eindruck, als wenn der Grimm auch innerlich nicht ganz echt sei, als wenn ein Schalk sich dahinter verstecke und eine müh sam zurückgehaltene Belustigung. Dieser Verdacht sollte sich bald bestätigen. Eines Morgens, in aller Herrgottsfrühe, war Kieselack in unzweideutiger Nähe einer Schlinge betroffen worden, in der eine Häsin sich gefangen und gewürgt hatte. Die Schlinge, die Häsin, Kieselack, der Reoierförster und ich, der ich auf meiner morgendlichen Radtour just dazu- gekommen war, wanderten nach dem Ratbause. Während wir in Erwartung des hochnotpeinlichen Halsgerichts, Las den Dorflumpen nun endlich in aller Schwere treffen mußte, schweigsam einhergingen, hielt Kieselack es für höflich und angebracht, uns zu unterhalten. Mit der Gelassenheit, die ihn in allen Wechselfällen seines Lebens auszeichnete, plauderte er vom Wetter, von den dies jährigen Jagdaussichten und von der sozialen Ungerechtig keit. Der Kerl stieß etwas mit der Zunge an, aber er sprach wie ein Buch, und ich hatte das Gefühl, daß er uns uzte — uzte mit der Sicherheit und Gewandtheit eines Menschen, der sich seiner überlegenen Position voll bewußt ist. Das prägte sich auch in seiner Haltung aus, dte zu Len grotesken Lumpen, in die er notdürftig gehüllt war, seltsam kontrastierte. Ein hoher Fünfziger, schritt er mili tärisch stramm aufrecht, ohne den Kopf mit dem sorgfältig gekämmten Haupt- und Barthaar nach rechts oder links zu drehen. Nur wenn er sich eine besonders spitze Anzüg lichkeit geleistet, streifte uns ein flüchtiger Seitenblick, der zwischen Tücke und Durchtriebenheit die Wage hielt. Por dem Forstmeister änderte sich die Haltung Kiese- lackS nur insofern um ein weniges, als sie noch eine ge wisse wohltuende Zutraulichkeit annahm. Er verschmähte es, sich zu verteidigen. Die Frage, ob er die Schlinge gelegt, ließ er offen. Er gab lediglich seinem Bedauern Ausdruck, daß der unangebrachte Übereifer gewisser Menschen den Herrn Forstmeister abermals mit einer solchen Lappalie behellige. Heinrich Eckler hatte sich abgewandt und sog an seiner Pfeife, daß es dampste und roch wie aus dem Schlot einer Kienäpfeldarre. Endlich trat er dicht an den Strolch heran. „Sag mal, Kieselack, ist es gar nicht die Menschen möglichkeit. daß du noch ein ordentlicher Mensch wirst und eine ehrliche Erwerbstätigkeil ergreifst?* „Nein, Herr Forstmeister, das habe ich aufgegeben." Er sagte das nicht etwa herausfordernd, sondern ruhig und bestimmt wie eine gefestigte Überzeugung. „Sehen Sie, Herr Forstmeister", fuhr er fort, „wir kennen uns nun schon an die dreißig Jahre. Was soll sich da noch ändern? Gegen die soziale Ungerechtigkeit und gegen das Unglück ist nicht anzukämpien. Besonders wenn man so ein Pech hat wie ich. Eine Erwerbstätig keit — du lieber Himmelt Vor sechsundzwanzig Jahren hatte ich einen Handel mit Uhrschlüsteln angefangen. WaS soll ich Ihnen sagen? Die Remontoiruhren kamen auf, und ich mußte mit meinem blühenden Geschäft in Konkurs gehen. Ich bin fest überzeugt, Herr Forstmeister, wenn ich auf meine alten Tage noch Sargtischler werden wollte, eS würde kein Mensch mehr sterben. Seit ich das Unglück beim Militär gehabt habe, ist es eben mit mir vorbei. Ich habe küne Wünsche und keine Hoffnungen mehr — eS sei denn die eine, daß Sie mir auf die Aussage dieser jungen Leute hin keine Unannehmlikeiten bereiten werden. Aber selbst wenn Sie meine Schuld für erwiesen an nehmen wollten, Herr Forstmeister" — hier zog er die buschigen Brauen hoch und verfiel in einen bedeutungs vollen Ton — „so wissen Sie selbst, daß kein Mensch frei ist von Fehl, und daß " „Dich soll der Hahn picken!" schallt der alte Herr mit einem verdächtigen Zucken um die Mundwinkel. Dana wandte er sich an uns: „Haben Sie denn gesehen, meine Herren, daß Kieselack die Schlinge gelegt oder an dem verluderten Wild sich zu schaffen gemacht hat?" „Das gerade nicht," entgegnete der Förstern „er stand etwa fünf Schritt abseits, aber —" "Hm'— fünf Schritt. Daraufhin kann man den Mann eigentlich nicht recht fassen. Bewegte er sich denn in der Richtung nach der betreffenden Stelle?" „Er stand still, aber —" „Hm, hm — na, ich will dir was sagen, Kieselack: Für dieses eine Mal magst du noch gehen; erwische ich dich jedoch wieder in solcher Situation, dann fresse ich dir roh! Verstanden?!" / Diese Redewendung, die noch niemand von uns bei dem alten Herrn gehört hatte, ebenso wenig wie den ernsten, gewiüergrollenden Ton, schien auf den Strolch einen besonderen Eindruck zu machen. Die lächelnde Zu-j verficht verließ ihn. Er sah verdutzt und befangen drein. Dann riß er die Knochen zusammen und legte die Hände an die Stelle, wo er vor undenklichen Zeiten einmal eine Hosennaht gehabt haben mochte. „Zu Befehl, Herr Leutnant!" stieß er hervor. Auf; einen kurzen Wink machte Kieselack eine tadellose Kehrt wendung und verlieb das Lokal. Noch auf der Diele > draußen hörte man, wie seine bloßen Füße in strammem Schritt auf die Fliesen klatschten. Alsdann entließ der alte Herr auch den Förster. „Es ist gut, Strebel. Mag der Haderlump diesmal noch laufen. Zum Herbst, wenn die Jagd angeht, ist er uns ohnehin sicher. Er wird dann wieder gleich sür den ganzen Winter eingespunnt. Damit ist ihm und uns ge dient. Fürs erste wird er sich jetzt wohl auch etwas zu sammennehmen." Als der Förster gegangen war. wandte sich Heinrich Eckler an mich: „Na, Doktor, Sie machen ja auch so'n Gesicht wie ein hungriger Fuchs, dem eine Ente aus dem Fang ge gangen ist. Wundern sich wohl, was?" „Allerdings, ich bin einigermaßen verblüfft." „Ja, lieber Freund", sagte der Alte mit drollig ernstem Gesicht, „wer im Glashause sitzt, darf nicht mit Steinen schmeißen. Damit meine ich natürlich nicht Sie, sondern mich selbst. Ich will Ihnen das bei dieser Ge legenheit auseinandersetzen. Vorerst trinken Sie mal ein Gläschen von diesem bildschönen alten Korn." Nachdem wir getrunken batten, sog Heinrich Eckler seine Pfeife in Brand und erzählte, indem er auf seinen kolossalen Filzparisern behaglich auf- und abschlurrte. Er zählte er etwas Wahres, so mußte er herumspazieren; so bald er saß, konnte er nur ausschneiden. Die Geschichte war also verbürgt. „Der Kerl hat recht, es sind dreißig Jahre her; viel leicht ein paar Jährchen darüber. Ich war Leutnant bei den dritten Jägern. Gleich im ersten Jahre kriegte ich einen Prachtkerl von Burschen — einen Prachtkerl, sage ich Ihnen: klug, anstellig, dabei Soldat mit Leib und Seele. Der Mensch hatte nur einen Fehler: es gab keinen Unfug, zu dem er im Hellen Übermut nicht aüeweü auf gelegt war." (Schluß folgte