Volltext Seite (XML)
34 unten kehren und der Sohn die Jnterpretazion seines Naters im Grabe verläugnen, widerrufen, schänden soll? — Etwa der laut ausgesprochene Wunsch des Volkes nach der ihm verheißenen Repräsentazion? Aber als Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestieg, hörte man nichts von den angekündigten Petizionen. Preußen war nicht Dänemark, es schwieg. Und was würde einer Regierung unter solchen Verhältnissen für Dank werden, wenn sie freiwillig aus ihrer Krone diejenigen Diamen- ten Herausrisse, die das absolute Königthum zusammen halten, - der unumschränkte Wille des Monarchen, die Allmacht der Minister, die eigenmächtige Verwen dung der Gelder deS Staates, die Unmündigkeit des Volkes — und mit der Beschränkung des königlichen Willens durch eine geschriebene Verfassung, durch ver antwortliche Minister und durch die Zustimmung des mündig gesprochenen Volkes zu den Gesetzen und der Verwendung des Staatseinkommens sich dafür andere Steine hineinsetzte, nur um die Sympathien des übrigen Teutschlands zu erregen? Es ist die traurigste Politik eines Volkes, zuzusehen und Geschenke von seiner Re gierung zu erwarten. Es muß ihr Zugeständiffe durch Wort und Schrift, durch eine starke öffentliche Meinung und ununterbrochene Anstrengungen abdringen, die Allein herrschaft hat für den, der sich im Besitze derselben befindet, so großen Reiz, daß er nicht leicht geneigt sein dürfte aus seine Prärogative ohne Weiteres, aus Gnade und Wohlwollen, zu verzichten, zumal wenn er sich zutraut, daß er seinem Lande auch ohne repräsentative Formen den Weg zum Fortschritt anbahnen könne. — Etwa ein großes Nazionalunglück? Aber in dem von den Erz bischöffen zu Posen und Cöln für die Aufrechterhaltung der Ansprüche des Katholizismus geführten Kamps, wenn man ihn dafür halten wollte und könnte, ist wenigstens ein vieljähriger Waffenstillstand eingctreteu. Und warum wollte man sich durch eine Verfassung der Gefahr aussetzen, daß die hinter dem Katholizismus versteckten demokratischen Gesinnungen und Bestrebungen der Rheinländer die Märkische und Pommersche vl« inarti««.- überflügeln, ins Herz des Preußischen Reiches cindringen und den Militär - und Beamte^staat in ganz andere Bahnen werfen, — nur um der leidigen Theorie zu huldigen, daß der Wille des Monarchen durch An theil des Volkes an der Staatsgewalt zu beschränken sey? Aber während Viele ihren Hoffnungen und Einbil dungen freien Spielraum ließen und Preußen schwieg, sprachen Thaten des neuen Königs: die Amnestirung der Burschenschafter, die Wiedereinsetzung Arndts, das Gerücht von der Berufung der Gebrüder Grimm nach Berlin. Aber gesetzt, diese Thaten waren der Ausdruck hochherziger, gerechter Gesinnung, nicht die Folge be rechneter Politik, welche sich auf eine sehr wohlfeile Weise Popularität zu erwerben strebt: so bewiesen sie für eine Preuß. Verfassung, für eine Veränderung der Preußischen Politik gerade so wenig, als wie viel sie beweisen sollten. Die armen Burschenschafter, die zum Beispiel in Sachsen völlig freigesprochen, in andern Ländern sehr gelind bestraft worden sind, waren in Preußen, es ist nicht bekannt wie und warum es so ge schehen konnte, zu Rad und Beil verurtheilt, dann zu lebenslänglicher oder einer der lebenslänglichen ähnlichen Fcstungsstrafe begnadigt worden. Ihre Gedanken waren eine Preußische Verfassung gewesen. Daß ihnen die Gnade Friedrich Wilhelm IV. bei seinem Regierungs antritt die Freiheit wiedergegeben, war eben so anzuer kennen, wie die Amnestie, die Kaiser Ferdinand vor seiner Krönung in Mailand für seine Italienischen Län der ertheilte, oder wie die Begnadigungen, die mit unter selbst von dem Czaaren für Polnische Verschwo rene erlassen werden, aber gewiß eben so wenig ein Vorzeichen für ein freisinniges Regierungssystem, wie es dieß in Oestreich und Rußland gewesen sein dürste. Die Wiedereinsetzung des alten Arndt war eine Sühne des Unrechts, das in früherer Zeit an den um Preußen und Teutschland hochverdienten, um die verbürgten Rechte des Preußischen Volkes eifrig besorgten Manne verübt worden war, gerade so wie die Rehabilitirung der beiden Freiburger Professoren v. Rotteck und Welcker durch die Großherzogl. Badische Regierung. Die Letz tere wieß den Verdacht öffentlich zurück, als machte sie den politischen Prinzipien in Bestrebungen der Beiden ein Zugcständniß; die Preußische brauchte dieß nicht zu thun, weil sie wußte, daß Arndts Gesinnungen im Mittelalter wurzeln. Und die Berufung der aus Han nover vertriebenen Gebrüder Grimm nach Berlin — von ihrer Anstellung hat wenigstens noch keine offizielle Kunde verlautet— ist doch nur ein schwacher Nachhall der Freisinnigkeit, mit der die Würtembergische Regierung so gleich beim Beginn der hannoverschen Verfassungswirren Ewalden an die Universität Tübingen berufen oder die Sächsische Albrechtcn in Leipzig eine Zufluchtsstätte und ansehnliche Unterstützung gewährt hat, und jedenfalls mehr auf Rechnung des Ruhmes und der Gelehrsamkeit der Professoren als der Staatsgrundgesetzlichcn Gesin nung derselben zu setzen. Es ist noch nicht erklärt, wie es kömmt, daß in der Regel die Maßnahmen einer jeden neuen Negierung mit der öffentlichen Meinung in Einklang stehen, zugleich aber auch ein böses Spiel der Geschichte, daß gar ost nach kurzer Zeit das Kleid ge wechselt wird und, wenn dem Volke von schönen Träu men nur Täuschungen übrig geblieben sind, die frühe Popularität wieder verloren geht. Ein allgemeiner Jubel der Befreiung, eine schöne Hoffnung zitterte durch viele Herzen, als König Ludwig der Baier den Thron be stieg. Wie weit ist die Freiheit mit ihm gekommen, wie weit der Fortschritt? Manchmal wird der Bogen einen Augenblick lockerer gespannt, damit er dann im nächsten Augenblick desto straffer angezogen werden könne. Manchmal, wenn wirklich Etwas von dem strengen Re giment nachgelaßen wird, geschieht es, weil es sich anders mit dem öffentlichen Anstand nicht verträgt. Die Men schen sind dann geneigt, von Tugend zu sprechen, wenn das Böse unterlassen wird. Es ist wahrscheinlich, daß die Zeit der Prüfung für Preußen noch nicht vorüber ist, und deshalb rathsam weder den Regenten vor seinem