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A - or ker Wochen blatt. Milthetlungen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Vierter Jahrgang. Preis für den Jahrgang bei Bestellung von der Post »« gr. SLchs., bei Beziehung de« Blattet durch Botengclegenheit IS Gr. SLHs. 39. Erscheint jeden Donnerstag. 27. Sept. 1838. Staatsbürgerliche Betrachtungen. Drittes Stück*). Nächst Baiern verdient es vor Allem Kurhessen, daß wir einen Blick auf dasselbe werfen. Daß auch Kuthcsscn zu den konstituzionellen Staaten gehört, haben wir in unserer ersten Betrachtung bereits ge sehen. Ja seine Konstituzion ist unter den deutschen Verfassungen nicht einmal die schlechteste, oder viel mehr der Besten Eine. Insonderheit darf man unter ihren Vorzügen mit hervorheben, daß sie das Ein kammersystem eingefübrt, also die Vertreter des Vol kes nicht in Ober- und Unterhaus geschieden, und zu Zwiespalt und Verthcidigung der Sonderinteressen nicht von Haus aus Veranlassung geboten, sondern di« Standesherren, Pairs und Privilegirten den Ab geordneten des Bürger- und Bauernstandes bcigefellt bat; anderer zweckmäßiger Bestimmungen dieser Ver fassung hier nicht zu gedenken. Auch mag nicht über- sihen werken, daß in dem Volke der Hessen — dem alten kräftigen Stamme der Karren — viel Element zu einem freien und glücklichen StaatSleben sich vor- fiudet, das, wenn es nicht gewaltsam unterdrückt würde, herrlich und zur Ehre von Teutschland sich entfalten müßte. Wenn dessenungeachtet unsere mann haften Stammgenossen in Kurhessen noch nicht so glücklich geworden sind, wie sic cs gekonnt hätten, sy lag cs nicht an ihnen selbst, also nicht im Volke. Die Ursache des gestörten politischen Lcbcns In Hessen sind vielmehr ganz andere. Die neue Verfassung von Kurhessen datirt sich vom 5 Jenner 1831 und gehört mitunter diejenigen, die Ihren Ursprung einer gewaltsamen Geburt ver danken. Auch in Hessen hatte cs nämlich vicl alten Sauerteig gegeben, der thcils das Gcbäckc verdarb, thcilS In große Währung übergicng, und endlich die Volkswuth zu blutigen Auftritten ewpvrstachelte. Also auch Kurhessen hatte, wie man zu sagen pflegt, seine große Woche und seine Juli, oder Septcmbertagc. Diese wurden nun, wie anderwärts, rbcn beseitigt durch das Zugeständniß einer neuen, zeitgemäßeren ') Siehe Nr. 3>, 32 und 33 dies. Bl. Verfassung, die, wie bereits erwähnt, am 5. Januar 1831 in'S Leben trat. Damit hätte es nun abgethan sein können, wenn beide Theile, Regierung und Volk, auf dem durch die Verfassung gelegten Grunde fortgcbaut hätten; aber cS war noch nicht abgethan. Die Verfassung entstand unter der Regierung des Kurfürsten Wilhelm II., der mit einer preußischen Prinzessin vermählt ist, welche bei dem hessischen Volke viel Liebe genießt. Nicht eines gleichen Gra- des von Zuneigung mag sie sich bet ihrem fürstlichen Gemahle zu erfreuen haben. Wenigstens stand eine gewisse Frau Ortlöpp, die nachher zur Gräfin Reichen bach erhoben wurde, jetzt abrr, von einer in Mähren angekauftrn Herrschaft gewöhnlich Gräfin Lessonitz oder Gräfin von Reichenbach - Lessonitz genannt wird und noch jetzt die stete Gesellschaft des Kurfürsten »heilt, in dem Rufe, daß sie großen Einfluß auf den Letzteren und durch diesen auf die Regierung des Landes und zwar, wie man allgemein wußte, nicht im Geiste der Konstituzion ausübt. Daß dies bei dcm Volke kein gutes Blut machte und daß daS Volk theils dir- serhalb, theils auch wvl aus Zuneigung gegen die Kurfürstin die Frau Gräfin nicht Ins Herz geschlossen hatte, gab sich bet vielen Gelegenhriren kund. Na mentlich wollte man die Gräfin Reichenbach in der Residenz nicht leiden. Da dies jedoch wieder dem Kurfürsten unlieb war, so mied nun auch er selbst den Regierungssitz und war durch alle an ihn abgc- sendetrn Deputazionen—rr wohnte damals in Hanau und aller Bitten und Vorstellungen ungeachtet nicht zur Rückkehr zu bewegen. Daß hierdurch die Regierungsgeschäfte leiden mußten, unterlag keinem Zweifel. Es beantragten daher die damals gerade versammelten Stände, daß eine Regentschaft nieder- gesetzt werden möchte, waS dcnn später auch zur Folge hatte, daß der Kurfürst —am 30. Septrmber 1831—die Regierung, jedoch mit dem Vorbehalt, sie wieder annchmrn zu können, an seinen Sohn, den Kurprinzen Friedrich Wilhelm, der von jetzt an also Priuzregent wurde, abtrat. (Bis jetzt bat jedoch der Kurfürst die Regierung noch nicht wieder übernom men, lebt vielmehr größtenteils auswärts, insvndet- hcit in Baden-Baden.)