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70 Gegner der konflituzioneven Staatsverfassungen cs stets zu den Echattcnfciten derselben gezählt haben, Laß Gesetze dieser Art in Ersteren nie zur Reife kämen und allein in absoluten Staaten möglich wären, wo das Machtwort des Alleinherrschers über Tod, Leben, Freiheit und Eigenthum dcr Staats- bürgcr Vorschriften giebt und das Volk keine Stimme hat. Und allerdings mögen wir Sachsen uns hierauf etwas zu Gute thun, da es keine Kleinigkeit ist, über 326 verschiedene einzelne Bestimmungen — denn so viel Artikel hat das neue Strafgesetz — zwischen 3 Potenzen der Gesetzgebung (Regierung, erste Kam mer und zweite Kammer) dergestalt eine Vereinbarung zu Stande zu bringen, daß diese Bestimmungen und Artikel sammt und sonders als Gesetz erscheinen können. Schen wir doch dies jetzt an dem Beispiele eines andern konstituzioncllen Staates, dem König reiche Würtemberg, dessen Volksvertreter bekannt lich so eben gleichfalls versammelt sind, um ein yeucs Kriminalgesetzbuch zu bcrathen, fast schon be stätigt. Dort nämlich ist zwar zwischen 2 Potenzen her Gesetzgebung — Regierung und H. Kammer — Hast gänzliche Uebereinstimmung über den Gesetzent- ymrf vorhanden. Aber rin drohendes Gewitter für Hirsen zieht in der I. Kammer (Kammer drr Stan- desherren) auf, indem nach öffentlichen Nachrichten hiese erste Kammer gesonnen sein soll, einer Bestim mung, die auf den Schutz des ländlichen Eigen- shums gegen die Verheerungen des Wildes gerichtet ist, unter allen Umständen ihre Zustimmung zu verweigern und, dafcrn selbige Regierung und zweite Kammer nicht aufgrben würden, lieber gegen LaS ganze Gesetz sich zu erklären. Wie nothwendig aber eine solche Bestimmung für den armen Land mann in Würtemberg sein mag, können wir Ober- Voigtländer freilich nicht sogleich begreifen, da wir eher rin Gesetz gegen die Verheerungen dcr Jäger geben möchten, damit die lieben Häslein und Reh- lein nicht ganz aus unserer Naturgeschichte verschwin den. Das Letztere mögen freilich auch die Würtem berger Standeshcrren denken, Indem sie der Meinung sind, daß, wenn der Landmann auf den Grund des Kriminalgesctzbuches ungestraft sich selber helfen kann, dann das Wild nach und nach auf ihren stau- desherrlichen Revieren eben so selten werden könnte, Vie eS bei unS ohne Kriminalgcsetz geworden ist. Laßt sich aber auch nicht ableugnen, daß unser neues Kriminalgesetz als Ganzes schr wcrthvoll ist, so müssen wir unserer Scits doch bekennen, daß wir dasselbe in seinen einzelnen Bestimmungen nimmer mehr geheißen können und in dcr Lhat schon oft zu wünschen versucht gcwcsen sind, daß lieber daS Ganze nicht da sein möchte, damit dann auch manches Einzelne nicht da wäre. Jndeß cs sind dirß Ansichten, und bei der Getheilthcit der Mei nungen maßen wir uns um so weniger an, mit dem entscheidenden Gewichte dieWagschale zu belasten, als wir dagegen ebenfalls zugcstehen, daß das neue Kriminalgcsetz wieder einzelne Vorschriften enthält, denen wir den unbedingtesten Beifall zollen müssen. Was nun das neue Kriminalgesetzbuch am Meisten verleidet — von einer allgemeinen Beurthcilung desselben ist, wie schon angcdcutet, diesmal die Rede nicht — was bei seinem Erscheinen ganz vorzüglich ein gewisses unbehagliches Gefühl in uns hcrvorge- bracht hat, das ist der Kredit, welchen in dem neuen Gesetze das — Prügelsystem genießt. Möglich, daß wir gerade hierin von den Ansichten dcr Mehr- zahl abweichen. Ja es ist sogar wahrscheinlich, daß Viele das neue Kriminalgesetzbuch gerade deswegen mit besonderem Wohlgefallen begrüßen, weil nunmehr gesetzlich — geprügelt werden darf. Allein mögen immerhin Tausende, mag die Mehrzahl des Volkes so denken, mögen sich Gelehrte und Laien in der An sicht vereinigt haben, Prügel seien ein gutes Straf mittel; wir unserer Scits bekcnncn uns Trotz dcm zu dcr abweichenden Meinung und sprechen eS ungeschcut aus, daß, wenn das neue Kriminalgesetz unsere volle Liebe nicht genießt, hieran am meisten die Prügel Schuld sind. Es giebt viele Leute, welche alle diejenigen, die sich zu den Gegnern des Prügclspstems zählen, spott- weise oder spöttischerwrlsc Humanisten, Filanthropen, Menschenfreunde nennen. Es giebt Viele, die be haupten, es sei ohne Prügel gar nicht auszukommea und, wenn Humanität und Menschenfreundlichkeit in dieser Beziehung auf dem Papiere recht wohlgefällig anzuschaucn sei, in das praktische Leben, in die Wirk lichkeit passe sie nicht, und wenn man namentlich ein Strafgesetzbuch abfassen wolle, also rin Gesetz gegen Lie Verbrechen und Verbrecher, so müsse man der Humanität und Menschenfreundlichkeit Valet sagen,