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Am das Erbe der Drewendts l15. Fortsetzung.) (Nachdruck verböte«.) 5 5 abwech- I Helsen, sie aufzufinden! Kriminalroman von Erich Ebenfiein. Tränen standen in Frau Hartwigs gutmütigen Augen, als sie Fernau die Hand zum Abschied reichte. Fünfzehntes Kapitel. In tiefe Gedanken versunken, begab sich Fernau ins Hotel. Unterwegs gab er eine lange Depesche an eiueu befreundeten Kollegen in Breslau auf. „Ziehen Sie schleunigst Erkundigungen ein über Guts besitzer Harpner, der ein Gut Warnsdorf oder so ähnlich hinter Breslau besitzt. Alter, Aussehen, Leumund und Familienverhältnisse sind besonders wichtig. Zu ermitteln ist auch, ob er Briefwechsel mit Perlin unterhält und dort vielleicht Verwandte besetzt." Eine Stunde später suchte er Willy Losenstein in der Post auf. Der junge Mann geriet bei seinem Anblick in groHe Erregung. „Gottlob, daß Sie sich endlich wieder sehe» lassen, Herr Fernau! Ich hätte Ihnen schon gern geschrieben, aber Sie ließen uns ja bei Ihrem ersten Besuch vor drei Wochen keine Adresse zurück. Und doch martert mich die Ungewiß heit über Andreas Geschick bis zum Wahnsinn! Wissen Sic etwas von ihr? Haben Sie eine Spur gefunden?" „Nein," antwortete Fernau so kühl und gemessen, daß Losenstein ihn verwundert ansah. „Aber ich möchte eben über Ihre Kusine Andrea noch einmal mit Ihnen sprechen. Wie lange dauert Ihr Dienst heute noch?" „Bis neun Uhr. Wollen Sie inzwischen zur Mutter gehen und mich dort erwarten?" „Es ist mir lieber, Sie suchen mich in meinem Hotel auf und wir sprechen unter vier Augen über die Sache. Ich wohne im „Berliner Hof"." „Gut. Ich werde kommen." Fernau bestellte ein Abendbrot für zwei auf sein Zimmer und gab, als Losenstein dann kurz nach 9 Uhr erschien, den Auftrag, es zu bringen, sie dann aber nicht weiter zu stören. „Aber ich hoffte, Sie würden mir nun doch auch etwas von Andrea erzählen. Was sie in Berlin macht und warum sie überhaupt dorthin ging?" „Das kann ich leider nicht, da cs mir selbst noch nicht klar ist. Ihre Freundin ist dort unter mindestens ebenso rätselhaften Umständen und genau so spurlos verschwun den wie hier. Das ist alles, was ich Ihnen vorläufig mit teilen kann. Wir haben zurzeit weder eine Ahnung, wo sie sich befindet, noch ob sie überhaupt noch am Leben ist." „Aber das ist ja schrecklich! Die arme gute Andrea! Wenn ich nur wüßte, was ich tun könnte, um Ihnen zu „Direkt nicht. Aber zwei Tage, nachdem sie mein Haus I verlassen hatte, wurde mir der Tausendmarkschein durch » die Post zugesandt, unter fingiertem Namen natürlich und « ohne jedes Begleitwort." „Sonderbar!" Fernau starrte eine Weile nachdenklich I in die Lust. Dann sagte er lebhaft: „Eine Frage noch, ; gnädige Frau! Gab Ihnen Willy Losenstein irgendeinen ' Zweck an, wofür er das Geld brauchte?" „Nein. Aber ich kann es mir beiläufig denken. Seine « Mutter selbst klärte mich am nächsten Morgen, als ich zu ! Andrea wollte, ahnungslos auf. Sie sagte: „Es ist heute I ein rechter Jammer bei uns mit den Kindern! Mein Sohn I kam vorhin auch ganz erschöpft und halbtot vor Müdigkeit I heim und liegt nun so da, ohne Schlaf für seine armen, ; erregten Nerven zu finden. Seinen Vorstand hat vor- ! gestern der Schlag getroffen, und der neue geht natürlich ! jetzt in der ersten Zeit scharf ins Zeug. Da gibt's viele ! Kassenrevisioncn, vermehrte Arbeit, strengeren Dienst I usw." Sie verstehen: Kassenrevisione n!" Fernau stieß einen leisen Pfiff aus, sagte aber nichts, j Frau Hartwig fuhr fort: „Hätte ich natürlich so etwas vor- » her auch nur ahnen können, würde ich dem armen Jungen ! selbstverständlich das Geld auch gegen oder trotz meines l Prinzips geliehen haben! Gottloh scheint er es sich doch j noch rechtzeitig anderswo verschafft zu haben. Denn ich ; erkundigte mich inzwischen durch einen guten Bekannten » insgeheim und erfuhr zu meiner unaussprechlichen Er- l leichterung, daß der Vorstandswcchsel auf Losensteins Ab- I teilung ganz glatt verlief, über Willy Losenstein selbst be- i richtete mein Gewährsmann, daß er dienstlich sehr gut ! qualifiziert sei und nie den geringsten Anstand hatte. I Denken Sie nur, wie furchtbar es für mich gewesen wäre, » wenn ich den armen Menschen um eines Prinzips, willen » in ernstliche Verlegenheit gebracht hätte!" Fernau stand aus. „Ich danke Ihnen sehr, gnädige Frau, für Ihre inter- ; essanten Auskünfte und bitte Sie nochmals dringend, über ; meinen Besuch und diese ganze Angelegenheit vorläufig i noch strengstes Stillschweigen zu bewahren." „Sie wollen schon gehen?" fragte Frau Hartwig ent- » täuscht. ! „Schon? Ich habe Ihre Zeit über eine Stunde in I Anspruch genommen, Gnädigste!" Fast schweigend wurde das Mahl eingenommen. Als ! sie beinahe fertig waren, sagte der Detektiv plötzlich, sein S Gegenüber scharf ansehend: „Warum haben Sie mir eigentlich bei meiner ersten Erkundigung nicht die volle » Wahrheit gesagt, Herr Losenstein?" » „Ich? Nicht ....?" Der junge Mann wurde abwech- I selnd rot und blaß. „Was meinen Sie damit?" „Nun, Sie sagten mir doch, daß Sie keine Ahnung » hätten, was Ihre Kusine bewogen haben könne, so plötzlich » abzureisen." „Gewiß. Die habe ich auch nicht. Andrea weigerte sich z ja eigensinnig, mich zu sehen, seit Harpner sie in diesem > elenden Zustande von unten heraufbrachte. Wohl zwanzig- ; mal habe ich durch Mutter versucht, vorgelassen zu werden, » und immer brachte sie mir denselben Bescheid: Andrea I fühle sich todkrank und wolle keinen Menschen sehen, nicht ; einmal mich. Ich war halb wahnsinnig vor Schmerz und » Aufregung darüber, daß sie mir nicht einmal Gelegenheit I