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sagte?' (Fortsetzung folgt.) „Wirklich?" „Mein Wort darauf! „Sie werden also in Wiesental keine Erwähnung von ! meinem Besuch oder dem, was ich Ihnen mitteilen will, machen?" „Selbstverständlich nicht. Was Sie mir auch sagen - mögen, es ist Amtsgeheimnis, und ich würde mich einer ! groben Pflichtverletzung schuldig machen, wollte ich dar- I über gegen Ihren Willen zu jemand eine Andeutung , machen." Sie atmete sichtlich erleichtert auf. Ihre seelenvollcn ! Augen ruhten vertrauensvoll auf ihm. „Es ist nämlich alles so dunkel und rätselhaft, was I ich Ihnen zu sagen habe, daß ich mich allein darin nicht i zurechtfinden kann. Auch lebe ich in Todesangst, durch ' irgendeinen falschen Schritt unabsichtlich vielleicht weiteres Unheil heraufzubeschwörcn. Ich wagte es daher auch I uicht, in Wiesental irgend jemand ins Vertrauen zu j ziehen. Sie aber sind Onkel Davids Nechtsbeistand und ' werden Wohl am besten ermessen können, ob meinen Mit- i teilungen Bedeutung zukommt oder nicht." „Es handelt sich vermutlich um Mitteilungen, die mit ! dem Tode Ihres Bruders im Zusammenhang stehen, nicht ! wahr?" „Ja — wahrscheinlich. Aber da muß ich Ihnen vor j allen» sagen, daß die Annahme, Adolf habe ein Liebes- » Verhältnis mit Fräulein Schmidt gehabt, bestimmt falsch ! ist. Adolf dachte nicht an Liebe!" - Tr. Holly lächelte. „Wissen Sie dies so bestimmt? Sehr oft pflegen ; Brüder gerade in diesem Punkt ihre Schwestern nicht ins i Vertrauen zu ziehen!" „Möglich. Aber Adolf hätte es gewiß getan. Er . hatte nie auch nur das kleinste Geheimnis vor mir, mit ! Ausnahme des einen, das er mir am Tage vor seinem I Tode andentete und, wohl aus Vorsicht, nicht näher er- l klärte. Gerade in bezug auf Liebe aber bin ich meiner » Sache ganz sicher. Denn, sehen Sie, zwei Tage, ehe er ! starb, »nachten wir zusammen einen weiten Spaziergang I und kamen unter anderem auch auf Liebe zu sprechen. Ich , neckte ihn mit Fräulein Julie Andersen, einer unserer » Nachbarinnen, der er ein wenig den Hof machte. Er gab I auch zu, daß sie ihm gefalle, fügte aber dann hinzu: „Mich I ernstlich um sie zu bewerbe«, würde mir trotzdem nie ein- , fallen. Dazu habe ich einerseits zu wenig Interesse für ; das weibliche Geschlecht überhaupt, andererseits ist mir » meine Freiheit zu wertvoll." Ich sagte, das rede er sich gewiß nur ein, und wenn I die Rechte käme, würde er gerade so gut den Wunsch ; haben, sie zu heiraten, wie jeder andere Liebende." „Damit hatten Sie zweifellos recht!" schaltete Holly I ein. „Ich weiß es von mir selbst, wie oft man das Hei- l raten verschwört, bis das Schicksal einem die Rechte vor ! Augen geführt hat . . . Aber, bitte, fahren Sie fort!" ! unterbrach er sich, den Ton ändernd, hastig. Und Melanie, die unter seinem feurigen Blick jäh er- > rötet war, fuhr ebenso hastig fort: „Er glaubte mir nicht. « Er meinte, für ihn gebe es überhaupt keine „Rechte", oder ! er sei nnsähig, Liebe zu empfinden. „Denn, siehst du, I Kleine," sagte er zum Schluß, „ich bin nun doch schon ; 29 Jahre alt, und so viele hübsche Mädchen ich auch kennen- « lernte — mein Herz wirklich schneller schlagen machte noch i keine einzige. Die „alte Scharteke von Heineccius", wie I du sie immer nennst, an deren Kommentar ich arbeite, er- scheint mir tausendmal anziehender und interessanter als « alle Mädchen der Welt. Nicht fünf Minuten meiner i wissenschaftlichen Arbeit würde ich freiwillig opfern für I das schönste Augenpaar, das süßeste Lächeln." Nun ur- ; teilen Sie selbst, Herr Doktor, ob s o ein Mann sprechen ' konnte, der liebt!" „Nein, gewiß nicht!" rief Holly ohne Zögern. Dann strich er nachdenklich seinen blonder» Spitzbart. „Aber was führte ihn denn dann an das Winzerhaus? Oder hängt dies vielleicht mit seinem „Geheimnis" zusammen, das er Ihnen, wie Sie sagten, am Tage vor seinem Tode angedeutet hat? Darf ich erfahren, was er Ihnen damals Was aber am schwersten ins Gewicht fiel, war der , Beweis, daß sich um Lie fragliche Zeit in der Nähe des ! Winzerhauses nicht bloß Rehbach und der Tote befunden I hatten, wie die Behörde annahm, sondern noch ein dritter j unbekannter Mann — Ler Mörder, wie Holly jetzt » fest überzeugt war. Sollte er die ermittelten Tatsachen Dr. Dehmler mit- I teilen? Nein, lieber nicht. Erst wollte er sie mit Fernau ß besprechen, der ja doch endlich zurückkehren mußte. Unter solchen Gedanken hatte er fast den Fuß Les ! Berges erreicht, als er hinter sich eilige Schritte vernahrn I und seinen Namen rufen hörte. Es war der alte Adams, der ihm atemlos nachge- ; rannt kam. Er trug eine kleine, grüne, abgegriffene Leder- » brieftasche in der Hand. „Herr Doktor," sagte er aufgeregt, „sehen Sie sich das > Ding da an! Ich habe es soeben im Weingarten ganz nahe ; beim Pförtchen gefunden, wo es zwischen die Blätter eines » Weinstocks gefallen war. Man konnte es von außer» nicht I sehen. Mir fiel meine Streichholzschachtel zu Boden, als I ich mich bückte, um ein paar Trauben auf ihre Reife zu ! prüfen, da sah ich es. Wenn es dem Mörder gehörte! ' Wenn Sie ihn damit vielleicht ausfindig machen könnten!" Holly lächelte über den naiven Eifer des Alten, dessen I Spürsinn er selbst vorhin geweckt hatte. i „Wenn es im Weingarten lag, so kann es nicht ver- k loren, sondern nur hineingeworfcn worden sein," meinte I er, „i»nd dann gehört es dem Mörder sicherlich nicht." „Aber sehen Sie es doch nur an! Lange kann es ! keinesfalls dort gelegen haben, sonst würde die Feuchte ! des Erdbodens es doch ärger mitgenommen haben!" Holly drehte das Ding unschlüssig herum. „Es ist alt und leer. Wahrscheinlich wird es jemand i als unnütz fortgeworfen haben. Es gehen ja so viele Leute ! aus und ein dort!" „Aber doch meist nur Tagelöhner und unsere Knechte, > und die werfen so ein Ding noch lange nicht als un- » brauchbar weg." „Immerhin kann es auch jemand von der Straße über I die Mauer geworfen haben. Na, man wird ja sehen. Ein- » stecken kann ich es immerhin. Auf Wiedersehen!" Er schob das Fundstück in seine Brusttasche und dachte i schon im nächsten Augenblick nicht mehr daran. Achtes Kapitel. Nach Hause gekommen, begab sich Holly zuerst in seine ! Kanzlei, um seinem Bureauvorsteher noch vor Bureau- I schluß verschiedene Aufträge zu geben. „Sonst etwas Neues vorgekommen während »neiner , Abwesenheit?" fragte er zuletzt gewohnheitsmäßig. „Nein, Herr Doktor. Nur eine Dame wartet drin auf I Sie. Sie wollte ihren Namen nicht nennen und besteht » darauf, persönlich mit Ihnen zu sprechen. Ich habe Sie » darum in Ihr Privatbureau geführt und dort zu warten « gebeten, weil es mir schien, als fühle sie sich hier durch I die Anwesenheit der Schreiber geniert." „Eine Dame?" Holly öffnete neugierig die durch die schwere, grüne i Portiere verhängte Tür. > Im nächsten Augenblick fuhr er beinahe erschrocken ! zusammen. Es war Melanie von Lauterbeck, die sich Lei ; seinem Eintrittt vom Sosa erhob. „Sie, gnädiges Fräulein? Welche Überraschung! I Wenn ich geahnt hätte, daß ..." „Verzeihen Sie," unterbrach sie ihn mit einem ' schwachen, bangen Lächeln, während ihr das Blut bis in I die Weiße Stirn Hinaufstieg, „ich weiß, es ist unpassend, I Laß ich so allein hierherkomme — mindestens ungewöhn lich. Aber ich wußte mir ja keinen ander-en Rat. Draußen in Wiesental kann ich Sie doch nie ungestört sprechen, und ich möchte nicht, daß das, was ich Ihnen sagen will, auch andere hören." „Sie brauchen sich durchaus nicht mit Selbstvorwürfen und Entschuldigungen zu quälen, gnädiges Fräulein," sagte Holly eifrig, indem er ihr einen Sessel an den Schreib tisch rückte und ihr gegenüber Platz nahm. „Das Bureau eines Rechtsanwalts ist so gut neutraler Boden wie jedes andere Amtslokal, das jede junge Dame unbedenklich be treten darf