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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger : 20.04.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-04-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841112631-192504206
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841112631-19250420
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841112631-19250420
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-04
- Tag 1925-04-20
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Monat
1925-04
-
Jahr
1925
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ff Stelluna genommen, und wird nunmehr zu der Massnahme des Werkes ein Schiedsgericht sprechen. — Das früher beschlossene Ortsgesetz über die Anlegung eines Ktäran lage bau stock es für die hiesige Gemeinde ist vom Ministerium mit wenigen Aendernnqen ange nommen worden. — Durch die vom Finanzmini sterium im Laufe des Rechnungsjahres vorge- nommenen Berichtigungen an den Einkom- in c n st e u e r - A n t e i l e n hat die hiesige Ge meinde insgesamt 12 5 3 8 5 Mark weni ger erhalten. — Die Ansuchen des Eutsbe- sihers Emil Zimmermann um Kauf seiner Wirtschaft und das des Gutsbesitzers Emil Wendler um Kauf von Bauland von seinen Be- sihungen erfahren Ablehnung, nachdem der Banäusschuss durch Ortsbesichtiqung festgestellt hat, dass die betreffenden Grundstücke zu Bau zwecken weniger geeignet sind. — Das der Witwe Tetzner gehörige an der Werkstrasse gele gene Baugrundstück in Grösse von 3000 Quadratmetern soll käuflich erworben werden, desgleichen das von dem Bescher Oskar Wendler angebotene Baugelände, wenn er sich mit einem Preis von 1 Mk. pro Quadratmeter einverstan den erklärt. Die Aufteilung des gekauften Voqelschen Grundstückes ist enolgt, und die Ge suche von verschiedenen Einwohnern um Verkauf von Grundstücken werden genehmigt. Im klebrigen wird sich mit der erfolgten Aufteilung des Vogelschen Grundstückes einverstanden er klärt. Weiter wird ern Baugrundstück im Niederdorfe an der Bahnerstrasse an einen Ein wohner zur Errichtung eines Zweifamilien- Wohnbauses verkauft. — Der Eemeinderat Hermsdorf ersucht um Anschluss der Ge meinde Hermsdorf an die hiesige Wasser leitung. Das Ansuchen wird heute im Prin zip genehmigt, da die hiesige Gemeinde ohne weiteres im Stande ist, die Gemeinde Hermsdorf noch mit Wasser zu versorgen. Alle nötigen Borarbeiten werden dem Bauausschuss über tragen. — Die bereits früher beschlossenen un- weientlichen Abänderungen der Gas- v e r b a n d s s a h u n q und des Easlieferungs- vertrages sind zum Teil vom Stadtrat Hohen stein-Ernstthal anerkannt worden und zum Teil haben sie Ablehnung erfahren. Damit wird sich heute äbgefunden, und werden die Herren Bürgermeister Riedel und Fabrikant Richar) Lieberknecht als aktive Mitglieder und die Her re» Robert Sahlmann und Emil Schmidt als Stellvertreter in den Vcrbandsvorstand und die Herren Hermann Bucher. Mar Reichel, Bürger meister Riedel und Richard Lieberknecht in die Verbandsversammlunq als Mitglieder gewählt. Als Stellvertreter der letzten vier Herren wer den für die Verbandsversammlunq gewählt die Herren Reichel, Spindler, Sahlmann und «chmidt. In der Geldmittelbcschaffung für die Gasversorgung wird in nächsten Tagen weitere Verhandlung mit der Kreditanstalt süchsicher Gemeinden geführt und wird beschlossen, den Kre dit auf jeden Fall in Anspruch zu nehmen, da mit eine weitere Verzögerung nicht eintritt. Nunmehr kann bestimmt damit gerechnet wer den. dass die Versorgung der Gemeinde mit Gas im Herbst d. Is stattfinden kann. — Für den beschlossenen Ankauf einer mech. Dreh- und Schiebeleiter für die freiwillige Feuerwehr ist Unterbringungsmöglichkeit durch Pachtung eines Schuppens im Gasthaus „Ca sino" geschafft worden. Der Ausbau des beauftragt, eine entsprechende Bekannt« machung zu erlassen. Zu Antrag 4 ist da» Kollegium nicht berechtigt, Beschlüsse zu fassen, da gesetzliche Regelung vorliegt, und wird der Antrag abgelehnt. Die Ablehnung der Anträge erfolgt gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktion. — Die Ortsgruppe der In- validen hat folgende Anträge einge- bracht: 1. Frei- oder Hergabe eines Zimmers in der Kochschule zur Abhaltung von Monats- versammlunaen: 2. Einstellung zweier Mitglie der in den Wohlfahrtsausschuss: 3. Gewährung von kostenloser ärztlicher Behandlung und Apo thekensachen (Medikamente) an hilfsbedürftige Invaliden. Antrag 1 wird abgelehnt, Antrag 2 findet einstimmige Annahme, Antrag 3 eben falls: dazu wird bemerkt, dass bereits seit Jah ren gemäss der gesetzlichen Bestimmung im hiefl- gen Ort verfahren wird. — Ein Gesuch der Mieter des Cemeindeneubaues um Herabsetzung der festgesetzten Mieten findet der Folgen we gen Ablehnung. — Das Gesuch des Armen- Hausverwalters um Gewährung einer Beihilfe für Besorgung der Hausverwaltung findet Ge nehmigung dadurch, dass die Miete entsprechend herabgesetzt wird. — In der Angelegenheit be züglich der Ausgabe der Sparkassen bücher für die neugeborenen Kinder wird ein stimmig beschlossen, die bisher ausgeqebenen Gutscheine, wonach ein Nachsparen von 3 Mark zu den geschenkten 5 Mark notwendig war, nicht mehr zur Ausgabe zu bringen, sondern das Sparkassenbuch sofort zu behändigen. Schluss der öffentlichen Sitzung "/,1 klhr. Eine ge- qeime Sitzung schliesst sich an. fleiLc^dcu^e Schuppens verursacht 860 bis 1066 Mark Kosten und werden die Mittel einstimmig bewilligt. Mit der Lieferuim der Leiter kann in den näch sten Tagen gerechnet werden. — Im Prinzip wird heute beschlossen, die hiesigen Strassen- arbei ter gegen Ruhelohn beim Landespen- jconsverband zu v e r s i ch e r n und wird be schlossen, ein entsprechendes Ortsgesetz aufzu stellen — Das Gesuch der Leichenwagen begleiter um Erhöhung ihrer Gebühren fin den Ablehnung, da die jetzt bezahlten Gebühren für genügend erachtet werden. — Das Ortsgesetz über die Aufwandsentschädigung für die Gemeindeverordneten und Eemeinderats- mitqlieder findet in zweiter Lesung mit gerin gen Abänderungen Annahme. — Die vorliegen den Richtlinien zur Durchführung der Lernmittelfreiheit werden heute mit kurzen unwesentlichen Aenderungen angenom men, nachdem sie der Finanz- und Schulaus schuss entsprechend vorberaten haben. — Die herrschenden Wohnungsnot zwingt auch in diesem Jahre. Wohnungen zu erstellen. Heute liegt eine Vorlage vor, in der ein Pro gramm zur Erstellung von Wohnungen entwor fen ist. Es wird angenommen, dass die Miet- zienssteuer ein Aufkommen von ca. 60 000 Mk. bringt und werden im Haushaltplan weitere 180 000 Mark eingestellt werden, sodass mit die sen 240 000 Mark bestimmt 20 Wohnungen er stellt werden können. Es wird heute be schlossen, gemäss der Vorlage in diesen« Jahre 20 Wohnungen auf dem früher Vogelschen Grundstück zu erstellen. Alle Gesuche von Ein wohnern um Gewährung von Beihilfen aus der Mietzinssteuer für die Erstellung einer Neu- wohnunq finden demnach Ablehnung, da von dein Grundsatz ausgegangen wird, dass, wenn für jede Wohnung ca. 3000 Mark ausgegebeu würden, noch weitere 8—9000 Mark vom Ge suchsteller geschasst werden müssten und bei einer 10prozentigen Verzinsung des letztere«, Betrages unerträgliche Mieten herauskämen. Die Ge meinde wird deshalb die gesamte Mietzins steuer selbst verbauen, und würde bei einer nur 5prozentigen Verzinsung der 180 000 Mark aus Gemeindemitteln eine ^ahresmiete sür eine neu erstellte Wohnung von 450 Mark in Frage kommen. — Bei dem zweiten Wahlgang der Präsidentenw a h t sollen beschtussgemäss dieselben Herren als Wahlleiter und Stell vertreter wieder tätig sein und wird beschlossen, ebenfalls wieder Ausweise zur Ausgabe zu bringen. — Die k o m m u n i st i s che Frak tion hat eine Anzahl Anträge eingebracht und zwar: 1. Das Gemeindeverordnetenkolle gium protestiert entschieden gegen die geplante Verschlechterung der Gemeindeordnung vom 1. August 1923: 2. Jeder Gemeindeverordnete er hält gemäss seiner Parteianschauung eine Ee- meindezeitung kostenlos geliefert. Für die komm. Fraktion kommt „Der Kommunistische Gemeinde- Vertreter" in Frage: 3. Auf dein Fusswege hinter dem Dorse ist sämtlicher Verkehr mit Kraftfahr zeugen verboten: 4. Alle Fürsordeberechligten haben in« Sinne des Gesetzes vom 13. Februar 1924 nach den in« Bezirk der Amtshauptmann schaft Glauchau geltenden Höchstsätzen ohne Ver- pflichtunqsschein in Geld zu erhalten, desglei chen sind die schon unterschriebenen Verpfuch- tungsjcheine für nichtig zu erklären. Die Anträge 1 und 2 finden Ablehnung. Antrag 3 wird ein- stimmnig genehmigt und wird der Eemeinderat WM SemMMMlletMW i« Oberlungwitz am 17. Avril d. I. Anwesend sind 19 Mitglieder und 3 Herren vom Gemeinderat. Vor Eintritt in die 2 rges- ordnung wird dem stellvertretenden Ee- meindeverordnetenvorsteher Herrn Oberlehrer Diettrich anlässlich seines 40jähri»en Dienst- und 35jährigen Ortsjubiläums vom Vorsitzenden im Rainen des Kollegiums der herzlichste Glückwunsch ausgesprochen. — Zum Besuch der Generalversammlung der Spar- und Eirokassen wird als Ver treter der hiesigen Gemeinde Herr Bürger meister bestimmt. — Der Gemeinderat Hal die Beisitzer zum M i e t e i n i g u n g s a m t neu gewählt und zwar: die Herren Fritz Bah ner, Otto Enderlein, August Härtet aus Ver- mieterkreise» und die Herren Emil Weber, RudE Scholz und August Stucke aus dem Kreise der Mieter. Als Stellvertreter sind die Her ren Matthes. Hertel, Kunig, Selbmann, Lind ner und Jung bestimmt worden, — Anlässlich des Grubenunglücks in Dortmund sind, wie früher beschlossen. 500 Mark zur Linde rung der Not überwiesen worden, und liegt heute ein Dankschreiben der Stadt Dordmund vor. Davon wird Kenntnis genommew. — Wie die Obcrpostdirektion Chemnitz, so hat auch das Neichspostministerium die gewünschte zweite werktägliche Briefzustellung ab- gelehnt. Mit dieser Ablehnung muss sich nun leider abgefunden werden. — Mitte März d. Is. hat beim Chemnitzer Betriebsamt eine Besprechung der S t a d t v e r t r e tu n g mit den umliegenden Gemeinden stattgefunden. Die hiesige Gemeinde war durch Herrn Bürger meister vertreten. Chemnitz hat die Absicht, in nächsten Zeiten direkte Verbindung der umlie gende» Gemeinden mit der Stadt durch Schaf fung von Autolinien oder Strassenbahnverbin dungen zu erstellen. Der Bürgermeister hat zu genannter Besprechung mit Rücksicht auf die jetzt eröffnete Autoliuie Oberlungwitz—Wüsten brand zu dem Vorhaben der Stadt Chemnitz abwartende Stellung eingenommen, und wird sich heute mit der Massnahme einverstan den erklären. — Am Ostersonnavend ist endlich die Autolinie O b e r l u n g w i tz — Wü st e n b r a n d eröffnet worden. Im Fahrplan zeigt sich ei«, Mangel dadurch, dass die Nachmit tagsfahrt nach Wünenbrand doch etwas zu spät stattfindet, und wird bereits in den nächsten Tagen eine Aenderung vorgenommen dadurch, dass die Nachmittagsfahrt 20—25 Minuten eher erfogt. In der weiteren Aussvrache wird der Fahrpreis im allgemeinen sür zu hoch befunden und wird beschlossen, mit der Kraftwagengeiell schaft wegen Ermässigung des Mindestfahrprei- ses zu verhandeln. Weiter wird beschlossen, eine grössere Menge Fahrpläne drucken zu lassen, da mit Abgabe an die Einwohnerschaft erfolgen kann. — Vom weitere!, Ankauf der vom Sächsi schen Gemeindetag zur Ausgabe kommenden Gemeindehandbücher wird abgesehen, nachdem für die Verwaltung zwei Exemplare in Bestellung gegeben worden sind. — Nach Mit teilung des Elektrizitätswerkes soll eine neue Rechnungsart künftig erfolgen und wird dadurch eine Erhöhung des Strompreises ein treten. Die Gemeinde wie auch der Stromver- sorgnngsverband haben gegen die Erhöhung Deine der von Mit den schmack hätte. Noch so jung fühlte er sich! — Er überlegte. Mit fünfzig Jahren ist man eigent lich auch nicht mehr ganz jung. Inzwischen plapperte sein Patenkind lustig daraus los, durch die liebenswürdige Frau Tante ermutigt. Eie überbrachte die üblichen Grüsse von den Eltern, erzählte von de» Geschwistern, von denen der Jüngste schon G«mi»asiast in Eise nach war, und schilderte das luftige, gemütliche Leben daheim. Werner betrachtete seine Nichte mit prüfenden Blicke». Wie sie der Schwester ähnelte, so in allem. Und die Kindheit stieg wieder vor ihm auf. Er sah den kleinen Kolonialwarenladen des Vaters, in dem das Ecruchgemifch von Gewür zen, Kaffee, Semmeln und Schokolade vergewal tigt wurde durch den unausstehlichen Duft des Käses. Er hörte das schrille Gebimmel der Ladenklingel. Er erblickte das Vaterhaus, des sen Torflügel ihm als Zielscheibe für seine erste» Schiessversuche mit dem Flitzbogen gedient. Ec sah die kleine, rundliche Mutter, wie sie vom Friihmorgcn bis zum Spütabend ruhelos herum hantierte. Er sah den großen, steifen Vater die Waren abwiegen, nicht ein Gramm zu wenig, nicht ein Gramm zu viel. Alles stand ihm deutlich vor Augen. Ja, die Kindheit war wieder wach geworden und rührte ihn mit ihren süssen, blauen ttn- schuldsangen. Das junge Mädchen, dem der schweigsame Onkel nicht zusagte, wollte sich verabschieden. als ver- Verdiest kanten, kleinen Ablenkungen, bei denen auch die eine gewisse Rolle spielten-, jene zweifelhaften Vertreterinnen der Weiblichkeit, die in der in timen Welt regieren. Seine eigene Frau liess ihn gewähren. Zwar litt sie uilter seinen Vergnügungen, die ihn der Familie entzogen, doch sie war zu schwach und weich, ihn davon zurückzuhalten. Ja, um ihn nicht zu erzürnen, versteckte sie ihren Gram, trat ihm stets mit emein stillen, freundlichen Lächeln entgegen .Sie liebte ihn, aber verlangte ihn nicht. Von alledem sah er nichts. Er nahm ihre Duldsamkeit als etwas Selbstverständliches hin: war eben der blinde Egoist, dem sei«« eigenes Ich über alles geht, über Vater, Mutter, Frau und Kind. So führte er das Leben eines verhei rateten Junggesellen: er genoss die Vorteile der Ehe, ohne die Freiheit aufzugeben. — Darüber war er fünfzig Jabre alt geworden. Er merkte es nicht. Zwischen Arbeit und Ver gnügen, die ihn nicht zur Besinnung komme» liessen, flogen die Jahre dahin, wie schwirrende Pfeile. Wohl stiegen in den letzten Monaten, just um die Zeit herum, da er den fünfzigsten Ge burtstag mit grossem Glanz gefeiert hatte, leise Bedenken über seine Lebensführung in ihm auf. Bedenken, die bald zögernd anpocheicd, bald ener gisch mahnend, daherkamen und sich nicht fort scheuchen liehen, wie lästige Fliegen. Er nahm sich auch vor, sich der Häuslichkeit und der Fami- Seiuer gewusst Er hielt sie zurück. „Du Haft uns ja noch gar Tante küssen und gab dein Onkel die Hand. Onkel! Das Wort klang ihm so fremd, ja, berührte ihn geradezu unbehaglich. Er, Paul Werner, der Onkel einer ausgewachsenen, jun- geic Dame von zweiundzwanzig Jahren. Herr gott! Direkt komisch würde ihm das klingen, wenn's «licht einen so verdammt bitteren Beige ¬ er fragend. Da fiel seine Frau ein. „Natürlich! kleine Nichte! Wir lassen bitten." Werner schlug sich vor den Kopf. Schwester Kind. Dass cr's nicht sofort hatte! Das junge Mädchen trat ein, ließ sich Jahre» war -ihm das Juicggesellentum unbe quem geworden. Die tausend kleinen unbehng- lichkeitei«, die das Alleinleben mit sich bringt, waren ibm lästig. Auch das Gafthausessen paßte ihm nicht mehr. Es dünkte ihm fade und ge schmacklos. Ein wichtiger Faktor für ihn, der sich im Laufe der Zeit zum Lebenskünstler aus- > bildet hatte. So nahm er eine Frau. Auch darin blieb ihn« sein Glück treu. Das launische Spiel des Lebens hatte es gefügt, dass die Frau, die er nach reiflicher Uebcrlegung wählte, ihm nicht nur eilt hübsches Verwögen in die Ehe brachte, solider» auch eine warme, innige Zuneigung, die er nicht verdiente — und auch nicht beach tete. Er nannte eine Frau sein eigen, hatte zwei hübsche Kinder — einen Knaben und ein Mädchen — damit war für ihn der Zweck der Ehe erfüllt. Im übrige» behielt er die Annehm lichkeiten des Junggesellenlcbens bei. Wenn seine Geschäfte ihn nicht in Anspruch nahmen, so lebte er dem Vergnügen. Er tollte mit seinen alten Freunden und entzog sich nicht den pi- l nicht verraten, was dich nach Berlin führt." ! Sie sah ihn erstaunt an. „Aber das habe ich i doch eben der Tante und dir erzählt! Meine : Freundin Annaliefe hat mich zu ihrer Hochzeit geladen: ich wohne bei ihren Schwiegereltern." Gleichsam entschuldigend, streichelte Werner ihre uoncn, weiche» Wange». „Ach so, verzeih! Heute abend kommst dil natürlich zu uns zum Butterbrot." Seine Frau stutzte. „Du mußt doch in den Klub?" Er unterbrach sie milde. „Nnserem lieben Kast zu Ehren bleibe ich natürlich hier." Ein Leuchten ging über das Gesicht seiner Frau. „Selbstverständlich wirst du auch bei uns woh nen. Wir haben ja Platz genug. Ich werde dein Gepäck abholen lassen." Seine Stimme klang seltsam weich. Fräulein Toni nahm dankend an und verab schiedete sich. Werner ging auf jein Zimmer. Er war in heftiger Bewegung. Das Herz war ihm zu Kopf gestiegen, er hatte einen Gemütsrausch. Die Jugend! Die schöne Jugend! — Er gab sich einen Ruck. Potzblitz, war er denn alt ge worden'? Und er beschaute sich im Spiegel und musterte sich sorgfältig. Die Erfcheinung straff, schlank und elegant. Alle Achtung! Aberda! — es gab ihm einen Stich — an den Schläfen viele weißen Haare. Ja, er war alt geworden, ohne es zu bemer ken. In all' den Jahren des Strebens, der Ar beit, des intensiven Lebensgenusses war es ihn« entgangen, daß die Jugend von ihm Abschied ge nommen hatte, und das Alter gebieterisch Einlass begehrte. Seltsam ward ihm zumute. Mit der Trauer um die Jugend zog urplötzlich die versöhnende Ruhe des Alters in sein Herz, stimmte ihn nach denklich und löste die Schlacken, die gleich einem harteic Panzer seine Seele umgaben. Immer aufmerksamer und-eiildringlicher spie gelte er «eine Seele, und der psychische Spiegel warf sei«« Bild unendlich schärfer zurück, als d>e Glasscheibe die Formen des Körpers. In dieser Stuicde des Rückschauens, des Nach denkens und der Läuterung gelangte er zu der Erkenntnis, wie gewissenlos er gegen seine Familie gewesen. Und mit der Erkenntnis kau« ihre gute Tochter, die Reue. Sie «nachte Pau- Werner zu einem Menschen. Das dankte der fünfzigjährige Paul Werner dem zweiundzwanzigjährigen Fräulein Tont Deussing aus Gotha — das dankte das Alter der Jugend .., schic«« er zu empfinden. Ihm galt dienstvolles Werk ein Werk, das ihm brachte. Natürlich hatte er auch geheiratet. Hintern« Pflug Skizze von Julius Knopf Paul Werner hatte seinen Weg gemacht. Aus der kleinen Thüringer Provinzstadt, deren enge Verhältnisse ihn zu Boden drückten, war er nach Berlin gekommen, um die Jagd nach den« Glück aufzunehmen. Er hatte es sich zum Le bensziel erkoren, vorwärts zu kommen, rücksichts los — unter reichlichem Gebrauch seiner Ellen bogen, weun es sein mußte. Und dieses Ziel vor Augen, zähe, abhold jeder Gefühlspolitik, war er Schritt für Schritt höher gestiegen, langsam, aber sicher, wie ein erfahrener Bergwanderer. Er hatte sich durchgesetzt, sich eine glänzende Position erarbeitet, die auch die verheerende Zeit der Inflation nicht hatte gefährden können. Was tat es, daß in diesem Kampf ums gute Leben in ihm das Hohe erniedrigt, das Niedrige erhöht wurde! Er achtete nicht darauf, denn er fühlte sich als ein moderner, brutaler Herren mensch. Die Wissenschaft lehrt, daß das Herz eines jeden Menschen so groß ist, wie seine Faust. Paul Werners Herz konnte nicht einmal die die Größe eines Babyfäustchen haben, so wenig tig hatte zu Tisch kommen können. Die Gatten saßen noch plaudernd an der Tafel. Da klingelte es. Das Mädchen trat ein. „Fräulein Toni Deussing aus Gotha wollte den Herrschaften ihre Aufwartung machen." Werner sah das Dienstmädchen verständnis los an. „Fräulein Toni Deussing ?" wiederholte lie fortan eifriger zu widmen, indes, seine Ener gie erlahmte an seiner Lebenslust. Auch an seine einzige Schwester, die daheim in Thüringen geblieben war, dachte er selten. Er wußte nur, daß sie dort ein beschauliches Lebe» führte. Seit dreiundzwanzig Jahren war sie ver heiratet. Er war damals zur Hochzeit gereist, hatte ein schönes Oieschenk mitgenommen und sich in dem Philisterkreise entsetzlich gelangweilt. Pflichttreu war er auch ein Jahr darauf zur Taufe der Aeltcsten hinübergefahren, um Pa!c zu stehen. Er wußte nicht einmal mehr, wie die Kleine hieß, denn seitdem hatte der liebe Gott der guten Schwester noch ein halbes Dutzend Göhren geschenkt. Was solle» die Leute i» solch einem kleinen Nest auch «veiler anfangen! Man gratulierte sich zu den Geburtstagen und zum neuen Jahr — seine Frau besorgte das alles sehr hübsch aber das waren die einzigen Lebenszeichen, die mm« sich gab. Das Essen war gerade beendet. Es war etwas spät geworden, weil Werner nicht rechtzei-
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