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Hohmstem-ErustthalK Tageblatt un-Aumger Mittwoch, den 28. Oktober 1925 Nr. 252 Beilage WWMl! Ws S« MW Der griechisch-bulgarische Konflikt (Von unserem Sofiaer Korrespondenten) Sofia, 23. Oktober Schon wieder einmal ist der Balkanhimmel mit Kriegswolken bedeckt. Der griechisch bulgarische bewaffnete Konflikt ist wieder einmal Tatsache. Noch mehr: man darf schon von einem griechisch-bulgarischen Kriege sprechen, der sich aus einem Zwischenfalle bei Demir Kapu an der Grenze der beiden Balkanstaaten ent wickelt hat und auf ein griechisches Ultimatum erfolgt ist. Der griechisch-bulgarische Krieg zahlt schon heute, also zu Beginn des Zusammenstoßes, zahl reiche Opser. Die griechischen Truppen sind be reits in Bulgarien mit Artillerie- und Jnfante- rieregimentern und mit Maschinengewehrabtei- Iungen eingedrungen. Sie haben zuerst bulga rische Grenzbefestigungen eingenommen nutz sind auch 12 Kilometer weit in Bulgarien cinmar- jchiert, sodann haben sie die bulgarische Stadt P e t r i t s ch und einige Dörfer unweit der Grenze im südwestlichen Teil Bulgariens er obert. Griechische Bombenflugzeuge und Infan terie sind eifrig an der Arbeit. Einige Kirchen, Schulen, öffentliche und private Gebäude in Petritsch, dem Zentrum der mazedonischen Revo lutionäre, sind zerstört worben. Tausende bul garischer Flüchtlinge sind gezwungen, in Nachbar- dörfern eine Zuflucht zu suchen. . Allerdings versucht ein jeder der streitenden Partner, für den Zwischenfall den Gegner ver antwortlich zu machen. Die offizielle bulgarische Meldung lautet dahin, daß der bewaffnete Kon flikt eine Folge des Uebertrittes eines griechi schen Soldaten auf bulgarisches Gebiet sei: der griechische Soldat habe auf einen bulgarischen Grenzposten einen Gewehrschuß abgegeben, wor- aus auch dieser in rechtmäßigem Selbstschutz den griechischen Soldaten erschossen habe, dessen Leich nam auf bulgarischem Gebiet verblieben sei. Die Griechen behaupten ihrerseits, die Bulgaren Hüt ten zuerst überraschenderweise das Feuer eröffnet und verschiedene griechische Soldaten und einen Offizier getötet ohne Grund und ohne herausge- sordert zu sein. Es ist nun sehr schwer, ja fast unmöglich, schon jetzt festzustellen, wer eigentlich das Feuer zuerst eröffnet hat. Aber schließlich ist auch eine solche Fragestellung in diesen Fällen nicht wesentlich. Jedenfalls sprechen schon heute einige Tatsachen nicht zugunsten der griechischen Regierung; vor allem deren zunächst ablehnende Haltung in be zug auf den bulgarischen Vorschlag, eine Unter suchung der Verantwortlichkeit einzuleiten, zum zweiten die drakonischen Forderungen der grie chischen Negierung an die bulgarische und schließ lich die militärischen Operationen der Griechen auf bulgarischem Gebiet, die Beschießung der bul garischen Dörfer und der Stadt Petritsch. Daß die bulgarische Regierung bei all diesen Gescheh nissen dennoch ihren Grenzposten den Befehl ge geben hat, den Griechen keinen Widerstand zu leisten, und daß diese auch ihren Vormarsch un gehindert verwirklicht haben, auch diese Tatsache spricht nicht für eine gerechte Sache der Griechen. Uebrigens hat der jetzige griechisch-bulgarische Zwischenfall eine große Aehnlichkeit mit dem italienisch-griechischen Konflikt auf Korfu im September 1923: Griechenland verhält sich heute Bulgarien gegenüber durchaus ebenso, wie sich seinerzeit Italien ihm gegenüber verhalten hat. Denn wie damals Griechenland, ist heute zwei fellos Bulgarien die schwächere Seite unter den streitenden Parteien. Bulgarien ist ja auf Grund des Vertrages von Neuilly vollständig entwaffnet und steht auch fast schutzlos da. Wenn weiter die öffentliche Meinung der Welt vor zwei Jahren die Gewalttat Italiens rücksichtslos miß billigte, darf sie auch heute nichts anderes Lun. Das Gebot des Augenblicks ist vor allem — bis zur endgültigen Klärung und Beilegung der Angelegenheit — den Feindseligkeiten Einhalt zu tun. Denn in der Tat ist cs auch höchst empörend, daß in dem Moment, wo die Groß mächte West- und Zentraleuropas in Locarno bemüht !varen, durch ungeheures Entgegenkom men alle Ursachen der Streitigkeiten zu beseiti gen und den europäischen Frieden zu sichern, daß also gerade jn einem solchen Moment Griechen land und Bulgarien — beides Mitglieder des Völkerbundes — einen neuen und höchst gefähr lichen Brand auf dem Vcklkan entfachen. Die objektive und unparteiische Haltung eines jeden muß immerhin die Tatsache feststellen, daß Bul garien in der Tat nicht gewillt ist, die Lösung der Streitfrage den Waffen zu übergeben. Unabhängig auch von dem griechisch-bulgari- schcn Kriegskonflikt stellt die allgemeine poli tisch e L a g e auf dem ganzen Balkan ein höchst kompliziertes Bild dar. Keiner der Balkan staaten ist mit dem anderen zufrieden. Die poli tische Atmosphäre der Halbinsel ist ziemlich trüb; überall herrscht ein gegenseitiges Mißtrauen und eine Unzufriedenheit. Ausnahmslos sind alle Balkanjtaaten innerlich noch nicht konsolidiert. Unter inner- und außenpolitischen Schwierig keiten leiden sie alle schwer. Aber ganz besonders schwierig ist die Lage Bulgariens. Unter den Folgen des Weltkrieges leidet es nämlich am schwersten. Seine politisch selbständige Existenz wurde durch den Vertrag von Neuilly von Grund aus erschüttert. Es mußte größere Landesteile seinen siegreichen Nachbarn abtreten: Dobrudscha an Rumänien, Westthrazien an Griechenland und Mazedonien an Jugoslavien. Aber auch wirt schaftlich wurde Bulgarien an den Rand des Ab grundes gebracht. Man vergesse dabei nicht, daß das verarmte Bulgarien die Last von nicht weni ger als 200- bis 250 000 Flüchtlingen aus den verlorenen Landesteilen zu tragen verpflichtet ist. Bei solchen Verhältnissen ist es also allzu ver ständlich, daß die Kommunisten und die Agenten Moskaus gerade in Bulgarien einen dankbaren Boden zu finden glaubten, um dort ihre Propa ganda und Nevolutionstätigkeit auszubreiten. Bekannt sind auch die furchtbaren inneren Er schütterungen, denen dieses Land ausgesetzt war, und von denen es sich noch bis heute nicht erholt hat. Denn normal kann man schließlich auch nicht den Zustand nennen, in dem Bulgarien heute lebt, der seinerseits allerdings ein Folge der ver gangenen Abenteuer ist. Das arbeitsame und tüchtige Bulgarenvolk verdient jedoch eine bes sere Lage als ihm die Sieger bereitet haben. Aber auch die Zukunft der gesamten Balkanhalb- inse! erheischt eine radikale Wendung der Politik. Nicht viel besser ist auch die innere Lage Griechenlands, namentlich seit dem unglücklichen Ausgang des Krieges mit den Türken im Jahre 1922. Auch das politische und wirtschaftliche Leben Griechenlands wurde von Grund aus er schüttert. Man vergesse dabei nicht, daß Grie chenland gezwungen war und noch heute gezwun gen ist, nicht weniger als 2 Millionen Flüchtlinge aus Kleinasien aufzunehmen und zu ernähren, bis sie alle imstande sind, auf eigenen Füßen zu stehen. Man vergesse weiter nicht, daß dieses Land in Liner verhältnismäßig kurzen Zeit meh rere Umstürze erlebt hat, daß es auch durch Kämpfe der Parteiaruppierungen verschiedener Generäle innerlich höchst geschwächt wurde und infolgedessen auch eine radikale Gesundung braucht. Die jetzige Regierung des Generals Pangalos, die in diesem Sommer infolge eines Umsturzes an das Ruder des Landes kam, ist nur eine Militärdiktatur einer Gruppe von Offizie ren, die auch nicht das Vertrauen der Bevölke rung genießt. Der jetzige griechisch-bulgarische Kriegskonflikt ist teilweise auch als eine außen politische Diversion Pangalos' zu interpretieren zwecks Verstärkung seiner Lage im Lande. A. Gabriloff ! WMMl „WWtO"-VkM In der gestrigen Verhandlung wurde die Ver nehmung des Zeugen Erich Kuttner fortgesetzt. Jn seiner Fragestellung geht Rechtsanwalt Graf Pestalozza auf die von dem Zeugen angeführten Beschwerden der Soldaten über Behandlung seitens des Ofsizierkorps, Verpflegung usw. ein und stellt die Frage, ob der Zeuge die Beschwerden, die ihm zuge- gangcn seien, eingehend geprüft oder ohne weiteres als richtig unterstellt habe. Der Zeuge antwortet, die Prüfung sei ihm unmöglich gewesen, da er sonst ein ganzes Büro mit taufend Angestellten hätte ein- richten müssen. Es gäbe aber ein bestimmtes Ma» von innen er Wahrscheinlichkeit. Wenn er eine per sönliche Absicht in den Beschwerden sestgestellt habe, so seien sie für ihn erledigt gewesen. Rechtsanwalt Graf Pestalozza weist dann ans die Aussagen des Majors von Mantey hin, der fest- gestellt habe, dast man an matzgebender Stelle allen Beschwerden nachgegangcn sei und datz bei eingehen der Primm» dieser Beschwerden nur eine einzige be gründet gewesen sei. Der Zeuge steht auf dem Standpunkt, datz das sehr gut möglich sei. Der Zeuge ist der Meinung, datz die Mannschaften mir der Wahrheit aus Furcht vor Strafe zurückhaltend gewesen seien. Rechtsanwalt Graf Pestalozza erklärt, datz sich der Zeuge bcwutzt sein müsse, datz alle diese Fra gen wohl lediglich auf der persönlichen Autorität sei nes Urteils beruhten. Der Zeuge Kuttner antwortet, datz er im Ver laufe seiner Vernehmung in der Lage gewesen wäre, einen grotzen Teil seiner Behauptungen mit Origina len zu belegen. Auf die Frage, welchen Eindruck auf Grund der cingegangenen Beschwerden er von seinem Stand punkt als vaterlandsliebender Mann gehabt hätte, antwortet Kuttner, er habe den Eindruck gehabt, datz diese Mitzstände eine ungeheure Gefahr für das Vaterland dargestellt hätte». Das positive Moment der Begeisterung für das Vaterland sei durch das negative Moment der Verärgerung, durch schlechte Behandlung und Verpflegung zerstört worden. Jede öffentliche Kritik sei unmöglich ge wesen, da die Vorzensur alle Nachrichten unterdrückt hätte, die sich mit den Verhältnissen an der Kampf front und in der Etappe beschäftigten. Auf die Frage, ob dem Zeugen bekannt sei, datz die „Süddeutschen Monatshefte" bereits in früheren Heften ähnliche Klagen in Aussätzen behandelt hät ten, wie sie der Zeuge hier vorgetragen habe, ant wortet Kuttner, datz ihm bekannt sei, datz auch rechts stehende Persönlichkeiten Kritik an den von ihm glei cherweise angeführten Zuständen geübt hätten. Hierauf wurde der Neichstagsabgeordnetc Dr. Landsberg (Toz.) als Zeuge vernommen. Er erklärte, er stehe der Dolchstoblegende nicht mit Ent rüstung, sondern mit Trauer gegenüber, weil er über zeugt sei, datz die Vergiftung der politischen Atmo sphäre, die durch diesen Vorwurf bewirkt worden sei, UW» Der Herr im Hause Roman von H. V. Schu in ucher EvonrlalN 1918 bn lSrelncr L Berlin W. 80 21s «Nachdruck verboten) Werner Lucknow seufzte. Wenn der Alte ge wußt Hütte, wie sehr er recht hatte und was eigentlich die Ursache vom Trübsinn seines Soh nes war. „Ich will es versuchen," erwiderte er nach einer kleinen Pause. „Obgleich, wie gesagt, Waldeck sich schwerlich bestimmen lassen wird . ." „Er wird schon! Dringe nur recht in ihn! Tu' das Deinige! Versprichst du's mir?" „Ja, ja!" „Das Deinige, Werner, das Deinige!" Ohne Schmeichelei, die Mühle war ein Etablissement, dessen Hohenbüch sich hätte rühmen können, selbst, wenn es statt ein tausendzweihundert — achtzigtausend Einwoh ner gehabt, und statt eines Baches einen großen Strom gehabt hätte. Da war jeder Wajser- tropfcn ausgebeutet, sogar in elektrischer Kraft übertragung hatte Werner sich versucht, und es was ihm erstaunlich gelungen. And erst die Ver besserungen an den Maschinen! Mancher altge diente Ingenieur wäre sroh gewesen, alle diese scharf und sinnreich ausgeklügelten Neuheiten in der Liste seiner Patente zählen zu dürfen. Waldeck machte aus seiner Anerkennung kein Hehl. Aber er verscheuchte dadurch die Wolke nicht, welche auf Werners Stirn lagerte. Die Mühle war cs also keinesfalls, dis ihn an Ho- henbüch fesselte. Aber was sonst? Lag die Me lancholie hier in der Luft, oder — sollte dieser tiefsinnige Mensch da vielleicht um ein Paar schöner Augen willen . . . .? Kestern hätte Baumeister Gerhard Waldeck diesen Gedanken als absurd belächelt, heute je doch — nach einer in einem Eisenbahnwagen vierter Klasse verbrachten Nacht — hatten ein Paar schöne Augen gerade bei besonders intelli genten Männern nicht schon das Seltsame be werkstelligt, daß diese ihre Vernunft nur dazu gebrauchten, um recht unvernünftig zu handeln? Waldeck war nicht neugierig veranlagt, trotz dem beschloß cr. zu versuchen, ob sich nicht in der Hsrzensmühle dieses jungen Müllers einige Schleusen aufziehen ließen. Sie standen an einem Fenster, welches ihnen Rundblick über die Gegend gestattet. Werner hatte ihm diese erklärt. „Der Fußpfad, der von dem Steg dort unten weiter läuft, ist unsere Grenze auf der einen, der Bach auf der anderen Seite!" „So gehört das kleine Häuschen nicht mehr Ihnen, welches da aus dem Grün hervorlugt?" „Nein!" Dieses einsilbige „Nein" war so melancho lisch, daß Waldeck verwundert ausblickte. „Es scheint eine Art von Badehaus zu sein!" bemerkte er, nur um etwas zu sagen. „Ja, ein Vadchaus!" Das Benehmen Werners wurde dem Bau meister immer rätselhafter. War es nicht eben wie ein Schauder durch den Körper des jungen Mannes gegangen? Und hatte er nicht wie frie rend mit den Zähnen geklappert? „Ah, richtig! Es liegt ja jenseits der Grenze. Da gehört es wohl Ihrem Nachbar?" „Dem Nachbar!" Seltsam! Nun brannte Werners Gesicht wie der wie Feuer. Und plötzlich fuhr ec zusammen und einen Schritt von- Fenster zurück und wurde fast bleich, während er aus weit ausgerissenen Augen auf ein Stückchen roten Zeuges starrte, welches sich da unten zwischen den Gebüschen um das Badehaus umherüewegte. „Aber was haben Sie denn, lieber Freund?" fragte der Baumeister verwundert. Dec junge Lucknow antwortete nicht. Er hatte die Frage überhaupt nicht gehört. Waldeck wurde die Sache unheimlich. Entweder litt sein Freund am Wechselfieber oder — Da! Wieder ein anderer Ausdruck! Ein Gemisch von Erleichterung und Enttäuschung, von Selbstverspottuug und Genugtuung. Das Stückchen roten Zeuges mar an dem Rande des Baches hervorgekommen. Es gehörte zu dem Kleide eines alten Vauernwcibleins, welches da unten hockte und Gras schnitt, wahr scheinlich stahl. Vielleicht für ein Pferd, vielleicht für eine Ziege, vielleicht auch für eine Kuh. Waldeck wäre das ja furchtbar gleichgültig gewesen, wenn er nicht ein Symptom darin erblickt hätte. Nicht >n dem Erasschnciden, wohl aber in der Wirkung des Zcugfetzens auf Werner Lucknow. Ein spanischer Arenastier würde dar aus losgefahren sein, dieser junge Mann jedoch fuhr davor zurück. Freilich war er weder ein Stier, und lebte cr in Spanien, aber nicht nur in Spanien gab es Frauen, sogar auch in Frankreich. Denn würden sonst die Franzosen bei jeder dunklen Geschichte fragen: Ou est la femmc? Der Baumeister war kein Franzose; trotzdem frage er sich in diesem Augenblick dasselbe. Er verstand ja Französisch. Aber er meinte mit „la femme" nicht das alte Bauernweiblein da unten am Bachrande. „Ihre Mühle söhnt mich fast mit Hohenbüch aus!" warf er leicht hin, Werner verstohlen be trachtend. „Ein herrliches Besitztum Aber ihm fehlt doch noch etwas, lieber Freund, ihm und Ihnen. Eine Frau!" Auf Werners Gesicht wechselten die Farben so schnell, daß es ohne Schnellseher unmöglich schien, sie zu unterscheiden. Und dazu wendete sich dieser junge Mann noch schroff ab und stieß mit erstickter Stimme das eine Wort heraus: „Nie!" Woldeck lächelte. Der Franzose hatte auch hier mit seiner Frage recht bebalten. „Dieses „Nie" sagt alles, lieber Freund!" enigegnete der Baumeister nach einer kleinen Weile in einem so warmen Ton. daß Werners sich regender Groll über seine Zudringlichkeit so fort wieder verflog. „Verzeihen Sie meine an scheinende Indiskretion, allein, ich bildete mir in diesem Augenblick wabrbaftig ein, wir befän den uns wieder, wie damals, in Indien, in irgend einelu einsamen, von aller Zivilisation ab- gesperrten Dschungeldistrikt, zwei einzelne Euro päer inmitten eines verständnislosen Volkes von Wilden! Wissen Sie noch: diese Abende am Lagerfeuer, unter einem fremden, unbewegten Himmel, in der Ferne ab und zu das Gebrüll eines Raubtieres? Abende, so recht zu Herzcns- ergießungen geschaffen! — Eine seltsame Jdcen- verbindung, nicht wahr? Denn wir sind in unserem Deutschland ungeheuer zivilisiert, selbst ein Dichter würde die Schilfhalme da unten am Bache kaum für Dschungel halten können. Wilde gibt's überhaupt nicht, und wenn mal etwas brüllt, so ist es höchstens ein Ochs oder eine Kuh. Aber trotzdem — ich will den Hohen- büchern nicht zu nahe treten ..." Werner Lucknow drückte ihm mit schweigen dem Danke die Hand und in seinem Gesicht leuch tete es hoffungsvoll auf. „Ich glaube, Sie sind für mich zur rechten Zeit gekommen, Gerhard!" sagte er dann sin nend. „Jedenfalls wird mir eine Aussprache Er leichterung gewähren, wenn Sie auch schwerlich in der Lage jein werden, mir zu Helsen. Denn Sie haben richtig gelesen: mein Herz ist auf Kosten meines Kopfes gewachsen. — Doch kom men Sie! Hier im Angesicht dieses unglückseli gen Badehauses vermag ich nicht zu sprechen. Da vermögen meine Knie nur zu schlottern und meine Zähne zu klappern. Und da ist meine Zunge wie gelähmt!" Er sührte den Baumeister in den Maschinen- raum, für eine vertrauliche Unterredung ein vielleicht jelrjani gewählter Ort. Aber unter dem Sausen und Zippen der Treibriemen, bei dem Klappern und Knattern der Räder und in dieser endlosen, hastenden Beweglichkeit um ihn s her, fand er seine volle Ruhe wieder; ja durch ^die Schilderung seines Nenkontres am Badehause ! brach sogar ein Schimmer von Humor, wie mit- ! ten durch das Brausen des Sturmes und das Treiben der Wollen hindurch zuweilen ein Stück chen blauenden Himmels auf die geängstigte Erde herniederlacht. „Und so," schloß Werner endlich mit einem trüben Lächeln, „leben Ulla und ich wie auf zwei durch die ganze Wassermasse des Ozeans geschie denen Inseln. Es ist, als ob dieser wilde, tobende Parteicnkampf unserer Zeit nur erfunden wäre, um uns zu trennen! Zum Verzweifeln!" Jn Waldeck war bei Werners Schilderung ein Gedanke aufgetaucht. „Aber, bester Freund," meinte er in scherz haftem Ton, durch den jedoch ein gewisser Ernst hindurchklang, „das: sie konnten zu einander nicht kommen, das Wasser war viel zu tief!" gilt doch heute nicht mehr. Man baut eben einfach eine Brücke darüber und spaziert hübsch trockenen Fußes ans andere Ufer!" (Forts, folgt.)