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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
- Erscheinungsdatum
- 1925-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841112631-192510235
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841112631-19251023
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841112631-19251023
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-10
- Tag 1925-10-23
-
Monat
1925-10
-
Jahr
1925
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
- Autor
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von Leuchtgas Selbstmord. Ucber das Motiv ist nichts bekannt. Die Tat mutz am Frettagvor- mittag zur Ausführung gekommen sein. Als sich am Nachmittag im Treppenbause Gasgeruch be merkbar machte, gingen Hausbewohner der Ursache nach und fanden, daß das Gas der Schmidtschen Wohnung entströmte. Da auf dasKlopsen niemand öffnete, lieh die Polizei die Wohnung öffnen. Man fand die Schmidt und den Maschinenarbei ter, der mit seiner Frau im gleichen Hause wohnt, leblosauf dem Sofa fitzen. Wiederbelebungsver suche waren ohne Erfolg. — Dresden, 22. Oktober. In einer der letz ten Nächte war ein Liebespaar im König Albert park in der Finsternis über einen menschlichen Körper aestolpcrt Nach den Ermittelungen han delt es sich um einen in Langebrück wohnhaften Kaufmann Gierth, der seinem Leben selbst ein Ziel gesetzt hat, wie aus bekannt gewordenen Aeußerungen hervorgeht, die der Lebensmüde zu vor in einem unweit des Tatortes gelegenen Lo kale getan hat. Die im Anschluß an die Auffin dung des Erschossenen entstandenen Gerüchte über eine Mordtat in dec Heide entbehren darnach je der Begründung. — Döbeln, 21. Oktober. Beim Wiederaufbau der am 29. August d. I. abgebrannten Greuß- niger Mühlenwerke (Eebr. Am Ende) stürzte der unverheiratete Maurer Nollau aus Gärtitz vom Gerüst ab. Der junge Mann starb alsbald infolge des Sturzes. — Der ledige Arbeiter Schmieder von hier, der vor acht Tagen mit einem anderen Gefangenen aus dem Freiberger Gefängnis ausgebrochen war und hier bei seiner Schwester Zuflucht gesucht hatte, wurde gestern vom Freiberger Schwurgericht wegen Brand stiftung zu 1 Jahr 6 Monaten Zuchthaus ver urteilt. Als Feuerwehrmann war ihm das Ver langen gekommen, die Feuersirene zu hören und Feuer zu sehen. Die Dachkammer seiner Eltern, im Gasthaus Wettiner Hof am Bahnhof-Ost, hatte er deshalb mit Petroleum in Brand gesetzt. Das Feuer wurde aber gelöscht, ehe es größeren Umfang annehmen konnte. — Lößnitz, 21. Oktober. Sparkassendirektor Schubert wurde nm Montag im Stadtbad tot aufgefunden. Verfehlungen im Amt sollen die Ursache zu diesem Schritt des sonst allgemein geachteten Beamten sein. Es stand eine Kassen- rsvision bevor. — Zeitz, 22. Oktober. Hier stürzte der Brand giebel des Endrulatschen Wohnhauses in der Gartenstrahe mit lautem Getöse in sich zusammen und ritz die Decken der beiden an den Giebel an- stotzenden Zimmer mit in die Diese. Die Haus bewohner konnten sich nur durch einen Kellerein- aang retten. Dem Umstand, daß der Einsturz am Vormittag und nicht während der Nacht erfolgte, ist cs zuzuschreiben, datz ein Verlust an Menschen leben nicht zu beklagen ist. Von den Eiurichtnnas- negenständen ist last alles in die Tiefe gestürzt Unter Trümmerhaufen von Steinen und Balken liegen Betten, Schränke. Waschtische und anderer Hausrat begraben. In Zimmertiefe ist alles wie wegrasiert. Nur der Dachstuhl ragt noch über die Eiubruchsstelle hinaus. Welche Ursache dein Un- glücksfalt zugrunde liegt, wird die genaue ban- amtliche Untersuchung ergeben. — Hof, 22. Oktober. Am Donnerstag abend gegen neun Uhr bemerkten die Nachbarn in der Malzfabrik Weidner L Co. Feuer, das sich zuerst im Aufzuasfchacht ausznbreiten schien. DU Haine stationierte Feuerwache war mit dem Um- ichanfeln von Malz beschäftigt und wurde du die Nachbarn aus das Feuer aufmerksam gemacht Bevor die Feuerwehr e'nigreifen konnte, standen dir Gebäude in Hellen Flammen. Die Feuerwehr mutzte sich darauf beschränken, das angrenzende Häuserviertel zu schützen und da« Feuer auf seinen Herd zu beschränken. Dir beiden Fabrikgebäude brannren bis auf die Grundmauern nieder. Der Schaden ist enorm. Der Besitzer befindet sich am ner Geschäftsreise in Amberg. — Komorau i. B., 21. Oktober. Tas; eine anze Familie sich im Arrest unvermutet zusam- uensindet, ist sicher eine Seltenheit. In Komm rau war schon vorige Woche wegen Landstreiche rei und Diebstahl die Witwe Bach aufgegriffen und verhaftet worden. Gleich darauf erwischte man auch ihre beiden Söhne, die vom Kreisge- richt Brüx schon sehnlichst begehrt wurden und nun wurde auch das dritte des Kindertleeblatts der Landstreicher Ernst Bach wegen mehrfacher Vergehen arretiert. Er war erstaunt, die ganze Familie Bach männlicher und weiblicher Linie so einträchtig in „guter" Versorgung zu finden. Reptile Skizze von A. Klingspor - Steglitz „Sie wollen wissen, wodurch mein Haar in einer einzigen Nacht weiß geworden ist? Sei es. Ich spreche sonst nicht gern darüber — die Er innerung ist nicht angenehm —, aber es sind fünfzehn Jahre darüber hingegangen —- Zeit genug, Wunden auszuheilen." Der Sprecher, Rechtsanwalt Diemar, ein Mann Mitte der dreißiger Jahre, fiel allgemein durch das volle, schneeweiße Haar auf, das im grellen Gegensatz zu seiner elastischen, jugendlich frischen Persönlichkeit stand. „Ich studierte damals in B.," erzählte er, „und war, wie alle Studenten, denen der Himmel voller Baßgeigen hängt, immer zu einem tollen Streich zu haben. Mit noch zwei Freun den wohnte ich in einer Pension, die außer uns noch einige Gäste beherbergte. Da kam eines Tages ein Chemiker hinzu, ein ekelhafter, eingebildeter, blasierter Mensch, den wir von Anfang an nicht leiden konnten. Er hieß Waglin, war wohl Ende der Zwanzig. Er rühmte sich, noch nie in seinem Leben Furcht empfunden zu haben und behauptete, schon viele hätten versucht, ihm das Fürchten beizubringen, aber noch keinem sei cs gelungen. Das ließ mir natürlich keine Ruhe. „Höchste Zeit, daß wir's ihm beibringen", sagte ich zu meinen Freunden. Und eines Nachts drapierte ich mich mit einem Bettuch, beschmierte Hände, Gesicht und einige Zipfel des Tuches mit Phosphor und schlich mich leise in Waglins Schlafzimmer. Hier stand ich unbeweglich still und weckte ihn durch ein dumpfes, unheimliches Gestöhne. Als er erwachte und mich erblickte, erhob er ein entsetzliches Zeter- und Hilfegeschrei und verkroch sich unter der Bettdecke. Nur mühsam konnte ich ihn überzeugen, daß ich es sei, sonst hätte er nicht nur das ganze Haus, sondern die ganze Nachbar schaft zusammengebrüllt. Seine Wut kannte keine Grenzen, als er be griff, wie unbändig lächerlich er sich vor uns jungen Dächsen gemacht hatte. Er schwur in allen Tonarten, sich rächen zu wollen. „Sie sollen an mich denken, Diemar, ich schwöre es ihnen zu. In alle Ewigkeit will ich verdammt sein, wenn ich ihnen diesen Streich nicht heimzahle." „Aber beruhigen Sie sich doch. Sie haben ihn durch ihrs Prahlerei doch selbst herausgsfordert. Schön, rächen Sie sich, wer austeilt, muß auch einnehmen", sagte ich lachend. „Sie werden schon sehen. Das Lachen soll Ihnen vergehen. Meine Rache kommt, wenn Sie sie am allerwenigsten vermuten." „Hab ich keine Angst!" spottete ich. — Kurz darauf ging Waglin in Urlaub, und ehe er zurückkehrte, waren die Unioersitntsfericn da, und es vergingen etwa vier Monate, ehe ich ihn wicdersah. Ich hatte die ganze Sache völlig vergessen und wurde auch von Waalin in keiner Weise daran erinnert. Im Gegenteil, er kam mir etwas angenehmer und bescheidener vor. Eines Abends sahen wir im Zirkus eine Schlangenbändigerin. Es war ein bildschönes, junges Weib, das mit den Tieren die erstaun lichsten Dings aussührte. Am nächsten Tage war zwischen meinen Freunden von nichts anderem dis Rede, als von der Schlangenbändiyerin. Als Waglin dies hörte, sagte er nachlässig: „Ah, ist die Saghetta hier? Hm, haben Sie eine Ahnung, wo sie abgestiegen ist? Alte Be kannte von mir." Wie man sich denken kann, war dies mir und meinen Freunden hochinteressant, und Waglin wurde mit Fragen bestürmt. Er fühlte sich und spreizte sich wie ein Pfau. Alle, außer mir, bettelten um eine Einführung bei der Saghetta. „Und Sie?" fragte Waglin mich. „Ich danke. Ich habe vor Schlangen einen unüberwindlichen Abscheu. Das allerschönste Weib könnte mich das ekle Getier nicht vergessen machen, mit dem es hantiert. Brr, ich möchte ihr nicht die Hand geben", und ich schüttelte mich vor Ekel. Einen Augenblick glaubte ich, ein trium phierendes Aufblitzen in Waglins Augen zu sehen, aber ich konnte mich wohl auch getäuscht haben, denn er unterhielt sich sogleich wieder leicht und angeregt mit den anderen. Waglin hielt Wort. Er machte meine Freunde mit der Schlangendame bekannt. Sie erzählten mir Wunderdinge von deren Schönheit und von den entzückenden Tänzen, die sie ihnen vorgeführt hatte. Mich zog es damals nach einer anderen Seite. Ich hatte eine junge Dame kennen gelernt, die mir begehrenswerter als alle Tänzerinnen der Welt schien, und die auch später meine Frau ge worden ist. — An einem feuchtkalten Herbst- abcnd war ich von den Eltern der besagten jungen Dame zu einer Festlichkeit geladen worden und befand mich in angeregtester Stim mung auf dem Nachhausewege, als mir Waglin begegnete und mich einlud, ihm noch ein wenig Gesellschaft zu leisten. Wir gingen in ein Lokal. Waglin bestellte Kaffee und Liköre. Schon nach dem ersten Schluck Kaffee wurde mir sonderbar zumute. Aber ich beherrschte mich und trank den Kaffee aus. Um dieses Elcndsgefühls Herr zu werden, ließ ich mir auch noch einige Liköre auf reden. Dann war es plötzlich mit meiner Be herrschung vorbei. Jede Willenskraft war mir abhanden gekommen. Die letzte dunkle Erinne rung war, daß Waglin mich mit Hilfe eines Kellners in eine Droschke hob. Ich erwachte. Ich fror erbärmlich. Es war stockdunkel um mich her. Ich versuchte mich zu erheben, aber mein Kopf schmerzte zum Verzwei feln. Mit großer Anstrengung versuchte ich mich zu erinnern, was mit mir geschehen sei, und wo ich mich befinde. Aber vergebens. Verwundert bemerkte ich, daß ich nur mit Hemd und Beinkleid bekleidet war und barfuß auf einem kalten Steinfußboden lag. Mit Anstrengung brachte ich mich in eine sitzende Stellung und begann um herzutasten — aber so weit ich reichen konnte, war alles glatter, kalter Steinboden. Ich suchte in meinen Taschen nach dem Feuerzeug, aber die Taschen waren leer. Im höchsten Grade verwundert, stand ich au' und tastete an den Wänden entlang. Sie waren glatt und kalt wie der Fußboden. Aus Sorge zu fallen, ließ ich mich auf die Knie nieder und kroch umher, um den Raum mit den Händen abzu- suchen. Er schien völlig leer. Als ich aber die eine Hand auf den Fußboden aufstützte, glitt unter meinen Fingern etwas Schleimig-Kaltes, Schlüpfriges hin, etwas, das sich unter meiner Berührung wand, — eiskaltes Grauen über rieselte mich — etwas, das mich leise aber scharf anzischte. „Gott im Himmel!" durchzuckte es mich, „eine Schlange!" Ich sprang empor. Fühlte unter meinem Fuß etwas Naßkaltes, Gleitendes. Ich stieß einen Schrei aus. Kalter Schweiß drang mir aus allen Poren. Diese sich windenden, ekelhaften, naßkalten Reptilien flößten mir namenlosen Ab scheu ein. Mein Kopf klärte sich etwas, aber diese Klarheit verschärfte das Entsetzen ins Un gemessene. Für mich war die Finsternis mit zahllosen Schlangenkörpern bevölkert. Gespaltene Zungen, Eiftzähne, die den Tod in sich trugen, drangen aus der Dunkelheit auf mich ein. So stand ich viele entsetzliche Minuten an der Wand, und das Herz pochte mir wie ein Hammer in der Brust. Ich empfand namenlose, ganz ge meine unmännliche Angst. Die Kälte des Stein- fußbodens drang durch meine unbekleideten Füße empfindlich in meinen Körper. Die Beine schienen mir völlig abgestorben. Nach einer Zeit — es konnten Minuten, aber auch Stunden vergangen sein — verlangte etwas in mir, das stärker mar als die Angst, Bewegung um jeden Preis. Ich mußte das Schlimmste wissen — mußte mit diesem schändlichen Schicksal ringen wie ein Mann. Zwischendurch versuchte ich ver gebens eine Erklärung meiner Lage zu finden. Die augenblickliche Not war zu groß, sie ver schlang alle Gedanken. Ich versuchte vorwärts zu schreiten. Doch schnell zog ich meinen nackten Fuß wieder zurück, als mir etwas Naßkaltes darüberhinglitt. Wieder preßte ich mich flach gegen die Wand, in der Hoffnung, so einen schützenden Platz zu finden. Und abermals stand ich eine Ewigkeit. Doch nach und nach fühlte ich meine Knie schwach werden. „Nur nicht umsinken", dachte ich entsetzt, denn das hieße, meinen Körper den Scheusalen preisgeben. Ich nahm alle meine Willenskraft zusammen, um aufrecht stehen zu bleiben. Aber nach und nach wurden mir die Knochen wie Brei. Ich sank nieder — nur um mit einem Schrei wieder emporzuschnellen, als meine Hand eine Schlange berührte. Ein neuer Gedanke peinigte mich. Wie, wenn mich eines dieser gereizten Tiere biß. Wie Teufelsfratzen standen alle möglichen Todes arten durch Schlangenbiß vor meiner gemar terten Seele. Und ich konnte nichts tun, dieses Verhängnis abzuwenden. Ich begann unter dieser unmenschlichen Qual wie ein Tier zu brüllen — brüllte, bis ich heiser war und schließlich die Nutzlosigkeit meines Schreiens begriff. Dann packte mich eine Idee mit zwingender Gewalt. Wenn ich diese abscheulichen Reptile fing und sie mit dem Kopf gegen die harten Wände schlug, dann müßte ich ihrer nach und nach Herr werden. Und wenn mich eine biß? Besser ein Ende mit Schrecken als diese Marter. Mit Todesverachtung ließ ich mich auf die Knie nieder und tastete umher. Ich fühlte nichts als den kalten Fußboden. Ich wagte es nach einer anderen Richtung. Tastete abermals umher — aber ich fand nichts. „Mein Gott — träumte ich denn", dachte ich und erhob mich. Mit etwas mehr Mut begann ich auszuschreiten. Aber beim ersten Schritt wand sich etwas Glattes, Feuchtkaltes unter meinem Fuß hervor. Ein Schauder schüttelte mich. Doch schon in der nächsten Sekunde stand ich wie zu Stein erstarrt— das Reptil hatte sich fest um mein Bein geringelt. Ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß man sich in dieser Lage absolut still verhalten müsse, da die Schlange bei der ersten Bewegung wütend werde und zubisse. Aber diese Unbeweglichkeit wurde auf die Dauer unerträglich. Koste es, was es wolle, ich mußte mich bewegen. Ein warnendes Zischen ließ mich innehalten. Aber dann packte ich, vor Grauen fast wahnsinnig, zu und riß das Reptil von meinem Bein herunter. Mit übermensch- icher Willenskraft, fast im Krampf hielt ich es ^est und begann mich nach der Wand zurückzu- mstcn. Aber ich konnte sie nicht finden. Ich mochte mit der ausgestreckten Hand noch so weit umhersuchen — keine Wand war zu erreichen — der Naum schien plötzlich unendlich geworden zu sein. Aber ich brauchte ja die Wand gar nicht, „Sicher! Fft!" „Da hast du vorhin also richtig den Teufel an die Wand gemalt! Na, aber ich werde dem Jungen das Fft! schon austreiben! Und zwar so gleich! Hat er in einer solchen Angelegenheit keine Zeit zum Briefschrciben, nun, so habe ich auch keine, und telegraphiert er, so komme ich ihm per Dampf auf den Hals. Ich hatte sowieso schon vor, auf ein paar Tage zu verreisen, so ist's ein Aufwaschen. Du würdest mir eine große Liebe erweisen, Henriette, wenn du aufhören wolltest zu weinen und wenn du statt dessen Pioch an spannen lassen würdest. In einer halben Stunde muß der Wagen vor der Tür stehen!" Frau Henriette erhob sich gehorsam, obwohl Litte Miene machte, ihr die Besorgung abzu nehmen. „Hier geblieben!" befahl der Freiherr jedoch. „Ich habe noch ein ernstes Wort mit dir zu reden! Und du, Frau, schick mir die Ulla herunter. Auch ein Aufwaschen. Hier der Schlüssel zu ihrem Zimmer! So! Kehrt, marsch!" .Frau von Nohnsdorff ging bedeutend leichte ren Herzens, als sie gekommen war. Nur eines machte ihr noch Sorge. Wodurch war es Litte gelungen, ihren Vater so schnell zu besänftigen, wie ihre Mutter es nie vermocht hätte? Und wel ches Geheimnis verbarg sich hinter jenem rätsel haften — Fft? „Komm einmal her zu mir, mein Junge!" sagte der Freiherr, indem er sich mit dem Rücken gegen das Fensterkreuz lehnte und seine Augen durch bohrend auf Litte richtete. „Du bist also durch gebrannt!" fuhr er dann fort, als sie vor ihm siand. „Ich will dir keine lange Moralpredigt mlten, ich will dir nicht vorwerfen, daß du zum lindesten sehr unweiblich gehandelt hast, ich rage nur: warum?" Litte sah ihm furchtlos ins Gesicht. „Eine Ehrensache, Papa! Ich darf's nicht verraten!" „Hm! Es steckt wirklich nichts Schlimmes da hinter? Keines von euren beliebten Pensions abenteuern mit schmachtenden Klavierlehrern oder hungrigen Schnlamtskandidatsn?" In ihrem Antlitz flammte eine jähe Röte aus, und ihre Augen blitzten zornig. „Papa! Pfui, wie du redest! Das ist wahr haftig nicht schön von dir!" „Gut, ich glaube dir! Aber . . . überhaupt. . . im allgemeinen — was halst du von den Män nern?" Ihre Lippen kräuselten sich in grenzenloser Verachtung, und ein Wort schwebte ihr aus der Zunge. Doch — „Du bist ja selbst einer Papa!" besann sie sich. „Trotzdem — heraus mit deiner Meinung!" „Nun denn — Schwefelbande!" Er lachte befriedigt auf. „Wirklich? Schwefelbande?" „Wirklich! Schwefelbande!" „Freut mich! Endlich einmal ein vernünftiges Mädel! Bleib' nur dabei, mein Junge. Du hast vollkommen Recht. Ich, dein Vater, versichere es dir. Wenn ich alles bedenke, bei Gott, ich möchte zum Beispiel nicht deine Mutter sein! Ein scheußliches Leben! — Na, also, dann wirst du auch wohl mit mir derselben Meinung sein, daß die Ulla, deine Schwester — da ist sie ja —" er deutete mit dem Daumen verächtlich über die Achsel hinweg zu seiner älteren Tochter hinüber, die eben eintrat, — „daß sie auch nach dem Fft! handelt. Sie liebäugelt nämlich mit einem von der Schwefelbande und zwar mit einem von einer Sorte — na!! Die reine Geschmacksverirrung! Der Werner Lucknow ist's! Das sagt alles. Doch wir werden ihr die Motten auskloppcn! Denn, nicht wahr, mein Vengelchen hilft mir?" Um Ulla zu ärgern, strich er Litte ein paar Mal liebkosend über die Zöpfe und sah sie freund lich an. Litte nickte ihm befriedigend zu. „Kräftig, Papa! Das ist ja der Hauptgrund, weshalb ich hergekommen bin!" Dann wandte sie sich schroff herum zu Ulla, die sie bisher keines Blickes gewürdigt hatte, und fuhr sie zornig an. „Nette Streiche für ein Fräulein von Rohns dorff! Ueberhaupt nur zu wissen, daß ein sol ches Individuum, wie dieser Werner Lucknow, auf der Welt ist — schon ein Skandal! Und hier kommt noch die Fahnenflucht dazu, ganz ge wöhnliche, infame Fahnenflucht! Hie Rohnsdorff — hie Lucknow, voila tout! Desertiert wird nicht! Aber — na ja, die Weiber!" Ulla wich betroffen von ihr zurück. War das Litte? Litte, die ihr bei ihrer Abreise ins In stitut ewige Waffenbrüderschaft geschworen hatte? „Erlaube . . . ." stammelte sie verwirrt. Litte richtete sich hoch auf und maß sie zer malmenden Blicken. „Ich erlaube nichts!" schnitt sie der Schwester das Wort ab. „Nichts! Gar nichts! Papa über trägt mir während seiner Abwesenheit die Auf sicht über den gefangenen Deserteur! Und dieser Deserteur wird seinen Komplizen, jenes genannte Individuum, weder sehen, noch mit ihm sprechen, noch Briefe mit ihm wechseln! Schwapp! Ist dir's so recht, Papa?" Der Freiherr rieb sich entzückt die Hände. „Bist ein ganz famoser Schlingel, Litte!" lachte er, ja, er sagte: „Genau meine eigene Idee! Du kannst mir's glauben, wärst du mir nicht so bequem und zur rechten Zeit gekommen, ich hätte dir wegen deines Fft! nicht schlecht den Kopf gewaschen! Nun aber ist's ganz gut so! Und schließlich, was du in deinen; Institut versäumt hast, werden wir auch wieder einholen. Ich habe da meinen Plan? Also rekapitulieren wir: Du stehst dafür, daß Ulla während meiner Abwesen heit diesen Werner Lucknow weder sieht. . . ." „Weder sieht!" wiederholte Litte, indem sie zur Bekräftigung die Schwurfinger erhob. „Noch mit ihm spricht " „Noch mit ihm spricht!" „Noch Briefe mit ihm wechselt!" „Noch Briefe mit ihm wechselt!" „Ehrenwort?" „Ehrenwort!" „So! Nun kann ich ruhig reisen!" atmete Herr von Rohnsdorff erleichtert auf. „Merk dir's also, Ulla, auch hinter meinem Rücken gibt's keine Ro mane mehr! Na, fange nur um Gottes willen nicht an zu weinen. Das besorgt deine Mutter schon im Ueberfluß. Sei vernünftig, und du wirst sehen — vielleicht bringe ich dir etwas mit, etwas viel Hübscheres, als dein Hampelmann von einem Müllerknecht ist." ' Ulla wollte sich zu einem Widerspruch auf raffen. „Aber, Papa, ich will doch keinen anderen, und wenn ich diesen nicht . . . ." Sie vollendete nicht. Litte hielt ihr mit einem grausamen Lächeln den Mund zu. „Aergere den Papa nicht unnötig!" befahl sie. „Sag' ihm Lebewohl, und dann — marsch, hin aus mit dir!" Ulla gehorchte völlig verschüchtert. „Adieu, Papa!" „Adieu, Ulla!" Er sah anscheinend nicht, daß sie ihm die Lip pen hinhielt, sondern wandte sich ein wenig schroff ab, um sein Neise-Nscessaire zu packen. (Fortsetzung folgt)
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