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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
- Erscheinungsdatum
- 1925-09-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841112631-192509148
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841112631-19250914
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841112631-19250914
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-09
- Tag 1925-09-14
-
Monat
1925-09
-
Jahr
1925
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt und Anzeiger
- Autor
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Hohensstin-EmMaler TageblallunüLnzeigtt Nr. 214 Montag, den 14. Geptember 1925 Beilage - - ' > — - - MeWWg! Von Dr. Paul Ostwald Die Frage unseres Eintrittes in den Völker bund ist infolge der Sicherheitspaktsverhand- lungen in das Entscheidungsstadium getreten. Es ist unbedingt notwendig, daß unser Volk noch einmal gründlich das Für und Wider erwägt, daß es in voller Ruhe und Sachlichkeit Stellung nimmt, und zwar selbstverständlich von der Grundlage aus, wie sie heute unsere politische Lage und wie sie unsere letzten Erfahrungen in Sachen des Völkerbundes uns bieten. Partei programmatische und ideelle Gesichtspunkte, die bei uns so beliebt sind, dürfen hier in keiner Weise mitsprechen. Dann aber werden wir weiter vor allem die Frage unseres Eintritts in den. Völkerbund aus der engen Verquickung mit dem Sicherheitspakt herauszulösen haben. In einer überaus geschickten und gerissenen Weise hat die Politik der Ententemächte, be sonders Frankreich, es verstanden, beides in engsten Zusammenhang miteinander zu bringen, indem für das Zustandekommen des Sichsrheits- paktes von uns der vorbehaltlose Eintritt in den Völkerbund gefordert wird. Man hat so ein bequemes Mittel geschaffen, uns vor aller Welt die Schuld an einem eventuellen Scheitern des Sicherheitspaktes zuzuschieben, und diese dann sogar damit zu begründen, daß wir selbst die so freundlichen Einladungen zum Eintritt in den Völkerbund ablchnten. Leider ist bereits ein großer Teil unseres Volkes und der Presse auf dieses Entcntcmanövcr hereingefallen und hat die Sicherheitspaktfragen und nicht die Völker bundsfragen zu den beherrschenden gemacht. Ls kann aber nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß für uns Deutsche beides einer getrennten Behandlung bedarf, und daß das eine vom andern klar geschieden werden muß. Denn Sicherhcitspakt hin, Sicherheitspakt her, er ist für uns wertlos und im einzelnen über haupt undebattierbar, wenn die Voraussetzun gen, die wir an unseren Eintritt in den Völker bund knüpfen müssen, nicht erfüllt werden. Die Fragen nach dem Eintritt in den Völkerbund und nach den Bedingungen, unter denen er sich vollzieht, sind für uns also das Primäre, und nicht, wie die Ententepolitiker es uns glauben machen wollen, das Sekundäre. Es muß das von unserer Seite klar erkannt und klar erfaßt werden,' darüber hinaus aber wird das auch vor aller Welt immer wieder laut betont wer den müssen, um uns vor Vorwürfen und An klagen zu schützen, die zu erwarten sind, wenn die Cicherheitspaktverhandlungen im Sande ver laufen oder sich sehr in die Länge ziehen. Die Erundformel nun, auf die wir alle unsere Bedingungen und Voraussetzungen für unseren Eintritt in den Völkerbund bringen können, ist der Anspruch auf volle Gleichberechtigung. Diese ist aber für uns nur dann vorhanden, wenn, wie das auch von deutscher amtlicher Seite betont worden ist, wir einen Sitz nicht nur im Völkerbund, sondern auch im Völker bundsrat erhalten. Es ist weiter selbstverständ lich, daß uns eine Ausnahmestellung, wie z. B. der Schweiz, bezüglich des Durchzugsrechtes für Völkerbundstruppen zuerkannt wird, daß ferner der Artikel 19 der Völkerbundssatzung, der die Möglichkeit gibt, bestehende Verträge einer Re vision zu unterziehen, auch für uns als zu Nech^ anerkannt wird, damit wir im Völkerbund und mit Hilfe des Völkerbundes eine Revision des Versailler „Vertrags" betreiben können. Gleich berechtigung heißt weiter für uns Anerkennung zum mindesten eines Mändatrechts über unsere Kolonien und restlose Beseitigung jenes erst im Juni d. I. in Genf gefaßten Beschlusses, der uns praktisch im Völkerbunde bei allen Beratungen über die Fragen deutscher Minderheiten in anderen Staaten ausfchließen würde. Es ist verwunderlich, daß zu dem letzten Punkt, der uns doch ganz erheblich angeht, und der doch alle die Aussichten beseitigt, die sich für unsere unter schwerster Bedrückung in fremden Staaten lebenden deutschen 'Brüder und Schwestern durch unseren Eintritt in den Völkerbund er öffnen würden, sowohl von amtlicher deutscher Seite wie auch in der Presse so wenig Stellung genommen worden ist. Dabei sind wir es den Ausländsdeutschen und der Erhaltung deutscher Kultur in den uns entrissenen Gebieten schuldig, den größten Wert darauf zu legen, daß die For derungen der deutschen Minderheiten auch von reichsdeutscher Seite im Völkerbund verteidigt werden können. Ehe also alle diese und noch manche anderen Forderungen auf volle Gleichberechtigung im Völkerbund uns nicht klipp und klar zugestanden werden, kann also ein Eintritt in ihn für uns nicht in Frage kommen, und es erübrigt sich dann auch jede weitere Verhandlung über den Sicher heitspakt. Es ist völlig undiskutabel für uns und ganz ausgeschlossen, daß wir irgendwelche Paktverhandlungcn billigen können, wenn uns nur versprochen wird, alle unsere Forderungen und Bedingungen bezüglich der Gleichberechti gung im Völkerbunde würden erfüllt werden, so bald wir den vorbehaltslosen Eintritt annehmen und einen Sicherheitspakt unterschreiben. Wir haben zur Genüge Erfahrungen mit solchen Ver sprechungen sammeln können. Der „Manchester Guardian" ist leider sehr schlecht orientiert, wenn er kürzlich schrieb: „Aber der Groll gegen das, was in Versailles geschah, in einer Atmosphäre, die jetzt glücklicherweise tot ist, sollte die Augen der deutschen Staatsmänner nicht gegen die lehr viel gesunderen Dinge verblenden, die in einer ganz anders gearteten Atmosphäre in Genf ge schaffen wurden und werden. Hier hat die Hoff nung auf Völkerfrieden ihr Hauptquartier. So gut wie nirgends sonst in der Welt kann hier nationalen Beschwerden Luft gemacht, hier können Streitigkeiten klug und vernünftig be glichen werden." Wir wollen garnicht einmal all die Vorwürfe gegen den Völkerbund wieder holen, wir wollen nicht von Oberschlesien, von dem Saar- und Ruhrgebiet und manchem anderen sprechen, mir wollen nur an den schon oben genannten, erst jetzt gefaßten Genfer Be ¬ schluß über die Behandlung der Minderheits fragen erinnern, an den Entscheid über die pol nische Post in Danzig, um zu beweisen, daß unser Mißtrauen gegen den Völkerbund in allen uns angehenden nationalen Fragen nur zu be rechtigt ist. Wir haben wirklich nichts davon gemerkt, daß der Geist von Versailles tot ist! Man komme uns nicht mit der Räumung vom Ruhrgebiet und von Köln. Die Besetzung der Ruhr hätte eben niemals geschehen dürfen, am allerwenigsten unter den Augen des Völker bundes, und die Räumung von Köln hätte be reits vertragsmäßig seit mehr als einem halben Jahre erfolgen müssen. Dazu sind wir sicher, und wir glauben uns nicht darin zu täuschen, daß weder das eine noch das andere erfolgt wäre, wenn man eben nicht Lockmittel für uns in der ganzen Sicherheitspaktfrage hätte schaffen wollen. Man schloß uns im Jahre 1919 vom Völker bunde aus, weil man uns dafür als noch nicht „reif" erklärte. Jetzt will man uns hinein haben, also sind wir jetzt nach Auffassung der Entente „reif", und so muß man uns logischer weise auch die Gleichberechtigung zuerkönneu. Tut man es, dann werden die SicherheitspattL Verhandlungen wahrscheinlich zu einem Erfolg führen, tut man es nicht, dann bleiben wir eben draußen, und man kann sich von Seiten der Entente weitere Sicherheitspaktverhandlungen schenken. Einen anderen Stax^punkt kann es für uns Deutsche nicht geben, und es wird Zeit, daß das deutsche Volk und seine Negierung einen solchen Standpunkt auch einmütig nach außen hin erkennen lassen. WMMWW Wiederaufleben des Pessimismus — Nene Er mattung der Börse — Kreditnötc und Zahlunzs- stoSnngen — Mieder Konzern-Befürchtungen — Gelduerbilligung, aber nicht Ecldvermehrung — LrustSildungen in der Montanindustrie. Bun unserem Berliner HnndclSmltarbeNer. Unerwartet schnell ist an der Börse schon wieder ein heftiger Rückschlag eingetreten und hiermit die gerade von der Besserung der Bör senstimmung ausgcgangene beruhigtere hoff nungsvollere Beurteilung der allgemeinen Wirtschaftslage aufs neue sckwer gefährdet. Die bisher erfolgreichen Ankämpfungen gegen den Pessimismus haben eine weitgehende Unter brechung erfahren und die Kursbesserungen sind in schnellem Tempo zu einem erheblichen Teile wieder verloren gegangen. Die Schwarzseherei und die hiermit verknüpfte Nervosität hatte an der Börse in den letzten Tagen wieder die Ober hand gewonnen und gleichzeitig die Vaissepartei zu neuen kräftigen Vorstößen ermutigt. Wie stets bei einem derartigen Szenenwechsel ist auch die Gerüchtemacherei wieder in Schwung gekom men mit der Wirkung, daß jeden Tag neue Baissegerüchte an der Börse in Umlauf waren und die Verwirrung und Verängstigung schnell wieder aufleben ließ. Bedauerlicherweise fehlte es auck dieses Mal nicht an offensichtlich tendenziösen Uebertreibungen, die der Börsen behörde aufs neue Veranlassung gegeben haben, gegen die Urheber und Verbreiter derartiger Alarmgerüchte einzuschreiten, ohne daß indessen die Beseitigung dieses Uebelstandes dieses Mal besser gelingen dürfte als vor einiger Zeit. Dabei läßt sich bedauerlicherweise auch jetzt wieder nicht verschweigen, daß in verschiedenen Fällen die beunruhigenden Ausstreuungen nicht ganz der Grundlage entbehren, wenngleich be stimmte Tatsachen noch nicht vorliegen. Geför dert wurde das neuerliche Wachsen des Pessimis mus hauptsächlich wieder durch die schweren Folgen, die die andauernde Geld- und Krcdit- not im Wirtschaftsleben in den letzten Tagen wieder herbeigefllhrt hat. Zunächst waren es die finanziellen Schwierigkeiten des Sichel-Kon zerns, von denen zwar schon vor längerer Zeit einmal die Rede war, die sich jetzt aber derartig zugespitzt haben, daß nunmehr trotz anfänglicher Beschönigungsversuche bereits zugegeben werden muß, daß das gesamte Aktienkapital der Sichel- A. G. in Höhe von 29 Millionen Mark als ver loren anzusehen ist. Auch hierbei handelt es sich um eine jener Jnflationsbildungcn, die nach einer trügerischen. Scheinblüte und einer unge sunden Ueberlastung mit allerlei Beteiligungen jetzt infolge des Mangels an den nötigen Be triebsmitteln dem Schicksal ihres Verfalles nicht entgehen können. Ist es auch eine Uebertrei- bung, von einem zweiten Fall Stinnes zu sprechen, so erinnert die Sichel-Affäre recht un liebsam an die Gefahren, die aus der In flationszeit her noch immer drohen und deren Beseitigung noch mancherlei Schwierigkeiten be fürchten läßt. Aber auch die zum Ausdruck ge kommene finanzielle Nöte der Hannoverschen Waggonfabrik A. G., die bereits die Verhän gung der Geschäftsaufsicht beantragen mußte, und die Eeldschwierigkeiten der Schiffswerft Frerichs geben mit Recht ernstlich zu denken; einerseits zeigen si?, daß selbst ältere und in vollem Betriebe befindlichen Werke, die sogar, wie zum Beispiel die Frerichs-Schiffswerft über beträchtliche Aufträge zu verfügen haben, nicht in der Lage sind, sich die nötigen Vargeld mittel zu verschaffen, ein höchst gefährlicher Zu stand, der leider auch bei vielen anderen Unter nehmungen großer und kleiner Art schon seit langer Zeit besteht und jeden Tag weitere der artige Katastrophen herbeizuführen droht. Von besonderer Bedeutung ist aber auch in den ge nannten beiden Fällen, daß beide Gesellschaften Eroßkonzernen angehören oder angehört haben, die sich eines klangvollen altbewährten Namens erfreuen, unter dem Drucke der allgemeinen Geldnot aber offenbar nicht mehr imstande sind, auch nur die dringensten Eeldbedürfnisse der ihnen zugehörigen Betriebe zu decken. Es liegt daher nahe, daß die bereits gelegentlich des Stinneszusammenbruches aufgetauchten ernsten Befürchtungen, daß auch andere große Gruppen dieser Art in ernste Verlegenheit geraten sind, neuerdings an Wahrscheinlichkeit gewonnen haben. Bedauerlicherweise unterlassen es die Der Bitter Erbe Roman von Otfrid von Hanstein kovviiabt 1924 bv Karl Köhler u. Lo., Bcrlltt-ijcblcnSorl 17j (Nachdruck verboten) 8. K a p i 1 e l Wie Otto am Morgen nach jener Unterredung mit Agnes erwachte und an seinen Frühstücks- tisch trat, fand er eine kleine unscheinbare An sichtspostkarte aus Bad Nauheim. Verwundert hob er sie auf, da sah er auf der Rückseite die Worte: „Herzlichen Gruß, Käthe." In liefen Gedanken schaute er auf das alltägliche Kärtchen, das ihm so viel zu sagen wußte. Er nickte bitter lächelnd mit dem Kopf. Nicht einmal ihre Schrift hatte er gekannt! Fast ein Jahr wa ren sie nun verlobt und heute erhielt er zum ersten Male von ihr eine Karte. Wie zierlich und sauber war ihre Handschrift! Kindlich und unreif wie sie selbst. Und doch sprachen »diese drei Worte mehr wie ein dickleibi ges Aktenstück. Es mochte sie Ueberwindung ge kostet haben, die kleine Käthe, und Agnes mußte recht haben mit dem, was sie gestern gesagt. Er kam sich vor wie ein Barbar. Nun Plötzlich verstand er die Blicke und die leisen Seufzer, und plötzlich fiel ihm ein, daß er nun bald siebenundzwanzig Jahre alt war, daß er verlobt seit langen Monaten und daß er noch nie in fei nem Leben Mädchenlippen geküßt hatte. Er dachte an Agnes und sah sie vor sich in ihrer ganzen ernsten Ruhe. Er hatte sie lieb gewonnen, wie einen köstlichen Schatz und doch... Er sprang auf, und mit einem Male überkam ihn eine Sehnsucht nach Zärtlichkeit, eine Lust zu küssen, wild, leidenschaftlich, durstig! Nach zuholen, was er versäumt in allen den Jahren seiner einsamen, menschenscheuen Jugend. Möchte er Agnes küssen? Bei ihr sitzen, in ihre warmen Augen schauen, ihre Hand halten, ihrer lieben, klugen Stimme lauschen — aber küssen? Es kam ihm vor, als müsse man sich ih, gegenüber solcher Gedanken schämen, als würde ihr Mund, der so geistvoll zu plaudern verstand, zurückzucken und überlegen lächeln, als sei ihre reine, keusche Jungfrauenhcrbheit unnahbar für solche Gedanken, und ihn ergriff ein Verlangen nach Käthes begehrlichem Mund, nach ihren lok- kenden Augen, deren Blicke er so schlecht gedeutet. Hatte Agnes recht? Sie war ein Weib, das Freundschaft erweckt und Freundschaft zu bieten vermag, aber Käthe das Weib, w e es die Sinne des Mannes ersehnen? . Die Fabriksirene rief mit langgezogenem, schrillem Pfiff zur Arbeit, und Otto sprang auf. Jetzt war nicht Zeit zu solchen Gedanken. Sein Werk wartete auf ihn, und außerdem kam am Vormittag Prinz Viktor, und auch dafür waren Vorbereitungen zu treffen, damit er dem hohen Besuch auch wirklich interessante Episoden aus dem Gebiet der Fabrikation vorführen konnte. Er ging hinüber, und es war ihm, als streife er alles Persönliche ab, wie er drüben die Säle, in denen schon die Maschine* ihr ohrenbetäuben des Lied zu singen begonnen, betrat. Aber der Tag verging, und wie er nach Feier abend wieder sich selbst gehörte, kamen auch die Gedanken des Morgens wieder, und Käthes Karte lag noch immer auf seinem Schreibtisch. Er setzte sich nieder und dachte nach. Hatte Agnes recht? Sah sie wirklich in ihm nur einen Freund? Und mit einem Male sah er vor seinen Augen ein trauliches Bild. Agnes und Kathe als Freundinnen. Er mit Käthe verheiratet, und ihr kindlicher Geist an Agnes Beispiel, die ihre gemeinsame Freundin war, gebildet. So konnte er sich beide erhalten, ohne einer zu nahe zu treten. Hatte es Agnes nicht in der Hand gehabt? Sie selbst führte ihn ja zu Käthe zurück. Daß es möglich sei, daß sie nur aus edler Selbstüberwindung so gesprochen, er glaubte es nicht. Wieder hielt er lange mit seinen eigenen Gedanken Zwiesprache, dann hatte er einen Ent schluß gefaßt und griff zur Feder. „Liebe Käthe! Für Deine Karte, die erste, die ich je von Dir erhalten, danke ich Dir herzlich. Seit Dei- men Hiersein lebe ich in schweren Zweifeln, die mir keine Ruhe lassen. Ich glaube, daß wir beide uns schuldig sind, daß es endlich zu einer Klarheit zwischen uns kommt. Seit Du mir damals auf unserem traurigen Ver lobungsabend so deutlich Deine Abneigung gezeigt, war ich überzeugt, daß Du mich nicht magst und nur gezwungen und aus pekuniären Gründen in unsere Verbindung gewilligt hast. Auch am Sonntag schien es mir, als langweile ich Dich mit meinen Gesprächen und meinem ernsten Wesen, wenn ich auch den Eindruck hatte, als sei der Haß, der damals in Deinen Worten lag, verraucht. In meiner Herzens angst habe ich mich Agnes Pulvermacher cnver- traut. Sie ist klug und gut, und wie ich Dir offen sagen will, mir eine teure Freundin. Und weißt Du, was sie mir sagte? Ich sei ein blöder Tor, der nicht verstehe, in Menschen seelen zu lesen. Sie sagte, Du liebtest mich, Käthe, und ich hätte nur Deiner Augen Sprache nicht verstanden. Sie schalt mich, daß ich Dir Steine reichte, wo Du Brot begehrtest, daß ich Dich mit meinen Berufsdingen quälte, anstatt Dich in meine Arme zu schließen und Deine süßen Lippen zu küssen. Sei offen gegen mich, Käthe. Hat Agnes recht? Hast Du mich wirklich lieb, und glaubst Du, daß Du Dich an mein Wesen gewöhnen, daß Du glücklich werden kannst an meiner Seite, dann schreibe mir, liebe Käthe, dann laß uns nicht mehr zögern, dann wollen wir nicht die Tage unse rer Jugend verlieren, sondern Mann und Frau werden, so schnell als möglich. Aber laß Dich nicht leiten von anderen Gründen. Habe ich recht gehabt und weiß Dein Herz nichts von einer Liebe zu mir, auch dann sei offen. Ich habe Dir schon gesagt, daß Du nicht darunter leiden sollst. Und nun erwarte ich Deine Antwort. Den heutigen Gruß nahm ich als Porbedeutung. Hatte ich recht? Lah mich nicht warten auf Deine Antwort, möge sie uns beide auf den rechten Weg führen." Er unterschrieb und las >ioch einmal. Selt samer Liebesbrief! Seltsam wie seine ganze Verlobung. Aber er st.nd auf und brachte ihn selbst noch nach Lehrte zur Post. Auf dem Heimweg schüttelte er immer wieder den Kopf. Wie eigentümlich ist der Mensch. Noch am Sonntag war er so enttäuscht gewesen über ihre kindlich törichten Fragen, heute war eine Sehnsucht in ihm. Hatte Agnes nicht recht? Sie war ja geistig noch ein Kind. Lieble sie ihn, so konnte er sie ziehen, wie er wollte, und Agnes, die treue Freundin würde ihm zur Seite stehen. Er kehrte um und ging nochmals nach Lehrte, und dort in eine Wirtschaft, wo er sich Feder und Papier geben ließ, er mußte auch an Agnes schreiben. „Liebe, verehrte, hochherzige Freundin! Sie haben mir ja gestattet, Sie so zu nen nen! Ich habe heute den ganzen Tag nachge dacht über das, was Sie mir gestern sagten, und ich glaube, Sie haben recht. Heute erhielt ich »on Küthe eine Karte. Ich habe Ihren Rat befolgt und ihr herzlich geschrieben. Ich habe sie gebeten, mir offen zu bekennen, ob sie Liebe für mich fühlt, und wenn es wirklich der Fall, unverzüglich mein Weib zu werden. O, Agnes, ich bin Ihnen so dankbar. Seit Sie so verständig sprachen, ist es mir, als sei meine alte Liebe zu Käthe wieder erwacht. Ja, Käthe ist ein Kind, und ich weiß, daß Sie, meine Freundin, mir helfen werden, sie zu meiner Frau zu erziehen. Nicht wahr, darauf darf ich hoffen? Sie können ja alles, Sie haben für jeden das rechte Wort, und Ich möchte bleiben in aller Zeit Ihr dankbarster Freund Otto Gerling." Auch diese» Brief trat seinen Weg noch an die sem Abend an, und nun war es Otto, als ob sich eine friedliche Ruhe über sein« «»egten G<Whle legte.
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