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Oie reiche Frau. Skizze von Hanna Zunk, Friedenau. (Nachdruck verboten.) „Mutti, Mutti! Guck' mal, das feine Auto! Das grüne da, mit den blanken Laternen und der schönen Frau im Pelz! Siehst du den Hund neben ihr? Den »einen langhaarigen, mit den Hängeohren! Solch ein Tierchen möchte ich haben, wenn ich groß bin! Verdiene ich mal viel Geld, Mutti, dann kaufe ich ihn mir! Nicht wahr, das kann ich doch?* „Gewiß, Hänschen, gewiß; aber erst mußt du erwach sen sein! Jeden Tag deine Suppe essen» sonst bleibst du ein Knirps, wirst nie stark und kannst dir nichts erarbeiten.' „Ach, Mutti, ich bin mit meinen fünf Jahren doch schon recht groß, und dumm bin ich auch nicht, das hat das Schlächterfräulein neulich gesagt, als ich dreierlei einholte! Wie Papa krank war, weißt du noch?* „Ja, Jungchen, ich weiß es, du bist ein braver Bube, der seiner Mutter manchmal schon eine kleine Hilfe ist!' „Nicht wahr, wenn du die langen Übersetzungen machst, während Papa im Bureau schreibt! — Sag' mal, du verdienst doch auch so viel Geld, warum haben wir eigentlich kein Hündchen?* „Mein lieber Hans, das Geld, das ich für meine Ar beiten bekomme, das brauchen wir notwendiger! Die lange Krankheit von Papa hat eine Menge Kosten ge macht; wir müssen noch manches bezahlen! Ist der Papa erst wieder vollständig hergcstellt, dann schaffen wir uns auch einen Hund an, aber einen netten Dackel! Nicht solch ein Luxustier wie dort im Wagen.* „Da, Mutti, da kommt das Auto wieder zurück!* Wirklich, der elegante Kraftwagen fuhr langsam auf die beiden Spaziergänger zu. Die Dame im Hermelinmantel, unter der schicken weißen Kappe, musterte durch ihr Lorgnon die Frau und das Kind. Ein Druck aus den Knopf, das Auto stand, gerade, als Frau Änne Vogt vorüberging. „Änne, Ännchen!* Zweimal klang der Ruf. „Mama, die Dame ruft!* „Unsinn, Kind, mich nicht.' „Doch, sie winkt ja! Dreh' dich doch nur um.* Frau Vogt wandte den Kopf. Richtig, ihr Bube hatte sich nicht getäuscht. Sie machte einige Schritte zurück. „Änne Fasel, kennst mich nicht mehr? Ja, ja, ich bin's!' „Erna Balz, du?* „Früher, gewiß, aber jetzt recht lange schon Frau Doktor Volkmar! Willst du nicht zu mir einsteigen, eine halbe Stunde mitkommen und erzählen, wie es dir geht? Ist das dein Junge?* „Ja, unser Einziger, unser Stolz! Aber ich habe wenig Zeit. Mein Mann kommt in einer Stunde zu Tisch, und da muß noch vielerlei hergerichtet sein!* „Na denn, hier ist meine Karte! Besuch' mich am Donnerstag, da habe ich ein paar Damen zum Tee bei mir! Ich würde mich recht freuen, eine alte Jugendgespie lin wiederzusehenI Wohnst du noch weit? Ich fahre dich gern hin!* „Nein, nein, danke, ich bin gleich daheim! Nimm es mir nicht übel, aber ich will eilen.* „Doch du kommst am Donnerstag?* „Ja, wenn's irgend möglich ist.* Ein Händedruck, das Auto sauste von dannen. Änne Vogt sah dem Lahinschwindenden Wagen nach. Jetzt war's noch ein winziger Punkt, weit hinten an der Straßenkreuzung. Änne seufzte. Sie gedachte des hübschen, dunkelhaari- gen Mädchens, das in den Schuljahren ihre Klassengefähr- tin gewesen. Immer in der Kleidung die vornehmste von allen und doch so mangelhaft im Wissen. Sie, die Änne, mit ihrer angeborenen Intelligenz, ihrer schnellen Auf fassung, hatte so oft die Helferin gespielt; die Rechenauf gaben, den Aufsatz zu Ende gebracht. Dafür lud sie dann die Freundin zu Kuchen und Schokolade ein oder schenkte ihr Bücher. Ernas Mutter hatte ihr Töchterchen früh allein ge- ß lasten, doch nicht der Tod ries sie ab, sondern die Leiden- » schäft trieb sie in die Arme eines Künstlers. Als Erna die ! Kinderschuhe ausgezogen, erzählte sie damals, der Änne l die Geschichte. Die, in ihrer Einfalt, konnte nicht ver- > stehen, wie eine Mutter eines fremden Mannes wegen sich ; von ihrem Kinde trennte. Erna lachte. „Das begreifen Mädchen wie du nicht! Papa hat die ! Mama auch zu einsam gehalten! Keine Gesellschaften, I selten ein Theater! Weil er als Gelehrter nur den Bü- ! chern lebte, sollte die Mama auch zu Hause in der Stille ! ihr Glück finden! Ich hätte es ebenso gemacht! Herrschen, I bewundert werden! Das ist der Beruf der schönen Frau! » Und schön ist doch die Mama!' So sagte das junge » Mädchen. Änne Vogt erinnert sich noch genau des Tages. Sie k blickt in die Ferne, träumt ihren Jugendjahren nach. « Der kleine Bursche läuft artig neben ihr; ab und zu hebt er ' die Augen zur Mutter, aber er wartet ruhig, bis sie sich zu i ihm kehren wird. „Sie hat ihr Ziel erreicht,' flüstert Änne. „Ein Auto ! und einen berühmten Mann!' Doktor Volkmars Name Z als Chemiker ist bekannt; die Adresse auf dem Kärtchen i weist auf eine Villa im Grunewald. Ein leichtes Gefühl des Neides erwacht in ihr. Warum ; gibt es soviel Schatten im Erdenleben? Warum wandeln » die einen nur in der Sonne und lassen den anderen Nebel « und Sturm? Eine Träne rollt aus ihrem Auge. Hastig f wischt sie mit der Hand das Naß weg. „Mutti, Mutti, da kommt Papa gerade! Der ist heute ! früher fertig! Schnell, Mutti, schnell!' Damit riß er sich los und eilte auf den schlanken Herrn ' zu, der gerade über den Damm auf das Haus hinschritt. » „Du willst wirklich die einstige Jugendgenossin be- ! suchen?* fragte ihr Mann, als sie sich am Tische gegenüber- I saßen. „Warum nicht, Gustav? Oder —' Änne warf einen » forschenden Blick aus ihn — „mißgönnst du mir die Ab- ! Wechslung, die Unterbrechung des - ewigen Arbeits- I einerleis?' „Änne, Änne, was ist in dich gefahren? Habe ich dir I jemals etwas mißgönnt? Dir, meinem Kameraden, I meiner tapferen kleinen Frau, die durch dick und dünn mit I mir geschritten ist! Meinst du, ein Mensch wie ich kann je i vergessen, was ihm ein Weib alles zur Liebe getan?! Wie ! sie mit ihm gedarbt, sich gemüht, gearbeitet hat! Die Zeit I meiner Krankheit, als der ganze Haushalt auf deinen f Schultern lag! Nein, mein Herz, das Gedenken bewahre > ich treu! Nur behüten vor Enttäuschungen möchte ich ! meine Gefährtin. Du weißt ja, nur Gleich und Gleich I gesellt sich gut! Und, da ist der Unterschied zwischen euch f doch recht groß.' Die Worte fielen Änne Vogt ein, als sie einige Tage ' später mit der Elektrischen die weite Strecke bis zum I Grunewald fuhr. Ob Gustav wieder einmal der Klügere l war? Schon reute sie der Weg, als die vornehmen Villen ! in Sicht kamen und sie an ihre bescheidene Gartenwohnung ! zurückdachte. Die Villa „Erna" stand in dichtem Grün, weit,von der ; Straßenfront entfernt. Der Diener, der öffnete, geleitete » sie in den oberen Stock und bat, in einem der eleganten i Zimmer zu warten, bis er sie gemeldet. Aber da schlug I Erna schon die Portiere zurück. „Nur herein in mein Allerheiligstes! Du darfst ruhig ! dabei sein, wenn Emilie mich frisiert.* Damit zog sie die Freundin in ihr Boudoir auf die f Chaiselongue. „Ich bin noch im Neglige, lass mich aber bald zurecht- ' machen! Die Zofe erscheint gleich auf der Bildfläche, und l dann gehen wir in mein Schlafzimmer! Doch laß dich an- I sehen und erzähle, wie es dir bisher ergangen ist! — Aller, ! Änne, merkwürdig, was du für glänzendes Haar hast und ! immer noch den klaren Teint wie der Backfisch! Was l brauchst du eigentlich zur Konservierung?' „Ich?" Anne Vogt lachte. (Schluß folgt.)