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jeder Bissen Brot, jeder Tropfen Getränk, den andere brachten, wurde beiseite geschafft und aus Fernaus Vor ratskammer ersetzt. Melanie, die jetzt ausfallend ost «r die Stadt fuhr, um „Einkäufe zu machen", brachte die beiseite geschafften Ding« dann Holly, der sie untersuchen ließ und der Fernau das Resultat schriftlich mitteilte. Auf diesem Wege konnte Fernau sich also überzeugen, daß man zweimal Arsenik in das Getränt gemischt hatte. Wer? Die Frage quälte Fernau unablässig. Von den männlichen Hausleuten hätte höchstens der Pförtner in Betracht kommen können, der zugleich eine Art Haus hofmeister vorstellte, der überall und nirgends im Haus war und seine Nase in alles steckte Aber der war ein alter Mann, auf Wiesental ergraut und ebenso gutmütig als be schränkt. Außerdem fehlte jedes Motiv, das ihn dazu hätte veranlassen können, feinem Herrn nach dem Leben zu trachten. Von den weiblichen Hausbewohnern kam höchstens Frau Ludowika in Betracht, deren ungemütliches Verhält nis zu den Verwandten allgemein bekannt war. Aber so stark dies auch jetzt gegen sie ms Gewicht fiel und so sehr Fernau ihr nachspürte, er konnte nicht deu Schatten eines wirklichen Anhaltspunktes für seinen Verdacht finden. Blieb noch die Möglichkeit, daß sich unter dem Personal jemand befand, der bloß als Werkzeug eines Auftrag gebers handelte. Dieser Vermutung neigte Fernau in den letzten Tagen noch am meisten zu, obwohl es auch da bisher an wirklichen Anhaltspunkten fehlte. Und sonst? Während Fernau mechanisch dem Spiel mehrerer Dorfjungeu zusah, die drüben auf der Wiese um euren Heuschober „Räuber und Gendarm" spielten, ließ er in Gedanken noch einmal alle Personen an sich vorüber ziehen, die Wieseutal au jenen beiden Tagen, wo sich Gift rm Getränk fand, betreten hatten. Da war einmal Posch der fast täglich unter dem Vor wand, noch etwas Vergessenes holen zu muffen, im Schloß auftauchte. Der Alte hatte entschieden etwas Verdächtiges in seinem spähenden Wesen. Aber Ferna« war überzeugt, daß dies feine Ursache nur in dem leidenschaftlichen Be streben hatte, jenen Schuldigen zu entdecken, für dessen Sünden er bMen mußte. Wiederholt hatte er versucht, Pofch zu eiuer Aussprache zu bringen, aber immer ver gebens. Entweder hatte der Alte selbst noch keinen be stimmten Verdacht »der er wollte nicht darüber reden, bis er Beweise hatte. Dann war da Valentin, der jetzt jeden Tag mehrmals kam, um nach Baron David zu sichen; der auch öfttrs Vie Nacht in Wiesental verbrachte, überall Zutritt -hatte und — was sich Fernan immer in Erinnerung rjes — zweifellos das stärkste Interesse an Baron Davids Tod besaß, der ihn wahrscheinlich -um fast unumschränkten Gebieter auf Wiesental gemacht hätte. Fernau hatte argen ihn anfangs den stärkst«; Verdacht gehegt, wenn er ihn auch nicht aussprach. Ein Verdacht, der seit Andreas Drewendts Tod, trotz des von Holly er wähnt«; Midis, noch verstärkt worden war, obwohl ande rerseits die von Losenfteins gegebene Personalbeschreibung Harpners gar nicht auf ihn stimmt«. Denn Harpner sollte ja blond und behäbig gewesen sein, mit Spitzbart und Zwicker, während Valentin v. Herg- sell schwarzes, kurzgeschorenes Kraushaar, ein glattrasiertes Gesicht, eine tannenschlanke Gestalt und das scharfe Auge eines Falken besaß. Aber diese Äußerlichkeiten konnten ja künstlich erzeugt worden sein, das wußte niemand Heffer als Fernau, der sich selbst schon hundertfach bis zur Unkenntlichkeit verlleidet und maskiert hatte, wenn seine Spürtätigkeil das er forderte. Und das Alibi an jenem Nebelnachnnttag schrumpft« sehr zusammen, wenn man bedachte, daß Valentins Zim mer auf Wiesental im Parterre lag und er sich also sehr leicht durch das Fenster entfernt haben tonnt?, während man ihn, mit seinen Rechnungen beschäftigt, im Zimmer glaubte. Es war etwas anderes, das Fernaus Verdacht all mählich auf ein Nichts einschrumpfen ließ. Es war die Macht von Valentins. Persönlichkeit, diese bestimmte, offene, gewinnende Art, welche sich scheinbar ganz ohne Absicht überall Achtung und Sympathie er zwang, die auch Fernau bestochen hatte. Streng, zuweilen sogar etwas schroff in seiner Eigen- f schäft als Verwalter, war Valentin im Familienkreis von » einer herzlichen Wärme, von einer Bescheidenheit rmd ! Zartheit des Taktes, die Fernau ost Bewunderung ah- f nötigte. Und wie oft auch von Adolfs und Andreas' Tod s die Rede war, nie zeigte sein klares Auge die geringste Un- » si^erheit, sein Wesen die leiseste Verlegenheit oder Un- ! Er hatte mit Adolf nach Aussage aller im besten Ein- f vernehmen gestanden, hatte ihn wie einen Bruder geliebt » und betrauert. Er war um Baron David mit rührender ! Besorgnis bemüht und tat altes, um dessen Leiden zu er- I leichtern. Er war selbstlos zurückgetreten, als er merkte, I Laß Melanie nicht seine Fra« werden wollt« und nur , schwesterliche Gefühle für ihn hegte. ! Fernau kam also sehr bald zur Überzeugung, daß i Valentin für einen ernstlichen Verdacht gar nicht in Be- ß tracht komme. Weniger sicher war er in bezug auf Kellermann, den , Vorwerkspächter. Der Mann machte durchaus einen fal- l sche«, versteckten Eindruck. Er hatte sich Unredlichkeiten bei j den Holzverrechnungen zuschulden kommen lassen, und > Baron Drewendt wünschte seine Entlassung. Zwischen ! beiden Männern sollten sehr harte Worte geMrn sein. > Valentin v. Hergfell hatte schließlich aus «ör-vsÄtigteit, f weil Kellermann Familienvater war, eine Vermittlung , eingeleitet und Baron David dcchin gebracht, daß dieser ! von der Entlassung vorläufig abfah. Aber trotz des I schmeichlerisch kriechenden Wesens, welches der Pächter f daraufhin zur Schau trug, mußte eS ein fauler Friede . sein, denn Fernau hatte selbst zuweilen, wenn der Mann ! Baron David besuchte und sich unbeobachtet glaubte, einen I Blitz unversöhnlichen Hasses in seinen Augen gesehen. Der I Baron aber hatte sich wiederholt geäußert, Kellermanns . Tage bei ihm seien gezählt. ! Und Kellermann war gerade an jenen zwei Tagen auch l nach Wieseutal gekommen. Freilich mußte sich Fernau auch fragen, welches » Interesse dieser Mann an Adolfs und Andreas' Tod, an ! dem Verschwinden von Baron Davids Enkelin haben I konrtte. Aber wußte man denn schon so genau, mit wem er - sonst noch in Verbindung stand? Er war aus Hamburg ! gekommen, seine Fra« stammte aus Berlin. Wie leicht I konnten sie La durch Zufall Andreas Herkunft und ihre f Bedeutung als mögliche Erbin der DreweMtschen Mil- » lionen erlistet haben? I Während Fernau nun mechanisch dem immer lauter I werdenden Spiel der Dorsjungen zusah, ging ihm all dies j durch den Kops. „Ich muß durch Albinetti die Vergangenheit dieses . Kellermann und all seine gegenwärtigen Beziehungen ge- I nau ermitteln lassen," dachte er. „Hätte ich es nur gleich f am ersten Tage getan! Nun ist für Montag schon die « Verhandlung gegen Rehbach angesetzt und wir sind um ! keinen Schrttt vorwärtsgelommen. Wenn uns jetzt nicht I irgendein Formfehler die Handhabe gibt, später «in neues j Verfahren einzuleiten, sind wir schachmatt gesetzt, und sie « verurteilen den armen Rehbach. Denn ich fürchte, Hollys ! Berufung gegen das Urteil wird gar nicht angenommen I werden." Er fuhr erschrocken empor. Drüben am Heuschober war - eines der ganzen Bretter, die ringsum angelehnt waren, ! mit lautem Gepolter zu Boden gefallen, rm Fall einen der I Jungen an der Schulter streifend'und ihn mit sich zu Boden j reißend. Zwar stand er sofort wieder auf und rieb sich, halb ! lachend, halb erschreckt, die Schulter, während seine Ge- I nassen sich verdutzt um ihn drängten, aber er hätte eben- I sogst von dem schweren Brett erschlagen werden können. ! „Zu dumm, die Bretter gerade dort zum Austrocknen ' hinzustellen!" murmelte Fernau. „Welcher Esel muß denn I das angeordnet haben? Als ob sie nicht im Sägewerk einen j Schuppen dafür hätten! Wenn nun einer der Jungen, rie » sicher öfters dort unbeaufsichtigt spielten, sich heimlich eine ! Zigarette ansteckt und das Streichholz leichtsinnig weg- I wirst, könnte ein hübsches Stück Geld in Flammen auf- I gehen. Mit den harzgetränkten Brettern haben sie ja ! geradezu einen Wall von Zündern um den Heuschober ge- ! schaffen!" (Fortsetzung folgt.) I