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I Ihrem Bureau aufgesucht haben. Denn nun muß einge- ; griffen werden!" „Was ist geschehen? Aber vor allem, mein liebes I gnädiges Fräulein, beruhigen Sie sich doch! Sie zittern ja I förmlich vor Erregung! Jetzt — hier — werden Sie sich * doch nicht fürchten, wo ich bei Ihnen bin?" Er nahm unwillkürlich ihre Hand und sie ließ sie ihm. I »Ja," murmelte sie dankbar wie ein verirrtes Kind, das I plötzlich ein schützendes Dach erreicht hat, „ich bin schon ; ruhig. Es ist so gut, daß Sie bei mir sind. Sie wissen gar !» nicht, wie gut!" „Aber was gibt es denn nur? Was versetzt Sie in > diese angstvolle Unruhe?" »Zuerst sagen Sie mir, wie Sie Onkel David fanden?" „Hm, wenn ich ehrlich sein soll, nicht gut. Er sieht sehr I verändert aus und scheint ernstlich krank." „Nicht wahr?" Melanie begann wieder zu zittern. Da- ; bei glitten ihre Augen mit gehetztem Blick zwischen die ent- > laubten Büsche zu -beiden Seiten des Pfades, als wollte sie I sich noch überzeugen, daß auch niemand dort sei, der sie etwa belauschen könnte. Plötzlich beugte sie sich dicht zu Holly und flüsterte kaum hörbar: »Ich glaube, man ver- giftet Onkel David langsam!" Holly prallte zurück und starrte sie wortlos an. Hatten I die Ereignisse der letzten Zeit ihren sonst so klaren Ver- " stand getrübt? Sie aber fuhr hastig und erregt fort: „Sie glauben mir i nicht? Aber wenn ich Ihnen schwöre, daß ich mit meinen I eigenen Augen sah, wie man seinen Nachttrunk heimlich 4 fortgoß und einen anderen dafür zusammenmischte?" Jetzt war Holly doch ernstlich betroffen. „Das haben Sie wirklich gesehen? Wann?" ß „Gestern abend!" * ' „Und wer tat es?" „Posch!" Ihre Erregung teilte sich nun auch Holly mit. I „Wie war es? Bitte, erzählen Sie mir den ganzen Vor- » gang so genau als möglich!" „Das will ich. Dabei muß ich vorausschicken, daß schon 1 während der ganzen letzten Tage eine Verstimmung zwi- I schen Onkel David und mir herrschte, die nun gestern fast ; zu einem Zerwürfnis wurde. Er war so böse auf mich wie " nie zuvor im Leben." „Auf Sie? Wie ist das möglich? Sie waren doch I immer sein Trost und sein Sonnenschein, wie er versicherte! Was haben Sie ihm denn getan?" Melanie wurde dunkelrot. „Das gehört nicht hierher. Genug, es war so. Er ver- ß bot darauf mir und Tante Sabine, die meine Partei ge- z nommen hatte, den Zutritt zu seinen Zimmern; er sagte, » er wolle niemand um sich haben als Posch, und wir sollten I drüben in unserem Flügel tun, was wir wollten." „Aha, jetzt verstehe ich erst seine bitteren Ausfälle, die ; mir vorhin ganz unverständlich waren! Aber daraus ' dürfen Sie sich nichts machen. Er ist eben krank und I reizbar." „Das dachte ich ja auch. Und es tat mir so schrecklich ; leid um ihn und auch, daß alles so kommen mußte. Den ' ganzen Tag quälte ich mich mit Plänen, wie ich ihn, der I sonst immer so gut und zärtlich zu mir gewesen wie ein I zweiter Vater, wieder gutmachen könnte. Am Abend hielt ; ich es nicht länger aus. Nie bin ich schlafen gegangen ohne » seinen Gutenachtkuß und ein freundliches Wort. Und er I war doch krank! Vielleicht reute ihn seine Heftigkeit schon. I Vielleicht wartete auch er heimlich auf meinen Gutengcht- ; kuß. Sollte er so allein und verlaffen drüben liegen, ohne « daß sich jemand von uns um ihn kümmerte? Tante Sabine I lag nämlich mit Migräne zu Bett, und Valentin war bald I nach dem Abendessen nach dem Meierhof geritten, wo er ja ; für gewöhnlich schläft." - „Sie gingen also noch einmal hinüber zu dem Kran- I ken?" „Ja. Ich wollte ihn um Verzeihung bitten. Aber dann z kam ich nur bis in das Vorgemach —" Sie hielt schaudernd inne und fuhr erst auf einen I fragenden Blick Hollys fort: „Sie kennen die Einteilung I drüben, nicht wahr? Vom Vorzimmer kommt man zuerst * in den kleinen Rauchsalon, wo Posch jetzt, seit Onkel » Davids Erkrankung, schläft. .Links davon ist das Arbeits- Z zimmer, rechts Onkel DavidH Schlafgemach." „Das weiß ich. Bitte, fahren Sie fort!" „In dem Vorzimmer steht ein kleines Tischchen, wor auf Fanny täglich gleich nach dem Abendessen Onkel Davids Nachttrunk bereitzustellen hat, damit er die Zim mertemperatur annimmt und nicht zu kalt ist." „Woraus besteht dieser Nachttrunk?" „Aus einer Mischung von zwei Dritteln Gießhübler und einem Drittel leichten Tischwcines. Tante Sabine mischt ihn immer selbst zusammen. Gestern tat ich es an ihrer Statt. Ich hatte Hausschuhe mit Tuchsohlen ange- zögen, ehe ich hinaufging zu Onkel David, um ihn, falls er schon schliefe, nicht etwa zu stören." „War es denn schon so spät?" „Etwas nach zehn Uhr. Ich erwähne die Hausschuhe übrigens nur, damit Sie verstehen, daß mein Eintritt in das Vorzimmer dadurch lautlos wurde. Es befand sich niemand darin, als ich leise die Tür öffnete. Aber die Tür zum Rauchsalon stand offen, und drin stand Posch, das Glas mit Onkel Davids Nachttrunk in der Hand. Ich sah, wie er das Glas einen Augenblick mit seltsamen Blicken betrachtete und dann ganz leise, damit ja kein Geräusch entstehe, in einen Kübel laufen ließ. Dann holte er hinter dem Kamin zwei Flaschen hervor, trocknete das Glas aus und füllte es von neuem, indem er den Inhalt aus beiden Flaschen bedächtig mischte. Er war so vertieft in seine Arbeit, daß es ihm gar nicht einfiel, sich umzusehen, ehe er mit dem Glas in Onkels Schlafzimmer verschwand. Ich aber stand wie erstarrt, wußte nicht, was tch denken sollte, und schlich mich endlich halb bewußtlos nach meinem Zimmer." „Ohne Posch zu fragen, was das bedeuten sollte?" „Ja. Denn einmal, müssen Sie wissen, dachte ich da noch gar nicht an etwas Schlimmes, und dann — ich weiß selbst nicht, wie ich es erklären soll —, aber es packte mich eine unerklärliche Angst, eine Aufregung, die mir fast den Atem nahm. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken, ich hätte keinen Laut über die Lippen gebracht. Und für Onkel David war es ja ohnehin schon zu spät. Wenn Posch ein mal den Nachttrunk in sein Zimmer getragen hat, dann heißt dies, daß er sich bereits zur Ruhe begeben hat. Im Laufe der schlaflos verbrachten Nacht grübelte ich unab lässig über alles nach, über Onkel Davids Erkrankung, Poschs mürrisches, verschlossenes Wesen in der letzten Zeit und das, was ich eben gesehen hatte. Und ich kann mir nichts anderes denken, als —" Sie stockte. „Als daß Posch seinen Herrn vergiften will? Aber warum?" sagte Holly nachdenklich. „Welchen Grund kann er denn haben, an Ihrem Onkel ein Verbrechen zu begehen?" „Davon habe ich keine Ahnung. Aber Sie begreifen nun, nicht wahr, daß ich Ihnen all dies noch heute sagen mußte! Daß sofort etwas geschehen muß! Posch darf nicht länger um Onkel David bleibem" „Darüber kann ich Sie beruhigen. Ihr Onkel hatte vor hin Streit mit Posch, und dieser sagte seinen Dienst auf." „Gottlob! Sie nehmen mir einen Stein vom Herzen. Und er geht doch bald, nicht wahr?" „Ich werde nach dem, was Sie mir soeben mitteilten, dafür sorgen, daß er seinen Dienst schon heute abend auf- gibt. Schade, daß wir nicht wissen, was es mit den beiden Flaschen für eine Bewandtnis hat. Stehenlassen wird er sie schwerlich hinter dem Kamin." Ein flüchtiges Lächeln glitt über Melanies Gesicht. Sie nestelte eifrig an ihrer Tasche und überreichte Holly dann zwei fest verkorkte Fläschchen. „Hier haben Sie Proben von dem Inhalt. Ich habe sie heute morgen, während Posch Onkel ankleidete, heimlich aus den Flaschen entnommen." „Das war eine gute Idee! Ich werde sie sofort unter suchen lassen. Und nun will auch ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, das Sie gewiß ein wenig beruhigen wird. Der neue Kammerdiener, den ich noch heute zu Ihrem Onkel bringen werde, ist ein äußerst geschickter Detektiv. Derselbe, der auch nach dem Mörder Ihres Bruders fahn det. Natürlich darf dies kein Mensch hier im Hause ahnen. Sie aber können sich in jeder Lage fest auf ihn verlaffen und ihn zu Rate ziehen, wenn irgend etwas Sie beun ruhigt." (Fortsetzung folgt.)