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1 Es ist leer, wie Sie sehen. Und ich glaube, dies ist wohl » der schlagendste Beweis für die Richtigkeit Ihrer Ver- . mutung, daß der Mörder nur jener Mann sein kann, den I Ihr Bruder verfolgte. Für niemand sonst konnten die ß Papiere Wert haben. Er aber beging den Mord wahr- » scheinlich nur ihretwegen und warf *as Täschchen, das so » leicht für ihn zum Verräter werden konnte, dann fort. I Wir wissen nun, wer.der Mörder gewesen sein muß, aber I leider haben wir keine Ahnung, wer er ist!" „Was werden Sie nun tun?" „Die ganze Angelegenheit einem tüchtigen Detektiv übergeben und gemeinsam mit ihm nach dem Mörder suchen. Leider können wir dabei auf die Behörde nicht viel zählen, denn wie Sie wissen, hält sie einen Unschuldi gen für Len Täter." —„Und ich? Was soll ich tun?" „Nichts, als weiterhin absolutes Schweigen gegen jedermann beobachten. Ihr Bruder hatte darin gewiß s recht, auch die harmloseste Bemerkung könnte sonst unab sehbares Unheil heraufbeschwören. Sie zweifeln daran und sehen mich ungläubig an?" „Ich kann wenigstens nicht begreifen, warum ich auch > gegen die Familienglieder unbedingt schweigen soll! Wenn man sie ins Vertrauen zöge, könnten sie uns viel leicht doch helfen." „Oder auch schaden. Bedenken Sie doch: da der s Mörder ein Feind Baron Drswendts ist, muß er doch wahrscheinlich auf oder um Wiesental leben. Es kann so gut des Barons Kavrmerdiener oder sonst ein Bediensteter des Schlosses sein als irgendein Nachbar, der unter der ? Maske der Freundschaft auf dem Gute verkehrt!" „Das ist wahr. Aber wie schrecklich, nun gegen jeder- I mann Mißtrauen hegen, auf jedes Wort, jeden Blick achten ' zu müssen!" „Leider kann ich Ihnen dies nicht ersparen. Denn I bedenken Sie auch das: der leiseste Verdacht, Ler dem ! Mörder kommt, daß man hinter ihm her sei, könnte ihn , zu neuen Verbrechen treiben. Ahnten Ihre Verwandten i etwas von der Sachlage, so könnten sie vielleicht nicht alle t willensstark genug sein, um sich so völlig unbefangen zu 1 geben, wie es nötig ist. Ihr Bruder ist gestorben, weil er » zuviel wußte. Wollen Sie die Drewendts und Hergsells » einer gleichen Gefahr aussetzen?" „Gott soll mich behüten! Aber . . ." „Und auch Sie müssen so unbefangen und harmlos » scheinen als möglich," fuhr Holly dringend fort, indem er » Melanies Hände ergriff und ihr besorgt in die schönen I Augen sah. „Die Unruhe, die ich gestern an Ihnen be- I merkte, müssen Sie tapfer bekämpfen, nicht nur im Jnter- " esse unserer Nachforschungen selbst, sondern auch um » Ihretwillen. Sicherlich hat der Mörder zuweilen Gelegen- I heit, Sie zu beobachten, schon aus Furcht, Sie könnten die I Vertraute Ihres Bruders gewesen sein. Lassen Sie ihn I um Gotteswillen nicht ahnen, daß dies in Ler Tat, zum " Teil wenigstens, der Fall war!" Melanie war sehr blaß geworden. Angstvoll starrte I sie den Sprecher an. ! „Aber ich kann mich nicht verstellen," stammelte sie ! endlich hilflos. Ta vergaß der junge Rechtsanwalt alle guten Vor- I sätze, mit denen er gestern eingeschlafen war. „Tun Sie es mir zuliebe!" bat er heiß und dringend, i „Denken Sie daran, Laß ich sonst keine ruhige Minute hätte I bei Tag und Nacht! Sie in Gefahr zu wissen und . . . » nicht einmal schützen zu können davor, das wäre mehr, als » ich ertragen könnte!" „Und Sie? Sind Sie denn nicht auch in Gefahr, I wenn jener Elende erfährt, daß Sie ihm nachspüren?" , murmelte Melanie verstört, ohne ihre Hände zurückzu- ; ziehen oder den Blick loszureißen von dem seinen. „O, ich . . .," dann verstummte er, verwirrt durch I den beschwörenden, gequälten Ausdruck, der plötzlich in ! ihren Augen aufzuckte. Sie wußten es beide nicht mehr, daß sie einander an I den Händen gefaßt hielten, daß ihre Augen eine stumme, j nur zu deutliche Sprache redeten . . . Bis Holly, sich plötzlich besinnend, ihre Hände fallen » ließ und sich hastig am Schreibtisch zu schaffen machte, > während Melanie ebenso hastig aufstand. „Ich muß nun gehen," murmelte sie verlegen und zog rasch den Schleier über das errötende Gesicht. „Man wird mich in Wiesental schon erwarten." „Weiß irgend jemand, daß Sie zu mir wollten?" „Nein. Ich schützte Einkäufe vor." „Das war sehr klug. Und Sie versprechen mir also, vorsichtig zu sein?" „Ja . . . wenn auch S i e es sind!" Noch einmal fanden ihre Blicke sich in raschem, fast ängstlichem Jneinandertauchen. Dann ging Melanie, von dem Anwalt höflich bis an die Außentür begleitet. In dem etwas dunklen Vorzimmer blieb sie noch ein mal stehen, und jetzt zuckte etwas wie leiser Schalk in ihrem Antlitz auf. „Sie kommen bald wieder nach Wiesental, nicht wahr, Dr. Holly? Sie müssen bedenken, daß ich mich dort jetzt furchtbar isoliert fühlen werde und Ihre Gegenwart mir wenigstens für Stunden Trost und Erleichterung be deutet! Wenn wir darüber auch nicht sprechen können, so werde ich es doch in Ihren Augen lesen, daß Sie Anteil an meinen Sorgen nehmen." Er war zu bewegt, um antworten zu können. Stumm zog er ihre Hand an die Lippen und drückte einen Kuß darauf. Neuntes Kapitel. Als die alte Gret Felix Holly am nächsten Morgen zum Frühstück rief, fand er neben seiner Tasse ein verschlossenes Kuvert ohne Aufschrift. „Man hat es soeben für Sie abgegeben," erklärte Gret. Holly öffnete das Billett. Es war von Frau Fernau und lautete: „Soeben, sechs Uhr früh, ist msin Sohn zu rückgekehrt, bedarf aber dringend eiliiger Stunden Schlaf. Kommen Sie, bitte, nicht vor 10 Uhr. Emilie Fernau." Punkt 10 Uhr klingelte Holly an der Fernauschcn Wohnung und wurde sofort zu dem Detektiv geführt, der ihn mit freundlichem Lächeln empfing. „Nun, was gibt's denn, lieber Doktor? Mutter sagte mir, Sie seien recht ungehalten über meine Reise gewesen, obwohl diese ja doch nur in Ihrem Auftrage geschah?" „Ich weiß es. Verzeihen Sie. Aber diese Angelegen heit ist momentan Nebensache geworden. Ich brauche Ihre Hilfe in einem viel dringenderen Fall." „Oho — wo brennt's denn? Aber setzen Sie sich zuerst einmal. Hier sind Zigarren. Es plaudert sich besser dabei." „Es handelt sich um den Mord am Winzerhaus. Sie haben unzweifelhaft gelesen, daß man meinen Freund Nehbach als Täter verhaftet hat!" „Natürlich habe ich alles gelesen, was die Zeitungen brachten. Nur, daß Herr von Rehbach Ihr Freund ist, wußte ich nicht." „Mein bester ist er!" „Schade! Die Angelegenheit dieses Herrn scheint mir recht verzweifelt zu stehen." „Er ist trotzdem unschuldig! Ich weiß es. Ich bin felsenfest davon überzeugt. Und Sie, Herr Fernau, müssen es beweisen und ihm heraushelfen!" Ein Schatten flog über die hohe Stirn des Detektivs und seine Miene wurde merklich reservierter. „Verzeihen Sie," bemerkte er dann kühl, „ich bin momentan ganz mit dem Aufsuchen Drewendtscher Erben beschäftigt, so daß mir, obwohl ich Ihnen ja sehr gern ge fällig sein möchte, keine Zeit bleibt, einen zweiten Fall zu übernehmen." „Das heißt — Sie wollen nicht! Denn die Drewendt- schen Erben sind doch nur eine Ausrede, lieber Fernau. Sie müssen sich doch selbst sagen, daß, wo es sich um die Rettung eines Menschenlebens handelt, es nicht darauf ankommen kann, ob Baron Drewendt einige Wochen früher oder später Aufklärung über das Schicksal seines verschollenen Sohnes erhält. Sagen Sie es also lieber offen — Sie haben noch einen anderen Grund, meine Bitte abzulehnen." „Gut. Da Sie es erraten haben, will ich Ihnen den selben auch nicht länger vorenthalten. Ich helfe prinzipiell nur Leuten heraus, die ich selbst mit gutem Gewissen für unschuldig halten kann. Dies aber ist hier nicht der Fall." „Aber wenn ich Ihnen versichere . . ." (Fortsetzung folgt.)