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warten, hatte Tante Julie herausgesprudelt: „Nein, Vikychen, so ein Glück, so ein Glück, so ein Glück! Ich ge steh's ja offen, als ich dich für diese Saison einlud, hegte knappen Verhältnissen. Aber du sagst )a gar nichts, Viky?" Da hatte sie erwidert: „Du läßt mich ja gar nicht zu Wort kommen, Tante Julie. Und ich bin auch sehr überrascht. Ich habe wohl bemerkt, daß der Kommerzienrat aufmerk sam gegen mich war, aber an etwas Ernstliches — nein, daran dacht' ich nicht. Und ich muß mir das doch auch erst überlegen —" „Überlegen? Aber Kind, da ist doch nichts zu über legen! Oder sollte dir der Kommerzienrat unangenehm sein?" „Nein, gewiß nicht. Er ist mir ganz sympathisch, nur —" „Dann gibt's doch kein „Nur", Herzchen. Also, ich wünsch' dir von Herzen Glück, Vikychen! Und deine liebe, arme Mama, die so viel durchgemacht hat, und deine Brüder, und die Kleine — wie werden sie sich freuen über ein so unerhörtes Glück!" Am anderen Mittag kam der Kommerzienrat. Und sie wurde seine Braut. Normann sagte ihr, daß er den Wunsch habe, seinem Haus wieder eine Herrin zu geben, daß ihre Persönlichkeit ihm gleich beim ersten Kennen lernen außerordentlich gefallen habe. Auch ihr Name — er hege, wenn auch selbst noch bürgerlich, eine aufrichtige Hochachtung für die Geburtsaristokratie. Ihr Name sei ihm von vornherein eine Garantie, daß er in ihr eine ge eignete Repräsentantin seines Hauses finden würde. „Darf ich hoffen, mein gnädiges Fräulein, daß mein Wunsch Gehör findet?" so hatte er geschlossen. Und sie hatte ihm ihr Jawort gegeben. Er hatte ihr die Hand geküßt und gesagt, er sei nicht für einen langen Braut stand. In vier Wochen könne wohl alles geordnet sein. Er hatte auch gleich die Anzeigen bestellen und verschicken wollen, aber sie hatte ihn gebeten, damit noch zu warten, bis sie zu Hause angekommen sei und ihrer Mutier Mit teilung gemacht habe. Am dritten Tage nach der Ver lobung reiste sie. Am nächsten Sonntag wollte er kommen und sich der Mutter vorstellen. Erfurt war erreicht, und nach einer Viertelstunde Auf enthalt nahm Viktoria im Frauenabteil dritter Klasse Platz. Hu, wie häßlich das war! Ihr gegenüber saß eine dicke Bauernfrau mit einem Kind aus dem Schoß. Das Gesicht der Kleinen war mit Pickeln bedeckt, und sie lutschte an einem klebrigen Bonbon. Aus dem Handkorb der Frau kam starker Käseduft. Neben Viktoria hatte ein altes Mütterchen Platz genommen, das immerfort fragte, wo man sei, und ob man nicht bald umsteigen müsse. Dabei faßte sie Viktoria stets an den Ärmel. Viktoria stellte sich schließlich schlafend und überlegte mit einem wahren Wohl gefühl, daß sie niemals wieder gezwungen sein würde, in solcher Gesellschaft zu reisen. Entweder Auto oder erster Klasse. Ja, Tante Julie hatte recht, es war ein kolossales Glück, das ihr geworden! Viktoria atmete auf, als sie endlich ihr Ziel erreicht hatte. Mit Herzklopfen überschaute sie den Bahnsteig: Mutter war nicht da, nur die Kleine, die Gunild. Wie prächtig das Mädel aussah! Wie eine Rose blühte sic, und die blauen Augen leuchteten unter der billigen Sportmütze, die aus dem reichen Blondhaar saß. Und nun entdeckte sie die Schwester, und man sah, wie sie vor Erwartung brannte. Aber natürlich, eine Bahnsteigkarte hatte Mutt chen nicht gestattet. Viktoria von Wengern liebte die kleine Schwester, wie sie die 19jährige immer noch nannte, mit einer ganz beson deren, fast mütterlichen Liebe. Gunild war elf Jahre jünger als sie, und sie hatte Len Vater kaum, die Mutter eigentlich nur als niedergedrückte Witwe kcnnengelernt. Viktoria war's immer, als müsse sie der Kleinen das zu ersetzen suchen, was sie selbst in den Glanzzeiten der Fa milie, die mit des Vaters jähem Tod einen plötzlichen Ab schluß fanden, genossen hatte. Auch jetzt wollte es warm in ihr auf, als sie Gunild erblickte, und sie ließ sogar den Orchidecnstrauß liegen über der Freude des Wiedersehens. Liebe kleine Gunild! Die Schwestern glichen sich sehr, nur war Viktoria niemals so strahlend schön gewesen wie Gunild, und ihre Wangen hatten längst nicht mehr die weiche Rundung. (Schluß folgt.) i ich die stille Hoffnung, man könnte dir eine passende Partie i — nun ja, du bist doch in einem Alter, daß man vernünftig ! darüber sprechen kann, nicht wahr? Ich dachte an den I Landgerichtsrat Trommer oder an Professor Krusellius. Glück. Skizze von Betty Rittweger. (Nachdruck verboten.) Viktoria von Wengern war wie im Traum. War sie das wirklich, die in einem Abteil erster Klasse saß? Und i Ler Strauß kostbarer Orchideen da oben im Netz, war es I wirklich ihr Eigentum? Die letzte Aufmerksamkeit ihres i Bräutigams, Les Kommerzienrats Normann? Nein, nicht ; die letzte; die letzte war die Fahrkarte erster Klasse. „Ich i darf dir doch die Karte besorgen?" hatte er gesagt. Man I hatte kaum noch Zeit zum Abschiednehmen. Die Ver- i wandten wollten doch auch berücksichtigt sein. Als Viktoria ; bemerkte, daß sie in einem Abteil erster Klaffe saß, hatte sie i einen Blick auf Lie Karte in ihrer Hand geworfen und dem I Kommerzienrat zngerufen: „Aber ich bitte dich: erster — I das war doch wirklich nicht —" „Laß nur, Viky — ich fahre stets erster. Da ist's doch > selbstverständlich, daß du nicht zweiter —" Der Zug hatte j sich in diesem Augenblick in Bewegung gesetzt. Noch ein » Winken und Grüßen. Daß man auch dritter Klaffe reisen I könne, hatte ihr. nun ja, ihr Bräutigam — sie mußte sich I wirklich abgewöhnen, ihn immer nur mit seinem Titel zu j nennen in ihren Gedanken — daran hatte Rudolf Nor- , mann offenbar gar nicht gedacht. Aber die letzte Strecke ! von Erfurt aus würde sie's doch tun müssen. Sie hatte nur i noch ein paar Mark im Besitz. Tante Julie, eine Kusine I ihrer Mutter übrigens, war ja sehr freigebig gewesen, . hatte ihr Handschuhe, Schleier, Theaterbillette und allerlei ! sonst geschenkt, aber siatürkich kein bares Geld. Doch I selbst, wenn sie auch reichlicher versehen gewesen wäre, I überlegte Viktoria, würde sie doch am liebsten dritter - Klasse ankommcn. Am Ende war Mutter an der Bahn, ! es war ein so schöner Tag heute, und sie und Gunild hatten k ja noch keine Ahnung. Mutter würde einen Schreck be- > kommen, wenn sie zweiter Klasse ankam, und sofort über- » legen, was man für dieses Mehr hätte anschaffen können. ! Am angenehmsten wär's, wenn nur Gunild zum Empfang I erschiene, die kleine Schwester; dann konnte sie der erst das I große Ereignis berichten. Noch war ihr selbst alles so ; neu, so fremd. Ja, fremd. Der Gedanke, daß sie Braut, » war ihr fremd; der Mann, dem sie in vier Wochen ange- I hören sollte, war ihr fremd, und die großartigen Verhält- l nisse, in die sie eintreten würde — ja, auch daran mußte ; man sich erst gewöhnen. Während dieser Fahrt empfand Viktoria von Wengern I zum erstenmal etwas wärmer sür ihren Verlobten.' Sie I war ihm dankbar, von Herzen dankbar, und die Aussicht, ! daß diese Fahrt erster Klasse nur der Anfang eines ange- ! nehmen, sorglosen Daseins war, erfüllte sie mit einer i Freude, vor der sie fast erschrak. Das durfte doch eigentlich > nicht das Wichtigste sein bei einem Bund fürs Leben! » Viktoria wurde rot bei dem Gedanken. Sie liebte Rudolf ! Normann nicht, er war ihr bis jetzt eigentlich ganz gleich- I gültig gewesen. Hätte sie nicht doch „nein" sagen müssen, » als er um sie warb? Aber dazu hatte sie nicht die Kraft » gefunden. Tante Julie war eines Abends, als man eben ! aus einer Gesellschaft zurückgekehrt war, freudestrahlend > zu ihr ins Schlafzimmer gekommen und hatte ihr ver- ; kündigt, daß Kommerzienrat Normann sie gebeten habe, » ihr Mitteilung von seinen Wünschen zu machen, auf die i sie wohl schon vorbereitet sei. Ohne eine Antwort abzu- » Daß der Kommerzienrat — nein, daran hüll' ich nicht zu 1 denken gewagt. Eine solche glanzvolle Partie! Witwer, ! nun ja, aber kinderlos, und noch ein Mann in den besten 4 Jahren, und das enorme Vermögen! Er sieht auch noch sehr gut aus. Ich finde, ihr paßt vorzüglich zueinander. Wenn Lu erst sein Haus siehst, großartig, alles hochherr schaftlich und vollständig eingerichtet. Silber komplett sür vierzig Personen — du brauchst nicht 'mal 'ne Ausstattung. Nur Garderobe und Leibwäsche. Wie angenehm bei euren