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HohmstemEmstthaler Tageblallun-Lnjeiger Beilage Montag, den 10. August 1925 Nr. 184 Sächsisches Hohenstein-Ernstthal, 10. Aug. 1V25 Eine geschichtliche Erinnerung Im Jahre 1505 mutzte einer meiner Vorfahren, Ambrosius von Jenkwitz, Rat der Stadt Breslau, dem ehrbaren Rate geloben, in 14 Tagen 1 Mark s— 334 Gramm Silber) aufzulegen, „daum, dah er in der Ratssitzung im grymme off den Tisch geschla gen und aus eigener Bewegnis off gestanden und von dannen gegangen ist". (Ratsarchiv der Stadt Breslau. Hs. E. 5,64). Wie hoch würde es wohl der ehrbare Nat des mittelalterlichen Breslau geahndet haben, wenn das Mitglied einer gesetzgebenden Ver sammlung statt auf den Tisch „im grymme" auf einen seiner Kollegen geschlagen hätte, von wörtlichen Be leidigungen und Störungen der Verhandlungen ganz zu schweigen? Wenn alle Mitglieder einer gesetz gebenden Versammlung in ähnlicher Weise geahn det würden, welche „osfstehen und aus eigener Be wegnis von dannen gehen", so könnte dadurch bei der fortgesetzten Leere der Sitzungssäle ein erheblicher Betrag der Vcrwaltungskosten dieser Versammlun gen gedeckt werden. Die so viel gerühmte „Kultur" hat in unseren Tagen ungeahnt herrliche Fortschritte gemacht. Gras Posadowsky. —* Die Deutsche Jugcndsürsorge in Böhmen hat in zahlreichen Bezirken die Hauspslcge in diesem Jahre erstmals und versuchsweise eingcführt und da mit die besten Erfahrungen gemacht. Die Hauspsle- gcrin ist keine Krankenpflegerin. Ihr fällt vielmehr vorübergehend die Aufgabe zu, auch den Haushalt zu führen, wenn die Mutter erkrankt und der Haushalt in Verwirrung gerät. Namentlich bei Entbindungen, oder wenn die Mutter im Spital liegt, erwachsen der Hauspflegerin grobe Aufgaben, die Klein kinder zu betreuen, den schulpflichtigen die Mahlzeit rechtzeitig zu reichen, die Wäsche zu waschen. Sie nimmt dem Vater die Sorgen für den Haushalt ab und hat in den Haus halten freie Station. Die Entlohnung erfolgt durch die Bczirkssürsorge, die cs der Einsicht der Familien nnheimstellt, einen angemesseneren Beitrag zu lei sten. Ganz armen Familien wird sogar die Ver köstigung erlassen. Auch sonst sind die Hauspflege- rinncn in der Freizeit beschäftigt, Wohnungsmibvcr- hältnisse zu erkunden, den Schulärzten an die Hand zu gehen, bei der Auswahl solcher Kinder zu helfen, die für Ferienkolonien usw. in Frage kommen. —* Die deutschen Lrüstcnorte melden das An- kommen riesiaer Massenzngc von Schmetter- linge» und zwar von Kohlweißlingen, die auf hoher See beobachtet werden. Die Vortrupps sind bereits landeinwärts gezogen und flattern überall in Norddeutschland in unübersehbaren Mengen über Wiesen und Felder. Der Kohlernte droht die Vernichtung, da die Kohlweißlinge ihre Eier massenweise in jede Pstanze legen und aus jedem Ei schon nach wenigen Tagen eine schnell- wachsende Raupe schlüpft, die ihr Vernichtungs- merk sofort beginnt. — Lugau, 9. August. Am Donnerstag abend wurde der Arbeiter W. von hier von einem anderen Arbeiter dabei ertappt, als ersterer ein hiesiges 13- jährigcs Mädchen im Psarrwald vergewaltigen wollte. Die Sache ist bereits der Polizei übergeben. — Dresden, g. August. Der 49jährige Juwelier Schmid hat sich in feiner Werkstatt am Rathenauplatz erhängt. Er war einer der beiden Ankäufer von Gold, däs von Leichen aus dem Dresdner Kremato rium stammte. — Am gleichen Tag ereigneten sich noch zwei weitere Selbstmorde. Ein 18jähriger Ar beiter stürzte sich von einem Gerüst am Vismarckplatz zwei Stockwerk tief hinunter und wurde in schwer verletztem Zustand ins Krankenhaus geschasst. — In seiner Wohnung in der Niedcrwaldstratze erschoß sich ein 55jähriger Kreditvereinsdirektor. Er starb in, Krankenhaus. Es handelt sich um Dr. Ritthausen, der wohl infolge Herzkrankheit und Nervosität die Tat begangen hat. — Schandau, 9. August. In Schmilka hat der Gemeinderat, um die ander Elbe gelegenen Wiesen vor dem Zertretenwerden seitens der Badenden zu schützen, an den Wiesenecken Warnungstafeln aufrichten lassen, die in fetter Schrift verkünden: „Das Betreten dieser Wiese ist nur dem Rindvieh gestattet." — Oybin, 9. August. Hier tauchte, von Süd osten kommend, ein Geschwader von 6 Flugzeu gen in unmittelbarer Nähe der Grenze am Him mel auf. Allem Anscheine nach handelt es sich um eine Flugzeugstaffel der tschechischen Armee, die jetzt an der sächsisch-tschechischen Grenze ihre Manöver abhält. Die große Höhe, in der sich die Flugzeuge befanden, ließ eine genaue Fest stellung ihre Nationalität nicht erkenne». Die Flieger entfernten sich in südlicher Richtung nach Gabel in Böhmen zu. Ihre Exkursion über die sächsische Grenze dürfte noch ein politisches Nach spiel haben. — Weitzenbcrg, 9. August. Hier geriet der 8jäh- rige Sohn des Gutsbesitzers Zuschke auf Ortsteil Feldkaiser beim Spielen in die Welle der Dresch maschine, wurde mehrfach hcrumgeschleudert und er litt so schwere Verletzungen, datz er bald darauf ver starb. — Görlitz, 9. August. In der letzten Vorstellung des Zirkus Barnumbrach ein Teil der Zuschauertri büne ein, wobei fünf Personen verletzt wurden. Eine Frau erlitt bei dem Unfall derart schwere Verletzun gen, daß sie mit einem Auto in ihre Wohnung ge bracht werden mußte. — Pößneck, 9. August. Eine originelle Fcricnrcise unternimmt, so ist im „Pößnecker Tageblatt" zu lesen, gegenwärtig ein Oberlehrer aus Gotha. Von seinen acht Kindern hat er fünf auf den Handwagen geladen und ist damit losgczogen. Die Fuhre ging über Er furt—Weimar—Jena und berührte dieser Tage auch Pößneck, wo der unternehmungslustige Oberlehrer einen Kriegskameraden besuchte. Dann gings über Saalfeld—Probstzella ins Bayrische. Die originelle Fuhre, die wahrscheinlich „ohne Konkurrenz" erfolgt, begegnet natürlich allenthalben Interesse. — Teplitz, 9. August. Bei der Feier des Gründungsfestes der Ortsgruppe des B. d. D. i. B. in Webeschan bei Teplitz wurden neun Perso nen, hiervon fünf schwer, durch einen Blitzschlag betäubt. Die herbcigerufenen Aerzte konstatierten Lähmungen nnd Brandwunden. Gleichzeitig mit dem Blitzschläge am Festplatzc gingen auf den Festzug derartige Ncgcnmassen nieder, daß eine Panik entstand, da auch zur selben Zeit ein zwei ter Blitz, sechs bis acht Meter vom Feitzuge ent fernt, in die Bahnleitung längs der Straße We beschan—Ratsch also im Freien, einschlug. Mit Rücksicht auf diese Unfälle wurde das Fest abge sagt. Die Bachmotette Erzählung von Kurt K e ß l e r-Ossagk Ueber Eisenachs winterverschneiten Dächern stand groß und schweigend die Nacht. Nur das Kreuz der Wartburg leuchtete am Sternenhim mel. Andächtige Schauer schlugen bei dem An blick des flammenden Wahrzeichens in den Un zähligen auf, die heute ihre Schritte der Stadt kirche zulenkten. Dort sollte wieder eine der üblichen, doch sel tenen geistlichen Abendfeiern die Zuhörer auf Stunden hinausheben über Zeit und Raum, über die Sorgen des Alltags in das Erhabene, Göttliche. Diesmal hatte sich der anerkannte Chor unter seinem berühmten Leiter neben dem nicht min der vollendeten Künstler-Organisten die große Bachmotette mit Orgelbegleitung^ zum Vortrag ausersehen. Bis auf den letzten Platz war der weite Naum gefüllt, der in halbverhiilltem Licht Größe und Heiligkeit atmete. Dumpf «erzitterte der Elok- ken selten tiefer Klang, von dem die Schar der Gläubigen gewohnt war, daß aus ihm mit wun derferner Stimme der Orgelton aufdämmerte. Doch still bliebs heute auf dem Chor. Ver gebens harrte die Menge auf den Einsatz der Orgel. Da mußte irgend etwas vorgefallen sein! Und schon eilte nach wenigen Sekunden der Küster durch das Mittelschiff zur Sakristei. Atemlos berichtete er dem dort weilenden Ober pfarrer, der die Abendpredigt hielt: „Hochwür den! Joachim, der Organist, ist noch nicht er schienen!" In demselben Augenblick wurde die äußere Sakristeitür aufgerissen, und herein stürzte ein Bote. Verlegen drehte er die Mütze zwischen beiden Händen: „Hochwürden! — Der Herr Joachim — er — ihm ist ein Mißgeschick wider fahren. Ein Notenblatt war unter seinen Schreibtisch geflattert, und als er es ausheben wollte, da — da hat er sich — das Tintenfaß über Gesicht und Frack — und er würde wohl nicht . ." „Genug!" schnitt der Oberpfarrer, der ein Lächeln nicht unterdrücken konnte, dem Boten das Wort ab, „dann müssen wir sehen, wie zu Helsen ist!" Und mit festen Schritten trat er hinaus an den Altar. Dort verkündete er, daß der Orga nist durch ein Mißgeschick am Kommen v-'rhin- dert sei, ob sich jemand bereit fände, für ihn einzuspringen. Still bliebs! — Wer konnte auch wagen, die schwierige Orgelpartie so ohne weiteres zu über nehmen! Plötzlich aber drängte einer durch die Re'hen. „Ein Fremder," flüsterte es in den Bänken. Nasch eilte d?r Unbekannte die Treppe zur Orgel empor. Mit seltsam schimmernden Augen trat er zu dem Chorleiter: „Ich wills versuchen, die Orgel zu spielen'" Mißtrauisch glitt des Angeredeten Blick über den vor ihm Stehenden. Der sah nicht wir ein Künstler aus mit seiner flatternden Haarn ahne! Eher wie ein hergewanderter Handwerksbursche! Aber was blieb zu tun! Schon begann der Oberpfarrer seine Ansprache mit tief verinner lichtem Wort. — So mußte er wohl oder übel dem neu?» Or ganisten die Noten reichen. Der prüfte mit tastenden Händen die Register. Ob ihn nicht selbst ein Unbehagen beschlich?! Mit gedankentiefem Spruch klang die Pre digt aus.. . Nun nahte die Entscheidung. In geheimem Grauen stellte der Leiter den Chor. Noch ein mal eilte sein Blick nach der Orgel . . . Sein Herzschlag drohte zu stocken: Der Orgel part war noch nicht aufgeschlagen. Und welche Register hatte der Kerl gar gezogen! — Zu spät wars, um helfend einzugreifcn. Mit wuchtigem Akkord setzte die Orgel ein. Und da! Der Chorführer stand und starrte nach dem, der dort ohne Noten in vollendeter Weise das Vorspiel aufperlen ließ! Töne quollen aus geheimnisvollem Innern, jauchzten auf und tropften nieder gleich flüssi gem Gold, brandeten wie die brausende Meeres flut und schluchzten wie nächt'ger Nachtigallen ruf. In stummer Ergriffenheit lauschten die Zu hörer und spürten im Atmen der Lichter Ewiges herniederschreiten. Und als dann der Chor die Führung über nahm, variierte die Orgel in nie gehörten Wun derakkorden. Das blühte und leuchtete und verdämmerte wie fernster Glockenton. Die Feier war zu Ende. Wie ein Gebet lag es über den Dielen, die den Ausgängen zustrebten. Jeder wollte den gottbegnadeten Orgelkünstler sehen. Der aber war längst versckwunden. Während auf seine Bitten hin der Chorleiter das Ausgangslied spielte, hatte er rasch den Chor verlassen. . . Wars den Heimwandcrndcn nicht, als ob das Kreuz der Wartburg emporstrebte, aufwuchs in den flimmernden Sternenhimmel zur Höhe, zum Licht?! Eine seltsame Nachricht, die doch alles sagte, erhielt der Chorführer nach einiger Zeit. In sein Haus flatterten die Zeilen: Hoffentlich hat mein Orgelspiel in der Bach motette gefallen! Bestens grüßend Johann Seb. Bach, Hoforganist. ÄebsnsManzen Ein Kaufmannsroman Von Julius Eduard M ü,l l e r 24s (Nachdruck verboten) „Ich kann mich erinnern, Sie gestern zusammen In Wunsiedel gesehen zu haben." „Dann haben Sie recht gesehen. Wir sind eigentlich auf ganz merkwürdige Weise dahin ge kommen. Am Vormittag hatten wir einen klei neren Spaziergang in der näheren Umgebung des Bades gemacht und dabei einen Ausflug nach Markt Nedwitz für den Nachmit tag verabredet. Plötzlich kam sie auf mein Zim mer und machte den Vorschlag, wir wollten lie ber nach Wunsiedel fahren. Auf meine Frage, was sie zur Aenderung unseres Planes bewogen habe, meinte sie nur, sie verspüre mit einem Male eine eigentümliche Sehnsucht nach der Ge- buctsstadt Jean Pauls; sie habe das Empfinden, als müsse sie dort etwas besonderes erleben. .Also auf Abenteuer willst du gewissermaßen aus gehen?' fragte ich scherzend. ,Das nicht,' ent gegnete sie mit sonderbarem Ernst, ..aber man kann nicht wissen '. So fuhren wir nach Einsiedel. Das besondere Erlebnis blieb aus. Als ich sie deshalb necken wollte, erwiderte sie nichts, sondern bemerkte nur ganz unvermit telt: Morgen früh wandern wir nach der Kös- seine.' Daß sie bei dieser Partie fast ums Le ben gekommen wäre, hat sie wohl nicht geahnt." Frau Dr. Riedinger hatte das alles in halb scherzendem Tone erzählt, ohne zu ahnen, wie erschütternd diese Erzählung auf ihren Zuhörer gewirkt hatte. Dieser wurde einer Antwort enthoben durch den Eintritt des Baders aus Wurmsloh, eines biederen Dorfbabiers, der sich mit Instrumenten und Verbandszeug durch den Regen heraufge arbeitet hatte. Er fand zu seinen Verdruß nur wenig Gelegenheit zur Ausübung seiner Kunst. Die Verunglückte hatte sich fast vollständig er holt und befand sich bei vollem Bewußtsein. Nur eine allgemeine Mattigkeit und etwas Kopf schmerzen waren als Folgen des Unfalls zurück geblieben. Der Dorfbader hatte es sich aber trotzdem nicht nehmen lassen, um die leicht ver letzte Stelle einen dicken Verband zu legen, wor auf er sich mit seinem reichlich bemessenen Hono rar wieder den Berg hinabgetrollt hatte. Kaum war er aus dem Zimmer der Damen verschwunden, als die Patientin die unheimliche Bandage herabrieß und auf einen neben dem Bett stehenden Stuhl warf. „Ich glaube, der Herr Sanitätsrat aus Wurmsloh hätte sich die Mühe sparen können, die er auf das Verbinden verwendet hat," sagte sie lächelnd zu der am Bett sitzenden Freundin. „Die furchtbare Wunde wird wohl auch ohne dies heilen. Immerhin," fügte sie wieder ernst hinzu hinzu, „ist es eine sonderbare Sache, zu denken, daß man um Haaresbreite am Grabe vorbeigeschlüpft ist. Das „Media in vita morte sumus" ist und bleibt doch etwas Furchtbares." „Du hast recht," encgegnete die Freundin, sbensalls in tiefstem Ernst, „und es würde noch viel furchtbarer sein, wenn ihm der Mensch nicht seinen grenzenlosen Leichtsinn entgegenstsllte. Welch leichtsinnige Geschöpfe wir sind, zeigt sich schon darin, daß wir die gräßliche Lage, in der wir uns nach dem verhängnisvollen Blitzschlag befanden, schon wieder zu vergessen beginnen. Es war fürchterlich — du bewußtlos und ich ratlos in dem von rasendem Unwetter durchtob ten einsamen Eebirgswald. Der junge Mann, von dem ich dir erzählte, ist tatsächlich unser Netter gewesen. Es war bewundernswert, in welch aufopfernder Weise er sich um uns bemüht hat. Uebrigens läßt er sich dir bestens empfehlen und baldige völlige Genesung wünschen." „Solche selbstlose Menschen sind selten," sagte Lea nachdenklich. „Ich möchte ihm doch gern persönlich danken." „Dazu wirst du kaum Gelegenheit finden, denn er hat mir angedeutet, daß er spätestens morgen in aller Herrgottsfrühe weiter wandern will." „Dann stehe ich jetzt auf und erfülle meine Dankespflicht. Würdest du vielleicht so lie benswürdig sein und mir meine Kleider aus der Küche hsraufbcsorgen?" „Recht gern, du Liebe, wenn du dich kräftig genug fühlst aufzustehen. Du mußt es am besten selbst fühlen." . Damit verschwand Frau Dr. Rie dinger und ging nach der Küche. Dort war die Wirtin eben damit beschäftigt, die allmählich trocken gewordenen Kleider etwas auszubügeln. Die Gewitter hatten sich ausgctobt. Der Him mel war wolkenlos; die Sonne überglutete kurz vor ihrem Scheiden noch einmal alles mit pur purnem Schein. Hans Hosfmann, der seine inzwischen trocken gewordenen Kleider wieder angezogen hatte, stand am Fenster und sah hinaus in die Weite. Die Schönbeiten der Landschaft ließen sein Ge müt, das sonst so empfindsam dafür war, unbe rührt; er rang mit einem schweren Entschluß. All sein Wünschen und Sehnen drängte ihn nach einem nochmaligen Wiedersehen mit der Jugend- geliebtcn, drängte nach einer Aussprache mit ihr. Der kühle Verstand wehrte sich gegen dieses Ver langen. Hans war sich darüber klar, daß eine Aussprache mit Lea ihn nur noch tiefer in den alten Vann verfallen ließ, daß er noch schwerer an dem Schmerz um das Verlorene würde zu tragen haben als bisher. Endlich war sein Entschluß gefaßt. Noch heute wollte er hinunter wandern ins Tal an die Kleinbahn nach Holenbrunn und dort den letzten Zug zu erreichen suchen. In einigen Tagen konnte er wieder in Schwe den sein. j Er ließ sich zwei Ansichtskarten geben. Die eine schrieb er an Georg Tänzer, kündigte diesem kurz seine baldige Rückkehr an und bat ihn, herz liche Grüße an Lydia Uhlenhorst zu bestellen. Auf die zweite schrieb er folgendes: Lea! Ich war so glücklich, Dir in diesem Leben noch einmal einen Dienst erweisen zu können " Er ließ den Bleistift sinken. Sein Herz drängte ihn, seinem zärtlich wehmütigen Emp finden Ausdruck zu verleihen. Aber er unter drückte dieses Verlangen. „Mit den freundlichen Grüßen," so schrieb Hans rasch weiter, „verbinde ich den Wunsch, daß der Unfall keine nachteiligen Folgen für Deine Gesundheit haben möge. Hans Hoffmann." Er steckte diese Karte in einen Umschlag, schrieb die Adresse darauf und bat die Wirtin, diesen Brief der von dem Unglücksfall betroffe nen Dams zu übergeben, nachdem er das Haus verlassen habe. Dann bezahlte er seine Zeche, nahm seinen Rucksack auf und suchte nach seinem Stock. Währenddessen hatte sich die Tür geöffnet, und die beiden Damen traten herein. Hans hatte im Eifer des Suchens das Oeff- nen der Tür nicht wahrgenommen; erst als die Damen ziemlich dicht hinter ihm standen, blickte er sich um. „Sie scheinen sich wirklich dem Danke unserer lieben " begann Frau Dr. Riedinger, hielt aber dann plötzlich inne und sah erstaunt bald ihre Freundin, bald Hans Hoffmann an. Was war das? Sie standen sich gegenüber, als wären sie zu Salzsäulen erstarrt. „Du — Hans?!" brach Lea endlich das pein liche Schweigen; sie sprach es mit bebender Stimme und suchte dabei Halt an dem neben ihr stehenden Tisch. „Ja, Lea, ich bin es," erwiderte er. (Fortsetzung folgt.)