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Hohenstein-Ernstthaler Zeitung, Nachrichten und Neueste Nachrichten Generalanzeiger für Hohenstein-Ernstthal mit Hüttengrund, Oberlungwitz, Gersdorf, Hermsdorf, Bernsdorf, RüLdorf, Langenberg, Meinsdorf, Falken, Langenchursdorf, Neichen bach, Callenberg, Grumbach, Tirschheim, Kuhschnappel, Ct. Egidien, Wüstenbrand, Grüna, Mittelbach, Ursprung, Kirchberg, Erlbach, Pleißa und Nußdorf, Dieses Blatt enthält die amtlichen Bekanntmachungen des Amtsgerichts, Finanzamts und des StadtratS zu Hohenstein-Ernstthal, sowie Ler Behörden der umliegenden Ortschaften. Druck und Verlag von Dr. Alban Frisch. Verantwortlich für die Echristleitung Dr. Erich Frisch, für die Anzeigen Otto Koch. j 75. Hahrg M.179 Dienstag, den 4. August 1925 s WiMkweilm« gut! Wie lange noch? W. Ech. beigegeben worden fei. <r vorwärts, weiter, immer weiter. Bald ist sie am Ziel. Ein schwacher Hoffnungsschimmer gleitet über manches Gesicht. Das Vaterland winkt. Wie werden die Unterkunftsmöglichkeiten sein? Die Verpflegung, wann und wo wird es Arbeit geben? ... Grau und düster ist die Zukunft. Die Bremsen schleifen, Räder knarren, ruckend hält der Zug. Der Schaffner schreit: „Echneide- mühl! Alles aussteigen!" Die Vertriebenen stehen und warten zwischen Körben, Koffern, Kisten und Säcken. Stampfend fährt der Eiiterzug zurück, dahin, woher er ge- kommen, um Menschen zu holen, seltsames Stück wohl in letzter Linie oder überhaupt nicht in Frage kommt. Ich denke da z. B. an B e a m t e von Banken oder kaufmännische Ange stellte, denen wir keine Arbeit vermitteln können, weil hier in diesen Berufen alles über füllt ist. Der Abtransport erfolgt noch in dieser Woche, so daß sich der Lagerocstand um etwa 2000, also aus 3000 herabsetzen dürfte. Wir haben in der Besprechung mit den Regierungsvertretern fest gelegt, daß in der Nähe von Schneidemühl ein Kinderheim fertiggestellt werden soll, das ungefähr 500 Kinder aufnehmen kann. Das Ge bäude soll massiv errichtet werden, so Last es auch späterhin als Kinderheim verwendet werden kann. Wenn Lie Lagerbestände auf etwa 2500 zurückgegangen sein werden, wird der Zustand nicht mehr so unangenehm sein, wie er jetzt ist. Wir werden insbesondere dafür sorgen, daß die Schlafgelegenheit besser wird. Es werden heute noch 800 Decken aus Berlin eintreffen und wenn sie nicht ausreichen sollten, werden weitere aus Stettin und anderen Orten ange fordert werden. Es wird weiter dafür gesorgt werden, daß die Verpflegung verbes sert wird durch den Einbau von vier Koch kesseln. Es ist auch notwendig, daß die feuer polizeilichen Vorschriften besser beachtet werden. Es wäre garnicht auszudenken, was sür eine Panik entstehen würde, wenn hier einmal ein Brand ausbräche. Oberst von Engelin wird da- ür Sorge tragen, daß die Feuerpolizeilichen Vorschriften durch Aushang bekannt gegeben werden und daß man sie beachtet. Es werden nicht nur die kranken Kinder, sondern überhaupt alle Kranken in die Krankenhäuser der umliegenden Kreise gebracht werden. Mein be- onderer Dank gilt dem Leiter des Lagers, Oberst von Engelin, und dem Direktor Zirkel von der Arbeitsvermittlungsstelle sür ihre be- onders aufopferungsvolle Tätigkeit, was »ch Sie zum Ausdruck zu bringen bitte. . ständen nicht genügend Einfluß hak, um seinen Willen zur Geltung zu bringen. Hierbei muh in Betracht gezogen werden, dah das 'üddeutsche Zentrum, namentlich das in Württemberg, darauf dringt, eine Wiederannäherung an die Bayrische Volkspartei zu voll ziehen. Das Ziel dieser Zentrumskreife geht so gar dahin, im Reichstag eine Arbeitsge meinschaft zwischen den beiden Fraktionen herbeizuführen, so dah dadurch die Zentrums fraktion annähernd soviel Stimmen erhalten würde wie die Deutschnationalen, die mit ihren 110 Mandaten die stärkste der Regierungspar teien darstellt. Die demokratische Linke im Reichstag verfolgt die Vorgänge im Zentrum mit wachsender Be unruhigung und sucht neuerdings die Zentrums- Politiker dadurch zu beunruhigen, dah sie eine schroffe antiklerikale Politik ankündigt. Einige Linksblätter beginnen bereits mit einer zcn- trumsfeindlichen Propaganda, indem sie von. einem Bündnis zwischen monarchistischen Reak tionären und klerikalen Intriganten sprechen. Besonders die Sozialdemokratie will jetzt den Versuch machen, die schwierige soziale Lage der westdeutschen Arbeiterschaft dazu benutzen, um gegen das Zentrum Stimmung zu machen und die Zentrumsarbeiterschaft zur Linken herüber zuziehen. Unter solchen Umständen gibt es allerdings auch gemäßigte Zentrumsführer, die entschieden davor warnen, dis Beziehungen zu den Weimarer Parteien abzubrechen. Ob diese Warnungen jedoch an der Haltung der Frak tionsmehrheit etwas ändern können, muh gegen wärtig stark bezweifelt werden. Bo» u n le r« m B « r lt n « r V e r tr« ter In den führenden politischen Kreisen spricht man augenblicklich fast ausschließlich über gewisse Vorgänge in der Zentrumspartei, die darauf, schließen lassen, daß es innerhalb der nächsten Monate zu einer Entscheidung dar über kommen wird, ob das Zentrum die Bezie hungen zu den Weimarer Verfassungsparteien endgültig lockern und eine Annäherung an die Rechtsparteien vollziehen wird. Tritt dieser Fall ein, dann würde auf Jahre hinaus eine g e- mäßigte Rechtepolitik im Reiche und in den Ländern sichergestellt sein, die erst bei den nächsten Reichstagswahlen vor eine neue parlamentarische Kraftprobe gestellt wer den könne. Diese Erörterungen sind vor allen Dingen dadurch entstanden, daß neuerdings der auf dem rechten Flügel der Partei stehende Zen trumsabgeordnete von Euerard als Minister in das Reichskabinett Luther berufen werden soll — siehe unten! D. Red. — und damit seine Partei noch enger an die Regierng Luther bin den dürfte. Noch vor wenigen Wochen hat sich das Zentrum geweigert, ein weiteres Ministerium im Kabinett Luther zu besetzen, weil es starke Bedenken dagegen hatte, seine neutrale Haltung im Reichstag dadurch aufzugeben. Nunmehr aber scheinen die Fraktionsvorstände des Zen trums endgültig dazu entschlossen zu sein, mit der Weimarer Politik zu brechen und den Rechtskurs im Reiche auf weite Sicht hinaus mitzumachen. Der linke Flügel der Par tei, der dieser Entwicklung schroff ablehnend ge genübersteht, wehrt sich mit aller Kraft gegen eine solche Umstellung, aber zur Zeit besteht keine Aussicht darauf, den Gang der Ereignisse aufzu halten. Aufallend ist die Tatsache, daß der Führer des linken Zentrums, der frühere Reichs kanzler Dr. Wirth, schon seit mehreren Tagen nicht mehr an den Reichstagssitzungcn teil- nimmt und wiederholt gesonderte Besprechun gen der Arbeiterkreise seiner Partei einberief, um gegen die Politik der Fraktionsmehrhcit energisch vorzugehen. Den Einfluß Dr. Wirths dürfte es übrigens auch zuzuschreiben fein, wenn neuerdings die christlichen Gewerkschaften als Ee- genwertung für die Schutzzölle die Befreiung der Lebensmittel, von der Umsatzsteuer verlangt ha ben. Diese Forderung hat gewisse parlamenta rische Schwierigkeiten hervorgerufen, die aber wahrscheinlich aus dem Kompromißwege be seitigt werden können. Immerhin ist es nicht uninteressant, daß die gewerkschaftliche Richtung im Zentrum neuerdings eine sehr rührige Tätig keit entfaltet, um auf die Entscheidungen der Zentrumsvorstände einen wesentlichen Druck auszuüben. Da aber die Frakttonsmehrheit wehr denn je geneigt ist, in der innerpolitischen Entwicklung klare Entscheidungen herbeizufüh ren und auf jeden Fall neue Regierungskrisen -n vereiteln, werden die Arbeiterkreise der Par tei zum Nachgeben gezwungen sein. Daß hierbei zwischen den einzelnen Richtungen gewisse Mei nungsverschiedenheiten fortbestehen bleiben wer ben, ist unvermeidbar, aber die gegenwärtigen Führer des Zentrums glauben durch eine ge schickte Politik ernstere Konflikte vermeiden zu können. Im Zentrum gibt cs gegenwärtig drei Strömungen, unter denen die von Steger- wald geführte Gruppe der Befürworter einer rein bürgerlichen Politik zur Zeit den größten Einfluß besitzt. Die Richtung Marx ist nach der Niederlage bei der Reichspräsidentenwahl stark in den Hintergrund getreten, zumal Dr. i Marx selbst das Bestreben zeigt, vorläufig den ! Wortführern des rechten Flügels keinerlei i Hemmungen in den Meg zu legen. Bleibt also nur noch der linke Flügel um Dr. Wirth, der I jn der Neichstagsfraktion und in den Parteivor- i an Unterlagen dafür, wieviel Flüchtlinge in diesen Tagen nach Schneidemühl kommen wür den. So läßt sich erkennen, daß schließlich nicht genügend Unterkunftsräume zur Verfügung standen. Daß dieser Zustand :icht dauernd bleiben kann, darüber sind sich alle Stellen ohne weiteres klar. Wir werden den Regierungspräsidenten in denjenigen Bezirken Preußens, die noch eine Belastung zu ertragen in der Lage find, sofort einen Teil der Lagerin sassen zuweisen, und zwar diejenigen, füx die eme Berufsarbeitsvermittlung Severing in Schneidemühl Severing traf — wie wir bereits gestern mitteilten — Sonntag nacht um 11 Uhr in Schneidemühl ein, wo er sofort in das Flücht lingslager fuhr. Hier erwartete ihn eine Ver tretung der Flüchtlinge, die gewählt worden war, um den Minister durch die Flugzeughallen, in denen die Optanten untergebracht find, zu führen. Bei diesem nächtlichen Besuch bot nach dem Bericht der „B. Z." das Lager einen doppelt schaurigen und erbarmungswürdigen Anblick. Sichtlich erschüttert durchschritt der Minister die riesigen Räume, in denen auf dünnen Stroh schütten die Flüchtlinge — Männer und Frauen, junge Mädchen — durcheinander auf den Boden schliefen. Hier und da ertönten Ruse: „Mas sengrab!" aus dem Dunkel. Die Säuglinge schrien. Die kranken Kinder, unter denen wieder 20 neue Masernfälle fcstgeftellt worden find, ohne daß sie aus der Maste der 1500 gesunden Kinder ausgeschieden wurden, stöhnten im Fieber. Ein erstickender Brodem, die Ausdün stung der zu Tausenden zusammengepferchten Menschen, und der Gestank kloakenartiger Aborte lag über den Schlafenden. Das ganze ein trost loses Nachtbild tiefsten Elends, äußerster Not. Aus die Frage, ob es denn nicht möglich ge wesen wäre, wenigstens Decken und Matratzen für die Flüchtlinge herbeizuschaffen, kam keine befriedigende Antwort. Weiter kam die Aus kunft, daß gestern der Krankenpflegerin, die bis her allein in dem mit 6000 Menschen belegten Lager tätig, war, eine zweite als Unterstützung Soweit der Minister. Es wird selbstver ständlich nicht nur den Ausgewiesenen, sondern auch von anderen Bevölkerungskreisen in Deut schland begrüßt werden, daß die preußische Re gierung endlich Mittel und Wege findet, das Elend der'Optanten zu mildern. In bedenklichem Gegensatz hierzu steht die von dem Berichter statter eines Berliner Blattes gemeldete Unterredung mit «inem hohen preußischen Beamten, der sich unzweideutig in dem Sinne aussprach, daß die preußische Behörde keine Veranlassung hätte, das Los der Aus gewiesenen zu angenehm zu gestalten und ihnen damit einen längeren Aufent halt im Lager erwünscht zu machen. Eine olche Auffassung höherer Regierungsstellen über Zlüchtlingsfürsorge wird hier angesichts des Uends als doppelt skandalös «mpfun- en. Es ist anzunehmen, daß die preußische Staatsregierung diese Angelegenheit in Kürze klarstellen wird. Hindenburg läßt sich informieren Der Reichspräsident hat den Außen minister Dr. Stresemann und den Innen minister Schiele zum Vortrag über die Aus weisung der deutschen Optanten aus Zie WM« See Asm Die deutschen Optanten werden aus Polen vertrieben! Vertrieben! Ein unbekanntes Etwas sitzt in der Brust, reißt, zerrt, kocht und brodelt schluchzend und stöhnend über die Lippen. Eisenbahnräder rollen bei Tag und bei Nacht, stampfen den Takt zum Liede des Leides. Güter- züge mit seltsamer Last kommen aus Polen. Männer, Frauen und Kinder blicken mit schattenumflorten Augen durch di; schweren, halbgeöffneten Waggontüren. Wie grau, wie regenschwer ist der Himmel, wie düster die Zu kunft. Kein Lerchenjubellaut in der Luft, kein Glück, keine Freude in der langen Güterwagen kette. Der Wind weht über die Stoppeläcker. Krähenschwnrme fliegen krächzend nach Norden. Der Zug rollt auf dem endlosen Schienen strang, gezogen, gezerrt von der Lokomotive: Haß! Wie zornig hämmert und faucht der schwarze Koloß, die feurigen Augen glühen in verhaltener Wut, der Feind greift mit klobig, verrußten Händen in's Steuer. Grau «nd düster, gleich der verkörperten Sorge, folgt gehorsam die lange Wagenschlange. Menschen, seltsames Stückgut! Wie eine Schafherde zusammengcpserchc, stehen, fitzen und kauern sie zwischen Körben, Koffern, Kisten und Säcken. Ein Mann blickt sinnend in die Ferne.... Ein kleines schmuckes Häuschc^ der Storch klappert lustig auf dem Dache, ein früchte- reiser Obstgarten, wogende Getreidefelder, brüllende Kühe, gackernde Hühner, bellende Hof hunde... Vorbei! Für einen Almosen ist das Besitztum verkauft, mußte verkauft werden. Ein Koffer birgt den Nest der ganzen Habe, im Brustbeutel knistern ein paar abgegriffene Zlotyscheine. Der Mann streicht mit der Hand über die Stirn, als wollte er etwas wegwischen, einen Traum. Die Erinnerung wird nicht zur Wirklichkeit. Alle, die vielen im Zuge, sie teilen mit ihm das gleiche Los, das gleiche Schicksal. Der Wagen ruckert und stuckert. Ein Säug ling schreit, im Schlaf gestört. Eine Fran wim mert in Kindesnot. Die Lokomotive stampft Am Sonntag morgen kehrte der Minister ins Lager zurück. Es fand eine zwei Stunden dauernde Be sprechung statt, an der Ministerialrat Dr. Rathenau, Oberregierungsrat Roeckner vom preußischen Innenministerium, der Präsident der Reichsarbeitsverwaltung Dr. Syrup, Oberpräsi dent von Bülow, Vizepräsident Happ und Ver treter der Schneidemühler Stadtverwaltung teilnahmen. In einer Unterredung mit dem Sonder berichterstatter der Telunion führte der Minister über seine Eindrücke und die Hilfsmaß nahmen der preußischen Staatsregierung fol gendes aus: Das Konzentrationslager Cchnei- demühl macht einen improvisierten Ein druck. Die Behörden konnten eine rechtzei tige wirksame Organisation nicht treffen, weil ihnen die nötigen Unterla gen fehlten. Vom preußischen Innenmini sterium, vom Reichsarbeitsministerium und von anderen Behörden sind im April d. I. Anfra - gen und Aufforderungen an die deutschen Op tanten ergangen, ob sie gewillt seien, sich in der Landwirtschaft zu betätigen. Auf diese An fragen sind gar leine oder nur spärliche Antworten eingcgangen. Es waren deshalb keine zahlenmäßigen Unterlagen dafür vorhanden, ob und wieviel Familien durch die Hilfe ihrer Verwandten in Deutschland Unterkommen finden würden. Es fehlte auch'